Internationale Beziehungen und „emotional regimes“. Neue Fragen an die Geschichte des Kalten Krieges
Vom 14.03. bis zum 16. 03. 2018 fand am Historischen Kolleg München die Tagung “Internationale Beziehungen und „emotional regimes“: Neue Fragen an die Geschichte des Kalten Krieges” statt. Im Fokus der Tagung stand der Gedanke, die Geschichte der Internationalen Beziehungen um die Perspektive der subjektiven Erfahrungen und Wahrnehmungen zu bereichern. Die Begriffsfelder Angst, Hass und Besorgnis; Vertrauen und Misstrauen; Begeisterung und Empörung sowie Enttäuschung und Ernüchterung standen im Zentrum dieser Reflexion. Theoretische Anknüpfungspunkte hierfür waren unter anderem die Grundlagen von Reinhart Koselleck, Ute Frevert, Alexander Wendt und Thomas Diez. Es wurde auf dieser Konferenz der Versuch unternommen, Methodik und Theorie der Emotionsgeschichte auf den Untersuchungsgegenstand Internationale Beziehungen anzuwenden, um ein neues Licht auf die Handlungsspielräume und -Motivationen der handelnden Akteure zu werfen. Historiographisch kann die Tagung in den größeren Kontext des “emotional turn” der letzten Jahre eingeordnet werden; dieser bezeichnet die zunehmende Bedeutung von “weichen” Faktoren wie Gefühle und Erwartungen in einer zuvor eher traditionell analysierenden Disziplin wie den Internationalen Beziehungen.
Nach einer kurzen Begrüßung durch MARTIN SCHULZE WESSEL (München) legte HÉLÈNE MIARD-DELACROIX (Paris) in ihrer Einleitung den Anspruch der Tagung dar: Ziel sei es, die Geschichte der internationalen Beziehungen im Kalten Krieg anhand eines bisher vernachlässigten emotionsgeschichtlichen Ansatzes neu zu betrachten. Dabei definierte sie die im Titel der Tagung erwähnten „emotional regimes“ (William Reddy) zunächst als kommunikative Codes, die zur Blockbildung und -kohäsion genutzt wurden, und betonte die zeitliche Dimension und Wandelbarkeit von Emotionen. ANDREAS WIRSCHING (München) ging daraufhin ebenfalls auf die Zeitlichkeiten von Emotionen ein und fragte nach deren Übereinstimmung mit der Periodisierung des Kalten Kriegs.
Den ganzen Tagungsbericht von Valérie Dubslaff für H-Soz-Kult können Sie hier weiterlesen.
Konferenzübersicht:
Keynote:
Ute Frevert (Berlin): Die Gefühle der Staaten. Völkerrecht und politische Praxis in der Moderne
Sektion 1: Angst, Hass und Besorgnis
Birgit Aschmann (Berlin): Antikommunismus als emotionales Regime und Gründungsnarrativ im Franquismus
Corine Defrance (Paris): Reaktionen und Emotionen in Frankreich während der Berlin-Krisen
Thomas Freiberger (Bonn): Emotionen als Faktor in der Suezkrise 1956
Jost Dülffer (Köln): Multiple Ängste vor dem Nuklearwaffensperrvertrag in den 1960er Jahren
Sektion 2: Vertrauen und Misstrauen
Jessica Gienow-Hecht (Berlin): Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Ein Blick in die US-außenpolitische Geschichte
Bernd Greiner (Hamburg): Vertrauen und Misstrauen als Ressource internationaler Politik – dargestellt am Beispiel der amerikanisch- sowjetischen Detente
Kristina Spohr (London): Vertrauen auf dem Gipfel. Das Ende des Kalten Krieges
Sektion 3: Begeisterung und Empörung
Joachim Scholtyseck (Bonn): „Unter der Fahne der heiligen Sache der Erlösung der Menschheit“: Dekolonisierung, Revolutionsbegeisterung und romantische Verklärungen der Neuen Linken
Magnus Brechtken (München): „Mad men“ und Napalm – Nutzen, Versuchungen und Grenzen des Blicks auf Emotional Regimes in der Wirkungsgeschichte des Vietnam-Krieges
Laurence Badel (Paris): Das Tian'anmen-Massaker (1989): „Chaos, Grauen und Erstarrung“ (Médecins sans Frontières) — Die Globalisierung einer internationalen Emotion und ihre Grenzen
Sektion 4: Enttäuschung und Ernüchterung
Bernhard Gotto (München): Enttäuschung als Beziehungsmarker und Bewertungskategorie in den Internationalen Beziehungen nach 1945
Martin Schulze Wessel (München): „Mit der Sowjetunion auf ewige Zeiten – aber keinen Tag länger!“ Emotionalisierung und Ernüchterung in den tschechoslowakisch-sowjetischen Beziehungen im Prager Frühling
Frank Bösch (Potsdam): Euphorie, Angst und Enttäuschung: Das sandinistische Nicaragua und das Ende des Kalten Krieges
Sektion 5: „Emotional regimes“, Deutschland und die internationale Politik
Frederike Schotters (Tübingen): Außenpolitik als Geschäft mit Emotionen. Ein Einblick in Prozesse und Mechanismen deutsch- französischer Vertrauensbildung Anfang der 1980er Jahre
Philipp Gassert (Mannheim): „Vertrauen schaffen“: Emotionale Vergemeinschaftung als Ressource westdeutscher Außenpolitik im Kalten Krieg
Sektion 6: NGOs/humanitäre Hilfe
Agnes von Bressensdorf (München): Westdeutschland und das humanitäre Regime im Afghanistan-Konflikt
Johannes Paulmann (Mainz): Zwischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe: Westdeutsche Beziehungen zur „Dritten Welt“
Claudia Kemper (Hamburg): „Wir können und dürfen diesen Wahnsinn nicht mehr dulden, wenn unsere Erde überleben soll.“ NGOs als Emotionsagenturen internationaler Konflikte