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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Czuma, Andrzej

* 1938




Andrzej Czuma wurde 1938 in Lublin geboren. Sein Vater Ignacy Czuma war Professor für Staatsrecht an der Katholischen Universität Lublin. 1950 verurteilte man seinen Vater für dessen Zugehörigkeit zur antikommunistischen Organisation „Freiheit und Unabhängigkeit“ (Wolność i Niezawisłość; WiN) zu zehn Jahren Gefängnis, aus dem er 1953 entlassen wurde. Der Bruder seines Vaters, Walerian Czuma, war General in der polnischen Armee und kommandierte die Verteidigung Warschaus 1939.

1963 schloss Andrzej Czuma sein Jurastudium an der Fakultät für Rechts- und Verwaltungswissenschaften der Warschauer Universität ab. Er studierte außerdem Geschichte an der Katholischen Universität Lublin. Während des Studiums engagierte er sich in der studentischen Seelsorge. Er arbeitete als Justiziar im Ministerium für Infrastruktur und Transportwesen, später in der Kreisdirektion der polnischen Staatsbahn in Warschau.

1965 war Czuma an der Gründung einer geheimen antikommunistischen Organisation, die später unter dem Namen *Ruch (Bewegung) bekannt wurde, beteiligt. Weitere Gründungsmitglieder waren sein jüngerer Bruder Benedykt, Emil Morgiewicz, Stefan Niesiołowski und Marian Gołębiewski (ein ehemaliger Offizier der *Heimatarmee und Mitglied von „Freiheit und Unabhängigkeit“, der 1947 in einem Gerichtsprozess gegen die Leitung der Organisation zum Tode verurteilt worden war). Andrzej Czuma war einer der führenden Figuren in dieser Bewegung und leitete faktisch ihre Aktivitäten, bis sie 1970 von der Staatssicherheit zerschlagen wurde. Er war wesentlich für ihre politische Ausrichtung verantwortlich: Die Gruppe konzentrierte sich darauf, ihre Strukturen auszubauen, gab sich ein Programm, veröffentlichte eine Zeitschrift, verzichtete aber auf öffentliche Aktionen (Flugblätter, Hauswandparolen usw.). Während dieser Zeit benutzte er das Pseudonym „Antaba“. Zwei seiner anderen Brüder hatten ebenfalls Einfluss auf die Organisation und ihr Umfeld: sein Bruder Łukasz, der Universitätsdozent war, und der Jesuit und Hochschulseelsorger Hubert.

Zusammen mit Emil Morgiewicz und Stefan Niesiołowski verfasste Czuma 1968 ein Programm, das nach seinen Anfangswörtern „Die Jahre vergehen …“ (Mijają lata…) benannt wurde. Als ersten Punkt forderten sie die Unabhängigkeit Polens, worunter sie das Ende des kommunistischen Systems, die Herauslösung ihres Landes aus dem sowjetischen Block, die Einführung der Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte verstanden. Das Programm wurde auf dem IV. Kongress von *Ruch im Januar 1969 in Łódź angenommen.

Czuma unterstützte Emil Morgiewicz bei der Redaktion der seit Herbst 1969 erscheinenden *Ruch-Zeitschrift „Biuletyn“. Insgesamt wurden sechs Ausgaben herausgegeben. Czuma übernahm die Aufgabe, die Zeitschrift zu vervielfältigen und zu verteilen und schrieb mehrere Texte.

Schon während seines Studiums interessierte sich die Staatssicherheit für ihn. Zwischen Oktober 1962 und November 1963 wurde das private Umfeld von ihm und seinen beiden Brüdern Benedykt und Stanisław von der Staatssicherheit unterwandert. Stanisław war ebenfalls Mitglied von *Ruch. Aufgrund von Informationen des auf sie angesetzten Inoffiziellen Mitarbeiters Sławomir Daszuta leitete die Staatssicherheit im Oktober 1969 unter dem Namen „Rewident“ (Kontrolleur) einen Operativen Vorgang (OV) gegen Andrzej Czuma ein.

Czuma wurde am 20. Juni 1970 unmittelbar vor einer *Ruch-Aktion festgenommen, in der das Lenin-Museum im südpolnischen Poronin in Brand gesetzt werden sollte. „Die Aktion ‚Poronin‘ hatte symbolische Bedeutung. Sie sollte ein spektakuläres Zeichen des Protestes gegen die Unfreiheit sein, die der Kommunismus für Polen war und die sich in der Figur von Wladimir Iljitsch [Lenin] personifizierte. Die Aktion war so vorbereitet, dass wir unter keinen Umständen die Gesundheit oder das Leben anderer Menschen gefährdeten“, erinnerte sich Andrzej Czuma später.

