Vor fast genau 48 Jahren, im August 1976, besuchte ich zum ersten Mal Berlin. Es war ein außergewöhnlich heißer Sommertag, 35 Grad im Schatten, als ich als 15-jähriger Schüler, frisch von der Grundschule und kurz vor dem Beginn des Gymnasiums in Wrocław (Polen), mit meinen Eltern im Zentrum der Stadt, auf der Ostseite der Mauer, ankam. Ich erinnere mich, dass wir uns im neu eröffneten Palast der Republik, dem Schaufenster der modernen Architektur der damaligen DDR, ein wenig abkühlen konnten. Es war Sonntagmittag und wir hatten Hunger. Stundenlang suchten wir vergeblich nach etwas zu essen und zu trinken in der Stadt, die nicht nur extrem heiß und leer zu sein schien, sondern in der es offenbar auch keine Restaurants und nicht einmal Schnellimbisse gab, die auf Touristen eingestellt waren. Am späten Abend erreichten wir schließlich den Fernsehturm am Alexanderplatz in der Hoffnung, einen Blick auf West-Berlin zu erhaschen, aber leider war der Turm geschlossen. Das dortige Restaurant hatte nur noch ein paar Schüsseln Suppe übrig, mit denen wir unseren Hunger stillen mussten. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, dass ich gerade den Höhepunkt oder das »goldene Zeitalter« der kommunistischen Herrschaft in dem Land miterlebte, das während des Kalten Krieges als das wirtschaftlich am weitesten entwickelte und wohlhabendste des Ostblocks galt.
Aus historischer Sicht war 1976 ein denkwürdiges Jahr, sowohl für Polen als auch für Ostdeutschland. Der DDR ging es wirtschaftlich relativ gut, und ostdeutsche Sportler gewannen in jenem Sommer bei den Olympischen Spielen in Montreal (Kanada) Medaille um Medaille. Polen hingegen befand sich gerade am Beginn einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise, die mehr als ein Jahrzehnt, bis 1989, andauern sollte. Im Sommer 1976, nach den Arbeiterstreiks vom Juni, die durch plötzliche, drastische Preiserhöhungen bei Lebensmitteln ausgelöst worden waren, war die Politik der polnischen Regierung unter dem Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) Edward Gierek eine Mischung aus Repression und wirtschaftlichen Zugeständnissen. Schließlich wurde beschlossen, die Preiserhöhungen rückgängig zu machen. Das stürzte die Wirtschaft in jene tiefe Krise, die 1980/81 in der Solidarność-Bewegung gipfelte.[1]
Anfang 1972 begann das Gierek-Regime, seine Außenpolitik zu liberalisieren und versuchte, Polen stärker für die Welt zu öffnen. In dieser Zeit verbesserten sich die Beziehungen zu Deutschland – zu West- und Ostdeutschland – weiter. Um den Ängsten der polnischen Verbraucherinnen und Verbraucher entgegenzuwirken, die regelmäßig mit einer zunehmenden Verknappung von Industriegütern und sogar so grundlegenden Gütern wie Schuhen und Kleidung konfrontiert waren, unterzeichnete Gierek ein spezielles Abkommen mit seinem ostdeutschen Amtskollegen Erich Honecker, das den passfreien Reiseverkehr zwischen beiden Ländern ermöglichte. Außerdem einigten sie sich auf einen für Polen sehr vorteilhaften Wechselkurs. Infolgedessen strömten die Polen in großer Zahl in die DDR, um in den relativ gut sortierten Geschäften einzukaufen und Kameras, Uhren, Küchengeräte und vieles mehr zu erwerben. Die Ostdeutschen hingegen fuhren zumeist als Touristen in die andere Richtung in den Urlaub, da Ferien in Polen in der Regel viel billiger waren als in der Heimat.[2]
Anders als die meisten unserer polnischen Landsleute urlaubten wir entgegen dem allgemeinen Trend mehrere Wochen in Ostdeutschland, die meiste Zeit in einem kleinen Ostseebad in der Nähe von Rostock. Der Aufenthalt war Teil eines Urlaubspakets, eines Austauschprogramms, das vom Arbeitgeber meiner Mutter, der Polnischen Akademie der Wissenschaften, organisiert wurde. Meine Mutter wurde auch eingeladen, ihren ostdeutschen Kollegen zu besuchen, einen Universitätsprofessor und medizinischen Forscher, der in einem komfortablen Haus außerhalb Berlins wohnte, in den Westen reisen durfte, auch in die USA, und viele weitere Privilegien genoss. Ich erinnere mich auch daran, dass er regelmäßig Pakete von Verwandten in Westdeutschland erhielt und jeden Tag Westfernsehen sah. Kurzum, es war ein denkwürdiger Besuch, der uns einen guten Einblick in das Alltagsleben in einem anderen kommunistischen Land auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges verschaffte. Die DDR war eine sehr viel repressivere Gesellschaft, aber trotz offensichtlicher Engpässe bei der Lebensmittelversorgung – manchmal musste man stundenlang warten, um zum Beispiel ein gebratenes Hähnchen zum Mittagessen zu bekommen – war sie im Vergleich zum damaligen Polen immer noch ein Konsumparadies. So konnte man 1976 in den ostdeutschen Lebensmittelgeschäften zum Beispiel immer frische Salami und andere Grundnahrungsmittel kaufen, während in Polen schon damals ein großer Mangel an Lebensmitteln herrschte, vor allem an Fleisch, aber