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JHK 2023

Die Todesstrafe und die Transformation der kommunistischen Staatsgewalt nach Stalin

Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung | Seite 115-134 | Metropol Verlag

Autor/in: Pavel Kolář

I. Die Todesstrafe und die Legitimität moderner Herrschaft

In der historischen Kommunismusforschung herrschte bisher wenig Interesse an der systematischen Untersuchung der Geschichte der Todesstrafe nach dem Ende des Stalinismus. Die Gründe für diese Forschungslücke liegen auf der Hand: Bis zur Phase der Entstalinisierung zwischen 1953 und 1956 wurde die Todesstrafe aus politischen Gründen maßlos eingesetzt, um sowohl tatsächliche als auch vermeintliche Gegner zu vernichten. In der poststalinistischen Ära schwand die politische Motivation für den Einsatz der Todesstrafe weitgehend, es wurden weniger Todesurteile verhängt und vollstreckt, die Todesstrafe wurde in den nichtpolitischen Bereich »verdrängt«, womit nachträglich auch das geschichtswissenschaftliche Interesse am Thema abnahm.

In diesem Beitrag gehe ich davon aus, dass der Todesstrafe stets sehr wohl eine grundlegende Bedeutung für die Ausübung staatlicher Gewalt und ihre Legitimität zukommt.[1] Ich gehe der Frage nach, wie die höchste Strafe das Verhältnis zwischen dem Staat und seiner Bevölkerung im poststalinistischen Sozialismus gestaltete. Die Wendung »nach Stalin« verstehe ich dabei breiter als nur im Sinne der Einstellung des Massenterrors und der innenpolitischen Entspannung. Vielmehr wird hier damit ein umfassender Wandel der sozialistischen Staatsmacht erfasst, der in den Jahren zwischen 1953 und 1956 eingesetzt hat und bis 1989 dauerte.[2]

Die Bezeichnung »nach Stalin« lässt sich auch gesamteuropäisch begreifen: Gemeint ist dann der Zeitraum ab circa Mitte der 1950er-Jahre, als europaweit das allgemeine Nachkriegschaos endgültig endete und der Kontinent in eine Phase der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabilisierung eintrat.[3] Der Aufbau der sozialstaatlichen Fürsorge – sowohl in den Liberaldemokratien in Westeuropa als auch im Staatssozialismus in Osteuropa – war dabei von großer Bedeutung.[4] In Bezug auf staatliche Gewalt schuf der Wohlfahrtsstaat dabei ein Paradox: Einerseits baute er ein institutionelles Netzwerk auf, welches das Wohl und die Sicherheit der Bevölkerung erheblich erhöhte. Andererseits schuf er gerade mit diesen Institutionen neue Räume für potenzielle Gewalt, die überwiegend »hinter Mauern« stattfand, in modernen Gefängnissen, Kinder- und Altersheimen, Krankenhäusern sowie psychiatrischen Anstalten. Das beträchtliche Ausmaß der Gewalt, die der »therapeutische Staat« in diesen Institutionen ausübte, im Osten wie im Westen, kam erst mit jahrzehntelanger Verspätung ans Licht.[5] Die Fokussierung auf Bereiche mit überwiegend staatlicher Gewaltausübung eröffnet neue Sichtweisen auf die europäische Nachkriegsgeschichte. So lassen sich die Diktaturen und Demokratien nicht nur hinsichtlich ihrer Unterschiede, sondern auch ihrer Gemeinsamkeiten analysieren.

Im Mittelpunkt des Beitrages stehen die poststalinistischen Diktaturen als spezifische Versionen des modernen Wohlfahrtsstaates. Das Ziel ist es, herausfinden, ob und wie die schrittweisen Prozesse der Reduzierung, Reglementierung und Modernisierung des legalen Tötens einen tiefergehenden Wandel der Diktaturherrschaft widerspiegelten. Im Hintergrund der Untersuchung steht die Frage, wie sich mithilfe der Erforschung der Todesstrafe der poststalinistische Staatssozialismus in die Geschichte der europäischen Wohlfahrtsstaatlichkeit einfügen lässt.

Nach der Macht des Staates zu fragen, scheint nach mehr als zwei Jahrzehnten transnationaler Geschichtsschreibung, die sich auf grenzüberschreitende Verflechtungen konzentrierte, wieder aktuell zu sein. Denn es braucht zwar eine Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaates, aber keine ohne den Nationalstaat.[6] Das gegenwärtige erneute Sichtbarwerden des Staates in Form von befestigten Grenzen und Zäunen, wachsender polizeilicher Macht und wiederkehrenden, unterschiedlich begründeten Ausnahmezuständen wirft die alte Frage von Max Weber nach der Legitimität der staatlichen Gewalt auf:[7] Was findet in der Gesellschaft Unterstützung, was nicht? Welche Angriffe des Staates auf den Körper der Bürger (im Sinne Foucaults) werden als legitim wahrgenommen? Diese Fragen müssen sich alle Herrschaftsregime stellen, denn sowohl Diktaturen als auch Demokratien brauchen eine Polizei, ein Strafsystem und Gefängnisse.[8] Und sowohl Diktaturen als auch Demokratien setzten die Todesstrafe ein – in Europa war dies bis ins späte 20. Jahrhundert hinein der Fall. Gerade in diesem Kontext erhält die Geschichte der Todesstrafe in kommunistischen Diktaturen eine epochenübergreifende Relevanz, auch wenn weder die Todesstrafe noch die Diktaturen heute noch bestehen.

Am Beginn meiner Beschäftigung mit dem Thema Todesstrafe im Staatssozialismus stand ein Experiment, das, ohne es zu wollen, auch beleuchtete, wie die Todesstrafe im heutigen Ostmitteleuropa erinnert wird. Auf die Frage nach der letzten Hinrichtung in ihrem jeweiligen Land verorteten einige Kolleginnen und Kollegen dieses Ereignis instinktiv in den 1950er-Jahren, weil sie Hinrichtungen mit dem stalinistischen Terror assoziierten. Erst später dachten sie an die nichtpolitischen, »gewöhnlichen« Verbrechen, wie Raub- und Sexualmorde. Die meisten waren erstaunt, dass die letzten Hinrichtungen in Ungarn erst im Februar 1988, in Polen im Mai 1988 und in der Tschechoslowakei im Juni 1989 stattgefunden hatten. In der Tschechoslowakei wurde am 8. Juni 1989, fünf Monate vor der Samtenen Revolution, Štefan Svitek in Bratislava gehängt. Er hatte seine schwangere Frau und seine beiden Töchter mit der Axt getötet und anschließend sexuell missbraucht.

In Litauen dagegen wird die letzte Hinrichtung im Juli 1995 bis heute von vielen Litauerinnen und Litauern erinnert. Der Mafia-Boss Boris Dekanidze wurde damals durch einen Genickschuss, vergleichbar den Methoden des NKWD, getötet. Gleiches gilt für Rumänien, wo das Diktatorenehepaar Ceaușescu Weihnachten 1989 hingerichtet wurde.[9]

Die Aussagen meiner Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass noch immer zwischen den Zielsetzungen und Legitimationsstrategien der kommunistischen Diktaturen einerseits, die sich in politisch motivierter Repression, ideologischer Homogenisierung und bürokratisch gelenkter Planwirtschaft niederschlugen, und dem alltäglichen »normalen Leben« der staatssozialistischen Gesellschaften andererseits unterschieden wird.[10] Damit wird jedoch die politische Dimension der scheinbar nichtpolitischen Gesellschaftsbereiche übersehen, einschließlich der nichtpolitischen Gewalt, und irrtümlich ein klar definierter Bereich der politischen Herrschaft konstruiert, der streng vom gewöhnlichen Leben getrennt zu sein scheint – und vom »gewöhnlichen Töten«. Doch auch wenn die Gesellschaftsgeschichte des Staatssozialismus gerade die Wechselwirkungen und Durchdringungen zwischen Herrschaft und Gesellschaft hervorhebt,[11] ist auch nach der herrschaftspolitischen Bedeutung des vordergründig unpolitisch motivierten legalen Tötens im Staatssozialismus zu fragen.

II. Legales Töten im Poststalinismus

In der Gewaltforschung wurde das Töten durch den kommunistischen Staat – hauptsächlich in den exzessiven Phasen des Stalinismus oder Maoismus – vielfach als ein Phänomen betrachtet, das der vermeintlich barbarischen Natur dieser Diktaturen entsprang. Der Kommunismus wurde häufig als ein »totalitäres« Herrschaftsregime charakterisiert, das sich fundamental von der westlichen Demokratie unterschied. Das Interesse einer solchen Gewaltforschung gilt vor allem der »westlichen« Welt und ihrer kolonialen Ausbreitung, während die staatssozialistische Ausprägung der europäischen Moderne nur am Rande berücksichtigt wird. So begründet z. B. das Internationale Handbuch der Gewaltforschung die Ausblendung der staatlichen Gewalt im kommunistischen Machtbereich damit, dass sie »aufgrund ihres Ausmaßes und der Spezifik der Herrschaftssysteme und Machtapparate breiteren Raums zu einer adäquaten Darlegung« bedürfe.[12] Während sich das Handbuch ausgiebig Formen kolonialer Gewalt etwa in Ruanda und im Kongo widmet – die offensichtlich »aufgrund ihres Ausmaßes und der Spezifik der Herrschaftssysteme« keines »breiteren Raums zu einer adäquaten Darlegung« bedürfen –, bleibt die im kommunistischen Machtbereich begangene Gewalt unberücksichtigt.  

