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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Havel, Václav

* 1936 ✝ 2011




Václav Havel wurde 1936 in Prag als Kind bekannter Unternehmer geboren, deren Eigentum nach der kommunistischen Machtübernahme verstaatlicht wurde. Da er nach Abschluss der Mittelschule keinen Platz an der Oberschule erhielt, begann Havel eine Ausbildung zum Zimmermann, wechselte dann aber zu einer Ausbildung als Chemielaborant. Parallel dazu besuchte er ein Abendgymnasium, das er 1954 abschloss. Nachdem Havel an keiner humanistisch ausgerichteten Hochschule einen Studienplatz erhalten konnte, entschied er sich für ein Wirtschaftsstudium. Nach dem zweiten Studienjahr an der ökonomischen Fakultät der Tschechischen Polytechnischen Hochschule in Prag begann Havel 1957 seinen Grundwehrdienst und wurde einem Pionierregiment zugeteilt. In der Armee gründete er gemeinsam mit Karel Brynda eine Theatergruppe.

Nach Ende des Armeedienstes arbeitete Václav Havel zunächst als Techniker in Prag am „Theater ABC“ und ab 1960 im „Theater am Geländer“ (Divadlo na zábradlí), das von Ivan Vyskočil geleitet wurde. 1963 war er außerdem Regieassistent bei mehreren Inszenierungen von Alfréd Radok an den Prager Städtischen Bühnen. Václav Havel begann, eigene Theaterstücke zu schreiben. Im „Theater am Geländer“ fanden die Premieren seiner ersten Stücke statt: Anfang 1963 „Das Gartenfest“ (Zahradní slavnost) und im Juli 1965 „Das Memorandum“ (Vyrozumění). Havel arbeitete eng mit dem künstlerischen Direktor Jan Grossman zusammen.

1964 heiratete Havel Olga Šplíchalová. Im folgenden Jahr wurde er Redaktionsmitglied der Monatszeitschrift des Tschechoslowakischen Schriftstellerverbands *„Tvář“ (Gesicht). Auf einer Konferenz des Verbandes im Mai 1966 hielt Havel eine kritische Rede über dessen Arbeit und die Diskriminierung einzelner Schriftsteller. 1962–66 absolvierte er ein Fernstudium der Dramaturgie an der Theaterfakultät der Akademie der musischen Künste in Prag. Als Abschlussarbeit seines Studiums schrieb er einen Kommentar zu seinem Stück „Eduard“, der später die Grundlage des Dramas „Erschwerte Möglichkeit der Konzentration“ (Ztížená možnost soustředění) wurde, das im April 1968 im „Theater am Geländer“ Premiere hatte.

Nachdem Havel im Juli 1967 eine zweite kritische Rede auf dem IV. Tschechoslowakischen Schriftstellerkongress gehalten hatte, wurde er auf Anweisung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (KPČ) gemeinsam mit Ivan Klíma, Pavel Kohout und Ludvík Vaculík von der Kandidatenliste für den Vorstand des Schriftstellerverbands gestrichen. Im März 1968 war er Mitunterzeichner eines offenen Briefs von 150 Schriftstellern und Kulturschaffenden an das ZK der KPČ mit Forderungen nach Demokratisierung, im April wurde er zum Vorsitzenden des Klubs unabhängiger Schriftsteller gewählt und Mitglied des *Klubs engagierter Parteiloser (Klub angažovaných nestraníků; KAN). Zu den Premieren seines Stückes „Das Memorandum“ hielt sich Havel im Mai und Juni 1968 in New York und Westeuropa auf. Nach seiner Rückkehr entschied er sich, die Anstellung als Dramaturg am „Theater am Geländer“ aufzugeben.