auch an Zucker, der in jenem Sommer rationiert war. Ein weiteres Zeichen für die gegensätzliche Politik war, dass die polnische Regierung ihren Bürgern Mitte der 1970er-Jahre ein »Privileg« gewährte, das für Ostdeutsche nicht ohne Weiteres zugänglich war – eine Reiseerlaubnis für Touristen nach Westeuropa. Polnische Urlauber konnten jeweils bis zu 120 US-Dollar zu einem subventionierten Regierungskurs tauschen (40:1 zu einer Zeit, als der US-Dollar auf dem Schwarzmarkt etwa 120 Złoty wert war) und mit diesem Geld »kapitalistische« Länder besuchen. Dieser Geldbetrag reichte jedoch selbst Mitte der 1970er-Jahre nicht für mehr als ein paar Tage in den westlichen Ländern. Außerdem waren ein spezieller Reisepass und ein Visum erforderlich, deren Beschaffung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen konnte. Wer es schaffte, diese Hürden zu überwinden, reiste in der Regel nur für Kurztrips in die nächstgelegenen Orte wie West-Berlin und Wien (im Falle Österreichs war kein Visum erforderlich bzw. war ein solches leicht zu bekommen), kaufte ein paar Souvenirs und kehrte nach Hause zurück, um den Rest des Dollar-Guthabens einzulösen, das entweder mit Gewinn auf dem Schwarzmarkt verkauft oder zum Kauf importierter Waren in Pewex-Geschäften (vergleichbar den Intershop-Läden in der DDR) verwendet werden konnte.[3]
Diese kurze persönliche Geschichte bringt mich zu den vier Hauptthemen meines Beitrags: Erstens die Bedeutung der zeitlichen Einordnung und die Herausforderungen der Periodisierung bei der Untersuchung der mittel- und osteuropäischen Wohlfahrtsstaaten während des Kalten Krieges. Zweitens die Vorteile der vergleichenden historischen Analyse, drittens ein neuer theoretischer Ansatz zur Erklärung der scheinbaren Widersprüche von Kontinuität und Wandel in der sozialpolitischen Entwicklung seit 1945 und viertens die internationale Dimension der Sozialpolitik während des Kalten Krieges und darüber hinaus.
I. Eine Frage des Timings – Herausforderungen der Periodisierung der Wohlfahrtsstaatsentwicklung in Mittel- und Osteuropa
Betrachtet man den zeitlichen Ablauf, so stellt der Zeitraum von Ende der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre den Höhepunkt der sozialpolitischen Entwicklung dar, der im Westen als das Goldene Zeitalter des Wohlfahrts- und Sozialstaats bekannt ist.[4] Im Osten war ein ähnlicher Trend zu beobachten. Als ich in den späten 1980er-Jahren, noch vor dem Zusammenbruch des alten Regimes, mit meinen Forschungen zur kommunistischen Sozialpolitik begann,[5] wies ein beträchtlicher Teil der eher begrenzten Literatur zu diesem Thema auf die Erwartung einer Konvergenz zwischen kapitalistischen und kommunistischen Wohlfahrtsstaaten hin.[6] Der Geist der Entspannung nach der Schlussakte von Helsinki vom August 1975 schien diese Annahme zu bestätigen. Einige liberalere Länder des Sowjetblocks wie Polen, Ungarn und anfangs auch Rumänien knüpften engere Kontakte zum Westen und verfolgten sogar begrenzte marktorientierte Reformen (Ungarn und Jugoslawien). Gleichzeitig rückten viele westeuropäische Länder ideologisch näher an die Linke heran. Als Folge gingen sozialdemokratische und kommunistische Parteien in Frankreich, Italien, Portugal, Finnland und Schweden alle möglichen Abkommen und Regierungsbündnisse ein. Viele Experten, darunter auch einige politische Entscheidungsträger, glaubten daher, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich die reformierten Versionen der europäischen Wohlfahrtsstaaten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs irgendwo in der Mitte treffen würden.[7]
In dem interdisziplinären Buch über die Familienpolitik in Polen, Ungarn und Rumänien, das ich gemeinsam mit der ungarischen feministischen Historikerin Dorottya Szikra und der rumänischen Soziologin Cristina Rat verfasst habe, werden die 1970er-Jahre als Ära der Modernisierung der Sozialpolitik bezeichnet. Das bedeutet, dass etwa zwischen den späten 1960er- und den späten 1980er-Jahren, vor allem aber in den 1970er-Jahren, in allen europäischen Ländern ein umfassendes Angebot an Standard-Sozialleistungen und -diensten eingeführt wurde, das praktisch alle Berufsgruppen betraf.[8] Im Kontext der obligatorischen Vollbeschäftigung des öffentlichen Sektors im gesamten kommunistischen Block waren die letzten großen Gruppen, die ohne Versicherungsschutz blieben, private oder genossenschaftliche Landwirte sowie Selbstständige. In diesem Fall könnte man in der Tat von einer gewissen Konvergenz mit dem Westen sprechen, allerdings zu weitaus weniger großzügigen Bedingungen und – wenn man etwa die Funktionsweise dieser Wohlfahrtsstaaten im wirklichen Leben genau untersucht, insbesondere den Mangel an demokratischen Freiheiten und das Fehlen einer unabhängigen Zivilgesellschaft – gewiss noch nicht in einem politischen, ideologischen oder gar institutionellen Sinne.
