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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Bujak, Zbigniew

* 1954




Zbigniew Bujak wurde 1954 in Łopuszna bei Nowy Targ in Kleinpolen in eine bäuerliche Familie geboren. In Żyrardów südlich von Warschau schloss er das Abendtechnikum für Elektroenergetik ab. 1972/73 arbeitete er in den pharmazeutischen Werken „Polfa“ in Grodzisk und ab 1973 in den Mechanischen Ursus-Werken bei Warschau. Nach den Streiks und Demonstrationen im *Juni 1976 unternahm er in Ursus auf eigene Faust den Versuch, verfolgten Arbeitern zu helfen. Es gelang ihm zwar, den Kontakt zu einigen von ihnen aufzunehmen, aber insgesamt waren die Menschen zu ängstlich und wollten nicht mit ihm sprechen.

Oppositionell begann sich Bujak ab 1978 zu betätigen, zunächst gemeinsam mit Zbigniew Janas und Arkadiusz Czerwiński. Er beteiligte sich am Komitee für Gesellschaftliche Selbstverteidigung „KOR“ (Komitet Samoobrony Społecznej; *KSS „KOR“), verteilte unabhängige Presseerzeugnisse und Literatur, die er von Jan Lojak erhalten hatte. In den Ursus-Werken organisierte er Arbeitertreffen mit Jacek Kuroń, Jan Lityński und anderen. Im Mai 1980 fand in der Kirche des heiligen Krzysztof in Podkowa Leśna (Masowien) ein Hungerstreik als Solidaritätsbekundung für Mirosław Chojecki und Dariusz Kobzdej statt, die im Gefängnis in einen Hungerstreik getreten waren, sowie für andere politische Gefangene. Bujak und Zbigniew Janas sammelten mehr als 1.000 Unterschriften, um diese Aktion zu unterstützten. Am 2. Juli 1980 organisierten beide einen eintägigen Streik gegen Preiserhöhungen. Der Streik erfasste einige Abteilungen der Ursus-Werke und wurde beendet, nachdem die Direktion die Forderungen der Arbeiter akzeptiert hatte. Der Versuch, Arbeiterkommissionen ins Leben zu rufen, die als Verbindungsglied zu unabhängigen Gewerkschaften fungieren sollten, endete erfolglos.

Im August 1980 war Bujak Mitbegründer des Ursus-Arbeiterkomitees für Solidarität mit den streikenden Arbeitern der Küste und engagierte sich für die Schaffung einer unabhängigen Gewerkschaft. Am 4. September wurde er Vorsitzender des Überbetrieblichen Gründungskomitees der *Solidarność in der Region Masowien (Międzyzawodowy Komitet Założycielski NSZZ „Solidarność“ Mazowsze), im Februar 1981 Mitglied des Provisorischen Präsidiums der *Solidarność-Landesverständigungskommission (Krajowa Komisja Porozumiewawcza; KKP) und gehörte zum Komitee zur Verteidigung von Gewissensgefangenen (Komitet Obrony Więzionych za Przekonania), das im Dezember 1980 von der KKP gegründet worden war. Nach dem I. *Solidarność-Landesdelegiertenkongress in Danzig (Gdańsk) im September/Oktober 1981 wurde Bujak Mitglied des Präsidiums der Landeskommission (Komisja Krajowa; KK). Im November desselben Jahres initiierte er gemeinsam mit Jacek Kuroń und Adam Michnik die Klubs der Selbstverwalteten Republik „Freiheit – Gerechtigkeit – Unabhängigkeit“ (Kluby Rzeczpospolitej Samorządnej), die sich auf die Traditionen der linken polnischen Unabhängigkeitsbewegung beriefen.

Am Tag der Verhängung des *Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 entging Bujak nur durch Zufall der Internierung. Eine Woche lang tauchte er in Danzig unter, wo er an der Sitzung der Landeskommission teilgenommen hatte, dann schlug er sich nach Warschau durch. Gemeinsam mit Zbigniew Janas und Wiktor Kulerski fing er an, die Untergrundarbeit in der Region zu organisieren.

