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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Eppelmann, Rainer

* 1943




Rainer Eppelmann wurde 1943 in Berlin geboren, sein Vater war Zimmermann, seine Mutter Schneiderin. Der Vater war bis 1945 Mitglied der SS, unter anderem als Kraftfahrer im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Nach 1945 fand er eine Ärztin, die ihm seine eintätowierte SS-Kennzeichnung wegoperierte. Eppelmanns Mutter arbeitete bis Kriegsende als Postbeamtin und war NSDAP-Mitglied. Von den Verbrechen des Nationalsozialismus wurde – wie in fast allen deutschen Familien – auch in der Familie Eppelmann nicht gesprochen. So erfuhr Rainer Eppelmann von den Funktionen seines Vaters im Konzentrationslager erst in einem Gespräch mit seiner Mutter in den 90er Jahren. Die Familie war entschieden antikommunistisch eingestellt. Rainer Eppelmann durfte deshalb zum Beispiel nicht Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ) werden. Bis August 1961 besuchte er das Johannes-Kepler-Gymnasium in West-Berlin. Mit dem Bau der Mauer lebte die Familie getrennt, sein Vater – der in West-Berlin zur Arbeit ging – kehrte nicht zur Familie zurück.

Für Kinder, die wie Rainer Eppelmann im Westen zur Schule gegangen waren, folgte eine „Zeit der Bewährung“, wie er in seiner Autobiografie schrieb; von einer weiteren Ausbildung waren sie zunächst ausgeschlossen. Eppelmann wurde zunächst Dachdeckerhilfsarbeiter. Nach dem Ende dieser „Strafzeit“ durfte er eine Maurerlehre beginnen. Anschließend gestattete man ihm eine Ausbildung an der Ingenieurschule für Bauwesen. Die dortige ideologisch gefärbte Ausbildung rief jedoch bei Eppelmann Ablehnung hervor. Er verließ die Einrichtung und arbeitete als Maurer. Selten habe er sich in der DDR so frei gefühlt, schrieb er im Rückblick.

Mit Ausnahme der Kommunalwahlen im September 1961, bei denen er demonstrativ mit Nein stimmte, gehörte Eppelmann generell zu den Nichtwählern. Erst in den späten 80er Jahren, als Bürgerrechtler zum Zweck der Aufdeckung von Wahlfälschungen gezielt in die Wahllokale gingen, beteiligte er sich wieder. 1964 verweigerte er den Wehrdienst an der Waffe und wurde Bausoldat, was zu dieser Zeit in der DDR gerade möglich geworden war und eine Ausnahme im gesamten Ostblock darstellte. Da er jedoch zusammen mit einem Freund das Gelöbnis verweigerte, das die Bausoldaten als Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA) ablegen mussten, wurde er zu acht Monaten Haft verurteilt. Eppelmann wollte nie in die Lage geraten, Befehle ausführen zu müssen, die er ablehnte. Er dachte dabei an seinen Vater.

Die Haftzeit in Greifswald, Neustrelitz und Ueckermünde habe ihn nicht gebrochen, denn er habe ja gewusst, weshalb er inhaftiert worden sei, schrieb Eppelmann im Rückblick. Nach Verbüßung der Haft musste er noch den Bausoldatendienst ableisten, das Gelöbnis jedoch nicht sprechen. Als er im Sommer 1967 zurück nach Ost-Berlin kam und seine Geschwister inzwischen durch Vermittlung der protestantischen Kirche im Westen lebten, versuchte er ebenfalls, seine Übersiedelung zu erreichen. Gegen den *Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei im August 1968 protestierte er mit einer Eintragung in das Kondolenzbuch der tschechoslowakischen Botschaft.

Da eine gemeinsame Ausreise mit seiner Verlobten und späteren Frau unmöglich war, entschieden sich beide für die DDR. Maurer wollte Eppelmann nicht bleiben und andere Ausbildungswege blieben ihm verschlossen, also entschied er sich zu einer Pfarrerausbildung. Es folgte seine „regierungsfreundlichste Zeit“. 1969 heiratete er und begann im September ein Studium der Theologie an der Predigerschule Paulinum. In der Ausbildung faszinierte ihn die Idee der Theologin Dorothee Sölle: Atheistisch an Gott glauben. Er machte sich dieses Konzept später zum Programm.