Wenn wir über die Ära der Modernisierung hinausblicken, müssen wir anerkennen, dass es innerhalb des Sowjetblocks beträchtliche Unterschiede gab, die durch spezifische politische, soziale und wirtschaftliche Kontexte bedingt waren. Dies ist der Hauptgrund, warum ich das Konzept des emergency welfare state für sehr nützlich halte,[9] um die Bedeutung des Timings und der Chronologie der sozialpolitischen Entwicklungen im kommunistischen Lager während der Nachkriegszeit von 1945 bis 1989 und darüber hinaus zu erfassen. Die erste bedeutende »Krise« war der gescheiterte Versuch, ganz Osteuropa zwischen 1949 und 1955 das stalinistische Wohlfahrtsmodell aufzuzwingen. Dies löste wiederum ab Mitte der 1950er-Jahre eine direkte Gegenbewegung aus – die Wiederbelebung der nationalen sozialpolitischen Traditionen. Zweitens erlebten viele der osteuropäischen Länder von 1956 bis in die frühen 1980er-Jahre – in der Phase des Staatssozialismus – in unterschiedlichen Momenten wiederholt wirtschaftliche und politische Krisen.[10] In den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren kam es schließlich zu einer weiteren Krise, die durch die Notwendigkeit verursacht wurde, diese Wohlfahrtsstaaten nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in Mittel- und Osteuropa auf einer neuen demokratischen und kapitalistischen Grundlage wieder aufzubauen.[11]
Die wichtigste Lehre aus dieser Analyse des Timings ist, dass die Entwicklung der Sozialpolitik während des Kalten Krieges eng mit politischen und sozioökonomischen Veränderungen verflochten war. Gleichzeitig sollte die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in diesen Ländern jedoch nicht mit der politischen oder wirtschaftlichen Entwicklung verwechselt werden. So waren beispielsweise Zeiten politischer oder wirtschaftlicher Liberalisierung häufig mit Kürzungen der Sozialausgaben oder gescheiterten sozialpolitischen Reformen verbunden, und umgekehrt führten politische und wirtschaftliche Krisen häufig zu Reformen und zum Ausbau des Wohlfahrtsstaates, selbst wenn später eine deutliche Richtungskorrektur der Politik folgte. Dies geschah in Ungarn seit 1956, in der Tschechoslowakei in den 1960er-Jahren und wiederum in Ungarn, Polen und auch Rumänien in den 1980er-Jahren. Im Allgemeinen haben Wissenschaftler – Historiker und Politikwissenschaftler gleichermaßen – bei der Untersuchung des Ostblocks den Prozessen der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfindung und ihren Ergebnissen viel Aufmerksamkeit gewidmet und darüber Prozesse der sozialpolitischen Entscheidungsfindung vernachlässigt, da sie davon ausgingen, dass Letztere Ersteren stets untergeordnet sind.[12] Während des Kalten Krieges war in der kommunistischen Welt jedoch weniger die marxistisch-leninistische Doktrin, als vielmehr die Krisenpolitik der sozialstaatlichen Maßnahmen für die wachsende Bedeutung des Wohlfahrtsstaates verantwortlich. Diese Entwicklung ermöglichte zwischen 1945 und 1989 die kumulative Expansion und das Wachstum des Wohlfahrtsstaates, manchmal entgegen der gängigen Auffassung und natürlich oft diametral zu den bestehenden institutionellen und wirtschaftlichen Kapazitäten vieler Länder.[13]
II. Die Vorteile der vergleichenden Forschung auf dem Gebiet der mittel- und osteuropäischen Sozialpolitik
Dies bringt mich zum zweiten Punkt: den Vorteilen der vergleichenden Forschung. Ich bin Politikwissenschaftler und kein Historiker, beschäftige mich aber seit über 30 Jahren mit historisch vergleichender Forschung. In diesem kurzen Beitrag kann ich nur ein paar Ideen oder Themen ansprechen, die meiner Meinung nach weiterer Forschung bedürfen. Eines dieser Themen sind der Ursprung und das erstaunliche Fortbestehen einer offensichtlichen Hierarchie oder Rangordnung der kommunistischen Wohlfahrtsstaaten, die nie vollständig anerkannt wurde, aber aus der verfügbaren Literatur und den Daten eindeutig hervorgeht. Während des gesamten Kalten Krieges war die Tschechoslowakei der unangefochtene Spitzenreiter in der Sozialpolitik (sowohl in Bezug auf den Umfang der Regierungsmaßnahmen als auch auf deren Ergebnisse),[14] gefolgt von der DDR, Ungarn, Polen und der Sowjetunion, und zwar in dieser Reihenfolge, mit den Nachzüglern Rumänien, Bulgarien und Albanien am unteren Ende der Liste.[15] Es ist schwierig, das ehemalige Jugoslawien einzuordnen, das ähnlich wie die UdSSR sehr unterschiedliche Regionen mit sehr verschiedenen Armuts- und Entwicklungsniveaus aufwies.[16] Am ehesten lässt es sich in der Rangliste zwischen Ungarn und Polen einfügen. Im direkten Vergleich wäre die Tschechoslowakei wahrscheinlich den fortschrittlichsten nordeuropäischen Wohlfahrtsstaaten wie Dänemark oder Schweden am nächsten gekommen, wenn sie sich nach dem Krieg unabhängig hätte entwickeln können. Ungarn und Polen würden dagegen gut in das kontinentale, Bismarckʼsche Modell passen und der Rest auf oder unter das Niveau der südeuropäischen Länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland. In meinem Buch Welfare States in East Central Europe (1919–2004) aus dem Jahr 2008 vertrete ich die Auffassung, dass diese Art der vergleichenden historischen Forschung wichtig und nützlich ist, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Entdecken und Vergleichen empirischer Daten, sondern vor allem, um den kausalen Einfluss des historischen Erbes besser zu verstehen, das in einigen Ländern Fortschritt und Reformen begünstigt, während es in anderen Ländern Veränderungen verhindert.[17]
