Disziplinieren und Strafen. Politische Repression in der DDR und anderen sozialistischen Diktaturen
Vom 30. bis zum 31. Januar 2020 fand in Berlin der Workshop „Disziplinieren und Strafen. Politische Repression in der DDR und anderen sozialistischen Diktaturen“ statt. Im Fokus lag, wie politische Repressionen besonders in sozialistischen Diktaturen dem Machterhalt der Herrschenden dienten. Diverse in den letzten Jahren entstandene Untersuchungen beziehen sich dabei vor allem auf die ostdeutsche Binnenperspektive.
Beantwortet werden sollte wie sich der Blick auf politische Repression in der DDR verändert hat, wenn sie mit ähnlichen Praktiken in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten Ost- und Ostmitteleuropas kontrastiert und verglichen wird, wie die unterschiedlichen Regime Osteuropas definierten, was als „politische“ Tat galt und wie sich im Laufe der Zeit die Kriterien, aufgrund derer Menschen in den Fokus staatlicher Repressionsapparate rückten, veränderten. In vergleichender Perspektive wurden die unterschiedlichen Aspekte dieses Themas diskutiert.
„Können Sie das beweisen? Haben Sie das schriftlich?“. So begann 1991 Jürgen Fuchs seine Artikelserie „Landschaften der Lüge“, in der er seine persönliche Diktaturerfahrung literarisch verarbeitete. Auch beim Workshop „Disziplinieren und Strafen. Politische Repression in der DDR und andere sozialistischen Diktaturen“ wurde der Schwerpunkt auf die unterschiedlichen Perspektiven der Repressionserfahrung gesetzt. Jörg Baberwoski (Berlin) eröffnete die Tagung mit einer Anspielung auf Fuchs‘ Artikelserie und verdeutlichte die wechselseitige Beziehung von individueller Erfahrung und Erinnerung. Die Bedingungen der Diktaturerfahrung seien länder- und generationenspezifisch. Zudem variiere Repressionserfahrung je nach Intensität, Dauer und spezifischem Kontext. Die individuelle Erfahrung wiederum beeinträchtige die Erinnerung an die Diktatur. Daher müsse bei einem Vergleich unterschiedlicher Regime diese Wechselbeziehung von Erfahrung und Erinnerung mitgedacht werden. Das erste Panel stellte die strukturellen Mechanismen von repressiven Systemen in den Mittelpunkt. Markus Mirschel (Berlin) stellte die Hypothese auf, dass das Grundinstrument der SED-Herrschaft die Angst gewesen sei. Dabei ließen sich zwei Hauptphasen unterscheiden: die erste Phase sei von „lautem Terror“, also der sichtbaren und willkürlichen Ausführung von Repression geprägt gewesen, während sich in der zweiten Phase der „leise Terror“ in Form von Zersetzungsmaßnahmen gegen Einzelpersonen und subtiler Einwirkung auf die Bevölkerung durchgesetzt habe. Auch Chrisitan Sachse (Berlin) unternahm einen Periodisierungsversuch der politischen Repression in der DDR. Sein Ausgangspunkt war, dass die Herrschenden die Produktion von Gehorsam als ökonomisch günstigere Variante der harten Repression vorgezogen hätten, um die Herrschaft zu stabilisieren. Die Erzeugung von Gehorsam richtete sich nach dem Ideal der „sozialistischen Persönlichkeit“.
Den ganzen Tagungsbericht von Julian Obenauer für H-Soz-Kult können Sie hier nachlesen.