In seinen ersten Erklärungen – unter anderem nach der blutigen Niederschlagung der Proteste in der Kattowitzer Steinkohlengrube „Wujek“ – rief er zum Kampf ohne Blutvergießen auf. Mit der Möglichkeit rechnend, dass die *Solidarność in die Legalität zurückkehren könne, wandte er sich gegen die Einrichtung von Strukturen, die nicht den Gewerkschaftsstatuten entsprachen, und stellte sich dem Aufbau eines „Untergrundstaates“ entschieden entgegen. Im Meinungsstreit um Jacek Kurońs „Thesen über den Ausweg aus einer Situation ohne Ausweg“ (Tezy o wyjściu z sytuacji bez wyjścia) schrieb er: „Ich spreche mich für eine strikt dezentrale Bewegung aus, die viele Aktionsformen kennt. […] Der Ausbau der *Solidarność zu einer monolithischen Organisation, die auf den entscheidenden letzten Kampf vorbreitet wäre, würde die Gefahr heraufbeschwören, dass die Machthaber erneut versuchen, die Gesellschaft aus eigener Kraft zu pazifizieren. Selbst wenn wir uns dagegen noch erfolgreich verteidigen könnten, würde uns anschließend eine Intervention von außen erwarten. Ich denke also, dass wir die frontale Konfrontation mit den Machthabern vermeiden müssen […]. Meiner Meinung nach wäre ein Positionskampf sicherer und wirkungsvoller.“ („Walka pozycyjna“/Positionskampf, in: *„Tygodnik Mazowsze“, Nr. 8/1982). Bujak schlug vor, das gesellschaftliche Leben unabhängig vom Staat zu organisieren: Kampf um die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Betätigung in den Betrieben, gesellschaftliche Hilfskomitees in den Gemeinden, Verlagsanstalten im Untergrund, Aufbau einer unabhängigen Wissenschaft, Kultur und Bildung.

Am 22. April 1982 gründete er gemeinsam mit Władysław Frasyniuk, Władysław Hardek, Bogdan Lis und Eugeniusz Szumejko den *Provisorischen Koordinierungsausschuss (Tymczasowa Komisja Koordynacyjna; TKK), der die Gewerkschaft im Untergrund trotz Beibehaltung ihrer lockeren und föderalen Struktur leitete. Am 8. Mai schuf er gemeinsam mit Zbigniew Janas, Wiktor Kulerski und Zbigniew Romaszewski den *Regionalen Exekutivausschuss Masowien der *Solidarność (Regionalna Komisja Wykonawcza; RKW).

Bujak war ein entschiedener Gegner des Generalstreiks: „[…] bezogen auf den Charakter des Streiks (aktive Verteidigung) wäre es eine Revolution (die Machthaber zu stürzen). […] Dadurch würden Tausende Menschen geopfert, wofür ich nicht die Verantwortung übernehmen möchte“, schrieb er in einem Brief an Bogdan Lis (in: *„Tygodnik Mazowsze“, Nr. 15/1983). Schließlich sprach er sich doch für einen Generalstreik aus, sollte es zum Verbot der *Solidarność kommen, und beurteilte später sogar sein Zögern in dieser Frage als Fehler (siehe *„Tygodnik Mazowsze“, Nr. 69/1983).

In der Volksrepublik Polen wurde Bujak zu einer legendären Gestalt, die den Widerstand der *Solidarność symbolisierte, vor allem als es ihm gelang, nach seiner Verhaftung durch die Staatssicherheit Anfang 1983 erneut zu entkommen. Er wurde erst im Mai 1986 wieder gefasst. Der Staatsanwalt bereitete die Anklage („Vorbereitung des gewaltsamen Umsturzes des Systems“) vor, aber es kam nicht zum Prozess. Durch eine Amnestie kam er im September 1986 frei. In der Folgezeit wurde er immer wieder für jeweils 48 Stunden inhaftiert.