Wesentlich für die Konvergenzperspektive ist die oben erwähnte zeitliche Parallelität der poststalinistischen Phase der kommunistischen Diktaturen und des Aufbaus des westlichen Wohlfahrtsstaates. Dabei sind vor allem die Eigenheiten der poststalinistischen Legitimierung der Gewaltanwendung von Bedeutung. Während die exzessive Gewaltanwendung ein wesentlicher Bestandteil des stalinistischen Utopieprojektes war, lässt in der Folgezeit die Ausübung und Kontrolle von Gewalt durch den Parteistaat zunehmende Legitimationsschwierigkeiten erkennen. Diese führten zur schrittweisen Rücknahme und gewandelten Definitionen von Gewalt und begünstigten schließlich den finalen Zusammenbruch der Regime. Gerade die Untersuchung von Gewalt und ihrer Kontrolle durch den Parteistaat bietet sich als Indikator dieser Delegitimierungsprozesse an. Hypothetisch kann man sagen, dass die poststalinistische Ordnung langfristig gerade daran scheiterte, dass sie ihr Gewaltmonopol jenseits der bloßen Sicherung der politischen Vorherrschaft legitimieren musste.[13]

Im Stalinismus wurde das legale Töten als Teil der »revolutionären Gewalt« des Klassenkampfes gerechtfertigt. Mit der Entstalinisierung nach 1953 erhielt die Todesstrafe eine grundsätzlich andere Bedeutung. Die kommunistischen Regime beendeten den großflächigen Terror und boten den Bürgern ein »normales«, d. h. berechenbares Leben an. Die Parteiherrschaft sollte von nun an auf der Berechenbarkeit der staatlichen Gewaltausübung und einem ordnungsgemäßen Rechtsverfahren fußen.[14] Zugleich erzeugten jedoch die Distanzierung vom stalinistischen Terror, die schrittweise Entpolitisierung der Gewaltanwendung und des Strafrechts sowie der Aufstieg des westeuropäischen Wohlfahrtsstaates als universales Modell einen neuen Legitimitätsdruck. Denn aufgrund des Versprechens der Berechenbarkeit und Regulierung der staatlichen Gewalt fiel es den kommunistischen Herrschaftsapparaten immer schwerer, eventuelle Gewaltexzesse zu rechtfertigen, auch infolge der wachsenden Möglichkeit, dass öffentlich Kritik an der Gewalt geäußert werden konnte. Demnach stellten die poststalinistische Entpolitisierung und Einschränkung der staatlichen Gewalt einen ambivalenten Prozess dar. Einerseits wirkte das Versprechen von mehr Stabilität und Sicherheit legitimitätsstiftend. Andererseits schuf die Entpolitisierung der Gewalt eine neue Spannung zwischen diesem Versprechen und möglichen Übergriffen. Genau in diesem zwiespältigen Legitimitätsraum ist die poststalinistische Anwendung der Todesstrafe anzusiedeln.

Nach dem Ende der stalinistischen Gewalt betrachteten die kommunistischen Herrscher die Todesstrafe zunehmend (wenn auch nicht gänzlich) als Bestandteil der nichtpolitischen Sphäre der Justiz. Auf ihre exzessive Anwendung wurde in allen Ländern verzichtet. Im Laufe der Strafrechtsreformen in den 1960er-Jahren wurde in den meisten Ostblockländern die Anzahl der Kapitalverbrechen reduziert, die mit der Todesstrafe geahndet wurden. Dies galt vor allem für politische und ökonomische Straftaten. Lediglich in der Sowjetunion und Rumänien war die Todesstrafe für Wirtschaftsverbrechen weiterhin festgeschrieben und wurde im Rahmen der Rechtsprechung auch verhängt. Noch 1983 wurden in Rumänien fünf Personen für organisierten Fleischdiebstahl hingerichtet. Dagegen erschien die Strafe in der sogenannten Fleischaffäre in Polen 1964, im Zuge derer eine Person zum Tode verurteilt wurde, als ungewöhnlich hart und unterschied sich deutlich vom sonstigen Einsatz der Todesstrafe. Das Urteil musste durch ein Sonderdekret aus dem Jahr 1945 begründet werden, denn für Wirtschaftskriminalität lag die Höchststrafe in Polen damals eigentlich bei fünf Jahren Haft.[15]

Trotz dieser Unterschiede bleibt für eine vergleichende Betrachtung die Tatsache entscheidend, dass alle poststalinistischen Staaten die Todesstrafe nach 1956 in der Regel nur bei Mord und »Staatsverbrechen« wie Verrat und Spionage anwandten. Gleichzeitig führten neue Probleme, die mit dem Gesellschaftswandel im Zuge der Modernisierung verbunden waren, zu neuen Formen der Kriminalität. Hier standen die poststalinistischen Staaten den modernen westlichen Industriegesellschaften schon bald in nichts mehr nach. Diese Normalisierung fand in einem reformierten Strafrechtssystem ihren Ausdruck, das berechenbar und einer strengeren Kontrolle unterworfen sein sollte.

An dieser Stelle lohnt ein erneuter Blick auf die grundlegende herrschaftsgeschichtliche Frage nach der Bedeutung der Todesstrafe für den modernen Staat. Der Politikwissenschaftler Timothy Kaufman-Osborn diagnostizierte ein dauerhaftes Paradox, das die Todesstrafe für den spätmodernen Staat bedeutet: Einerseits werde der Staat gezwungen, die Todesstrafe »moderner« zu gestalten, um sich von den barbarischen Exekutionen der Vergangenheit zu distanzieren. Sobald aber die Hinrichtungen ihren Schrecken verlören, von Schmerz und Leiden völlig »gesäubert«, ja »ereignislos« würden und kein öffentliches Spektakel mehr darstellten, verliere der Staat eine weitere Möglichkeit, seine souveräne Macht zu behaupten und die moralische Bedeutung der öffentlichen Hinrichtungen zu beanspruchen, wie es in der frühen Neuzeit der Fall gewesen sei.[16] Mit dem legalen Töten (legal killing) ist im modernen Staat also auch ein gewisses Maß an Machtverlust verbunden, der Bestandteil einer allgemeinen Transformation der modernen Macht ist: Die souveräne Macht, die sich durch die direkt exekutierende Autorität auszeichnet, wird durch indirekte bio-politische Maßnahmen neugestaltet, die auf das Leben und die Reproduktion der Bevölkerung gerichtet sind. Der Schwerpunkt der modernen Herrschaft, so die Foucaultʼsche Forschungstradition, verlagerte sich von der hard power zur soft power und förderte fortan das Leben, anstatt die Todesstrafe als Instrument souveräner Macht einzusetzen.[17]

Hier stellt sich die Frage, wie sich diese Transformation der Herrschaft im Poststalinismus gestaltete, der nach den stalinistischen Gewaltexzessen der souveränen Macht den Bürgern ein »normales Leben« versprochen hatte. In diesem Sinne ist der allmähliche Rückgang der Todesstrafe im Staatssozialismus nicht als eine geradlinige »Erosion der totalitären Macht« zu verstehen, sondern als eine Umgestaltung der souveränen Macht mithilfe neuer Herrschaftstechniken.

Dieser Wandel wird auch in den strafrechtlichen Definitionen deutlich. Die Todesstrafe wird in den meisten poststalinistischen Strafgesetzbüchern als »außerordentliche Maßnahme« bezeichnet, in einigen Staaten wie der Sowjetunion oder Bulgarien auch als vorläufige Maßnahme. Somit kehrt die Frage der Souveränität als Recht, über den Ausnahmezustand zu entscheiden, in einen Mikroraum der »Ausnahmestrafe« zurück. Mit anderen Worten, die Ausübung der Todesstrafe bildet einen verbleibenden Ausnahmezustand in einem politischen Kontext, der überwiegend von einer wachsenden Bedeutung von Bio-Macht und Gouvernementalität geprägt ist.

Insbesondere neuere amerikanische Forschungen haben auf das ambivalente Verhältnis hingewiesen: Einerseits wurde der spätliberale Staat zunehmend durch die Tatsache herausgefordert, dass er sich zwar seit dem 19. Jahrhundert der »Humanisierung« der Strafjustiz verschrieben hatte. Andererseits war er aber gleichzeitig gezwungen, seine alte Souveränität aufrechtzuerhalten, indem er die Todesstrafe gegen straffällige Bürger verhängte. Insofern geht von der Todesstrafe ein Spannungsfeld aus, in dem moderne Bio-Macht und mythische Souveränität weiterhin aufeinanderprallen, was insgesamt die Autorität des Staates schwächt. Da der spätmoderne Staat aufgrund seiner nachlassenden Leistungsfähigkeit angesichts sozialer und wirtschaftlicher Herausforderungen unter einem chronischen Legitimationsdefizit leidet, versucht er, seine angeschlagene Autorität wiederherzustellen, indem er seine souveräne Macht, über Leben und Tod zu entscheiden, »ausnahmsweise« zur Schau stellt. Für dieses Verhalten hat Kaufman-Osborn den Begriff der »analogen Verifikation« geprägt.[18]