Während des *Einmarsches von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei am 27. August schrieb Havel Kommentare für das Programm des Tschechoslowakischen Radios in Liberec und beteiligte sich an den Protesten gegen die Besetzung des Landes. Im Herbst 1968 übernahm er die Funktion des Redaktionsleiters der reaktivierten Zeitschrift *„Tvář“, die zuvor auf Druck der KPČ-Führung eingestellt worden war. Anfang August schrieb er einen offenen Brief an Parteichef Alexander Dubček und zählte außerdem zu den zehn Verfassern des am 21. August 1969 herausgegebenen Aufrufs „Zehn Punkte“ (Deset bodů), der sich gegen die Politik der sogenannten *„Normalisierung“ richtete. Im Herbst wurde Havel zusammen mit anderen Unterzeichnern verhört und anschließend wegen angeblich krimineller staatsfeindlicher Tätigkeiten angeklagt. Das Verfahren wurde jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. Anfang der 70er Jahre erhielt er wie auch viele andere Publikationsverbot und seine Bücher wurden aus allen Bibliotheken der ČSSR entfernt.

Im Dezember 1972 verfasste Havel gemeinsam mit 35 Schriftstellern eine Petition an den neuen Parteichef Gustáv Husák, in der sie eine Amnestie für alle politischen Gefangenen forderten. Im April 1975 schrieb er einen offenen Brief an den mittlerweile zum Staatspräsidenten ernannten Husák, in dem er auf die zunehmenden sozialen Konflikte in der tschechoslowakischen Gesellschaft hinwies. Dieser Brief zirkulierte in zahlreichen Kopien. Am 1. November 1975 fand in Prag-Horní Počernice die Premiere von Havels Adaption der „Beggar’s Opera“ statt, die durch Andrej Kobas alternatives Amateurtheater „Na tahu“ (Auf Tour) aufgeführt wurde. Ende 1975 geründete Václav Havel den unabhängigen Verlag *Expedice (Expedition), in dem Werke von tschechoslowakischen und ausländischen Autoren erschienen.

Im August 1976 richtete Havel zusammen mit Jiří Němec, Jaroslav Seifert und fünf anderen Schriftstellern und Philosophen einen Brief an den Nobelpreisträger und früheren Vorsitzenden des Internationalen PEN-Clubs, Heinrich Böll, mit der Bitte um Solidarität für die verurteilten Mitglieder der Musikbands „Plastic People oft the Universe“ und „DG 307“. Dieser Prozess sowie die Schlussakte von Helsinki, die in der Tschechoslowakei im Herbst desselben Jahres in Kraft trat, waren wichtige Impulse für die Zusammenarbeit zwischen bisher voneinander isolierten Gruppen von Schriftstellern, Häftlingen aus der Zeit der Niederschlagung des *Prager Frühlings, christlichen Gruppen, alternativen Künstlern und anderen. Als ein Resultat dieser Zusammenarbeit entstand die *Charta 77. Deren erste Erklärung wurde von Václav Havel, Pavel Kohout, Zdeněk Mlynář und Jan Patočka gemeinsam formuliert und am 1. Januar 1977 veröffentlicht. Zusammen mit Jan Patočka und Jiří Hájek war Václav Havel einer der ersten drei Sprecher der *Charta 77. Genau wie die übrigen Sprecher und die überwiegende Mehrzahl der Unterzeichner der Charta-Erklärung wurde Havel wiederholt durch den Staatssicherheitsdienst verhört. Vom 14. Januar bis zum 20. Mai 1977 befand er sich unter dem Vorwurf angeblicher „antistaatlicher Tätigkeit“ in Untersuchungshaft, während ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet wurde. Nach seiner Freilassung verzichtete Havel wegen der massiven Kampagne, die gegen seine Person in den tschechoslowakischen Medien losgetreten worden war, auf die Position des Sprechers der *Charta 77.

Am 1. Oktober 1977 fand in Havels Sommerhaus in Hrádeček bei Trutnov das dritte „Festival der unabhängigen Kultur“ statt. Noch im gleichen Monat wurde er zu 14 Monaten Freiheitsentzug und drei Jahre auf Bewährung für den angeblichen Versuch verurteilt, Staatsinteressen im Ausland zu beschädigen. Ende Januar 1978 wurde er zusammen mit anderen Unterzeichnern der Charta-Erklärung verhaftet und blieb bis zum 13. März in Untersuchungshaft. Am 27. April 1978 gründete sich nach monatelangen Vorbereitungen das *Komitee zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten (Výbor na obranu nespravedlivě stíhaných; VONS), zu dessen Gründungsmitgliedern Havel gehörte. Im August und September nahm er an Treffen mit polnischen Oppositionellen an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze im Riesengebirge teil.