Am 29. September 1986 wurde Bujak Mitglied in dem offen agierenden, von Lech Wałęsa einberufenen Provisorischen Rat der *Solidarność (Tymczasowa Rada; TR). Einen Tag später erklärte er auf einer Pressekonferenz in Warschau, dass auch der *Regionale Exekutivausschuss Masowien seine offene Arbeit wieder aufnehmen würde. Als am 25. Oktober 1987 der *Landesexekutivausschuss (Krajowa Komisja Wykonawcza; KKW) der *Solidarność geschaffen wurde und an die Stelle des bisherigen *Provisorischen Koordinierungsausschusses und des Provisorischen Rates trat, gehörte Bujak ihm an. Gemeinsam mit 61 weiteren Personen, die von Lech Wałęsa vor der Polenreise Papst Johannes Pauls II. zusammengerufen worden war, unterschrieb er die Erklärung vom 31. Mai 1987, in der die grundlegenden Ziele der polnischen Opposition umrissen waren. Im Dezember 1988 wurde Bujak Mitglied des *Bürgerkomitees beim *Solidarność-Vorsitzenden (Komitet Obywatelski przy Przewodniczącym NSZZ „Solidarność“). Am 19. Februar wählte ihn der Provisorische Vorstand der *Solidarność Masowien (in dem unter anderem die Vertreter der Betriebskommissionen der Gewerkschaft zusammengeschlossen waren) zum Vorsitzenden der neu zusammengesetzten Regionalen Exekutivkommission.

1988 erhielt er gemeinsam mit Adam Michnik den Robert-Kennedy-Menschenrechtspreis. Im gleichen Jahr gründete er gemeinsam mit anderen eine Stiftung zur Unterstützung kinderreicher Familien im Ursus-Werk. Im Februar 1989 war er einer der Mitgründer der Polnisch-Ungarischen Solidarność.

Bujak wohnte 1989 den vertraulichen Gesprächen mit Vertretern der Regierungsseite in Magdalenka bei Warschau bei. Er nahm an den Verhandlungen des *Runden Tisches (6. Februar–5. April 1989) in der Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Sozialpolitik sowie in der Arbeitsgruppe für politische Reformen teil und war Mitvorsitzender der Unterarbeitsgruppen für gesellschaftliche Vereinigungen und territoriale Selbstverwaltung.

Bujak war 1989 einer der Gründungsväter von Agora, der Aktiengesellschaft, von der die heute größte überregionale polnische Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ (Wahlzeitung) herausgegeben wird. 1990 gehörte er der Bürgerbewegung Demokratische Aktion (Akcja Demokratyczna) an, ein Jahr später der Demokratisch-Gesellschaftlichen Bewegung (Ruch Demokratyczno-Społeczny). 1991–97 war Bujak Abgeordneter des Polnischen Sejm, dabei ab 1992 Mitglied der Partei Arbeitsunion (Unia Pracy), dessen stellvertretender Vorsitzender er 1993–97 war. Ab 1998 war er Mitglied der Freiheitsunion (Unia Wolności).

1998 schloss er sein Studium an der Fakultät für Politikwissenschaften und Journalismus an der Universität Warschau ab und war 1999–2001 Leiter der Hauptzollverwaltung.

Als Kandidat der Selbstverwaltungsunion (Unia Samorządowa) bei den Wahlen zum Warschauer Oberbürgermeister erhielt er 2002 nur etwa drei Prozent der Stimmen, woraufhin er sich aus dem politischen Leben zurückzog. Zbigniew Bujak ist Mitglied der Vereinigung „Freies Wort“ (Stowarzyszenie Wolnego Słowa), war 2014 an der Gründung des Bürgerkomitees „Solidarität mit der Ukraine“ (Komitet Obywatelski Solidarności z Ukrainą) beteiligt und lehrt unter anderem an der Warschauer Universität.

Ein Interview mit Zbigniew Bujak gibt es im Online-Dossier „40 Jahre Solidarność“.



Grzegorz Majchrzak
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 09/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.