Die Problematik lässt sich bis in die Zeit der Aufklärung und die Debatte über die Humanisierung des staatlichen Tötens zurückverfolgen. Jürgen Martschukat argumentiert in seiner Studie zur Geschichte der Todesstrafe in Deutschland, dass die Humanisierung der Todesstrafe im 19. Jahrhundert, vor allem das Beenden der sichtbaren Zerstörung des Körpers sowie die Entfernung der Hinrichtung aus dem öffentlichen Raum, nicht als zivilisatorischer Fortschritt hin zu einer weniger gewalttätigen Gesellschaft betrachtet werden kann. Vielmehr sollte sie als ein performativer Akt begriffen werden, der zur Etablierung des Konzeptes der »Zivilgesellschaft« und der Ideologie des liberalen Staates beigetragen hat.[19] Der Aufstieg der modernen Gouvernmentalität, die das Gewicht auf Leben, Produktion, Reflexion und Freiheit legte, war eine Art Umgestaltung der souveränen und disziplinarischen Macht. Foucault betonte, dass die Beziehung der drei Machtformen nicht als eine chronologische Abfolge, sondern als ein Geflecht von souveräner, disziplinärer und gouvernementaler Macht gesehen werden sollte. Demnach werden Souveränität und Disziplin nicht durch die moderne gouvernementale Macht ersetzt, sondern Letztere bezieht sie in ihre Sorge um die Bevölkerung und ihr Streben nach Optimierung ein.[20]

Diese Auffassung wirft weiterführende Fragen für den Übergang der kommunistischen Herrschaft von der stalinistischen zur poststalinistischen Phase auf. Insbesondere Theorie und Praxis des legalen Tötens geben wichtige Hinweise zur sich wandelnden Natur der kommunistischen Staatsgewalt. Möglicherweise war für den Niedergang des kommunistischen Staates auch ausschlaggebend, dass er zunehmend auf die Ausübung seiner souveränen Macht verzichtete.

Um diesen Prozess zu verstehen, werden im Folgenden vier Zugriffe auf die Untersuchung der Todesstrafe im Poststalinismus skizziert: der rechtstheoretische, der praktisch-exekutive, der geschlechtergeschichtliche und der handlungspolitische.

III. Rechtstheoretische Debatten

Mit der Entstalinisierung entbrannte im Ostblock eine lebhafte Diskussion über die »sozialistische Gesetzlichkeit« mit dem Ziel, die Strafprozesse von früheren »Verzerrungen« zu befreien. Gleichzeitig sank der Glaube daran, dass mit dem Aufbau des Sozialismus die Kriminalität verschwinden werde. Im Gegenteil, im Zuge des raschen Gesellschaftswandels (Modernisierung, Industrialisierung, Urbanisierung) entstanden neue Formen der Kriminalität, die die Erscheinungen der Rezidive verstärkten.[21] Die herrschenden Parteien begannen, sich mit den gesellschaftlichen Problemen systematischer und vor allem wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Eine semantische Änderung fand statt: Es war nun weniger von »staatsfeindlichen«, sondern öfter von »gesellschaftsfeindlichen« Straftaten die Rede. Ein konkretes Beispiel für die teilweise Entpolitisierung ist die Abschaffung des Gesetzes über Vaterlandesverrat in der Sowjetunion im Jahre 1960. Zugleich spiegelt sich in der Sowjetunion aber der widersprüchliche Charakter der Chruščëv-Ära wider, denn die fortschreitende Verrechtlichung der politischen Herrschaft kontrastierte mit der gleichzeitigen Verschärfung von spezifischen Aspekten des Strafrechts. Im Vergleich zu anderen Ostblockstaaten entwickelte sich die Sowjetunion in mancher Hinsicht in eine andere Richtung. Das Strafgesetzbuch von 1960 erweiterte die Liste der Kapitalverbrechen, indem es vor allem Wirtschaftsverbrechen einschloss. Es enthielt mehr als 30 Kapitalverbrechen, obwohl sein allgemeiner Teil die Todesstrafe immer noch als außergewöhnliche Strafe charakterisierte.[22]

Damit unterstrich die poststalinistische Gesetzgebung den Ausnahmecharakter der Todesstrafe: Der Weg zur Verurteilung wurde komplizierter und die Freiheitsstrafe als Alternative zur Todesstrafe eingeführt. Die Breite der Tatbestände wurde in den meisten Ländern eingeschränkt. Die Ausnahme entwickelte sich also zum Normalzustand. Das galt auch für die westlichen Länder, die die Todesstrafe beibehielten. Das reformierte Strafrecht verlagerte in den 1960er-Jahren weltweit mehr und mehr den Fokus weg von der Repression auf Prävention und Umerziehung.[23]

Im Kontext der Strafrechtsreformen entwickelten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren zahlreiche Debatten unter Experten über die Todesstrafe, am intensivsten im damals liberalen Polen und Rumänien, aber auch in anderen sozialistischen Ländern.[24] Dabei wird oft übersehen, dass sich diese Diskussionen in der Tschechoslowakei auch nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 fortsetzten und von regimetreuen, aber dennoch reformorientierten Juristen vorangetrieben wurden. Da eine offene politische Reform nach 1968 unmöglich schien, glaubten manche Rechtswissenschaftler, dass eine schrittweise Reform durch Änderungen des Rechtssystems durchführbar sei. Hier stellt sich die Frage, ob das durch Experten gestaltete Recht die Politik als Gesellschaftsgestalter ersetzte. Sie korrespondiert mit der These über das »Herrschen durch Recht«, die der tschechische Historiker Michal Kopeček für die realsozialistischen Diktaturen Ostmitteleuropas aufstellte. Das Ziel der Rechtsreform war, so Kopeček, »die Prärogativmacht der Partei vor politischen, von außerhalb der Partei (vor allem von den Sicherheitsorganen) kommenden Säuberungsversuchen durch die Rechtsordnung zu schützen und sie zugleich in das wichtigste Herrschaftsinstrument zu verwandeln«.[25]

Diese Reformen gingen auf namhafte Strafrechtsexpertinnen und -experten zurück, deren Karrieren nicht zuletzt für die Kontinuität der politischen und rechtswissenschaftlichen Elite in Osteuropa stehen. So bemühte sich der slowakische Juraprofessor Milan Čič (1932–2012) seit den späten 1960er-Jahren sowohl als Rechtswissenschaftler als auch als Politiker um die Reform des tschechoslowakischen Strafrechtssystems. Seit den frühen 1960er-Jahren bekleidete er verschiedene Ämter, wie z. B. das des Justizministers. Nach 1989 war er Vizepremier in der letzten tschechoslowakischen Bundesregierung. Čič sprach sich bereits in den 1970er-Jahren gegen die Todesstrafe aus: Der immer seltenere Gebrauch zeige, dass sie nicht mehr zeitgemäß sei. »Die ablehnende Haltung gegenüber der Annahme, dass ein Mensch sich bessern kann«, so Čič, »hat keinen Platz in der sozialistischen Rechtsordnung.«[26]

Eine andere Position nahm der spätere langjährige slowakische Ministerpräsident Robert Fico ein, der als junger Rechtswissenschaftler in den 1980er-Jahren die Mängel der damals geplanten Rechtsreform hervorhob und zugleich für die Beibehaltung der Todesstrafe plädierte. Er betonte die Präzision der tschechoslowakischen Rechtsprechung, die Fehler oder Missbrauch ausschließe und den Ausnahmecharakter der Todesstrafe mehrfach sichere. Die Todesstrafe sei eine »Ausnahme der Ausnahme«.[27] Nach 1989 setzte Fico seine Forschungen zur Todesstrafe fort und wurde 1992 mit seiner Arbeit »Die Todesstrafe« im tschechoslowakischen Strafrecht promoviert. Ficos Position steht stellvertretend für die ambivalente Haltung der meisten spätsozialistischen Strafrechtsexperten zur Todesstrafe.

Die polnische Rechtswissenschaftlerin Alicja Grześkowiak (geb. 1941) veröffentlichte 1978 eine Monografie über die Probleme der Todesstrafe,[28] die wahrscheinlich erste wissenschaftliche Darstellung zum Thema Todesstrafe im Ostblock. Grześkowiak argumentierte aus einer stark rationalistisch-rechtspositivistischen Perspektive, die in eine typisch poststalinistisch ambivalente Kompromissposition mündete. Mithilfe statistischer Auswertungen widersprach sie der Auffassung, dass die Todesstrafe eine Präventionsfunktion besitze. Laut Grześkowiak waren es vor allem die empirische Unsicherheit und der hypothetische Charakter rechtswissenschaftlicher Darlegungen, die gegen die Todesstrafe sprachen. Darüber hinaus sei das Ziel der Strafe die Besserung des Täters. Weder menschenrechtliche noch marxistische Werte spielten in ihrer Darstellung, anders als in der Tschechoslowakei, eine Rolle. Bemerkenswerterweise hat sich Grześkowiak nach 1989 als nationalkonservative Politikerin und Abtreibungsgegnerin einen Namen gemacht.