Im Oktober verfasste Havel seinen bekanntesten Essay „Versuch, in der Wahrheit zu leben“ (Originaltitel: „Moc bezmocných“ / Die Macht der Ohnmächtigen). Darin zeichnet Havel das Bild vom Niedergang des Menschen im „posttotalitären System“, von Korruption, Heuchelei und Unterdrückung. Er stellt die Frage, wer Dissidenten sind, woher sie stammen, welchen Sinn ihre Einstellung hat und wo letztendlich die Quellen der Macht der „Ohnmächtigen“ liegen könnten. Seine Antwort lautet: im Dienst an der Wahrheit, die im posttotalitären System „die Rolle eines ‚Machtfaktors‘, ja einer ‚politischen Kraft‘“ spielt. Die Aufgabe der Dissidenten sieht er darin, aus dem „Leben in Lüge“ herauszutreten und die „‚verborgene Sphäre‘ der wirklichen Intentionen des Lebens“ und „seiner ‚verborgenen Aufgeschlossenheit‘ der Wahrheit gegenüber“ auszumachen.Weiter schreibt er: „Die Konfrontation dieser ‚oppositionellen Kraft‘ mit der bestehenden Macht hat freilich eine grundsätzlich andere Form als in einer offenen Gesellschaft oder in einer ‚klassischen‘ Diktatur: Es ist ursprünglich keine Konfrontation auf der Ebene der faktischen, institutionalisierten und quantifizierbaren Macht mit Hilfe dieser oder jener direkter Machtinstrumente, sondern auf einer ganz anderen Ebene – auf der Ebene des menschlichen Bewußtseins und Gewissens, auf der existentiellen Ebene. [...] Die verborgenen Bewegungen, die sie da hervorruft, können aber – und es ist schwierig, im voraus auszurechnen, wann, wo, wie und in welchem Ausmaß – in etwas Sichtbares übergehen: In eine reale politische Tat oder ein Ereignis, in eine gesellschaftliche Bewegung, in einen plötzlichen Ausbruch der Unzufriedenheit der Bürger, in einen scharfen Konflikt innerhalb der bisher scheinbar monolithischen Machtstruktur oder einfach in einen unaufhaltsamen Wechsel des gesellschaftlichen und geistigen Klimas.“

Von November 1978 bis Februar 1979 war Havel erneut zusammen mit Ladislav Hejdánek Sprecher der *Charta 77. Am 29. April wurde er zusammen mit anderen Mitgliedern des *Komitees zur Verteidigung der zu Unrecht Verfolgten im Rahmen der Staatssicherheits-Aktion „Kmen“ (Stamm) verhaftet und anschließend wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ angeklagt. Im Prozess gegen die „Gruppe Petr Uhl“ zu der Jiří Dienstbier, Otka Bednářová, Václav Benda und Dana Němcová gehörten, wurde Havel im Oktober 1979 zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Er saß ab Januar 1980 im Gefängnis Heřmanice bei Ostrava und ab Juli 1981 in der Strafvollzugsanstalt Bory bei Pilsen. In Haft schrieb Havel im März 1983 den Essay „Identitätskrise“ (Krize identity). Im Januar 1983 veröffentlichte Jan Lopatka im Samisdat Auszüge aus 144 Briefen, die Havel zwischen Juni 1979 und September 1982 aus dem Gefängnis an seine Frau geschrieben hatte („Briefe an Olga“/Dopisy Olze). Da Havel im Januar 1983 an einer schweren Lungenentzündung erkrankte, wurde er in das Gefängniskrankenhaus nach Prag gebracht. Anfang Februar wurde seine Strafe ausgesetzt und er konnte sich im Krankenhaus „Pod Petřínem“ behandeln lassen.

Auch in den folgenden Jahren arbeitete Havel wieder für die *Charta 77 und schrieb weitere Theaterstücke: „Largo desolato“ (1984), „Versuchung“ (Pokušení; 1985), „Sanierung“ (Asanace; 1987); außerdem Essays: „Politik und Gewissen“ (Politika a svědomí; 1984), „Über den Sinn der Charta 77“ (O smyslu Charty 77; 1986) und viele weitere Texte. Im August 1987 nahm Havel am nächsten Treffen mit der polnischen Opposition an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze teil. Am 3. September 1988 trat er nach 19-jähriger Pause erstmals öffentlich auf dem Folk-Festival in Lipnice auf. Er beteiligte sich auch an der Vorbereitung des Manifestes „Demokratie für alle“ (Demokracie pro všechny) der *Bewegung für Bürgerfreiheit (Hnutí za občanskou svobodu; HOS), welches im Oktober 1988 veröffentlicht wurde.

