Pressemitteilung

Zeitzeugen gesucht zu Todesfällen bei Fluchtversuchen aus der DDR über die Ostsee

| vom 26.08.2019
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Greifswald, der 26. August 2019. Ein Forschungsteam des Instituts für Politik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Greifswald unter der Leitung von Prof. Dr. Hubertus Buchstein untersucht seit dem 1. Juli 2019 die Todesfälle bei Fluchtversuchen aus der DDR über die Ostsee. Das Projekt ist Teil eines gemeinsamen Verbundprojektes mit dem Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin und einer Forschungsgruppe an der Universität Potsdam.
Das Bündnis „Grenzregime“ der drei Universitäten wird mit rund drei Millionen Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Für das Projekt sucht das Greifswalder Projektteam nach weiteren Zeitzeugen und Zeitzeuginnen sowie nach Angehörigen.
Die Fluchten über die Berliner Mauer und an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR sind mittlerweile gut erforscht. Vergleichbare wissenschaftliche Untersuchungen zu den bei Fluchtversuchen über die Ostsee oder an den Grenzen der anderen Ostblockstaaten ums Leben gekommenen DDR-Bürger liegen bislang nicht vor. Diese Lücke soll durch das Verbundprojekt geschlossen werden.
Ende der 1950er/Anfang der 60er Jahre führte die anhaltende Abwanderung aus dem Staatsgebiet der DDR zu verschärften Grenzkontrollen. Mit einer kompletten Abschottung mittels Mauern und kilometerlangen kontrollierten Grenzgebieten erreichte die Grenzpolitik 1961 ihren Höhepunkt. Nach Norden hin hatte das Staatsgebiet durch die Ostsee zwar eine natürliche Grenze, diese wurde allerdings noch zusätzlich abgesichert. Hier wurde eine Art „unsichtbare Mauer“ gezogen. Mittels eines strengen Grenzregimes wurden die Seegrenze und die Ostseeküste kontrolliert, um Abwanderungswillige abzuschrecken und von einer geplanten Republikflucht abzuhalten. Trotz des engen Kontrollnetzes an den Küstenabschnitten an der Ostsee wagten viele Menschen bis zur Grenzöffnung 1989 die Flucht über diese sogenannte „nasse Grenze“. Nach dem bisherigen Kenntnisstand handelt es sich dabei um ca. 5 600 Personen. Rund 80 Prozent von ihnen wurden bei dem Versuch verhaftet, vermutlich 913 (etwa 16 Prozent) ist die Flucht gelungen und mindestens 174 Menschen fanden bei ihrem Fluchtversuch den Tod. Die Leichen der Geflüchteten wurden an die Strände zwischen Fehmarn, Rügen und Dänemark gespült oder im Meer in Fischernetzen gefunden.
Die Greifswalder Forschungsgruppe widmet sich vor allem der Aufarbeitung und Aufklärung von Fluchtversuchen mit tödlichem Ausgang. Das Ziel des Projektes ist, die Schicksale der Opfer nachzuzeichnen und sie dadurch vor dem Vergessen zu bewahren. Dafür werden weitere Zeitzeugen und Zeitzeuginnen sowie Angehörige gesucht, die mit ihren persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen zur Aufarbeitung dieses heute fast vergessenen Themas beitragen können. Wer Auskünfte zu Fluchten aus der DDR über die Ostsee geben kann oder auch Dokumente und Material hat, wird gebeten, sich bei der Projektgruppe zu melden. Allen Hinweisen wird nachgegangen, damit die Einzelschicksale nicht in Vergessenheit geraten.
Die Ergebnisse aller drei Teilprojekte sollen jeweils als Buch veröffentlicht werden. Das Center für Digitale Systeme (CeDiS) www.cedis.fu-berlin.de/index.html in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin wird Zeitzeugeninterviews und Forschungsergebnisse der Teilprojekte auf einer Website im Internet für die politische Bildung und Aufklärungsarbeit über die zwei deutschen Staaten und die SED-Diktatur zugänglich machen.
Weitere Informationen
Auch fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer gilt es, Wissenslücken über das in der DDR begangene Unrecht sowie über die Nachwirkungen des Transformationsprozesses seit 1989/90 zu schließen. Dafür hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in einem Wettbewerbsverfahren aus über 100 Bewerbungen 14 Forschungskonsortien ausgewählt, die bis 2022 mit einer Fördersumme von 40 Millionen Euro unterstützt werden, um eine stärkere Verankerung der DDR-Forschung in der deutschen Hochschul- und Forschungslandschaft zu unterstützen.

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