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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Józef, Jan

* 1926 ✝ 1991




Jan Józef Lipski wurde 1926 in Warschau geboren. 1942/43 gehörte er zu den konspirativen Pfadfindereinheiten „Graue Reihen“ (Szare Szeregi), die mit der *Heimatarmee (Armia Krajowa; AK) zusammenarbeiteten. Ab 1943 kämpfte er in der *Heimatarmee im Regiment „Baszta“ und nahm am Warschauer Aufstand teil.

1948 war Lipski einer der Gründer eines Selbstlernzirkels für Gymnasiasten, dann eines informellen Diskussionskreises, dem vor allem Studierende der Polonistik an der Universität Warschau angehörten. Der Klub nannte sich „Klub der Neopickwicker“. 1951–53 beteiligte er sich an einem halbkonspirativen Diskussionsklub, der jedoch nach der Verhaftung eines der Mitglieder (Czesław Czapów) durch den Staatssicherheitsdienst seine Tätigkeit einstellen musste. Die Weltanschauung Lipskis wurde durch neopositivistische Einflüsse geprägt.

1952–59 arbeitete er im Staatlichen Verlagsinstitut (Państwowy Instytut Wydawniczy), wo er nach seinem Studienabschluss in Polonistik einige Jahre lang (1955–59) Leiter der Redaktion für Klassische Polnische Literatur war. Im Herbst 1956 übernahm Lipski das Kulturressort der Wochenzeitschrift „Po prostu“ (Geradeheraus), die die Veränderungen des *Oktobers 1956 unterstützte. Dort veröffentlichte er auch einige politische Beiträge.

Anfang 1956 trat er in den *Klub des Krummen Kreises (Klub Krzywego Koła; KKK) ein, dessen Vorsitzender er von Februar 1957 bis Februar 1958 war. 1958–62 war er Sekretär und Vizevorsitzender des KKK und eine von dessen prägendsten Persönlichkeiten. Zu seinen Mitstreitern im Klub gehörten unter anderen Aleksander Małachowski, Witold Jedlicki, Czesław Czapów, Jan Olszewski und Anna Rudzińska.

Lipski pflegte 1957/58 intensive Kontakte zu Jerzy Giedroyc, dem Redakteur der in Paris erscheinenden Exilzeitschrift *„Kultura“, der Lipski und dessen Umfeld als ihren wichtigsten Partner innerhalb Polens ansah. Lipski stellte die Tätigkeit des KKK auf eine breite Basis. Dazu gehörte die Zusammenarbeit mit Arbeiterräten, die Förderung von Kultur, die Etablierung eines Verlags. Als der politische Wind 1958 wieder rauer wurde (das Regime hatte unter anderen die KKK-Mitstreiterin Anna Szarzyńka-Rewska verhaftet und ihr wegen der Zusammenarbeit mit Giedroyc den Prozess gemacht), wurden alle diese Projekte auf Eis gelegt.

1959 hielt Lipski ein Referat über die totalitären Züge des National-Radikalen Lagers „Falanga“ in den 30er Jahren und dessen Vorsitzenden Bolesław Piasecki. Als Reaktion darauf verlor er seine Arbeit im Staatlichen Verlagsinstitut. Er bemühte sich, die Kontakte zu den Mitgliedern des 1962 vom Staat aufgelösten KKK aufrechtzuerhalten und wurde schon allein dadurch zum Bestandteil eines Kreises von Intellektuellen, die der Staatsmacht gegenüber kritisch eingestellt waren. Lipski pflegte enge Kontakte zu Vertretern der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) aus der Vorkriegszeit, zu Genossenschaftlern, ehemaligen Kameraden aus der *Heimatarmee, zu jungen Katholiken aus dem Umfeld der Zeitschrift „Więź“ und der *Klubs der Katholischen Intelligenz (Kluby Inteligencji Katolickiej; KIK) wie auch zu Polonisten, Literaten, Soziologen und Verlagsredakteuren. Gemeinsame Grundlage dieses Kreises aus Persönlichkeiten ganz verschiedener Milieus war die ablehnende Haltung gegen die Beschneidung des Rechts und der Freiheit, aber auch gegen nationalistische Tendenzen. Anlässe für Treffen waren unter anderem die Namenstagsfeiern Lipskis.