Wenn wir in die Zeit des postkommunistischen Übergangs Anfang der 1990er-Jahre springen, stellen wir fest: Trotz aller in einigen Ländern durch die wirtschaftliche Schocktherapie ausgelösten Turbulenzen, trotz der sich in anderen Ländern langsamer und nur allmählich vollziehenden wirtschaftlichen oder politischen Veränderungen,[18] blieb diese Hierarchie zwischen entwickelten Wohlfahrtsstaaten und weniger entwickelten und weniger großzügigen Wohlfahrtsstaaten sowohl hinsichtlich der Ausgaben als auch hinsichtlich der Rechtsansprüche und Sozialrechte für ziemlich lange Zeit bestehen. Die empirischen Belege, die ich über viele Jahrzehnte hinweg gesammelt habe, beziehen sich hauptsächlich auf die Sozialversicherung, aber in jüngerer Zeit habe ich diese Forschungsagenda zusammen mit meinen Koautorinnen Dorottya Szikra und Cristina Rat auf die Familienpolitik im weitesten Sinn ausgedehnt. Hier bestand auf nationaler Ebene auch in den 1990er-Jahren und sogar bis in die frühen 2000er-Jahre hinein ein kontinuierliches Muster fort. Die sichtbarsten und folgenreichsten Veränderungen, so argumentieren wir, kamen viel später, nämlich mit dem Beitritt zur Europäischen Union nach 2004. Das Auftreten neuer oder tiefgreifend reformierter Institutionen, auch auf regionaler und lokaler Regierungsebene, und vor allem die Rezeption neuer politischer Ideen und die Ankunft neuer politischer und nicht staatlicher Akteure veränderten die Wohlfahrtsstaaten in den neuen EU-Mitgliedsländern grundlegend. Während zwischen der stalinistischen Kolonisierung Osteuropas in den 1950er-Jahren und dem Aufbau der westlichen neoliberalen Hegemonie in derselben Region in den 1990er-Jahren durchaus nützliche historische Parallelen gezogen werden können, ist die EU-Osterweiterung in Bezug auf die zahlreichen positiven Auswirkungen auf die postkommunistische Region, einschließlich der Gestaltung der Sozialpolitik, der Wohlfahrtsreformen und auch der sozialen Ergebnisse, historisch präzedenzlos.[19]
III. Kontinuität und Wandel in der Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten in Mittel- und Osteuropa
Dies bringt mich zum dritten Punkt, dem Verständnis von Kontinuität und Wandel in der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates, anders ausgedrückt: dem scheinbaren Widerspruch zwischen Pfadabhängigkeit und Pfadwechsel. Dieses Thema ist natürlich nicht neu und wurde von vielen prominenten Wissenschaftlern wie Paul Pierson, Daniel Béland und Osteuropaspezialisten wie Grzegorz Ekiert und Stephen Hanson angesprochen.[20] In meinen früheren Arbeiten habe ich mich vor allem auf das institutionelle und politische Erbe konzentriert und dessen Kontinuität sowie die Hemmnisse für Veränderungen und Reformen in der Sozialpolitik betont.[21] Dorottya Szikra, Cristina Rat und ich untersuchen in unserem Buch über die Familienpolitik in Polen, Ungarn und Rumänien jedoch eine Kombination aus Institutionen, Akteuren und Ideen, die hinter bestimmten Leistungen und Diensten stehen, die in jedem Land entweder zur Gruppe der Kernleistungen oder zu derjenigen der Zusatzleistungen gezählt werden können.[22] Auf nationaler Ebene sind die Kernleistungen relativ alt, stammen oft aus der Vorkriegszeit und wurden in den kommunistischen Wohlfahrtsstaaten seit der Modernisierungsphase ab Mitte der 1960er-Jahre konsolidiert und fest integriert. Diese Sozialleistungen bilden nicht nur das institutionelle Fundament der nationalen Wohlfahrtsstaaten, sondern stehen auch für spezifische Konstellationen von Akteuren und Ideen im Hintergrund dieser Institutionen und Politiken. Dazu gehören z. B. Familienbeihilfen, Elternzeit oder Mutterschaftsgeld, je nach untersuchtem Land auch alle Leistungen gleichzeitig. Im Gegensatz dazu haben wir festgestellt, dass die Zusatzleistungen viel stärker von Reformen betroffen waren – vor 1989, in den 1990er-Jahren oder aktuell.
Wer sind diese Akteure und was sind ihre Ideen? In den von uns untersuchten ehemals kommunistischen Ländern Polen, Ungarn und Rumänien haben wir kleine Gruppen von Experten, Sozialpolitikern, Bürokraten und Regierungsberatern ausmachen können, die sowohl während des Kalten Krieges als auch danach an der Gestaltung, Aufrechterhaltung und Reform verschiedener Teile des Wohlfahrtsstaates beteiligt waren. Sie sind mit ähnlichen epistemischen Gemeinschaften im Westen vergleichbar,[23] allerdings ohne den demokratischen Kontext eines freien Parteienwettbewerbs und einer lebendigen Zivilgesellschaft. Innerhalb des sozialistischen Lagers wurden die eigentlichen politischen Entscheidungen je nach Land von den Sozial- bzw. Arbeitsministerien, den Ministerräten und schließlich ganz oben von Funktionären des Zentralkomitees und des Politbüros der Kommunistischen Partei getroffen und genehmigt. In unserem Buch Mothers, Families or Children? werden diese Personen genauer identifiziert und die Beständigkeit und Entwicklung ihres Einflusses und ihrer Wirkung von 1945 bis 2020 aufgezeigt, wobei der Geschlechterdimension besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. In den 1970er-Jahren vollzog sich ein bedeutender Generationswechsel: Die ältere, zumeist männliche Generation, von der einige noch in den 1930er- und 1940er-Jahren und natürlich während der stalinistischen Periode der 1950er-Jahre den Wohlfahrtsstaat aufgebaut haben, schied aus und wurde durch eine Gruppe Jüngerer ersetzt, darunter viele Frauen, die seit Ende der 1950er-Jahre unter kommunistischer Herrschaft ausgebildet worden waren und gearbeitet hatten. Dieser Übergang fand genau in dem Moment statt, als der Wohlfahrtsstaat modernisiert wurde. Die neuen Akteurinnen und Akteure sollten über viele Jahrzehnte hinweg zahlreiche wichtige Programme und politische Lösungen konsequent unterstützen und trugen zur Konfiguration von Sozialleistungen aus der Gruppe der Kern- und Zusatzleistungen bei.