Im spätsozialistischen Jugoslawien beschäftigte sich der spätere Präsident Kroatiens Ivo Josipović in Zusammenhang mit dem Phänomen der Blutrache (krvna osveta), das vor allem in Montenegro und im Kosovo praktiziert wurde, indirekt mit der Todesstrafe.[29] Wurde die Blutrache im sozialistischen Jugoslawien zunächst hartnäckig bekämpft (einschließlich der Verhängung der Todesstrafe), wurde sie im Spätsozialismus zunehmend vom Bundesstaat toleriert und mit milderen Strafen belegt, was sich auch als Indiz für das »Absterben des Staates« bezeichnen ließe, wie es Dejan Jović formuliert hat.[30] Aber auch im spätsozialistischen Jugoslawien verwandelten sich die Debatten in eine offen ablehnende Kritik, und inoffizielle Menschenrechtsgruppen begehrten in den 1980er-Jahren gegen die Todesstrafe auf.[31]

Diese Debatten belegen, dass die Beibehaltung der Todesstrafe zunehmend zum Problem für die Weiterentwicklung der »sozialistischen Gesetzlichkeit« wurde. Der poststalinistische Kommunismus gab zwar den utopischen Glauben an eine Gesellschaft ohne Kriminalität auf. Das Strafrecht wurde zunehmend entpolitisiert. Aber gerade diese Entpolitisierung trieb die Regime in eine Legitimitätsfalle: Denn infolge der ideologisch begründeten, vermeintlich objektiven Ziele musste jede geforderte gesellschaftliche Entwicklung zwangsweise als Verwirklichung der Parteipolitik ausgegeben werden und war entsprechend politisch aufgeladen. Daraus folgte, dass auch die Todesstrafe als ein Versagen der Parteipolitik gesehen werden und delegitimierende Effekte generieren konnte. Der sozialistische Staat versuchte seine Legitimität zu wahren, indem er weiterhin mit der Todesstrafe drohte. Dieses Vorgehen war für den Staat nicht ungefährlich, weil die – zunehmend kritischen – Diskussionen der Experten jederzeit auch die Frage danach, wann die Maßnahme angewandt werden sollte und wann nicht, aufgreifen konnten.

IV. Die Praktiken der Todesstrafe

Auf das wachsende Unbehagen des poststalinistischen Staates im Umgang mit der Todesstrafe weisen nicht nur die strafrechtstheoretischen Debatten, sondern auch ihr tatsächlicher Gebrauch hin. Insbesondere zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang von Interesse: 1. Die Häufigkeit der Anwendung. 2. Die Formen ihrer Durchführung.

Die Kritikerinnen und Kritiker der Todesstrafe haben gerade ihre kontinuierlich abnehmende Anwendung in den sozialistischen Ländern als Argument für ihre Abschaffung angeführt. Die statistischen Angaben vermitteln allerdings ein etwas differenzierteres Bild. In der Tschechoslowakei nahm der Einsatz der Todesstrafe während des Poststalinismus nur langsam und nicht stetig ab.[32] Unter dem letzten stalinistischen Präsidenten Antonín Zápotocký (von 1953 bis 1957 im Amt) wurden 94 Hinrichtungen durchgeführt (darunter noch politisch motivierte), während sein Nachfolger Antonín Novotný (1957–1968) immerhin auch noch 87 Todesurteile unterzeichnete. Bis dahin am seltensten zum Einsatz kam die Todesstrafe unter dem während des Prager Frühlings amtierenden Staatspräsidenten Ludvík Svoboda (1968–1975), in dessen Amtsperiode »nur« elf Personen hingerichtet wurden. In der Amtszeit des »Normalisierers« Gustáv Husák (1975–1989) stieg die Zahl der Exekutionen erneut. Im Verlauf der Jahrzehnte zeigt sich zwar ein abnehmender Trend, vergleicht man die 1960er-Jahre (53 Hinrichtungen) mit den 1970er- und 1980er-Jahren (insgesamt 44 Hinrichtungen). Zugleich lässt sich dieser Rückgang aber auch als Stagnation deuten, wurden doch in den 1970er- und 1980er-Jahren jeweils 22 Menschen exekutiert. Über einen Zusammenhang zwischen der politischen Situation (Ende des Reformkommunismus, autoritäre Phase der »Normalisierung«, Entspannung während der Perestroika) und dem Gebrauch der Todesstrafe lässt sich ohne genauere Beurteilung von konkreten Fällen allerdings nur spekulieren.

In Volkspolen wurden zwischen 1969 und 1995 344 Menschen zum Tode verurteilt und 183 hingerichtet, im Verhältnis deutlich höhere Zahlen als in der Tschechoslowakei. Dabei handelte es sich – übrigens im Unterschied zu allen anderen sozialistischen Ländern – ausschließlich um Männer.[33] In Rumänien wurden während der Ära Ceauşescu (1965–1989) 104 Menschen von Erschießungskommandos hingerichtet. Zwischen 1980 und 1989 gab es 59 Todesurteile, von denen mindestens 50 vollstreckt wurden, was auf eine Verschärfung des Gebrauchs der Todesstrafe in der Spätphase der kommunistischen Herrschaft in Rumänien hindeutet.[34] In Jugoslawien wurden zwischen 1960 und 1990 insgesamt 75 Menschen hingerichtet, wobei sich ein deutlicher Rückgang der Hinrichtungen erst in den 1980er-Jahren abzeichnete.[35]

Ungenau sind die statistischen Zahlen zur Erfassung der Todesurteile und deren Vollstreckung in der Sowjetunion. Die einschlägige Forschungsliteratur geht nur von groben Zahlen aus. Offiziell gaben die sowjetischen Behörden durchschnittlich 300 Hinrichtungen pro Jahr an, inoffizielle Angaben (u. a. von Anwälten, die in den Westen flohen) gehen von deutlich höheren Zahlen aus. Nach Schätzungen wurden 1961 2000 Personen hingerichtet, 1983 ungefähr 740 Personen. Unter Gorbačёv ging die Zahl der Hinrichtungen auf ca. 200 bis 300 pro Jahr zurück, die zugrunde liegenden Anklagen lauteten ausschließlich auf Mord.[36]

Betrachtet man die poststalinistischen Staaten im globalen Nachkriegskontext, werden bezüglich des Gebrauchs der Todesstrafe sowohl Ähnlichkeiten in Bezug auf deren weltweite Anwendung als auch Besonderheiten deutlich. Einerseits wurde die Todesstrafe »modernisiert« – hinsichtlich der Strafgesetzgebung, der Prozessführung sowie der eigentlichen Vollstreckung. Andererseits bleibt unklar, warum der poststalinistische Staat die Todesstrafe beibehielt, obwohl ihre symbolische Aussagekraft und damit auch Abschreckungswirkung beschränkt waren, da die Exekutionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden und die Berichterstattung meistens begrenzt war. Es kann davon ausgegangen werden, dass trotz der wachsenden Bedeutung wohlfahrtsstaatlicher Regulierungen weiterhin eine stete Entschlossenheit innerhalb der poststalinistischen Herrschaftsapparate vorhanden war, die klassische Souveränität in Form der Todesstrafe weiter zu behaupten, die länger wehrte als im Westen. Diese Entschlossenheit nahm erst infolge innerer Widersprüche in Bezug auf die Rechtfertigung der Todesstrafe und deren Durchführung, weniger unter dem Druck der öffentlichen Kritik ab.

Zu den Praktiken der Todesstrafe zählen alle Maßnahmen und Schritte, die zwischen der Verhängung des Todesurteils durch den Richter und der Vollstreckung und sogar darüber hinaus erfolgen. Wie Kaufman-Osborn argumentierte, ist das Verhältnis zwischen »Wort« und »Tat« für alle Regime von entscheidender Bedeutung, in denen die Todesstrafe Anwendung fand. Das gilt auch für die kommunistischen Staaten, in denen die Strukturen der gerichtlichen und exekutiven Macht intransparent waren. Symptomatisch für den Staatssozialismus war der Kontrast zwischen der anhaltenden Geheimhaltung der Hinrichtungen einerseits und der zunehmenden bürokratischen und medizinischen Kontrolle bzw. Fürsorge andererseits. Obwohl die Hinrichtungen im Verborgenen stattfanden, blieben sie ein ritualisiertes Spektakel mit einem streng definierten Publikum, wie es in der berühmten Schlussszene im Kurzen Film über das Töten von Krzysztof Kieślowski dargestellt wird.[37]

Die poststalinistische Rationalisierung der Todesstrafe fügt sich in den langfristigen Prozess der »Zivilisierung« in der Moderne: Ähnlich wie die Aufklärer im 18. und 19. Jahrhundert, die in der Abschaffung der vormodernen, sichtbar gewalttätigen und körperlich zerstörerischen Hinrichtungsart ein Zeichen des zivilisatorischen Fortschritts sahen, distanzierten sich die poststalinistischen Reformkommunisten von der stalinistischen »Barbarei«. Da es jedoch unmöglich schien, die Todesstrafe vollständig abzuschaffen, entwickelten sie rationelle, »humanere« Methoden der Hinrichtung, um den vermeintlich fortschrittlichen Charakter des neuen Strafsystems zu unterstreichen. Diese Rationalisierung äußerte sich im Bemühen, das Hinrichtungsverfahren zu perfektionieren. Die im 19. Jahrhundert entwickelten Methoden wurden »optimiert«: Um das Hängen »humaner« zu machen, wurde z. B. das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Länge des Seiles berechnet.[38] Die Effektivität der Maßnahme, aber auch die Abneigung, physische wie psychische Schmerzen zu verursachen, scheint auch im Staatssozialismus von Bedeutung gewesen zu sein. Das zeigen auch diese Beispiele:

In der DDR wurde die Enthauptung durch die »Fallschwertmaschine« 1968 durch den »unerwarteten Nahschuss in den Hinterkopf« ersetzt. Als »Humanisierung« wurde dabei die Abschaffung der Todesangst gewertet.[39] In der Tschechoslowakei wurde bis 1954 die seit der österreichisch-ungarischen Monarchie gebrauchte und als besonders grausam wahrgenommene Methode der »Strangulation am Richtpfahl« angewandt.[40] Erst dann wurde eine modernere Galgenanlage eingeführt. Ähnliche Modernisierungsmaßnahmen gab es auch in Westeuropa. 1957 schlug eine Gruppe von konservativen Abgeordneten im britischen Parlament vor, das Hängen durch den Tod durch Giftgas zu ersetzen.[41] Allen Reformen war gemeinsam, dass sie ein effektiveres, zugleich aber auch komplexeres Verfahren einführten.