1960 trat Lipski dem Bund Polnischer Literaten bei, leitete 1960/61 die Kulturabteilung der Zeitschrift „Gromada – Rolnik Polski“ und arbeitete 1961–82 im Institut für Literarischen Forschungen (Instytut Badań Literackich) der Polnischen Akademie der Wissenschaften. 1962–81 und 1986–88 war er Vorsitzender der geheimen Freimaurerloge „Kopernikus“.

Lipski war – neben dem Dichter Antoni Słonimski – einer der Initiatoren des *Briefes der 34 an Premierminister Cyrankiewicz, mit dem Schriftsteller und Wissenschaftler im März 1964 gegen die Verschärfung der Zensurbestimmungen und gegen die weitere Limitierung der Papierzuteilung für Bücher protestierten. Obwohl er den Brief selbst nicht unterzeichnete (er erachtete sich selbst als zu wenig bedeutend), sammelte er Unterschriften, woraufhin er am 23. März 1964 nach einer Wohnungsdurchsuchung für 48 Stunden in Polizeigewahrsam genommen wurde. Anschließend wurde gegen ihn ein Publikationsverbot verhängt.

1965 sorgte Lipski nach der Verhaftung von Jacek Kuroń und Karol Modzelewski dafür, dass der Wortlaut von deren „Offenem Brief an die Mitglieder der Partei“ an Jerzy Giedroyc in Paris übermittelt wurde, der den Text abdruckte. Lipski sammelte unter Kulturschaffenden auch Spenden zur Unterstützung der Familien der Inhaftierten. Auch für weitere Verhaftete organisierte er materielle Hilfe, so unter anderem für Janusz Szpotański, der im Gefängnis landete, weil er im Rahmen privater Feiern die satirische Oper „Cisi i gęgacze czyli bal u Prezydenta“ (Die Stillen und die Gänse oder Ball beim Präsidenten) zur Aufführung gebracht hatte (mit der Bezeichnung „Präsident“ war Lipski gemeint). In den folgenden Jahren erhielten noch weitere Gefangene aus verschiedenen oppositionellen Gruppen finanzielle Hilfe und Unterstützung. Lipskis Einsatz ist es auch zu verdanken, dass die Finanzhilfe für Oppositionelle ab 1968 von der Barmherzigkeitsseelsorge unterstützt wurde. 1974 stellte der Schriftsteller Melchior Wańkowicz die beträchtliche Summe von 8.000 Dollar für diese Zwecke zur Verfügung.

Lipski hat wesentlich zur Entwicklung verschiedener Widerstandsformen der demokratischen Opposition beigetragen. Dazu gehörte unter anderem die Anwesenheit allgemein anerkannter und geschätzter Persönlichkeiten, beispielsweise von Professoren und Dichtern bei politischen Prozessen (zum ersten Mal im Prozess gegen Szarzyńska-Rewska), was Staatsanwälte und Richter einer gewissen Peinlichkeit aussetzte. Eine weitere Widerstandsform waren Petitionen zur Durchsetzung von bürgerlichen Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit (das erste Schreiben dieser Art war der *Brief der 34). Wichtig war auch die konspirative Sammlung von Geldspenden zur Unterstützung der von Repressionen Betroffenen: Dieses Geld wurde für den rechtlichen Beistand der Betroffenen benötigt, für die finanzielle Unterstützung der Gefangenen während der Haft, für Päckchen und ggf. auch für die finanzielle Unterstützung der Angehörigen der Häftlinge.

