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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Bartoszewski, Władysław

* 1922 ✝ 2015




Historiker, Publizist. Teilnehmer an den Treffen des *Klubs des Krummen Kreises, langjähriger Mitarbeiter von *Radio Freies Europa und des *„Tygodnik Powszechny“; Mitbegründer und Dozent der *Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse, Gründungsmitglied des Komitees zur Verteidigung von aus Gewissensgründen Inhaftierten bei der Landesverständigungskommission der *Solidarność, Mitglied des gesellschaftlichen Rates für Volkswirtschaft, Mitautor der „Erklärung der 62“ anlässlich des Papstbesuches in Polen, Pseudonyme: „Jan Kowalski“, „Z. Z. Z.“; nach dem Ende des Kommunismus Publizist, Botschafter und zweimaliger polnischer Außenminister.

Władysław Bartoszewski wurde 1922 in Warschau geboren, sein Vater war Bankbeamter, seine Mutter kam aus einer Familie, die zur Zeit der Polnischen Teilungen in der Unabhängigkeitsbewegung engagiert war. Nach dem deutschen Überfall auf Polen nahm Bartoszewski im September 1939 als Sanitäter an der zivilen Verteidigung Warschaus teil. Am 19. September wurde er von den Deutschen inhaftiert und kam in das Konzentrationslager Auschwitz. Dank der Bemühungen des Polnischen Roten Kreuzes, dessen Mitarbeiter er war, wurde er am 8. April 1941 gemeinsam mit einigen anderen Personen freigelassen.

Von Herbst 1941 bis ins Jahr 1944 studierte er an der Warschauer Universität im Untergrund polnische Philologie. 1942 trat er der katholischen konspirativen „Front der Wiederauferstehung Polens“ bei. Im August wurde er als Soldat der *Heimatarmee (Armia Krajowa; AK) vereidigt und nahm die Arbeit im Büro für Information und Propaganda des Hauptstabes auf. Von Ende 1942 bis 1944 arbeitete er in der Innenabteilung der Warschauer Vertretung der Polnischen Exilregierung, wo er sich für Inhaftierte des berüchtigten Pawiak-Gefängnisses und der Dokumentation deutscher Verbrechen an Polen und Juden befasste.

Ab 1942 war Bartoszewski Mitglied des Provisorischen Hilfskomitees für Juden und anschließend von „Żegota“, dem Rat für die Unterstützung der Juden (1966 wurde er dafür als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet). Im Jahre 1943 wurde er stellvertretender Leiter des Judenreferates in der Innenabteilung der inländischen Vertretung der Exilregierung. Vom 1. August bis 2. Oktober nahm er am Warschauer Aufstand teil und wurde mit dem Tapferkeitskreuz ausgezeichnet. In der Zeit der Okkupation war er Redakteur zahlreicher Zeitschriften: „Prawda Młodych“ (Wahrheit der Jugend), „Tygodniowe Sprawozdanie Prasowe“ (Wöchentliche Presseerklärungen), „Wiadomości z Miasta i Wiadomości Radiowych“ (Nachrichten aus Stadt und Rundfunk) und anderen.

Bis zum Oktober 1945 blieb Bartoszewski in der Konspiration: Er arbeitete als Sekretär des „Biuletyn Informacyjny“ (Informationsbulletin) des Hauptstabes der *Heimatarmee, gehörte der antikommunistischen Organisation „NIE“ (Nein) und anschließend der Vertretung der Bewaffneter Kräfte der Exilregierung innerhalb Polens an. Im Herbst des Jahres begann er seine Arbeit am Institut für Nationales Gedenken beim Präsidium des Ministerrats und in der Hauptkommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen in Polen. Anfang 1946 wurde er Mitglied der Bauernpartei PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe), die sich der Sowjetisierung des Landes widersetzte, sowie Redaktionsmitglied ihres Organs „Gazeta Ludowa“ (Volkszeitung).

Für seine Beteiligung an konspirativen Aktivitäten nach Kriegsende und für seine Arbeit in der „Volkszeitung“ wurde Bartoszewski vom 15. November 1946 bis 10. April 1948 und anschließend noch einmal ab 14. Dezember 1949 inhaftiert. Am 29. Mai 1952 verurteilte man ihn für angebliche „Spionage“ zu acht Jahren Gefängnis, die er in Haftanstalten in der Warschauer Rakowiecki-Straße sowie in Rawicz und Racibórz absaß. Am 16. August 1954 wurde er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, im März 1955 erkannte das Oberste Militärgericht an, dass er zu Unrecht angeklagt und inhaftiert gewesen war.

Nach seiner Haftentlassung arbeitete er als Verlagsredakteur im Polnischen Bibliotheksverband, 1957–60 als Redakteur und dann als Redaktionssekretär der Wochenzeitschrift „Stolica (Hauptstadt), wo er zum Zweiten Weltkrieg und dem Warschauer Aufstand publizierte.

