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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Gudawa, Tengis

* 1953 ✝ 2009




Tengis Gudawa wurde 1953 in der westgeorgischen Stadt Samtredia geboren. Seine Eltern waren Ingenieure und bei der Tifliser U-Bahn beschäftigt. Gudawa besuchte das mathematische Gymnasium und schloss es 1971 mit Auszeichnung ab. Darüber hinaus erhielt er eine musikalische Ausbildung.

1972 nahmen die Brüder Tengis und Eduard Gudawa ein Studium am 2. Moskauer Medizin-Institut auf. Eine von ihnen gegründete Rockband erlangte bei Studenten große Beliebtheit. Die Parteileitung aber war der Meinung, die Band trage zur „Demoralisierung der sowjetischen Jugend“ bei, und verhängte ein Auftrittsverbot. 1978, in ihrem letzten Studienjahr, wurden die Brüder unter dem Vorwurf von Spekulationsgeschäften festgenommen. Die wahren Gründe jedoch sah Tengis Gudawa in den unerlaubten Kontakten der Brüder zu Ausländern, ihrer „antisowjetischen Rockmusik“ und ihrer Weigerung mit dem KGB zusammenzuarbeiten.

Am 5. Dezember 1978 verurteilte das Rajon-Gericht Leninski im Oblast Woronesch Tengis und Eduard Gudawa nach Artikel 154, Paragraf 2 Strafgesetzbuch der RSFSR zu vier Jahren Straflager unter verschärften Haftbedingungen. Im Strafgefangenenlager Lipezk schrieb Tengis Gudawa die Dokumentarerzählung „Prestupniki ili istorija odnoj sovetskoj sem‘i“ (Verbrecher – oder die Geschichte einer sowjetischen Familie). Das später überarbeitete Werk verbreitete er mit der Unterstützung seines Bruders und seiner Mutter im Samisdat. Das Studium durfte er nach seiner Entlassung aus der Haft nicht fortsetzen. Er arbeitete als Nachtwächter, Feuerwehrmann, Sanitäter und Briefträger.

Anfang 1981 entschlossen sich Gudawa, seine Frau, sein Bruder und seine Mutter die sowjetische Staatsbürgerschaft zu verzichten und die Ausreise aus der UdSSR zu beantragen. Sie nahmen Kontakt zur Menschenrechtsorganisation *Amnesty International und zu westlichen Diplomaten auf, was eine offene Verfolgung durch den KGB zur Folge hatte. Am 19. November 1982 verfassten sie ein jeweils gleichlautendes Schreiben an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR, in dem es hieß: „Hiermit erkläre ich öffentlich, dass ich die Staatsordnung, die Staatsideologie, die Innen- und Außenpolitik und die Theorie und Praxis der Gesetzgebung der UdSSR, ebenso wie die sowjetische Ordnung, Wirklichkeit und Lebensart ablehne. Ein Leben im Konflikt mit der eigenen Staatsbürgerschaft halte ich für unmöglich. Daher gibt es für mich keinen Weg, freiwillig und ohne Zwang, weiterhin ein Staatsbürger der UdSSR zu bleiben.“ Nach Absendung der Briefe, suchten die Gudawas die britische Botschaft in Moskau auf, bei deren Verlassen sie von der Miliz verhaftet wurden. Bereits 16 Stunden später erfolgte die Überführung der beiden Brüder nach Tiflis. Nach Moskau zurückzukehren wurde ihnen untersagt und der Familie eine Ausreisegenehmigung verweigert. Sie befand sich fortan unter ständiger Überwachung durch KGB und Innenministerium. Versuche, westliche Journalisten zu treffen, wurden gewaltsam unterbunden. Am 21. Januar 1985 organisierten die Gudawas vor der Passbehörde des georgischen Innenministeriums eine Protestaktion gegen die Verweigerung ihrer Ausreise. Auf einem Plakat forderten sie: „Gebt uns einen Grund für die Ablehnung!“

Zusammen mit dem ehemaligen politischen Gefangenen Emmanuil (Enriko) Twaladse unternahmen Tengis und Eduard Gudawa im Frühjahr 1985 einen Wiederbelebungsversuch der *Georgischen Helsinki-Gruppe. Am 13. Mai 1985 wurde Gudawas Mutter auf dem Tifliser Flughafen festgenommen. Bei einer Durchsuchung von Gudawas Wohnung wurde ein Appell der 1984 von ihm und seinem Bruder sowie weiteren *Otkazniki in Tiflis gegründeten Rockband „Phantom“ beschlagnahmt. In dem an westliche Musikerkollegen gerichteten Aufruf schlug die Gruppe gemeinsame Konzerte anlässlich des zehnten Jahrestages der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki vor. Konfisziert wurden auch das Manuskript von Gudawas autobiografischer Dokumentarerzählung „Prestupniki“ (Verbrecher), mehrere Gedichte sowie Manuskripte religionsphilosophischer und juristischer Texte, wie „O pervičnosti materii i konečnych rezultatach“ (Über die Ursprünglichkeit der Materie und die letzten Resultate) oder „Vychod iz graždanstva“ (Verzicht auf die Staatsbürgerschaft). Nach der Wohnungsdurchsuchung leiteten die zuständigen Stellen des KGB ein Strafverfahren gegen Gudawa ein. Am 28. Juni 1985 wurde er verhaftet und am 20. Juni 1986 vom Obersten Gericht der Georgischen SSR gemäß Artikel 71a Strafgesetzbuch der Georgischen SSR (entspricht *Artikel 70, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu sieben Jahren Straflager unter verschärften Haftbedingungen und zu drei Jahren Verbannung verurteilt. Der ebenfalls beschuldigte Twaladse wurde zu fünf Jahren Haft und drei Jahren Verbannung verurteilt. Nach einem halben Jahr im Straflagerkomplex der *Permer Lager wurde Gudawa nach Georgien verlegt und im Zuge der von Gorbatschow eingeleiteten Amnestie für politische Gefangene im April 1987 vorzeitig aus der Haft entlassen.

Gudawa engagierte sich in der nationalen Befreiungsbewegung und wurde Mitglied der von Giorgi Tschanturia angeführten *National-Demokratischen Partei. Schon bald erhielt er eine Ausreisegenehmigung und emigrierte im Sommer 1987 mit seiner Familie in die USA. Dort hielt er Vorlesungen an Universitäten, arbeitete für die Menschenrechtsorganisation Center for Democracy und war einer der Gründer der internationalen Organisation ehemaliger politischer Gefangener Democracy and Independence. Er wurde Mitglied des Vorstands und Chef des Auslandsbüros der *National-Demokratischen Partei sowie Auslandsvertreter der *Georgischen Helsinki-Gruppe. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit Swiad Gamsachurdia gab er diese Ämter nur kurze Zeit später auf. Ab 1989 arbeitete er für die russische Sektion von *Radio Liberty und war hier als Redakteur für Sendungen zu Menschenrechts- und Nationalitätenfragen tätig. 1996 verlieh ihm die in New York erscheinende Zeitung „Novoje Russkoje Slovo“, wo auch seine Erzählung „Laguna“ (Die Lagune) erschien, den Preis „Kommentator des Jahres“.

Ab 1995 war Tengis Gudawa verantwortlicher Redakteur für die Sendung „Kaukasus und Zentralasien“ von *Radio Liberty und lebte in Prag, wo er am 16. April 2009 unter unklaren Umständen ums Leben kam.



Guram Sosselia
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 08/18

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.