Havel war eines der Gründungsmitglieder des *Tschechoslowakischen Helsinki-Komitees, das am 5. November 1988 entstand. Außerdem übernahm er den Vorsitz des Organisationskomitees für das Symposium „Tschechoslowakei 1988“, das bereits am 11. November 1988, dem ersten Sitzungstag, durch die Sicherheitsorgane aufgelöst wurde. Havel wurde für mehre Tage inhaftiert.

Am 16. Januar 1989, dem Jahrestag der Selbstverbrennung von Jan Palach, wurde Havel erneut inhaftiert, als er zusammen mit anderen Oppositionellen Blumen für Palach an der Prager Wenzel-Statue niederlegte. Am 21. Februar erfolgte das Urteil wegen „Anstiftung und Behinderung der Dienstausübung eines Mitarbeiters der staatlichen Gewalt“: neun Monate Gefängnis. Ein Berufungsgericht revidierte zwar das erste Urteil, verkürzte das Strafmaß jedoch nur um vier Wochen. Im Mai wurde die verbleibende Haft auf Bewährung für 18 Monate ausgesetzt. Im Juni schrieb Havel den Essay „Ein Wort über das Wort“ (Slovo o slovu) und war Mitautor der Erklärung *„Einige Sätze“ (Několik vět), die am 29. Juni veröffentlicht und während des Sommers von mehreren tausend Bürgern unterzeichnet wurde. Von September bis November 1989 vertrat er Saša Vondra als Sprecher der *Charta 77, nachdem dieser verhaftet worden war.



Zwei Tage, nachdem in Prag die friedliche *Studentendemonstration am 17. November 1989 brutal auseinandergetrieben wurde, gründete sich im „Činoherní klub“ (Schauspielklub) das *Bürgerforum (Občanské fórum; OF), das alle Persönlichkeiten vereinigte, die einen grundlegenden politischen Wandel in der Tschechoslowakei unterstützten. Das *Bürgerforum war gemeinsam mit der *Öffentlichkeit gegen Gewalt (Verejnosť proti násiliu; VPN) im slowakischen Landesteil die treibende Kraft in der *Samtenen Revolution.

Václav Havel war als bekanntester Vertreter der Opposition auch Gesicht und Symbolfigur des Umsturzes vom Herbst 1989. Als das kommunistische Regime im November unter den Massendemonstrationen im ganzen Land innerhalb weniger Tage zusammenbrach, forderten die Menschen nicht nur Demokratie und Freiheit, zunehmend erklang auch der Ruf „Havel auf die Burg!“ – gemeint war der Sitz der Staatsführung auf dem Prager Hradschin. Am 29. Dezember 1989 wählte das Parlament, die Föderalversammlung, den noch Anfang des Jahres inhaftierten Regimegegner und Dissidenten Václav Havel zum Präsidenten der Tschechoslowakei. In seiner Antrittsrede kündigte er freie Wahlen an, die im Juni 1990 stattfanden. Die nunmehr frei gewählte Föderalversammlung bestätigte Havel im Amt des Staatspräsidenten. Zwei Jahre später, am 20. Juli 1992, trat er aus Protest gehen die Teilung der tschechoslowakischen Föderation von diesem Amt zurück, was die Teilung des Landes jedoch nicht aufhalten konnte. Am 26. Januar 1993 wurde Havel durch die Abgeordnetenkammer, das Tschechische Parlament, zum ersten Präsidenten der nunmehr eigenständigen Tschechischen Republik gewählt, was er bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Februar 2003 blieb.

Am 18. Dezember 2011 starb Václav Havel auf seinem Landsitz im nordböhmischen Hrádeček.


Luboš Veselý
Aus dem Polnischen von Tim Bohse
Letzte Aktualisierung: 06/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.