Seit Anfang der 60er Jahren unterhielt Bartoszewski Kontakte zu deutschen Jugendlichen von „Pax Christi“, die nach Polen reisten, um „durch Geist und Tat an der Versöhnung der Nationen mitzuwirken“. In dieser Zeit nahm er auch Kontakt mit der österreichischen katholischen Zeitschrift „Die Furche“ auf. 1967 gab er (gemeinsam mit Zofia Lewinówna) das Buch „Er ist aus meiner Heimat. Polen, die Juden helfen 1939–1945“ (Ten jest z ojczyzny mojej. Polacy z pomocą Żydom 1939–1945) heraus. Die Arbeit erhielt den Preis von *Radio Freies Europa „für das beste Sachbuch des Landes“.

Mit Kreisen der späteren demokratischen Opposition kam er in der Redaktion des *„Tygodnik Powszechny“ (Allgemeines Wochenblatt) zusammen, mit dem er ab 1957 zusammenarbeitete, sowie im *Klub des Krummen Kreises (Klub Krzywego Koła; KKK). 1963 begann seine Zusammenarbeit mit *Radio Freies Europa – vor allem mit Jan Nowak-Jeziorański und Tadeusz Żenczykowski – und er schrieb für dessen Zeitung „Na Antenie“ (Auf Sendung). Im März 1964 half Bartoszewski mit, den *Brief der 34 zu verteilen. Wegen seiner Arbeit für Radio Freies Europa wurde seine Wohnung am 1. Oktober 1970 durchsucht, im Dezember erhielt er die Anklage der Staatsanwaltschaft, „zum Schaden der Volksrepublik Polen mit den staatsfeindlichen Kräften von Radio Freies Europa zusammenzuarbeiten“. Es kam zwar zu keinem Prozess, aber Bartoszewski wurde für einige Jahre mit Publikationsverbot belegt.

Bartoszewski führte 1974/75 in Warschau (unter anderem im Hause von Jan Józef Lipski) private Seminare und ein Konversatorium durch, welches der neuesten polnischen Geschichte gewidmet war. 1973–81 hielt er Vorlesungen an der Katholischen Universität Lublin, wo er zur moralischen und intellektuellen Autorität eines Kreises von Geschichtsstudenten wurde, die ab 1977 begannen, die unabhängige Monatsschrift „Spotkania“ (Begegnungen) herauszugeben.

1974 war er Mitautor des an den Polnischen Staatsrat gerichteten Begnadigungsgesuchs für Andrzej Czuma und seinen Bruder Benedykt, die für ihre Beteiligung an der antikommunistischen Organisation *Ruch (Bewegung) verurteilt worden waren. Er gehörte im Januar 1976 zu den Mitautoren des *Briefes der 14 und war Unterzeichner des *Briefes der 101 an das polnische Parlament (Sejm), in denen gegen geplante Verfassungsänderungen protestiert wurde. Im Januar 1977 unterschrieb er einen der Briefe zur Verteidigung der verfolgten Arbeiter von Radom und Ursus (*Juni 1976 ). Nach 1976 wirkte Bartoszewski an mehreren Texten mit, die von der *Polnischen Unabhängigkeitsallianz (Polskie Porozumienie Niepodległościowe; PPN) im Untergrund herausgegeben wurden (zum Beispiel „Polen und Juden“/Polacy–Żydzi). Er unterschrieb außerdem den Brief des Vorstandes des polnischen P. E. N.-Clubs vom 31. Januar 1978 an den Ministerpräsidenten, in dem die Begrenzung der Zensur auf ein nur durch staatliche Sicherheitsinteressen begründetes Minimum gefordert wurde.

Bartoszewski wurde am 22. Januar 1978 Mitbegründer der *Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse (Towarzystwo Kursów Naukowych; TKN). In der mit ihr verbundenen Fliegenden Universität hielt er 1978/79 Vorlesungen über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der polnisch-jüdischen Beziehungen, die 1980 vom Unabhängigen Verlagshaus *NOWA (Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA) unter dem Titel „Der polnische Untergrundstaat 1939–1945“ (Polskie Państwo Podziemne 1939–1945) veröffentlicht wurden. Als einziger Dozent der Fliegenden Universität wurde er im Herbst 1979 von einem Schnellgericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Während der „Wochen der christlichen Kultur“ hielt er Vorträge in den Kirchen des ganzen Landes. Er war einer der Unterzeichner, des von der *Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse herausgegebenen „Offenen Briefes an die Lehrer und Erzieher“ (List otwarty do nauczycieli i wychowawców) vom 14. Juni 1980, der die Gefährdungen der Jugend durch die staatliche Erziehungspolitik thematisierte.