Das Interesse an der Tötungsmethode ist mehr als die Neugier auf das Unheimliche: Was steckte hinter dem Ziel, die Tötung zu perfektionieren, zu rationalisieren oder gar auf den Henker zu verzichten, mit anderen Worten: den Tod zu einem Nicht-Ereignis zu machen? Warum betrieben Staaten dafür einen erheblichen Aufwand? Schafften diese Veränderungen nicht (zumindest in Westeuropa und den USA) Raum für Zweifel und Kritik? In der amerikanischen Diskussion über die letale Injektion, die zum Inbegriff des »humanen« Tötens geworden ist, zeigt sich ein bedeutendes Paradox: Einerseits bleibt mit der tödlichen Injektion die Hinrichtung als Form souveräner Macht erhalten. Sie sorgt (angeblich) für die Sicherheit der Gemeinschaft. Andererseits wandelte sich die Tötung im Zuge der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung zu einem komplexen Prozess, an dem eine wachsende Zahl unterschiedlicher Instanzen beteiligt und der immer schwerer zu kontrollieren war. Auch im Staatssozialismus wurde den Hinrichtungsmethoden eine erhebliche Bedeutung beigemessen – wäre es anders gewesen, hätten sie gar nicht geändert werden müssen.

V. Sozialistische Frauen an den Galgen

Wie oben angedeutet, wurden Hinrichtungen durch die zunehmende rechtliche und prozedurale Komplexität zu einer potenziellen Wundstelle des spätmodernen Staates. Dieser Gefahr setzt er sich vor allem dann aus, wenn ein »falscher« Körper vernichtet wird, d. h. einer, der die »analogische Verifikation« nicht sicherstellen kann. Dies wirft die Frage auf, wer eigentlich hingerichtet wurde und welche politische Bedeutung diese Auswahl hatte. Damit einhergehend rückt der dritte Aspekt, nämlich das Geschlecht, in den Blick.

Bei dieser Sichtweise geht es weniger darum, dem Gender Bias im legalen Töten nachzugehen, also der Frage, warum verhältnismäßig mehr Männer als Frauen hingerichtet wurden und werden. Interessanter scheinen vielmehr diese Fragen: Warum musste der poststalinistische Staat Frauen töten? Was »gewann« er durch die Zerstörung des weiblichen Körpers? Wie passte der Machtanspruch über den weiblichen Körper mit der Emanzipationsideologie des Sozialismus zusammen?

Die feministische Kriminologie fragte bisher hauptsächlich danach, wie Genderstereotypen die Entscheidungen von Richtern beeinflussen. Sie untersuchte die Abneigung gegen die Tötung von Frauen sowie die Frage, warum generell viel weniger Frauen zum Tode verurteilt und hingerichtet werden als Männer. Der offensichtliche Grund dafür ist, dass Frauen wesentlich weniger Straftaten begehen als Männer.[42]

Dennoch wurden sowohl in kapitalistischen als auch in sozialistischen Staaten Frauen hingerichtet. Daher würde anstatt »Warum so wenige?« die richtige Frage lauten: »Warum diese?«[43] Aufgrund des Gender Bias im System des Strafrechts war der juristische Apparat verpflichtet, eine formale Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen, indem er die weiblichen Eigenschaften der Straftäterinnen eliminierte. Auch der sozialistische Staat musste demnach »weibliche Monster« konstruieren, die so gefährlich erschienen, dass sie vernichtet werden mussten.[44] Diese »Auswahlkriterien« sagen viel über das sich wandelnde Selbstverständnis der spätsozialistischen Staatsmacht aus.

Wer waren die im Poststalinismus hingerichteten Frauen? Ein erster – zugegeben flüchtiger und unvollständiger – Blick auf ihre Taten zeigt eine Mischung aus Morden im familiären Umfeld, Morden aus Hass, Massenmorden in Form von Amokläufen, aber auch sexuell motivierten Morden.

Im Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele präsentiert, deren Auswahl zum einen durch einen hohen öffentlichen Bekanntheitsgrad (sowohl zeitgenössisch als auch im kollektiven Gedächtnis) und zum anderen durch veröffentlichtes Material (Presse, Publizistik, Populärliteratur) begründet ist. Zwar bilden diese Fälle eine heterogene Gruppe, jeder Fall besitzt aber typisierbare Züge, die es erlauben, weiterführende allgemeingültige Thesen zu formulieren.

Zum Prinzip der »Eliminierung der Weiblichkeit« passt der Fall der tschechischen Massenmörderin Marie Fikáčková, hingerichtet im April 1961 in Prag. Die Krankenschwester, die in der Geburtsklinik von Sušice, einer Kleinstadt in Westböhmen, arbeitete, tötete mehr als zehn Babys. Das Motiv für diese Morde wurde nie aufgeklärt. Fikáčkovás Tat stellt einen komplexen Fall von Kindstötung dar, weil er nicht in die Kategorie der Morde im familiären Umfeld bzw. der Kindstötung durch die leibliche Mutter fällt. Die Tötung von Kindern war aus Sicht des modernen Staates eines der schwersten Verbrechen. Fälle aus anderen Kontexten, insbesondere aus den USA, zeigen, dass Frauen durch die Tötung von Kindern ihre imaginäre Weiblichkeit einbüßen und es dem Staat somit ermöglichen, sie wie Männer zu bestrafen: mit der Todesstrafe. Der Staat befand sich im Fall Fikáčková kaum in einem Dilemma, da eine Massenmörderin von Kindern leicht als Inkarnation des Bösen dargestellt werden konnte, zu gefährlich sogar, um ihr Leben im Gefängnis zu verbringen.[45] Auch 50 Jahre nach dem Verbrechen geistert die »Bestie von Sušice« weiter durch die tschechischen Medien. Noch 2011 urteilte eine Prager Tageszeitung, Alkoholismus, Gewaltneigung und deutsche Nationalität seien die Ursache gewesen: »Sie stammte aus einer armen Familie, die nach dem Krieg die deutsche Nationalität annahm. Ihre Kindheit war nicht glücklich. Ihr Vater war ein gewalttätiger Alkoholiker, der seinen Hass gegenüber den Tschechen offen auslebte.«[46]

Der Fall von Irena Čubírková, hingerichtet in Prag im September 1966, erinnert wiederum an die Figur der »schwarzen Witwe«, die auch im US-amerikanischen Kontext häufig gebraucht wird.[47] Die ostböhmische Bäuerin hatte zwei ihrer Ehemänner im Schlaf getötet, ihre Überreste teilweise im Ofen verbrannt, teilweise zerstreut und den Kopf des zweiten Ehemannes in der Zugtoilette liegengelassen. Der Fall sorgte für großes Aufsehen in der tschechoslowakischen Öffentlichkeit. Bemerkenswert ist, wie zum einen durch die Äußerungen des Gerichts und zum anderen durch die Presseberichte in der staatsozialistisch gelenkten, aber seit der Liberalisierung der 1960er-Jahre zunehmend westlicher werdenden Gesellschaft, ein »weibliches Monstrum« konstruiert wurde, das die Todesstrafe verdient zu haben schien.[48]

Ähnlich lässt sich der Fall von Šefka Hodžić, der Ende der 1960er-Jahre das sozialistische Jugoslawien erschütterte, als ein Beispiel für die Konstruktion des »weiblichen Monstrums« beschreiben. Hodžić, verzweifelt, weil sie die letzte kinderlose junge Frau im Dorf war, hatte im Oktober 1969 in der Nähe von Zvornik, Bosnien, zusammen mit einem Komplizen eine hochschwangere Freundin getötet und ihr den Fötus aus dem Bauch entfernt, um das Baby als ihres auszugeben. Die relativ freien jugoslawischen Medien starteten eine Kampagne, in der Hodžić als »Monster-Frau« und »Verbrecherkönigin« bezeichnet wurde. Im psychologischen Gutachten wurden mildernde soziale und psychologische Umstände (gewalttätiger Vater, alkoholabhängiger Ehemann, sozialer Druck im Dorf) geltend gemacht. Ein Angriff auf eine schwangere Frau, der eine Fehlgeburt verursacht, wurde jedoch seit dem Mittelalter als Mord betrachtet.[49] Der sozialistische Staat sah sich somit folgendem Problem gegenüber: Einerseits zwang der aufsehenerregende Angriff auf eine schwangere Frau den Staat, seine Machtposition zu beweisen. Andererseits brachte gerade die Zwangsjacke des geschlechtsspezifischen Paternalismus den Obersten Gerichtshof dazu, am Ende von der Verhängung der Todesstrafe abzusehen – das ursprüngliche Urteil wurde in 20 Jahre Haft umgewandelt.[50]

Diese Fälle machen die Strategien ideologischer Staatsapparate deutlich, mittels genderspezifischer kriminologischer, medizinischer und moralischer Diskurspraktiken einen »weiblichen Körper« zu konstruieren, für den allein die Todesstrafe angemessen schien. Zwei andere bekannte Fälle von Frauen, die in unterschiedlichen politischen Kontexten hingerichtet wurden, sind dafür ebenfalls beispielhaft: Zum einen Milada Horáková, die als eines der berühmtesten Opfer des Stalinismus im Juni 1950 durch Strangulation in Prag hingerichtet wurde[51]; zum anderen Ruth Ellis, die im Juli 1955 als letzte Frau in Großbritannien durch den long drop hingerichtet wurde.[52] Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Fälle sind sowohl epochenübergreifend (zwischen Stalinismus und Poststalinismus) als auch systemübergreifend (zwischen Staatssozialismus und Kapitalismus) zu untersuchen.