Hinsichtlich der grundsätzlichen Ideen, die den Leistungen des Kernbereichs bzw. bestimmten Hierarchien politischer Leitlinien innerhalb jedes Wohlfahrtsstaates zugrunde liegen, ist zu erkennen, dass die Länder des Sowjetblocks nur bei zwei Gelegenheiten versucht haben, einen mehr oder weniger einheitlichen ideellen Ansatz in der Sozialpolitik zu verfolgen, der angeblich eine starke Alternative zu den sich rasch entwickelnden westlichen, kapitalistischen Wohlfahrtsstaaten in Europa und der industrialisierten Welt insgesamt darstellte. Der erste Versuch, der während der stalinistischen Industrialisierungskampagne in den frühen 1950er-Jahren unternommen wurde, basierte auf einer massiven Arbeitskräftemobilisierung, einer raschen Kürzung und strengen Kontrolle aller Geldleistungen, der Betonung von betriebsbasierten und staatlich unterhaltenen Diensten für die arbeitenden Massen, einschließlich Kindergärten, Wohnungen, Lebensmittelverteilung, Urlaub, Gesundheitsdienste usw., die vor allem auf die rasch wachsende Arbeiterklasse abzielten. Dieser sehr reduktionistische und radikale Ansatz zur Reform des Wohlfahrtsstaates scheiterte in vielen Ländern schnell am gesellschaftlichen Widerstand, an fehlenden Ressourcen, am allgemeinen Missmanagement der Wirtschaft und natürlich an internen politischen Konflikten. Der zweite Versuch fand genau in der Modernisierungsphase der 1970er-Jahre statt, als das Brežnev-Regime in Moskau und viele der Satellitenstaaten in Osteuropa den Abschluss der ersten Phase des »sozialistischen« Aufbaus verkündeten. Der amerikanische Politikwissenschaftler George Breslauer bezeichnete diese Zeit als »wohlfahrtsstaatlichen Autoritarismus«.[24] Damals hatte jedoch jedes Land seinen eigenen, nationalen Weg der sozialpolitischen Entwicklung eingeschlagen, der sich auf ernsthafte Herausforderungen wie den demografischen Wandel mit niedrigeren Geburtenraten und allgemeinem Bevölkerungsrückgang in der Region konzentrierte, sich aber gleichzeitig auch mit Themen wie Lohngleichheit, Frauenerwerbstätigkeit, dem Problem der anhaltend niedrigen Arbeitsproduktivität und des Arbeitskräftemangels, der geringen Höhe der Zuwendungen (insbesondere der Renten), unterfinanzierten Sozialdiensten und einem allgemein stagnierenden oder sinkenden Lebensstandard auseinandersetzen musste.[25]
Zu diesem Zeitpunkt unterschieden sich die kommunistischen Länder in mehrfacher Hinsicht stark: im Hinblick auf die Unterstützung einkommensabhängiger gegenüber universellen Leistungen, bezüglich der Betonung egalitärer Lösungen gegenüber differenzierteren, berufsbezogenen Systemen von Leistungen und Diensten, mit Blick auf die jeweilige Mischung aus Geld- und Sachleistungen sowie hinsichtlich der an Betriebszugehörigkeit gekoppelten im Vergleich zu den auf Staatsbürgerschaft basierenden Leistungen. Letztlich gelang es den kommunistischen Ländern nie, gemeinsam eine »sozialistische« Sozialpolitik zu definieren oder sich darauf zu einigen, wie der hoch entwickelte kommunistische Wohlfahrtsstaat genau aussehen sollte.[26] Die nationalen Modelle im Bereich der Sozialpolitik verfestigten sich so sehr, dass sie nicht nur dem Druck zur ideologischen Vereinheitlichung in diesem Bereich widerstehen konnten, sondern auch in der Übergangszeit der 1990er-Jahre in vielen Kernpunkten weitgehend intakt blieben und weiter ausgebaut wurden. In unserer Forschung zur Familienpolitik haben wir die Gruppe der Kernleistungen identifiziert, die für die Kontinuität des Wohlfahrtsstaates stehen, und zeigen gleichzeitig, welche Zusatzleistungen für Kürzungen und Reformen viel anfälliger waren bzw. wie sich dieser Prozess zwischen 1945 und 2020 entwickelt hat. Generell stellen wir fest, dass Polen die Familienpolitik auf der Grundlage traditioneller, mütterorientierter Leistungen konsequent unterstützte, Ungarn sich weiterhin der Familienorientierung verpflichtet fühlte und Rumänien eine umstrittene Mischung aus Repression und bescheidenen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt seiner Familienpolitik stellte: Einerseits drohten drakonische Strafen im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs und andererseits wurde eine neue Art des Kindergeldes für arme Familien eingeführt. Trotz vieler anderer bedeutender Reformen blieben diese Ausrichtungen bis heute weitgehend bestehen.[27]
Darüber hinaus besteht eine der grundlegenden Herausforderungen der vergleichenden historischen Analyse darin, die Widersprüche zwischen Kontinuität und Wandel in einem Dialog mit anderen theoretischen Perspektiven zu erklären, die den Wandel betonen und das historische Erbe als bloße Beharrung abwerten.[28] Unter der kommunistischen Herrschaft galten beispielsweise alle Sozialschutzsysteme von 1945 bis 1989 häufig als revolutionäre Antwort auf den westlichen Wohlfahrtsstaat. Sie basierten auf einem einheitlichen sowjetischen Modell, das kollektive Dienste, geringe Geldleistungen, Vollbeschäftigung, kostenlose Gesundheitsversorgung und subventionierte Verteilung von Konsumgütern betonte. Viele andere Bereiche der Sozialpolitik wie die Sozialversicherung und die Familienpolitik, ganz zu schweigen von einer Vielzahl von Ergebnissen weiterer politischer Maßnahmen, wurden während des Kalten Krieges nicht vollständig erforscht und verstanden.
