Die Bewegung ist tot – Viva la Revolución? Lebenswege nach 1968
Vom 12. bis 13. April 2018 fand an der Evangelischen Akademie Frankfurt die Tagung „Die Bewegung ist tot – Viva la Revolución? Lebenswege nach 1968“ statt. Die 68er-Bewegung wurde in der bisherigen geschichtswissenschaftlichen Forschung vor allem als ganze Bewegung untersucht, sowie auf ihre Entwicklung, ihre Brüche und ihr Scheitern. Dem entgegen setzte die Tagung einen Ansatz, der die 68-er Bewegung nicht als Einheit betrachtet, sondern als Einzelpersonen, die für einen beschränkten Zeitraum gemeinsam agierten. Auf die divergierenden Lebensentwürfe dieser Einzelpersonen nach dem Auseinanderbrechen der 68er-Bewegng konzentrierte sich die Veranstaltung. Entsprechend wurden vier mögliche Leitfragen formuliert: Welche nationalen/transnationalen Netzwerke entstanden innerhalb der 68er-Bewegung und wie wurden diese nach Auflösung der Studentenbewegung weiter genutzt?; Wie veränderte sich der Blick der beteiligten Akteur/innen auf die Politik, die Justiz und die Medien?; Welche bisher wenig beachteten Alternativ-Lebenswege gab es neben dem „Marsch durch die Institutionen“ oder der Radikalisierung der Akteur/innen?; Inwiefern spielen biografische Zugänge und Zeitzeug/innen eine wesentliche Rolle bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Studentenbewegung und ihrer Folgen?
Nicht so sehr die Erörterung dessen, was ‚1968‘ war und ist bzw. was die damals erhobenen kulturrevolutionären Pläne nach fünfzig Jahren noch für die Bundesrepublik bedeuten, stand im Mittelpunkt der Tagung zu den Akteuren der Bewegung und ihren Lebenswegen. Stattdessen sollten die nachträglichen Sinnstiftungen ganz unterschiedlicher Personengruppen der Revolte und ihr Einfluss auf die Wahrnehmung der Proteste und ihre Verstetigung beleuchtet werden. Die einzelnen Beiträge brachten biographische Bruchstücke, Bewegungsmuster und Netzwerke in neuen, oft überraschenden Konfigurationen zum Vorschein, weil den individuellen Spuren gefolgt wurde, anstatt ein weiteres Mal vor allem „die großen Gesänge“ anklingen zu lassen oder die allfälligen Generalabrechnungen mit der Studentenbewegung weiterzuschreiben.
Den Tagungsbericht von Martin G. Maier für H-Soz-Kult können Sie hier weiterlesen.
Konferenzübersicht:
Barbara Wolbring (Frankfurt am Main): Einleitung
Panel I: Zeitgenössisch und retrospektiv entwickelte „68er-Narrative“ als Problemstellungen der Zeitgeschichte
Benjamin Möckel (Köln): Fair Trade: Ein Generationenprojekt der „68er“ in Westeuropa?
Robert Wolff (Frankfurt am Main): Selbsthistorisierung der AkteurInnen der „68er-Bewegung“ als Problemstellung der Zeitgeschichte
Panel II: Gewalt als Erbe der „68er-Bewegung“?
Max Gedig (München): Lebenswege nach 1968 – Michael Baumann und die Gewalt
Kevin Lenk (Berlin): Kritik jenseits von Kaderpartei und Spontaneismus: Das Sozialistische Büro und das Problem linker Gewalt, 1972-1977.
Panel III: Chancen und Möglichkeiten der Frauenbewegung(en) nach 1968
Clara Woopen (Berlin): Neuorientierung in der Frauenbewegung. Zur NS-Erinnerung in der Berliner Frauenzeitung Courage
Vojin Saša Vukadinović (Zürich): Weiterdenken nach '68. Silvia Bovenschen und die Frauenemanzipation
Panel IV: Das kulturelle Erbe der „68er-Bewegung“
Lisa-Frederike Seidler (Berlin): ‚Lektoren-Revolte‘ – Netzwerke dramatischer Distribution nach 1968
Simon Maier (Konstanz): Werte, Wissen, Wirkungen – Biographische Intellektuellensoziologie als Wirkungsgeschichte der 68er Bewegung
Panel V: Der Blick nach Osten – Auswirkungen der „68er-Bewegung“ auf die Lebenswege in Mittel- und Osteuropa
Adrian Matus (Florenz): Die Spektren von 1968 in Ost- und Mitteleuropa
Ewgeniy Kasakov (Bremen u. Perm): 68er, Šestidesjatniki, Dissidenten – gab es „globales 68“ in der Sowjetunion?
Abschlussdiskussion