VI. Politisches Handeln der Verurteilten

Abschließend soll untersucht werden, ob auch im Staatssozialismus zum Tode Verurteilte politisch handeln konnten. Dazu noch einmal zurück zur Ausgangsthese: Die poststalinistischen Staaten entwickelten »humanere« Formen der Todesstrafe (mit Blick auf Gesetzgebung, Prozessstruktur, Hinrichtungsmethode), um den fortschrittlichen Charakter des neuen Strafsystems zu unterstreichen. Mit der Beibehaltung der Todesstrafe wollten sie sicherstellen, weiterhin direkt über Leben und Tod entscheiden und die Deutung des Todes kontrollieren zu können. Doch die bloße Existenz der Todesstrafe schafft immer auch Raum für Kritik und häufig eben auch für die politische Deutung, ein »Opfer« zu sein.[53]

Olga Hepnarová wurde als letzte Frau in der Tschechoslowakei hingerichtet. Mit 22 Jahren fuhr sie im Juli 1973 in Prag mit einem Lkw in eine Straßenbahnhaltestelle, tötete dabei acht Personen und verletzte weitere zwölf. Da sie sich von Familie und Schule schikaniert gefühlt hatte, betrachtete sie ihre Tat als »Rache an der Gesellschaft«. Nach einem langen Untersuchungsverfahren wurde sie für schuldfähig erklärt und am 12. März 1975 in Prag hingerichtet. An Hepnarovás Fall sind besonders ihr Verhalten im Gefängnis sowie die Strategien des Staates interessant, ihre Tat und deren märtyrerisches Potenzial herunterzuspielen. Vorliegende Gerichtsakten mit Protokollen, Briefen, Berichten, Gutachten und anderen Unterlagen ermöglichen die Rekonstruktion.[54]

Im Gefängnis, wo sie insgesamt zwanzig Monate verbrachte, bemühte sich Hepnarová, systematisch ein neues Bild von sich zu schaffen, das auf ihrer Selbststilisierung als Opfer und ihrem Ausgeschlossensein aus der Gesellschaft beruhte. Ihre Strategie bestand vor allem darin, jeden politischen Hintergrund für ihre Tat von sich zu weisen. Sie behauptete, sich niemals für Politik interessiert zu haben und auch dem Prager Frühling gleichgültig gegenüberzustehen.[55] Daher war es für die kommunistische Staatsmacht schwierig, Hepnarová nach stalinistischem Muster als politisch, d. h. als Klassenfeindin zu betrachten. Hepnarová entwickelte einen eigenen politischen Standpunkt, indem sie die geltende Aufteilung zwischen Sozialismus und Kapitalismus negierte und eine alternative Trennlinie zwischen der herrschenden Mehrheit und den Unterdrückten zog.

Dieses politische Verständnis beruhte auf der Vorstellung, dass die Auswahl der Opfer rein willkürlich war. Hepnarová hatte die »Ausgeschlossenen« mit dem deutschen Wort »Prügelknaben« bezeichnet, die sie mit den jüdischen Opfern des NS-Regimes verglich. Vor Gericht sagte sie aus, es gäbe keine rationalen Kriterien, die jemanden zum »Prügelknaben« machten: »Ich möchte betonen, dass ich eine Ausnahme bin, obwohl ich körperlich normal bin, weiße Haut habe und mich nicht von anderen Menschen unterscheide. Ich habe nicht verstanden, warum man mich zum Prügelknaben gemacht hat.«[56] Durch das Töten Unschuldiger wollte sie vorführen, dass die »Prügelknaben« rein zufällig gewählt würden.

Hepnarovás aktives Verhalten nach der Verhaftung zeigt, dass es verurteilten Personen möglich war, alternative Denk- und Handlungsweisen zu entfalten und somit politisch zu handeln.[57] Sie widersetzte sich dem Gefängnisregime, indem sie etwa protestierte bzw. Gewalt gegen Aufseher und Mitinsassen anwandte. Sie definierte ihre Identität neu, indem sie über ihr Verbrechen, ihr Verhalten im Gefängnis sowie über die Handlungsweise des Staatsapparates reflektierte.[58] Sie las viel und machte sich Notizen, besonders zu Kafka, Rilke, Camus, Sartre und Freud. In den Briefen an ihren Freund Mirek pochte sie auf ihr Recht, ihre Liebesbeziehung auch im Gefängnis fortzuführen. In Gesprächen mit Psychiatern legte sie ihre Bisexualität offen. Vor Gericht sagte sie, dass sie der Haftstrafe mit Freude entgegensehe, biete sie doch die Möglichkeit, Freundinnen kennenzulernen.

Dieses Verhalten stellte eine Herausforderung für den Staatsapparat dar. Obwohl Hepnarová kein politisches Subjekt und schon gar keine Dissidentin war, beeinflusste sie durch ihre Handlungsweise die institutionellen Regeln für Gefangene. Ihr Handeln kann als eine Form oppositionellen Verhaltens gedeutet werden, mit dem Hepnarová die Gesellschaft zwar nicht umstürzen, aber doch beeinflussen wollte. Sie war sich wohl bewusst, dass eine Hinrichtung mehr als die Ausübung reiner Gewalt ist: Sie umfasst die Erfassung, Untersuchung und Bewertung der Taten und Reaktionen der Verurteilten, ebenso ein medizinisches Wissen über ihren Körper. Auch nach Eintritt des Todes ist der Prozess nicht abgeschlossen. Er schließt die Beerdigung ein, das Verhalten der Familie, Medien, Gefängnisaufseher, Polizeibeamte und Henker.[59]

Der lange Gerichtsprozess war ein bürokratischer Akt, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Er enthüllt aber eine erstaunliche Komplexität, die für das Vorgehen des spätsozialistischen Staates typisch war und die These vom »Herrschen durch Recht« bestätigt. Die Akte enthält über 200 Einträge auf 1200 Seiten, darunter ein 50-seitiges psychiatrisches Gutachten, ein 30-seitiges sexualwissenschaftliches Gutachten und viele andere Analysen. Die Ausführlichkeit der Untersuchungen ist beeindruckend und zeugt von einem Fachwissen, das die Richter wohl kaum imstande waren zu bewerten. Hier wird die tiefgreifende Transformation der Macht im Spätsozialismus deutlich: Anstatt einfach den »Feind des Volkes« nach stalinistischer Manier zu »liquidieren«, aktivierte der poststalinistische Wohlfahrtsstaat seine Ressourcen, um ein »exekutierbares Subjekt« zu konstruieren, das als Gefahr für das Leben der Gesellschaft begriffen wurde und daher hingerichtet werden musste.

Durch die Eliminierung von exekutierbaren Subjekten suchte der spätsozialistische Staat seine Autorität zu konsolidieren. Doch dies war ein heikles Unterfangen, denn Fälle wie Hepnarovás offenbarten das Unbehagen des Staates bei der Anwendung der Todesstrafe. Wie in der Liberaldemokratie unterminierte auch im Staatssozialismus das Bemühen um Optimierung und Humanisierung den legitimierenden Effekt der Todesstrafe. Die wachsende Rolle der Experten und Sachverständigen – Techniker, Ärzte, Psychologen, Sexologen – machte Hepnarovás Prozess so langwierig und kompliziert, dass die Macht des Staates, frei über Leben und Tod zu entscheiden, in einem Maße beschnitten wurde, dass die Todesstrafe an ihrer legitimierenden Funktion einbüßte. Das Zögern bezüglich der Exekution dokumentiert den Rückgang der souveränen Macht des Staates. Diese Verunsicherung zeigt sich in der Komplexität des Prozesses, der alle gerichtlichen Instanzen durchlief (vom Kreis- und Bezirksgericht zum Bundesgericht), in der Modifizierung der Anklage ursprünglich wegen Mordes zu »Gefährdung der Öffentlichkeit«, in den vielfachen Verhandlungen der Experten und den divergierenden Einschätzungen der Richter.

VII. Schlussbemerkung

Der poststalinistische, sich »normalisierende« Staat war nicht mit revolutionären Veränderungen befasst, sondern wollte für »Ruhe und Ordnung« unter »anständigen Bürgern« sorgen. Sein Ziel war es, physische Gewalt nur auf die allernötigsten Bereiche zu begrenzen und vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Personen, die den sozialen Frieden störten, kamen in polizeilichen, medizinischen oder pädagogischen Gewahrsam. Der Ausnahmezustand des Stalinismus sollte vergessen werden; die Ausnahmestrafe führte ihn jedoch auf Mikroebene immer wieder ein. Eine Extremsituation wie die Hinrichtung einer jungen Frau war unbequem für den sozialistischen Staat, denn weder konnte sie seine souveräne Macht stärken, noch wurde sie dem poststalinistischen Anspruch gerecht, physische Gewalt zu minimieren. Es scheint, dass sich innerhalb des Staates selbst ein tiefgreifender Wandel vollzog, durch den seine souveräne Macht erodierte. Die Art des Auftretens der Verurteilten, wie z. B. von Hepnarová, sowie das Unbehagen des Staates, seine Bürger hinzurichten, machten diesen Verunsicherungsprozess sichtbar.

