„Woran glauben wir und gegen wen kämpfen wir?“ Gewalt im Osteuropäischen Bürgerkrieg, 1918–1921
Die von Joachim von Puttkamer geleitete Sektion auf dem Historikertag 2016 an der Universität Hamburg untersuchte Strukturen, Akteure und konkrete Situationen von Gewalt im osteuropäischen Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg. Thematisiert wurden die Bürgerkriegsparteien, die Gewalträume, politische Rahmenbedingungen und ethnische Spannungen, individuelle Lebensläufe und kollektive Milieus sowie das Verhältnis zwischen Militär und Zivilbevölkerung. Räumliche, zeitliche und ideologische Grenzziehungen wurden dabei hinterfragt und zum Teil zugunsten einer Darstellung von Kontinuitäten, Gleichzeitigkeiten und Durchlässigkeiten aufgegeben. Die Vortragenden und Kommentatoren kamen zu dem Schluss, dass nur interdisziplinäre sowie vergleichende und transnationale Ansätze diesem komplexen Geschehen gerecht werden können.
Zur Erklärung von Gewalt bieten Disziplinen von der Soziologie über die Psychologie bis hin zur Anthropologie und Historiografie diverse Modelle an. In ihnen kommen Strukturen, konkreten situativen Konstellationen und Akteuren verschiedenes Gewicht zu. Mit Blick auf die Handelnden selbst werden individuelle bzw. kollektive Antriebskräfte etwa von ideologischen Motiven bis zu gruppendynamischen Prozessen in unterschiedlichem Maß gewichtet. Dass nur interdisziplinäre Bemühungen zu einem möglichst genauen Verständnis der Gewalt im osteuropäischen Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg führen, dies war ein Ergebnis der Vorträge, Diskussionen und Kommentare der Sektion. Die Gesamtveranstaltung unterstrich dabei auch, dass in der historischen Forschung selbst komparative und transnationale Zugriffe vonnöten sind, um zu tieferen Einsichten in das komplexe, dramatische Gewaltgeschehen im Osteuropa der vermeintlichen Nachkriegszeit zu gelangen. Den ausführlichen Tagungsbericht von Andreas Hilger für H-Soz-Kult können sie hier weiterlesen.
Sektionsübersicht:
Sektionsleitung: Joachim von Puttkamer (Jena)
Włodzimierz Borodziej (Warschau / Jena) / Maciej Górny (Warschau): Einleitung: Der Krieg nach dem Kriege – Politische Visionen und Gewalt im Osteuropäischen Bürgerkrieg
Robert Gerwarth (Dublin): Zwischen Restauration und Faschismus. Rechte paramilitärische Gewalt nach dem Ersten Weltkrieg
Jochen Böhler (Jena): Jenseits von Nationalstaat und Revolution. Gesinnung und Gewalt regulärer Streitkräfte gegen Zivilisten in Ostmitteleuropa, 1918–1921
Christopher Gilley (Hamburg): Glaube an den allukrainischen/allrussischen Aufstand. Narrative der Verzweiflung im Russischen Bürgerkrieg
Patrick Houlihan (Chicago): Katholizismus und der Große Krieg. Religion und Alltag in Ostmitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg
Wolfgang Knöbl (Hamburg) / Jörn Leonhard (Freiburg): Kommentar: Gesinnung und Gewalt im Osteuropäischen Bürgerkrieg
Joachim von Puttkammer (Jena): Moderation