Nach 1989 und bis etwa 2008 dominierte in der Literatur das neoliberale Paradigma, dessen Hauptargument auf einen nahezu vollständigen Zusammenbruch der zuvor bestehenden sozialen Sicherheitsnetze in der gesamten Region und einen raschen Übergang von den zuvor bestehenden kommunistischen oder sozialistischen Wohlfahrtsmodellen zu einer Art Rumpfwohlfahrtsstaat nach amerikanischem oder britischem Vorbild abhob, und natürlich einer zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber weit verbreiteter Arbeitslosigkeit, wachsender Armut, sozialer Ungleichheit und Lohnungleichheit sowie sich verschlechternden Dienstleistungen in der Kinderbetreuung, Gesundheitsfürsorge und Bildung das Wort redete.[29] Seit 2008 findet ein allmählicher Paradigmenwechsel statt, der eine andere Analyse der entstehenden, die schlimmsten Auswüchse des Neoliberalismus und des konservativen Etatismus vereinenden, populistisch-nationalistischen oder rechtsradikal-autoritären Wohlfahrtsstaaten in Osteuropa ermöglicht – mit dem ungarischen Wohlfahrtsstaat als prominentestem Vorboten.[30] Interessanterweise wird in der jüngsten und schnell wachsenden Literatur zu diesem Thema häufig ein Schlüsselelement außer Acht gelassen, nämlich die Auswirkungen der Europäischen Union. Kurz gesagt, all diesen Perspektiven müsste im Lichte umfassender (historisch und synchron) vergleichender Untersuchungen nachgegangen werden, die auf interdisziplinäre Zusammenarbeit angelegt sind und die sich rasch verändernde zeitgenössische politische und sozioökonomische Landschaft in ganz Europa – in Ost und West – vor und nach 1989 und insbesondere seit 2020 berücksichtigen.[31]
IV. Die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates während des Kalten Krieges aus internationaler Perspektive
Damit komme ich zum letzten Punkt, den ich als große Chance für die künftige interdisziplinäre historische Forschung betrachte, nämlich die internationalen, transnationalen und länder- bzw. regionenübergreifenden Dimensionen der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung in Europa während des Kalten Krieges. Eine wichtige Frage, die noch weiterer historischer Untersuchungen bedarf, ist die nach dem Ausmaß und den Auswirkungen der verschiedenen Formen der Zusammenarbeit und des Austauschs zwischen westlichen und östlichen Ländern, insbesondere seit der teilweisen Liberalisierung der kommunistischen Regime in den späten 1950er-Jahren. Bei meinen eigenen Nachforschungen stieß ich auf viele Beispiele für Ost-West-Treffen und -Austausche im Rahmen der Vereinten Nationen und verwandter Organisationen, darunter die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) (bei der Polen, die Tschechoslowakei und Kuba Anfang des 20. Jahrhunderts zu den Gründungsmitgliedern gehörten) und die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (ISSA) oder auch internationale Ausstellungen wie die ILO-Weltausstellung in Turin (Italien) Anfang 1961, bei der viele Länder des Sowjetblocks ihre Errungenschaften im Bereich der Wohlfahrtspflege präsentierten.[32]
Ein weiteres interessantes Thema ist die Untersuchung der internationalen Zusammenarbeit und der Verbreitung politischer Maßnahmen innerhalb des Ostblocks. Seit den späten 1960er-Jahren, als die kommunistischen Länder zuvor abgeschaffte oder aufgehobene Ministerien für Soziales und/oder Arbeit wieder einführten, traf sich leitendes Personal der Ministerien regelmäßig mit Expertinnen und Experten zum Austausch, wobei bestimmte Länder, insbesondere die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn, als Hauptkanäle für die Übertragung westlicher sozialpolitischer Ideen in den Osten dienten. Das letzte Treffen dieser Art fand im Frühjahr 1989 in Havanna (Kuba) statt. Darüber hinaus verfolgten einzelne Länder auf internationaler Ebene mit Nachdruck eigene sozialpolitische Interessen – nämlich Ungarn als Vorreiter in der Familienpolitik, die Tschechoslowakei in den Bereichen Arbeitsschutz und Gesundheitswesen, Rumänien in der Bevölkerungspolitik (im Guten wie im Schlechten), Jugoslawien mit seiner Betonung der betrieblichen Selbstverwaltung und die DDR beispielsweise im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit und der kollektiven Kinderbetreuung.