Hier kann das Augenmerk auf die Ähnlichkeit von sozialistischem und westlichem Wohlfahrtsstaat gelenkt werden: Beide Systeme waren zunehmend darum bemüht, Politisierungsdynamiken im Strafrecht zu unterbinden. Die Todesstrafe, als »sozialstaatliche Fürsorgemaßnahme« betrachtet, weist dabei zwei Dimensionen auf: Zum einen übernimmt der Staat die Verantwortung für die Wohlfahrt der Gesellschaft durch die Gewährung der äußeren wie inneren Sicherheit. Zum anderen rationalisiert, optimiert und bürokratisiert der Staat die Todesstrafe, was zu tiefgreifenden Widersprüchen führt, wie sie sich im Oxymoron der »humaneren Hinrichtung« ausdrücken. Obwohl in den westlichen Wohlfahrtsstaaten die Todesstrafe nach 1945 mit Ausnahme der USA schrittweise abgebaut wurde, sollte ihre Geschichte nicht nur vom Ende her gelesen werden. Auch in den westlichen Demokratien dauerte der Abschaffungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahrzehnte und wurde von Modernisierungsversuchen und erbitterten Diskussionen begleitet. Einige westliche Staaten haben erst Ende des 20. Jahrhunderts vollständig auf die Todesstrafe verzichtet, wie z. B. Belgien (1996) oder Großbritannien (1998). Im Einklang mit dem in den späten 1960er-Jahren eingetretenen Paradigmenwechsel von Wohlfahrt zu Sicherheit waren in den westlichen Gesellschaften Präferenzen für höhere Bestrafungen beobachtbar; auch die Einstellung der Öffentlichkeit zur Todesstrafe schwankte. Die Wirkung der kritischen Öffentlichkeit im Westen und ihre Abwesenheit im Osten scheint daher ein zu vernachlässigender Unterschied zu sein, der eine vergleichende Betrachtung nicht verhindern sollte. Andere Dimensionen, wie die rechtswissenschaftlichen Debatten unter Experten, die Dynamiken innerhalb der Herrschaftsapparate wie auch das politische Handeln der Verurteilten erscheinen durchaus vergleichbar. Eine europäische Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte der Gewalt nach 1945 sollte deshalb die vergangenen Herrschaftspraktiken nicht als Funktionen der streng voneinander getrennten Systeme »Kapitalismus« oder »Sozialismus« betrachten, sondern als Zeichen eines fortdauernden Umgestaltens der modernen Staatsmacht.[60]

 


[1] Siehe Austin Sarat (Hg.): The Killing State. Capital Punishment in Law, Politics, and Culture, Oxford 1999.

[2] Siehe Pavel Kolář: Der Poststalinismus. Ideologie und Utopie einer Epoche (= Zeithistorische Studien, Bd. 57), Wien 2016.

[3] Im Sinne der epochemachenden Bedeutung Mitte der 1950er-Jahre argumentiert z. B. Mark Mazower: Der dunkle Kontinent. Europa im 20. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 422–425.

[4] Siehe Hartmut Kaelble: Kalter Krieg und Wohlfahrtsstaat. Europa 1945–1989, München 2011.

[5] Als Beispiel lässt sich die Aufarbeitung von Misshandlungen in den westdeutschen Kinderheimen und der Zwangseinweisung junger Frauen in venerologische Stationen in der DDR nennen. Siehe Wilfried Rudloff: Eindämmung und Persistenz. Gewalt in der westdeutschen Heimerziehung und familiäre Gewalt gegen Kinder, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 15 (2018), H. 2, S. 250–276; Florian Steger/Maximilian Schochow: Traumatisierung durch politisierte Medizin. Geschlossene Venerologische Stationen in der DDR, Berlin 2015.

[6] Siehe Pavel Kolář: Nationalstaat, physische Gewalt und transnationale Geschichte Europas, in: Timm Beichelt u. a. (Hg.): Ambivalenzen der Europäisierung. Beiträge zur Neukonzeptionalisierung der Geschichte und Gegenwart Europas, Stuttgart 2021, S. 223–237.

[7] Siehe Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Studienausg., 5. Aufl. Tübingen 1980, S. 822; Alf Lüdtke/Thomas Lindenberger (Hg.): Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1995.

[8] Siehe Richard Bessel/Clive Emsley (Hg.): Patterns of Provocation. Police and Public Disorder, New York 2000, S. 3.

[9] Auch in Westeuropa liegen die letzten legalen Hinrichtungen nicht wesentlich länger zurück: 1964 in Großbritannien (Hängen), 1975 in Spanien (Erschießen) und 1977 in Frankreich (Guillotine).

[10] Siehe Martin Sabrow: Sozialismus als Sinnwelt. Diktatorische Herrschaft in kulturhistorischer Perspektive, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien (2007), H. 40/41, S. 9–23; Celia Donert/Ana Kladnik/Martin Sabrow (Hg.): Making Sense of Dictatorship. Domination and Everyday Life in East Central Europe after 1945, Budapest 2022.

[11] Siehe Thomas Lindenberger (Hg.): Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln/Weimar 1999.

[12] Wilhelm Heitmeyer/John Hagan: Gewalt. Zu den Schwierigkeiten einer systematischen internationalen Bestandsaufnahme, in: dies. (Hg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden 2002, S. 15–25, hier S. 24.

[13] Siehe Martin Sabrow (Hg.): 1989 und die Rolle der Gewalt, Göttingen 2012.

[14] Siehe Jörg Baberowski: Nikita Khrushchev and De-Stalinization in the Soviet Union 1953–1964, in: Norman Naimark/Silvio Pons/Sophie Quinn-Judge (Hg.): The Cambridge History of Communism, Bd. 2: The Socialist Camp and World Power, Cambridge 2017, S. 87–112; Stefan Plaggenborg: Soviet History after 1953. Stalinism under Repair, in: Thomas M. Bohn/Rayk Einax/Michel Abeßer (Hg.): De-Stalinisation Reconsidered. Persistence and Change in the Soviet Union, Frankfurt a. M./New York 2014, S. 43–64.

[15] Siehe Radu Stancu: The Political Use of Capital Punishment in Communist Romania between 1969 and 1989, in: Peter Hodgkinson (Hg): Capital Punishment. New Perspectives, Surrey/Burlington 2013, S. 337–357; Dariusz Jarosz/Maria Pasztor: Afera mięsna: fakty i konteksty [Die Fleischaffäre: Fakten und Zusammenhänge], Toruń 2004.

[16] Timothy V. Kaufman-Osborn: From Noose to Needle. Capital Punishment and the Late Liberal State, Ann Arbor 2002, S. 214.

[17] Siehe Mitchell Dean: Governmentality. Power and Rule in Modern Society, 2. Aufl. London/Thousand Oaks 2010, S. 164.

[18] Kaufman-Osborn: From Noose to Needle (Anm. 16).

[19] Jürgen Martschukat: Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2000; ders.: Nineteenth-Century Executions as Performances of Law, Death, and Civilization, in: Austin Sarat/Christian Boulanger (Hg.): The Cultural Lives of Capital Punishment. Comparative Perspectives, Stanford 2005, S. 49–68.

[20] Siehe Dean: Governmentality (Anm. 17), S. 20.

[21] Siehe Volker Zimmermann/Michal Pullmann (Hg.): Ordnung und Sicherheit, Devianz und Kriminalität im Staatssozialismus. Tschechoslowakei und DDR 1948/49–1989 (= Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum, Bd. 34), München 2014.

[22] Siehe Olga B. Semukhina/John F. Galliher: Death penalty politics and symbolic law in Russia, in: International Journal of Law, Crime and Justice 37 (2009), H. 4, S. 131–153, hier S. 137.

[23] Siehe David Garland: Peculiar Institution. Americaʼs Death Penalty in an Age of Abolition, Cambridge 2010. 

[24] Eine Ausnahme war offensichtlich die DDR, wo nach Koch »keine literarische Stelllungnahme« zu finden war, die »über formelhafte Rechtfertigungsversuche hinausgelangt wäre«. Arnd Koch: Das Ende der Todesstrafe in Deutschland, in: JuristenZeitung 62 (2007), H. 14, S. 719–722, hier S. 721; ders.: Die Todesstrafe in der DDR, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 110 (1998), H. 1, S. 89–113.

[25] Michal Kopeček: Vládnout právem. Česká právní věda od »represivní legality« k právnímu státu, 1969–1994 [Herrschaft durch Recht. Die tschechische Rechtswissenschaft von der »repressiven Legalität« zur Rechtsstaatlichkeit, 1969–1994], in: ders. (Hg.): Architekti dlouhé změny. Expertní kořeny postsocialismu v Československu [Die Architekten des langen Wandels. Experten und die Ursprünge des Postsozialismus in der Tschechoslowakei], Praha 2019, S. 41–102, hier S. 47.