Als Adam Michnik 1967 vor der Disziplinarkommission der Universität Warschau stand und seine Exmatrikulation drohte, entwarf Lipski eine Petition und sammelte Unterschriften von Wissenschaftlern. Am 16. Februar wurde er vom Staatssicherheitsdienst verhaftet, der Text der Petition samt Unterschriften beschlagnahmt, dazu noch ein Teil seines Tagebuches, seine Wohnung gründlich durchsucht. Anfang 1968 unterschrieb er gemeinsam mit sieben anderen Schriftstellern eine an den Rektor der Universität Warschau gerichtete Erklärung, in der die Studierenden in Schutz genommen wurden, denen nach einer Demonstration gegen die Absetzung der Inszenierung des Mickiewicz-Stücks „Totenfeier“ (Dziady) am Warschauer Nationaltheater Konsequenzen drohten. Er organisierte materielle Hilfe für die Inhaftierten und arbeitete eng mit dem Rechtsanwalt Jan Olszewski zusammen.

Anfang der 70er Jahre verband Lipski eine enge Zusammenarbeit mit Edward Lipiński, der seinerseits mehrmals mit Parteichef Edward Gierek zusammengetroffen war, um diesen in ökonomischen Fragen zu beraten. Diese Kontakte erwiesen sich als hilfreich bei den Bemühungen um die Rücknahme von Repressionen nach den Ereignissen im *März 1968 und um die Freilassung politischer Gefangener, unter anderen der Mitglieder der antikommunistischen Organisation *Ruch. Lipski war damals sehr an einer Integration verschiedener Oppositionskreise gelegen. Er knüpfte immer engere Kontakte zum Umfeld der Zeitschrift „Więź“ und zu den jungen Menschen der Kultursektion des Warschauer *Klubs der Katholischen Intelligenz (wo sein Sohn Jan Tomasz aktiv war). In seiner Wohnung veranstaltete er Selbstlernzirkel, bei denen von der Zensur verzerrt dargestellte Themen aus der jüngsten Geschichte Polens erörtert wurden.

Im Herbst 1975 war Lipski einer der Initiatoren des *Briefes der 59 gegen die geplanten Änderungen in der Verfassung der Volksrepublik Polen und auch des *Briefes der 14 vom 14. Januar 1976, der sich gegen die Festschreibung des unverbrüchlichen Bündnisses mit der UdSSR in der Verfassung richtete.

Nach den Ereignissen im *Juni 1976 ergriff Lipski die Initiative zur Unterstützung der von Repressionen betroffenen Arbeiter – die ersten für dieses Ziel verwendeten Geldmittel stammten aus der von ihm gesammelten Hilfsgelder für Oppositionelle. Lipski war eines der wichtigsten Gründungsmitglieder und dann einer der engagiertesten Aktivisten des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; *KOR). Er war Schatzmeister des *KOR, fuhr zu den Gerichtsverhandlungen gegen die Arbeiter nach Radom und redigierte das „Komunikat“ (Kommuniqué) des *KOR. Neben der ständig geleisteten Hilfe vonseiten der Barmherzigkeitsseelsorge bemühte sich Lipski darum, auch andere kirchliche Stellen zur Beteiligung an der Unterstützung für die Betroffenen zu bewegen – leider ohne sichtbare Resultate. Im November 1976 nahm er jedoch an einem Treffen von vier *KOR-Vertretern mit dem Krakauer Kardinal Karol Wojtyła teil, was das polnische Episkopat dazu veranlasste, sich öffentlich für die Verfolgten einzusetzen.

Das *KOR legte in seiner Arbeit Wert auf die moralische Seite des Kampfes: gegen das Unrecht, im Namen der Solidarität mit den Verfolgten, für die Verteidigung der Menschenrechte. Im Winter 1976/77 führte Lipski als Hauptvertreter des *KOR Gespräche mit Leszek Moczulski und einer Gruppe ehemaliger *Ruch-Aktivisten über die Gründung einer gemeinsamen Menschenrechtsorganisation. Im März 1977 gründeten Leszek Moczulski und Andrzej Czuma jedoch eine separate Organisation: die Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela; *ROPCiO).