Eine weitere damit zusammenhängende Frage betrifft die Merkmale der kommunistischen Wohlfahrtsstaaten, die während des Kalten Krieges von Teilen des linksgerichteten westlichen sozialpolitischen Establishments am meisten bewundert wurden, wie z. B. Vollbeschäftigung, Mobilisierung der Arbeitskräfte, Armutsbekämpfung, gemeinschaftliche Bereitstellung sozialer Dienste, kostenlose Bildung und Gesundheitsfürsorge sowie die ideologische Förderung der Gleichstellung der Geschlechter. Die Wissenschaft würde sehr von Studien profitieren, die einen umfassenderen und vergleichenden Blick auf all diese Merkmale werfen und eine empirisch fundierte Bewertung ihrer Umsetzung und Wirkung während des Kalten Krieges und darüber hinaus lieferten. Das »kommunistische Experiment« wurde lange Zeit in der ganzen Welt verehrt, und zwar nicht nur aufgrund seiner eigenen Verdienste, sondern als reale Manifestation einer antiwestlichen Alternative, die zusammen mit ihrer Sozialpolitik als mögliche Lösung für die vielen Übel und Unzulänglichkeiten des Kapitalismus und der kapitalistischen Demokratien angesehen wurde.[33] Es besteht kein Zweifel daran, dass das Bild bzw. die Möglichkeit eines realsozialistischen oder kommunistischen Wohlfahrtsstaates in vielen Kreisen des Westens,[34] aber auch zunächst innerhalb traditioneller, linksgerichteter sozialpolitischer Gruppen in Mittel- und Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Anziehungskraft und Anhängerschaft hatte.[35]
V. Schlussfolgerung: Die menschliche Dimension der Wohlfahrtsstaatsforschung
Abschließend möchte ich noch einen Bereich der historischen Forschung erwähnen, der von Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern sowie der breiten Öffentlichkeit leider oft übersehen wird – nämlich die menschliche Dimension dieser Art von Forschung. Genauso wie uns die Coronapandemie eindrücklich die Bedeutung von Sozialpolitik vor Augen geführt hat, macht uns der Krieg, der durch Russlands militärische Invasion in der Ukraine ausgelöst wurde, zutiefst betroffen. Beide Tragödien haben die dunkelste Seite der Menschheit offenbart, insofern als viele Gesellschaften bei ihren Bemühungen kläglich versagten, die schwächsten Menschen zu schützen. Optimistischer sollte uns jedoch stimmen, dass der Kern unserer wissenschaftlichen Bemühungen – der Wohlfahrtsstaat in Ost und West – eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts ist, und zwar nicht nur in Bezug auf Institutionen und Politik,[36] sondern vor allem hinsichtlich der kollektiven und individuellen Bemühungen von Fachleuten – zahlreichen fürsorglichen und engagierten Personen, die idealistisch ihrer Berufung nachgehen. Der dankbarste Teil meiner jahrzehntelangen Forschung besteht in dem Umstand, dass ich viele dieser Menschen treffen und mit ihnen sprechen konnte. Sie repräsentieren verschiedene Generationen, unterschiedliche politische Ideologien, Bildungshintergründe und Nationalitäten – und alle eint eine Idee: ein außergewöhnliches, unerschütterliches Engagement und eine echte Leidenschaft für sozialen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit. Sie suchen nach den besten Wegen, ihren bedürftigen Mitmenschen in ihren Gemeinden und Gesellschaften zu helfen. Auf solche unglaublich fleißigen und engagierten Menschen bin ich überall gestoßen, auf allen Regierungsebenen, unter Bürokraten und Politikern, unter an Universitäten ausgebildeten Experten und Akademikern, unter Journalisten, Gewerkschaftlern und unter Mitgliedern von Organisationen der Zivilgesellschaft. Trotz wachsender politischer, nationaler und ideologischer Unterschiede, die in vielen Ländern rund um den Globus fast unüberwindbar scheinen, können wir sagen, dass die Sprache der Sozialpolitik auch heute noch eine universelle Sprache der Fürsorge ist. Sie ermöglicht es uns, über viele Barrieren hinweg zu kommunizieren und gemeinsam für das öffentliche Wohl zu arbeiten. Unsere vergleichende historische Forschung kann viel dazu beitragen, diese Realität anzuerkennen und sie der Welt zu zeigen, um sicherzustellen, dass der weit gefasste Wohlfahrtsstaat bzw. das Projekt der Wohlfahrtsgesellschaft, das im frühen 20. Jahrhundert begann und die immensen Herausforderungen und Konfrontationen des Kalten Krieges überlebt hat, weiterlebt und noch viele Jahre lang gedeihen wird.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcel Streng
[1] Siehe Andrzej Paczkowski: The Spring Will Be Ours: Poland and the Poles from Occupation to Freedom, University Park, PA 2003, S. 357–359.
[2] Siehe Bartosz Stefańczyk: Ekonomiczne aspekty decyzji o otwarciu granicy PRL-NRD [Wirtschaftliche Aspekte der Entscheidung zur Öffnung der Grenze zwischen der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik], in: Kwartalnik Kolegium Ekonomiczno Społecznego, Studia i Prace (2010), H. 2, S. 189–212.
[3] Siehe Sebastian Rosenbaum: Exodus z Polski Gierka, in: Przystanek Historia vom 17. Juni 2021, przystanekhistoria.pl/pa2/tematy/edward-gierek/82112,Exodus-z-PolskiGierka.html (ges. am 18. September 2022).
[4] Frank Nullmeier/Franz-Xavier Kaufmann: Post-War Welfare State Development: »The Golden Age« (Chapter 5), in: Daniel Béland/Kimberly J. Morgan/Herbert Obinger/Christopher Pierson (Hg.): The Oxford Handbook of the Welfare State, 2. Aufl. Oxford, UK 2021, S. 93–111.
[5] Siehe Tomasz Inglot: The Politics of Social Policy Reform in Post-communist Poland: Government Responses to the Social Insurance Crisis during 1989–1991, in: Communist and Postcommunist Studies 28 (1995), H. 3, S. 361–373; ders.: Historical Legacies, Institutions and the Politics of Social Policy in Hungary and Poland, 1989–1998, in: Grzegorz Ekiert/Stephen Hanson (Hg.): Capitalism and Democracy in Eastern and Central Europe: Assessing the Legacy of the Communist Rule, New York 2003, S. 210–247; Tomasz Inglot: Welfare States in East Central Europe, 1919–2004, New York 2008.
[6] Siehe George Breslauer: On the Adaptability of Soviet Welfare-State Authoritarianism, in: Karl W. Ryevac (Hg.): Soviet Society and the Communist Party, Amherst, MA 1978; siehe auch Béla Tomka: Welfare in East and West: Hungarian Social Security in an International Comparison, 1918–1990, Berlin 2004.
[7] In ihrem Artikel aus dem Jahr 2011 präsentierten Herbert Obinger und Carina Schmitt z. B. umfangreiche quantitative Belege für die Ausgaben und den Ausbau der Sozialpolitik in ganz Europa gerade in den 1970er-Jahren. Herbert Obinger/Carina Schmitt: Guns and Butter: Regime Competition and the Welfare State during the Cold War, in: World Politics 63 (2011), H. 2, S. 246–270.
[8] Siehe Tomasz Inglot/Dorottya Szikra/Cristina Rat: Mothers, Families or Children? Family Policy in Poland, Hungary, and Romania, 1945–2020, Pittsburgh, PA 2022.