[26] Milan Čič: Teoretické otázky československého socialistického práva [Theoretische Fragen des tschechoslowakischen sozialistischen Rechts], Bratislava 1992, S. 165.

[27]Robert Fico: Trest smrti v československom trestnom práve a medzinárodné právo [Die Todesstrafe im tschechoslowakischen Strafrecht und das Völkerrecht], in: Socialistické súdnictvo 40 (1988), H. 6, S. 20–39, hier S. 29.

[28] Alicja Grześkowiak: Kara śmierci w polskim prawie karnym [Die Todesstrafe im polnischen Strafrecht], Toruń 1978.

[29] Ivo Josipović: Krvna osveta i njen krivično pravni tretman [Blutrache und ihre strafrechtliche Behandlung], in: Pitanja 14 (1982), H. 10–12, S. 20–24.

[30] Dejan Jović: Yugoslavia. A State that Withered Away, West Lafayette 2009; Isabel Ströhle: »It’s a shame, not honour!« Interpretations of and policies towards blood feuding in Socialist Kosovo, in: Jan C. Behrends/Pavel Kolář/Thomas Lindenberger (Hg.): Violence after Stalin. Power, Society and Legitimacy in Eastern Europe and the Soviet Union after 1956, im Erscheinen.

[31] Siehe Ivan Janković: Na belom hlebu. Smrtna kazna u Srbiji 1804–2002 [Bei weißem Brot. Todesstrafe in Serbien 1804–2002], Beograd 2012, S. 505–515.

[32] Siehe Otakar Liška u. a.: Vykonané tresty smrti. Československo 1918–1989 [Vollstreckte Todesurteile. Tschechoslowakei 1918–1989], Praha 2000.

[33] Siehe Lista osób skazanych na karę śmierci w Polsce po roku 1945 [Liste der nach 1945 in Polen zum Tode verurteilten Personen], in: https://pl.wikipedia.org/wiki/Lista_osób_skazanych_na_karę_śmierci_w_Polsce_po_roku_1945 (ges. am 4. Dezember 2021).

[34] Siehe Stancu: The Political Use of Capital Punishment in Communist Romania (Anm. 15).

[35] Siehe die hilfreiche Webseite http://www.smrtnakazna.rs (ges. am 4. Dezember 2021). 1960er-Jahre: 36 Hinrichtungen; 1970er-Jahre: 30 Hinrichtungen; 1981–1990: 9 Hinrichtungen. Siehe auch Janković: Na belom hlebu (Anm. 31); Ivan Vukovic: La peine de mort en Yugoslavie socialiste et le conflit des sources normatives [Die Todesstrafe im sozialistischen Jugoslawien und der Konflikt der normativen Grundlagen], in: META: Research in Hermeneutics, Phenomenology, and Practical Philosophy 2 (2010), H. 2, S. 370–385.

[36] Siehe Ulrike Schittenhelm: Strafe und Sanktionensystem im sowjetischen Recht, Freiburg i. Br. 1994, S. 400 f.; Ger P. van den Berg: The Soviet Union and the Death Penalty, in: Soviet Studies 35 (1983), H. 2, S. 154–174, hier S. 160–163.

[37] Krzysztof Kieślowski: Krótki film o zabijaniu (dt. Titel: Ein kurzer Film über das Töten), Warschau 1988.

[38] Siehe Kaufman-Osborn: From Noose to Needle (Anm. 16); Brian P. Block/John Hostettler: Hanging in the Balance. A History of the Abolition of Capital Punishment in Britain, Winchester 1997.

[39] Siehe Koch: Die Todesstrafe in der DDR (Anm. 24).

[40] Liška u. a.: Vykonané tresty smrti (Anm. 32), S. 19 f. Ein Video der Hinrichtung von Karl Hermann Frank am 22. Mai 1946 im Prager Pankrác-Gefängnis ist derzeit im Internet verfügbar: 1946: Karl Hermann Frank, www.executedtoday.com/2009/05/22/1946-karl-hermann-frank (ges. am 4. Dezember 2021). Die in Wien um 1900 durch den Henker Josef Lang eingeführte »Strangulation am Richtpfahl« wurde im Vergleich zur angelsächsischen Tradition des Hängens durch den Fall mit langem Seil (long drop) als eine humanere Hinrichtungsmethode wahrgenommen. Siehe Harald Seyrl (Hg.): Die Erinnerungen des österreichischen Scharfrichters. Erweiterte, kommentierte und illustrierte Neuauflage der im Jahre 1920 erschienenen Lebenserinnerungen des k.k. Scharfrichters Josef Lang, Wien 1996.

[41] Siehe Block/Hostettler: Hanging in the Balance (Anm. 38), S. 195.

[42] Beispielsweise verüben Frauen in den USA nur zwölf Prozent aller Morde. Dazu: Kaufman-Osborn: From Noose to Needle (Anm. 15), S. 168; Mary Welek Atwell: Wretched Sisters. Examining Gender and Capital Punishment, New York 2007. Zudem sind sie seltener vorbestraft. Dem klassischen geschlechtsspezifischen Muster zufolge finden weibliche Kapitalverbrechen im häuslichen Bereich statt, aus Leidenschaft und Wut. Männer dagegen morden für den Profit; sei er materiell oder sexuell. Auch belastende Faktoren und mildernde Umstände sind in Bezug auf das Geschlecht unterschiedlich definiert. Deshalb wurden auch disproportional eher wenig Frauen zur Todesstrafe verurteilt. In den USA sind seit 1976 nur zwei Prozent der zum Tode Verurteilten und 1,1 Prozent der Hingerichteten Frauen gewesen. Ebd., S. XI.

[43] Ebd., S. 6.

[44] Kathryn Ann Farr: Defeminizing and Dehumanizing Female Murderers. Depictions of Lesbians on Death Row, in: Women & Criminal Justice 11 (2000), H. 1, S. 49–66.

[45] Siehe Welek Atwell: Wretched Sisters (Anm. 42), S. 9.

[46] Rozsévala v porodnici smrt. Sušická bestie dostala před 50 lety provaz [Sie verbreitete den Tod in der Entbindungsklinik: Vor fünfzig Jahren wurde die Bestie von Sušice zum Tod durch den Strang verurteilt], Mladá fronta Dnes vom 13. April 2011, https://www.idnes.cz/zpravy/cerna-kronika/rozsevala-v-porodnici-smrt-susicka-bestie-dostal-pred-50-lety-provaz.A110413_150827_plzen-zpravy_alt (ges. am 17. August 2022).

[47] Welek Atwell: Wretched Sisters (Anm. 42), S. 118 f.; Robert Menzies/Dorothy E. Chunn: The Making of the Black Widow. The Criminal and Psychiatric Control of Women, in: Gillian Balfour/Elizabeth Comack (Hg.): Criminalizing Women. Gender and (In)Justice in Neoliberal Times, Halifax 2006, S. 174–194.

[48] Siehe http://kriminalistika.eu/muzeumzla/cubirkova/cubirkova.html (ges. am 4. Dezember 2021).

[49] Siehe Sara M. Butler: Abortion by Assault. Violence against Pregnant Women in Thirteenth- and Fourteenth Century England, in: Journal of Women’s History 17 (2005), H. 4, S. 9–31.

[50] Zu Hodžić siehe Mladen Gvero: Ljubav i zločin. Hronika o Šefki [Liebe und Verbrechen. Die Chronik von Šefka], Beograd 2012. Aktenmaterial zum Fall befindet sich im Arhiv Jugoslavije/Jugoslawisches Archiv in Belgrad, Savezni sud, 212-114-139, Kž-45/70, und 212-115-140, 26/72.

[51] Petr Koura/Pavlína Formánková: Žádáme trest smrti! Propagandistická kampaň provázející proces s Miladou Horákovou a spol. [Wir fordern die Todesstrafe! Propagandakampagne zum Prozess gegen Milada Horáková und Co.], Praha 2008.

[52] Block/Hostettler: Hanging in the Balance (Anm. 38), S. 163–165.

[53] Zum Verhältnis zwischen legalem Töten und Opferungen siehe Mateo Taussig-Rubbo: Sacrifice and Sovereignty, in: Austin Sarat/Jennifer L. Cuthbert (Hg.): States of Violence. War, Capital Punishment, and Letting Die, Cambridge u. a. 2009, S. 83–126; ders.: The Unsacrificeable Subject?, in: Austin Sarat/Karl Shoemaker (Hg.): Who Deserves to Die? Constructing the Executable Subject, Amherst 2011, S. 131–150.

[54] Hepnarovás Gerichtsakten befinden sich im Archiv hlavního města Prahy/Archiv der Hauptstadt Prag, Fond Městský soud Praha/Bestand Stadtgericht Prag, 1419, 1 T 8/.

[55] Ebd., Bl. 579.

[56] Ebd., Bl. 96.

[57] Für den frühneuzeitlichen Kontext siehe Frances E. Dolan: »Gentlemen, I Have One Thing More to Say«: Women on Scaffolds in England, 1563–1680, in: Modern Philology 92 (1994), H. 2, S. 157–178.

[58] Dean definiert politisches Handeln als: »The ability to think and act otherwise«, Dean: Governmentality (Anm. 17), S. 15.

[59] Ebd., S. 22.

[60] So argumentieren Sharad Chari/Katherine Verdery: Thinking between the Posts. Postcolonialism, Postsocialism, and Ethnography after the Cold War, in: Comparative Studies in Society and History 51 (2009), H. 1, S. 6–34, hier S. 30.

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