Vom Staatssicherheitsdienst wurde Lipski als einer der führenden Köpfe des *KOR eingestuft, woraufhin die Leitung des Innenministeriums im Oktober 1976 vorschlug, ihn zu verhaften. Diese Vorgehensweise wurde hingegen von der Parteiführung nicht gutgeheißen; der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei war nicht an Prozessen gegen die *KOR-Aktivisten gelegen, sie befürwortete indes zermürbende Aktivitäten gegen bestimmte Personen. Lipski war eine dieser Personen, die pausenlos schikaniert wurden: durch Abhören, Überwachung, Bespitzelung, Wohnungsdurchsuchungen und kurzfristige Festnahmen durch die Miliz. Von 1975 bis zum Herbst 1980 hatte er absolutes Publikationsverbot (das auch für wissenschaftliche Arbeiten galt), außerdem wurde es ihm unmöglich gemacht, sich öffentlich zu äußern (nicht einmal auf wissenschaftlichen Tagungen). 1975 habilitierte er sich, die Habilitation wurde vom Staat jedoch erst nach sechs Jahren bestätigt.

Im April 1977 wurde Lipski gemeinsam mit Jacek Kuroń und Adam Michnik von der Staatsanwaltschaft angeklagt, im Einverständnis mit feindlichen Organisationen zum Schaden der Volksrepublik Polen zu handeln. Nach Protestkundgebungen der Opposition wegen der Ermordung von Stanisław Pyjas, einem Krakauer *KOR-Mitglied, wurden Lipski wie auch weitere *KOR-Aktivisten festgenommen. In der Zeit vom 19. Mai bis 8. Juni 1977 saß er im Gefängnis, aus dem man ihn aus gesundheitlichen Gründen erst freiließ, nachdem verschiedene Bischöfe und auch der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Jarosław Iwaszkiewicz, sich für ihn eingesetzt hatten. Lipski ließ jedoch nicht davon ab, weiter seine Solidarität mit den inhaftierten *KOR-Mitgliedern zu zeigen. Schon im Juli schrieb er beispielsweise einen Brief an UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, der sich gerade zu einem Besuch in Warschau aufhielt.

Nach der Umwandlung des *KOR in das Komitee für Gesellschaftliche Selbstverteidigung „KOR“ (Komitet Samoobrony Społecznej; *KSS „KOR“) gehörte er auch der neuen Formation und deren Sozialfonds an. Er war faktisch der Schatzmeister des *KSS „KOR“ und auch Mitglied des Redaktionsausschusses, dessen Aufgabe es war, Entwürfe von Erklärungen vorzubereiten und sich in dringenden Fällen im Namen des gesamten Gremiums zu äußern.

Im Herbst 1977 wurde er Mitglied des Redaktionskollegiums der Monatszeitschrift „Głos“ (Stimme), im Frühjahr des folgenden Jahres hatte er jedoch nur noch den Status einer Person, die regelmäßig Zuarbeit leistete. In diesen Veränderungen zeichneten sich bereits Unterschiede in den programmatischen Vorstellungen ab. Als eine der größten Autoritäten der Opposition bemühte sich Lipski darum, gewisse Spannungen politischer und personeller Art im *KSS „KOR“ abzubauen und in dem sich verschärfenden Streit zwischen dem Umfeld der Zeitschrift „Głos“ (Antoni Macierewicz) und der Gruppe um Jacek Kuroń und Adam Michnik (die das *„Biuletyn Informacyjny“ und die *„Krytyka“ herausgaben) zu vermitteln. Ende 1979 befand sich dann auch Lipski im Konflikt mit der Gruppe um Antoni Macierewicz.