Während der Ermittlungen verweigerte er mehrfach das Geständnis, obwohl ihm mit der Todesstrafe gedroht wurde. Czuma wurde im Rahmen des Prozesses gegen die Leitungsebene von *Ruch (21. September bis 23. Oktober 1971) verurteilt. Er war angeklagt, an den Vorbereitungen eines gewaltsamen Staatsstreiches beteiligt gewesen zu sein sowie eine illegale Organisation gegründet und geleitet zu haben. Czuma erhielt mit sieben Jahren Gefängnis die Höchststrafe. Eine Amnestie reduzierte 1974 seine Haftzeit auf fünf Jahre. Eine im In- und Ausland initiierte Kampagne für die Freilassung der *Ruch-Leitung trug dazu bei, dass Czuma im September 1974 schließlich aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Nach seiner Freilassung engagierte sich Czuma weiter im Untergrund: Im März 1977 war er einer der Gründer der Bewegung für Unabhängigkeit (Nurt Niepodległościowy), dessen Leitungsgremium „Romb“ (Rhombus) er (zusammen mit Jan Dworak, Maciej Grzywaczewski und Leszek Moczulski) angehörte. Er war außerdem an den Gesprächen zwischen der Bewegung für Unabhängigkeit und dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; *KOR) beteiligt, in denen beide Seiten Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausloteten. Als die Gespräche in einem Debakel endeten, war Czuma einer der Autoren und Unterzeichner des Appells „An die polnische Gesellschaft“ (Do społeczeństwa polskiego) vom 25. März 1977, der im Zusammenhang mit der Gründung der Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela; *ROPCiO) herausgegeben wurde. Neben Leszek Moczulski wurde Czuma einer der beiden Sprecher von *ROPCiO. Als es 1978 zu Konflikten zwischen den beiden gekommen war, leitete Czuma fortan den ihn unterstützenden Flügel von *ROPCiO.

Nachdem Czuma seit ihrer Gründung geheimes Redaktionsmitglied der Monatsschrift „Opinia“ (Meinung) gewesen war, arbeitete er ab April 1978 auch offiziell in der Redaktion mit. Er veröffentlichte dort gelegentlich seine Artikel, die er mit seinem vollen Namen oder mit seinen Initialen unterschrieb. Czuma wurde in das Präsidium des sogenannten Unterzeichnerrates gewählt, das aus seinen Anhängern bestand und die eigentliche Leitung von *ROPCiO darstellte. Andrzej Czuma führte die Bewegung bis zu ihrer Auflösung im Dezember 1981.

Im Oktober 1979 nahm er zusammen mit anderen Mitgliedern von *KOR an einem Hungerstreik in der Warschauer Heiligkreuz-Kirche teil, um die Bürgerrechtler der *Charta 77 in der Tschechoslowakei zu unterstützen. Czuma gehörte zu den Oppositionellen, die besonders harten Verfolgungen durch die Staatssicherheit ausgesetzt waren. Unzählige Male wurde er für 48 Stunden festgenommen. Nach einer Demonstration am 11. November 1989 in Warschau, auf der er zusammen mit Wojciech Ziembiński, Józef Janowski und Bronisław Komorowski öffentlich gesprochen hatte, wurde er von einem Sondergericht zu drei Monaten Haft verurteilt.

Nach der durch einen brutalen Milizeinsatz gegen die *Solidarność ausgelösten „Bromberger Krise“ (Kryzys bydgoski) übernahm Czuma im März 1981 auf Bitten der Kattowitzer *Solidarność die Funktion eines ständigen Beraters des Überbetrieblichen Gründungskomitees (Międzyzakładowy Komitet Założycielski) der *Solidarność. Er gründete und leitete die „Wiadomości Katowickie“ (Kattowitzer Nachrichten) des schlesischen *Solidarność-Regionalbüros. Sein wichtigstes Ziel war jedoch die Schaffung einer politischen Partei. Mitte 1981 engagierte er sich für die Gründung der Bewegung für Unabhängigkeit (Ruch Niepodległościowy), die auf Mitgliedern von *ROPCiO, der *Bewegung Junges Polen (Ruch Młodej Polskiej), der ehemaligen Oppositionsbewegung *Ruch, der Gewerkschaft *Solidarność und dem *Unabhängigen Studentenverband (Niezależne Zrzeszenie Studentów; NZS) basieren sollte. Dieser Versuch scheiterte Ende August 1981, vor allem aufgrund interner Streitigkeiten. Czuma konzentrierte sich daraufhin wieder auf die Arbeit in der Gewerkschaft *Solidarność.

Bei Ausrufung des Kriegsrechts wurde Czuma am 13. Dezember 1981 festgenommen und in den Lagern im Warschauer Stadtteil Białolęka und in Jaworze und Darłówko in Pommern interniert. Am 23. Dezember 1982 kam er wieder frei.

1983–85 organisierte er geheime Schulungen in Schlesien, unterstützte Verlage des sogenannten „Zweiten Umlaufs“ (Bezeichnung für den polnischen Samisdat). Er gehörte zwar keiner geheimen Gruppe an, kooperierte aber mit der Untergrundabteilung der *Solidarność und mit früheren Mitgliedern von *ROPCiO. 1985 emigrierte Czuma in die Vereinigten Staaten. Von dort aus sammelte er Geld für die polnische Opposition, unter anderem für die *Kämpfende Solidarność (Solidarność Walcząca), den *Unabhängigen Studentenverband und die Gewerkschaft *Solidarność.

Zurück im freien Polen, zog Czuma 2006 für die Partei „Bürgerplattform“ (Platforma Obywatelska) als Abgeordneter in das polnische Parlament ein, in dem er bis 2011 Abgeordneter blieb. 2009 war er Justizminister in der ersten Regierung Tusk sowie Generalstaatsanwalt, seit 2012 ist er Berater des polnischen Justizministers.


Piotr Byszewski
Aus dem Polnischen von Jonas Grygier
Letzte Aktualisierung: 11/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.