Während seiner Ausbildung arbeitete Eppelmann außerdem in der Jungen Gemeinde im Bezirk Hohenschönhausen mit. Als Vater von fünf Kindern schloss er 1975 seine Ausbildung ab und wurde Pfarrer in der Berliner Samaritergemeinde. Gleichzeitig übernahm er die Funktion eines Kreisjugendpfarrers in Berlin-Friedrichshain. Im November 1978 überlebte Eppelmann einen schweren Autounfall nur knapp.

In seiner Funktion als Kreisjugendpfarrer traf Eppelmann monatlich andere Kirchenmitarbeiter aus der Jugendarbeit zum Erfahrungsaustausch. Die Arbeit mit Jugendlichen, die keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hatten, war hier ständiges Thema. Als Eppelmann von Bluesmusikern angesprochen wurde, die in seiner Kirche auftreten wollten, erkannte er die Chance und konzipierte mit ihnen zusammen im Sommer 1979 die erste „Bluesmesse“. Rasch entwickelte sich diese Mischform aus Gottesdienst, Konzert, Laientheater und Informationsveranstaltung zu einem Riesenerfolg. Nur an wenigen anderen Orten der DDR wurde so frech gelacht und so offen gesprochen. Die Besucherzahl übertraf bald die der immer besonders gut besuchten Weihnachtsgottesdienste um ein Vielfaches. Aus der ganzen DDR kamen Jugendliche angereist. Die Bluesmessen mussten teilweise dreimal hintereinander durchgeführt werden. Die Organisation der Veranstaltungen und die Austragung von Konflikten mit dem Gemeindekirchenrat und den Leitungen der evangelischen Landeskirchen, die von SED und Staatssicherheit massiv unter Druck gesetzt wurden, damit sie Eppelmanns Arbeit beendeten, verliehen ihm schließlich ein politisches Renommee, das nur wenige ostdeutsche Dissidenten erreichten.

Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass Eppelmann Ratschläge von Robert Havemann, den er 1980 kennengelernt hatte, beherzigte. Havemann ermunterte ihn zum offensiven Umgang mit Journalisten und Diplomaten aus dem Westen, denn nur so könne er sich selbst schützen und die eigenen Auffassungen in der DDR popularisieren. An Havemanns Beispiel erkannte Eppelmann die Bedeutung von Öffentlichkeit in der Diktatur.

Seit dem ersten Treffen mit Robert Havemann kam es zu regelmäßigen Begegnungen mit ihm und seiner Frau Katja. Sie verabredeten im Sommer 1981, offene Briefe an den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew und an Erich Honecker zu schreiben, und formulierten gemeinsam den „Berliner Appell“, um der DDR-Friedensbewegung eine Plattform zu geben. Eppelmann wurde nach Veröffentlichung des Berliner Appells in den bundesdeutschen Medien am 9. Februar 1982 verhaftet. Da er bereits öffentlich bekannt war, bewirkten Proteste seine Freilassung bereits zum 12. Februar. Die Inanspruchnahme der Westmedien für die Popularisierung eigener Anliegen stieß in Eppelmanns Gemeinde wie in der Kirche insgesamt auf heftige Kritik. Am 9. April 1982 starb Robert Havemann. Eppelmann sprach an seinem Grab und betonte dabei das Vorbild Robert Havemanns für die Oppositionellen.

In der Folge war Eppelmann an der Organisierung und Unterstützung zahlreicher Aktivitäten kirchlicher Friedens- und Menschenrechtsgruppen beteiligt. Er wurde mehrmals in den Fortsetzungsausschuss des jährlichen Basisgruppentreffens „Frieden konkret“ gewählt. Seit dem Berliner Appell organisierte und unterstützte Eppelmann nicht nur Kontakte und den Austausch mit Kirchengemeinden im Westen wie im Osten, sondern hielt auch Kontakte zur westdeutschen Partei „Die Grünen“. Gleichzeitig entwickelte er die Gemeindearbeit weiter. Lesungen mit Autoren oder Ausstellungen mit Künstlern wurden in kirchliche Veranstaltungen integriert. 1983 schloss er mit Mient Jan Faber von der niederländischen Friedensorganisation „Interkirchlicher Friedensrat“ (Interkerkelijk Vredesberaad, IKV) einen persönlichen Friedensvertrag ab. In der Folge entstanden viele Friedensverträge der Samaritergemeinde mit Kirchengemeinden aus NATO-Ländern.