Lipski definierte sich damals ausdrücklich nicht als Anhänger der Linken und unterstrich, wie wichtig es sei, sich jeglichen Totalitätsansprüchen entgegenzustellen, in welcher ideologischen Farbe sie auch immer auftreten sollten. Der Mensch, so schrieb er, sei moralisch zum Kampf gegen das Böse verpflichtet, auch im gemeinschaftlichen Zusammenleben. Politische Systeme, in denen die Menschen ihrer Selbstbestimmtheit beraubt sind, seien ethisch böse. Moralisch verwerflich sei es ebenso, sich nicht für Menschen einzusetzen, die ihrer Freiheit beraubt seien. Auf dieser Grundlage strebte er nach Annäherung und gemeinsamem Handeln mit katholischen Kreisen. 1981 gab er die Broschüre „Dwie ojczyzny – dwa patriotyzmy“ (Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen) im Unabhängigen Verlagshaus *NOWA (Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA) heraus. Darin kritisierte er einen polnischen nationalen Größenwahn sowie eine national-religiöse Entrückung und Fremdenfeindlichkeit und bezeichnete diese als Gefahren für das polnische Volk, die das gemeinsame Handeln mit anderen vom Sowjetsystem unterdrückten Völkern erschwerten und gegen die Demokratie gerichtet seien.

Als sehr wichtig erachtete Lipski die Kontakte zur tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung *Charta 77. Nach der Festnahme zehn führender Vertreter der *Charta 77 im Mai 1979 stellte das *KSS „KOR“ auf sein Betreiben 30.000 Złoty für die Inhaftierten in der Tschechoslowakei zur Verfügung. Lipski war gemeinsam mit Jan Kielanowski Sprecher während eines Hungerstreiks vom 3. bis 10. Oktober 1979 in der Warschauer Heilig-Kreuz-Kirche, mit dem ebenfalls gegen die Verhaftungen protestiert wurde.

Im Januar 1978 war Lipski einer der Gründer der *Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse (Towarzystwo Kursów Naukowych; TKN), für deren Veranstaltungen er auch seine Wohnung zur Verfügung stellte. 1979 war er eines von fünf Mitgliedern des Rates für Forschungsförderung (Rada Kasy Pomocy Naukowej) der TKN, der Nachwuchswissenschaftler unterstützte, die aus politischen Gründen keine Forschungsmöglichkeiten erhielten. Im Januar 1978 begab sich Lipski wegen einer schweren kardiologischen Erkrankung nach London, um sich dort einer Operation zu unterziehen. Dort knüpfte er Kontakte zu führenden Vertretern des politischen Exils. SDiese Kontakte pflegte er – unter Beachtung der Regeln der Konspiration – auch nach seiner Rückkehr nach Polen weiter. Er bemühte sich bei der polnischen Exilregierung um eine Erhöhung der materiellen Unterstützung für die Opposition, insbesondere für das *KSS „KOR“, die Studentischen Solidaritätskomitees und die TKN. Im Frühjahr 1980 erhielt er vom polnischen Exil-Präsidenten Edward Raczyński das Angebot, selbst dieses Amt zu übernehmen, was er jedoch ablehnte.

Ab 1980 engagierte sich Lipski auch in der *Solidarność. Während der Monate der Freiheit 1980/81 wurde er im Juni 1981 in den Vorstand *Solidarność Masowien gewählt und leitete als Experte für die *Solidarność in Parlamentsausschüssen die Verhandlungen zu einem Gesetzentwurf über die Zensur. Er war federführend an den Bereichen Kultur und Wissenschaft des Programms der *Solidarność beteiligt.

Lipski war einer der Delegierten des Ersten Landeskongresses der *Solidarność. Während des Kongresses erlitt er am 29. September 1981 im Plenarsaal einen Schwächeanfall und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Er hatte offenbar die Spannungen nicht ausgehalten, die durch den Widerstand einiger Delegierten gegen einen Beschluss entstanden waren, mit welchem dem gerade aufgelösten *KSS „KOR“ Dankbarkeit bekundet werden sollte. Ende November 1981 gründete Lipski unter anderem gemeinsam mit Zbigniew Bujak, Jacek Kuroń und Adam Michnik die sogenannten Klubs der Selbstverwalteten Republik „Freiheit – Gerechtigkeit – Unabhängigkeit“ (Kluby Rzeczpospolitej Samorządnej „Wolność – Sprawiedliwość – Niepodległość), die als Sammelbecken des linken *Solidarność-Flügels gedacht waren.