Konferenzübersicht:
Jörg Baberowski (Humboldt-Universität zu Berlin, BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“): Landschaften der Verfolgung. Einleitende Bemerkungen
Panel 1: Repressive Systeme verstehen
Markus Mirschel (Humboldt-Universität zu Berlin, BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“): Nexus Angst – Ein Blick auf Verfolger und Verfolgte
Christian Sachse (Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Berlin): Die planmäßige Produktion von Gehorsam im Sozialismus. Techniken zur Disziplinerziehung und ihre Effizienz
Adrian Gallistl (Friedrich-Schiller-Universität Jena, BMBF-Forschungsverbund „Seelenarbeit im Sozialismus“): Gesellschaftliche Ursachen individuellen Leidens am Beispiel der ehemaligen DDR Kommentar: Robert Kindler (Humboldt-Universität zu Berlin, BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“)
Panel 2: Praktiken und Normen der Haft
Immo Rebitschek (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Die Macht der Normen. Die Disziplinierung des sowjetischen Lagersystems, 1946-1956
Alexander Heinert (Freie Universität Berlin, Forschungsverbund SED-Staat): Wurzeln und Traditionen sowjetischer Sonderhaftanstalten in Ostdeutschland
Tobias Wunschik: (Humboldt-Universität zu Berlin, BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“): „Besserung“ durch „Rotlichtbestrahlung“? Konjunkturen und Zäsuren im Erziehungsstrafvollzug der DDR, 1949-1989
Kommentar: Stefan Donth (Gedenkstätte Hohenschönhausen / BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“)
Panel 3: Kriminalisierung und Bestrafung
Sebastian Stude (Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße Potsdam / BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“): Kriminalität und Kriminalisierung: „Rowdytum“ und „Rowdies“ im Bezirk Potsdam, 1968-1989
Agnès Arp (Friedrich-Schiller-Universität Jena, BMBF-Forschungsverbund „Seelenarbeit im Sozialismus“): Politisch motivierte Adoption als Disziplinierungsmaßnahme in der DDR? Definition, Praxis und Hypothesen für eine weitere Forschung
Kommentar: Helge Heidemeyer (Gedenkstätte Hohenschönhausen, BMBF Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“)
Panel 4: Erinnerung, Aufarbeitung, Wiedergutmachung
Jonila Godole (Universität Tirana / Institute for Democracy, Media & Culture): Das Erbe der kommunistischen Diktatur in Albanien J
ohannes Weberling (Europa-Universität Viadrina Frankfurt Oder, BMBF Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“): Aus der Geschichte (nichts) gelernt. Die juristische Aufarbeitung des SED-Regimes und die Rehabilitierung seiner Opfer
Birgit Neumann-Becker (Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur): Verhinderte Anerkennung der Opfer. SED-Verfolgte zwischen Lebensbewältigung, Aufarbeitung und DDR-Normalisierung
Kommentar: Jörg Baberowski (Humboldt-Universität zu Berlin, BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“)
Panel 5: Abschrecken und Strafen im Spätsozialismus
Thomas Lindenberger (Hannah-Arendt-Institut Dresden): Vom „Turbo“ zum „Verdichter“ – oder: Die havarierte Laufbahn eines volkseigenen Chemie-Ingenieurs. Ein Fall von Terrorjustiz in der Honeckerära
Idrit Idrizi (New Europe College, Bukarest / Universität Wien): Politische Repression im albanischen Spätsozialismus
Martin Wieser (Sigmund Freud Privatuniversität Berlin): Die „IM-Arbeit“ der Operativen Psychologie – Fallbeispiel einer mikrototalitären Praxis?
Kommentar: Christian Booß (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder / BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“)
Panel 6: Abrichtung und Disziplinierung
Susanne Guski-Leinwand (Fachhochschule Dortmund / BMBF-Forschungsverbund „Seelenarbeit im Sozialismus“): PsychologInnen in der DDR: „keine apolitischen Spezialisten“?!
Felicitas Söhner (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf): Disziplinierung durch Gewalt in der Wahrnehmung medizinischer und psychologischer Akteure in DDR-Kinderheimen
Florian von Rosenberg (Universität Erfurt): Pädagogisierung und politische Repression. Analysen zum DDR-Krippensystem
Kommentar: Stefan Röpke (Charité – Universitätsmedizin Berlin / BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“)