Ein von Bartoszewski mit unterzeichneter Appell von 64 Intellektuellen unterstützte am 20. August 1980 die Forderungen der an der Küste streikenden Arbeiter und forderte die Machthaber zum Gespräch. Im September desselben Jahres wurde Bartoszewski Mitglied der Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaft *Solidarność (NSZZ „Solidarność”) und dort im Dezember 1980 an der Gründung des Komitees zur Verteidigung von Gewissensgefangenen bei der Landesverständigungskommission beteiligt. Im November 1981 wurde er Mitglied des Gesellschaftlichen Rates für die Volkswirtschaft (Społeczna Rada Gospodarki Narodowej), der die Interessen der Gesellschaft gegenüber der Staatsmacht vertreten sollte. Er nahm am I. Kongress der polnischen Kultur teil, dessen Beratungen jedoch durch die Verhängung des Kriegszustands unterbrochen wurden.

Mit Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 wurde Bartoszewski zunächst im Warschauer Stadtteil Białolęka und anschließend im westpommerschen Jaworze interniert. Auf Druck deutscher, österreichischer und israelischer Politiker und Intellektueller wurde er am 28. April 1982 freigelassen.

Von Oktober 1982 bis Juni 1983 war er Stipendiat des Wissenschaftskollegs in Berlin und hielt 1983–90 immer wieder Vorlesungen an den Universitäten in München, Eichstatt und Augsburg.

In Polen publizierte Bartoszewski in den 80er Jahren in Untergrund- und Emigrationszeitschriften – in „Puls“, „Zeszyty Historyczne“ (Historische Hefte) und anderen – und gab Bücher zur polnischen Geschichte und Kultur heraus, darunter „Das Schicksal der Juden Warschaus 1939–1943“ (Los Żydów Warszawy 1939–1945), „Die Tage der kämpfenden Hauptstadt. Chronik des Warschauer Aufstandes“ (Dni walczącej stolicy. Kronika Powstania Warszawskiego). In Deutschland erschien 1983 sein autobiografisch-historisches Werk „Herbst der Hoffnungen. Es lohnt sich, anständig zu sein“. Im gleichen Jahr wurde er in Wien mit dem Herder-Preis ausgezeichnet.

Auf Einladung von Lech Wałęsa entstand am Vortag des Besuches von Papst Johannes Paul II die auch von Bartoszewski unterzeichnete „Erklärung der 62“ vom 31. Mai 1987, die die grundlegenden Ziele der polnischen demokratischen Opposition formulierte.

Die Bedeutung von Władysław Bartoszewski als unabhängiger Humanist, der den Einsatz von Gewalt und Hass ablehnte, wurde nicht nur in seinem langjährigen Engagement in der antikommunistischen Opposition sichtbar. Sie zeigte sich genauso in seinem Wirken für die Verständigung mit den Deutschen und in seinen Bemühungen, Hilfe für die Juden in der Zeit des Holocaust zu organisieren. Am klarsten drückt sich diese Haltung in seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1986 aus: „Die Frage des Friedens [...] ist für mich nicht zu trennen von der Frage der Menschenrechte und der Rechte der Minderheiten, der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit, der Wahl des Platzes im Leben und der Art zu leben, der Wahl des politischen und wirtschaftlichen Systems, der Freiheit des Wortes, der Freiheit von Angst. Solange diese Bedingungen menschlichen Seins nicht erfüllt sind, [...] solange sichern wir keinen dauerhaften Frieden.“ Und weiter: „Es gibt kein freies und gerechtes Europa ohne ein freies Polen auf seiner Landkarte.“

Bis zum Ende der Volksrepublik Polen wurde Bartoszewski intensiv vom Staatssicherheitsdienst überwacht, selbst während seiner wissenschaftlichen Aufenthalte im Ausland.

1990 wurde er Vorsitzender des internationalen Beirates des Staatlichen Museums in Auschwitz und 2001 auch des Rates zur Verteidigung des Andenkens an Kampf und Märtyrertum (Rada Ochrony Pamięci Walki i Męczeństwa). 1972–84 war er Generalsekretär des polnischen P. E. N.-Clubs 2001 wurde er dessen Präsident. 1991 erhielt er die Ehrenbürgerschaft Israels. Władysław Bartoszewski war nach dem Ende des Kommunismus nicht nur publizistisch und wissenschaftlich tätig, er füllte auch hohe und höchste staatliche Ämter der Republik Polen aus: 1990–95 war er Botschafter in Österreich, zweimal (1995/96 und 2000/01) Außenminister seines Landes, 1997–2001 Mitglied der zweiten Parlamentskammer, des Senats der Republik Polen, und von 2007 bis zu seinem Tod Beauftragter der polnischen Regierung für den Internationalen Dialog. Er wurde mit den höchsten staatlichen Orden der Bundesrepublik Deutschland, Polens, Österreichs, Estlands, Litauens, Lettlands, Ungarn und Spaniens sowie unzähligen Ehrungen ausgezeichnet.

Władysław Bartoszewski starb am 24. April 2015 in Warschau.


Marek Kunicki-Goldfinger
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 08/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.