Eine gewisse Distanz hielt Eppelmann zu den bundesdeutschen Grünen ab November 1983. Durch eine vorgezogene Pressekonferenz der Partei scheiterte die Durchführung einer gemeinsamen und damit bewusst gesamtdeutsch angelegten Friedensdemonstration gegen die Aufstellung amerikanischer und sowjetischer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik und der DDR am 4. November 1983. In der DDR wurden die Beteiligten bereits auf dem Weg zur Demonstration verhaftet.

Eppelmanns Aktivitäten – zum Beispiel verteilte die Samaritergemeinde eine Informationsschrift mit etwa 500 Exemplaren in der ganzen DDR – und seine mediale Präsenz in den Westmedien riefen scharfe Reaktionen von Partei und Staatssicherheit auf die Kirche hervor. Nur wenn er freiwillig das Land verlasse, werde man ihn nicht verhaften und anklagen, wurde intern gedroht. Eppelmann weigerte sich zu gehen. Zu einem Prozess kam es nicht, jedoch zu offenen Zersetzungsmaßnahmen. So wurden beispielsweise in der Gemeinde Gerüchte über eine angebliche Liebesbeziehung von Eppelmanns Ehefrau verbreitet.

Eppelmanns Kontakte reichten in den 80er Jahren bis in die etablierten Parteien der Bundesrepublik hinein. So nahm er mehrere Male auf Einladung von Stefan Schwarz von der Jungen Union Rheinland-Pfalz an Festen des Bundeskanzlers teil. Außerdem nutzte er einen Kontakt zu Jürgen Schmude von der SPD zu einer Anfrage an den Parteivorstand der bundesdeutschen Sozialdemokraten, wie diese zu einer Neugründung der SPD in der DDR stünde. Er erhielt keine Antwort. Es war letztlich nicht nur Eppelmanns Verankerung in seiner Gemeinde und in der evangelischen Kirche, die SED und Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zögern ließen, ihn auszubürgern oder anzuklagen, sondern auch seine Beziehungen zu bundesdeutschen Parteien. In seiner Stasi-Akte fand Eppelmann nach dem Zusammenbruch der DDR die Bemerkung, seine Position sei „auch durch nicht zu unterschätzende politische Rückendeckung und Unterstützung z. T. höchstrangiger Politiker der BRD ... ungleich schwerer zu erschüttern als in der Vergangenheit.“

Die Kontakte, die Eppelmann schützten, wurden von einigen DDR-Oppositionellen kritisch betrachtet. Insbesondere seine Kontakte zur bundesdeutschen CDU galten als suspekt. Die Kritik nahm zu, als er im Herbst 1989 die Gruppe Demokratischer Aufbruch mitgründete, die bei den ersten freien Wahlen in der DDR im März 1990 zusammen mit den anderen Organisationen der Allianz für Deutschland (CDU, DA, DSU) die Mehrheit der Stimmen erhielt, und er dann in der Regierung de Maizière Abrüstungs- und Verteidigungsminister wurde: „Eppelmann treibt uns in die NATO“, hatten zum Beispiel Unbekannte an das Gemeindehaus der Samaritergemeinde gesprüht. Zuvor hatte Eppelmann am Zentralen Runden Tisch mitverhandelt und war in der Regierung Modrow zusammen mit anderen Bürgerrechtlern Minister ohne Geschäftsbereich gewesen.

Nach der Wiedervereinigung war Eppelmann von Oktober 1990 bis September 2005 Abgeordneter der CDU im Deutschen Bundestag. 1992–94 hatte er den Vorsitz der Bundestags-Enquetekommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ inne. Auch den Vorsitz der Nachfolgekommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ (1994–98) übte er aus. Beide Kommissionen haben die Auseinandersetzung und Beschäftigung mit der kommunistischen Diktatur in Deutschland erheblich vorangetrieben und auch international für große Aufmerksamkeit gesorgt. Eppelmann war überdies 1994–2001 Bundesvorsitzender des CDA (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft in der CDU), dessen Ehrenvorsitzender er nach wie vor ist. Seit ihrer Gründung 1998 ist er Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.


Martin Jander
Letzte Aktualisierung: 08/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.