[9] Inglot: Welfare States (Anm. 5); Tomasz Inglot: Czech Republic, Hungary, Poland, and Slovakia: Adaptation and Reform of the Post-Communist ›Emergency Welfare States‹, in: Alfio Cerami/Pieter Vanhuysse (Hg.): Post-Communist Welfare Pathways: Theorizing Social Policy Transformations in Central and Eastern Europe, Basingstoke 2009, S. 73–95.
[10] Siehe Grzegorz Ekiert: The State Against Society: Political Crises and Their Aftermath in East Central Europe, Princeton, NJ 1996.
[11] Siehe Inglot: The Politics of Social Policy Reform (Anm. 5); ders.: Welfare States (Anm. 5).
[12] Siehe Bob Deacon (Hg.): Social Policy, Social Justice, and Citizenship in Eastern Europe, Averbury 1992; Klaus Offe: The Politics of Social Policy in East European Transitions, in: Social Research 60 (1993), H. 4, S. 639–684.
[13] Siehe Inglot: Welfare States (Anm. 5); ders.: Western Welfare States Watched from the East during the Cold War: Condemnation, Competition, and Creative Learning, in: Journal of International and Comparative Social Policy 29 (2013), H. 3, S. 241–257.
[14] Siehe Johan Jeroen De Deken: Social Policy in Postwar Czechoslovakia. The Development of Old-Age Pensions and Housing Policies during the Period 1945–1989 (= EUI Working Paper SPS Nr. 94/13), Florenz 1994.
[15] Siehe Helena Góralska/Aleksandra Wiktorow: System ubezpieczeń społecznych I świadczen socjalnych w krajach RWPG [Das System der sozialen Sicherheit und der Sozialleistungen in den Ländern des Comecon], in: Michał Winiewski (Hg.): Ubezpieczenia społeczne i świadczenia socjalne [Soziale Sicherheit und Sozialleistungen], 2 (1988), H. 1, S. 82–210.
[16] Siehe Marija Stambolieva: Welfare State Transformation in the Yugoslav Successor States: From Social to Unequal, London/New York 2016.
[17] Inglot: Welfare States (Anm. 5).
[18] Siehe Leszek Balcerowicz: 800 dni. Szok kontrolowany [800 Tage. Kontrollierter Schock], Warschau 1992.
[19] Siehe Inglot/Szikra/Rat: Mothers, Families or Children? (Anm. 8).
[20] Siehe Paul Pierson: Politics in Time: History, Institutions and Social Analysis, Princeton, NJ 2004; Daniel Béland/Martin Powell: Continuity and Change in Social Policy, in: Social Policy and Administration 50 (2016), H. 2, S. 129–147; Ekiert/Hanson (Hg.): Capitalism and Democracy (Anm. 5).
[21] Siehe Inglot: Historical Legacies (Anm. 5); ders.: Welfare States (Anm. 5).
[22] Siehe Inglot/Szikra/Rat: Mothers, Families or Children? (Anm. 8).
[23] Siehe Theda Skocpol/Paul Pierson: Historical Institutionalism in Contemporary Political Science, in: Ira Katznelson/Helen V. Milner (Hg.): Political Science: State of the Discipline, New York 2002, S. 693–721.
[24] Breslauer: On the Adaptability (Anm. 6).
[25] Siehe Inglot: Western Welfare States (Anm. 13).
[26] Ebd.
[27] Siehe Inglot/Szikra/Rat: Mothers, Families or Children? (Anm. 8).
[28] Siehe Kimberly J. Morgan: Path-Shifting of the Welfare State: Electoral Competition and the Expansion of Work-Family Policies in Western Europe, in: World Politics 65 (2013), H. 1, S. 73–115.
[29] Siehe Mitchell A. Orenstein: Transitional Social Policy in the Czech Republic and Poland, in: Czech Sociological Review 2 (1995), H. 3, S. 179–196; ders./Martine R. Haas: Globalization and the Development of Welfare States in Central and Eastern Europe, in: Miguel Glatzer/Dietrich Rueschemeyer (Hg.): Globalization and the Future of the Welfare State, Pittsburgh, PA 2005.
[30] Siehe Hillary Appel/Mitchell A. Orenstein: From Triumph to Crisis: Neoliberal Reform in Postcommunist Countries, New York 2018; Noémi Lendvai-Bainton/Dorota Szelewa: Governing New Authoritarianism: Populism, Nationalism and Radical Welfare Reforms in Hungary and Poland, in: Social Policy & Administration 55 (2021), H. 4, S. 559–572.
[31] Guglielmo Meardi/Igor Guardiancich: Back to the Familialist Future: The Rise of Social Policy for Ruling Populist Radical Right Parties in Italy and Poland, in: West European Politics 45 (2021), H. 1, S. 129–153, tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402382.2021.1916720?journalCode=fwep20 (ges. am 27. Februar 2023).
[32] Siehe Katarzyna Jeżowska: Socialist, Humanist and Well-Designed: The Polish Welfare State at the International Labour Exhibition in Turin, 1961, in: Contemporary European History (2022), S. 1–19, doi:10.1017/S0960777322000029 (ges. am 27. Februar 2023).
[33] Siehe Gaston Rimlinger: Welfare Policy and Industrialization in Europe, America, and Russia, New York 1971.
[34] Siehe Klaus Petersen: The Early Cold War and the Western Welfare State, in: Journal of International and Comparative Social Policy 29 (2013), H. 3, S. 226–240, doi: 10.1080/21699763.2013.855129 (ges. am 27. Februar 2023).
[35] Siehe Inglot: Welfare States (Anm. 5); ders.: Western Welfare States (Anm. 13).
[36] Siehe Béland/Morgan/Obinger/Pierson (Hg.): The Oxford Handbook (Anm. 4).