Als nach der Ausrufung des *Kriegsrechts im Warschauer Traktorenwerk „Ursus“ ein Streik ausbrach, begab sich Lipski in die von der Miliz belagerte Fabrik, um seine Solidarität mit den Arbeitern zu bekunden. Nach der Neiderschlagung des Streiks wurde er am 14. Dezember 1981 verhaftet und angeklagt, den Streik angeführt zu haben. Nach vier Tagen musste er wegen seiner Herzprobleme ins Krankenhaus eingeliefert werden. Am 5. Januar 1982 wurde er direkt aus dem Haftkrankenhaus in den Gerichtssaal gebracht, wo der Prozess gegen die Streikteilnehmer stattfand. Nachdem der Arzt eine unmittelbare Gefahr für das Leben des Angeklagten festgestellt hatte, wurde Lipski am 15. Januar aus dem Prozess ausgeschlossen und in eine Klinik in Anin am Stadtrand von Warschau gebracht, wo er unter der Aufsicht des Staatssicherheitsdienstes stand. Im März erhielt er die Kündigung und verlor so seine Arbeit. Im Juni 1982 genehmigten ihm die Behörden, sich zur ärztlichen Behandlung nach London zu begeben.

Während seiner Rekonvaleszenz in London verfasste Lipski eine Monografie über das *KOR, die 1983 im Verlag Aneks und dann bei *NOWA erschien. Auf die Nachricht hin, dass gegen vier internierte ehemalige *KSS „KOR“-Aktivisten Anklage erhoben werde und dass die Ermittlungen gegen den sich im Ausland befindlichen Lipski in Abwesenheit geführt werden sollten, kehrte Lipski am 15. September 1982 nach Warschau zurück, um das Schicksal seiner Freunde zu teilen. Bereits am nächsten Tag wurde er verhaftet und verbrachte die Zeit im Haftkrankenhaus bzw. – unter Aufsicht des Staatssicherheitsdienstes – in der Klinik Anin, ehe er im Dezember 1982 wieder entlassen wurde. Seine Anklage wurde aus dem Gesamtprozess gegen das *KSS „KOR“ ausgegliedert. Im April und Mai 1984 nahm er auf Bitten des Episkopats, das mit der Staatsführung über die Freilassung führender Vertreter von *Solidarność und *KSS „KOR“ verhandelte, an Gesprächen mit den Inhaftierten teil, dies zugleich in seiner Eigenschaft als Vertrauensperson der konspirativen Gewerkschaftsführung (des *Provisorischen Koordinierungsausschusses TKK), mit der er in ständigem Kontakt stand. Obwohl die Gespräche in einem Fiasko endeten, wurden die elf Inhaftierten, um die es ging, im Juli 1984 im Rahmen einer Amnestie aus der Haft entlassen. Mit der Amnestie wurde auch die Anklage Lipskis hinfällig.



Nach der Ermordung des katholischen Priesters Jerzy Popiełuszko im Oktober 1984 unterstützte Lipski die Schaffung öffentlich agierender Bürgerkomitees gegen Gewalt und gehörte in Warschau selbst zu den Gründern eines solchen Komitees. Aus dieser Initiative entwickelte sich jedoch keine breitere Oppositionsbewegung. Er kooperierte weiter mit der sich mittlerweile im Untergrund befindlichen *Solidarność in Masowien und mit dem Radiosender „Jutrzenka“ in Otwock und war Mitglied in dem ebenfalls geheim agierenden Polnischen Fonds für Rechtsstaatlichkeit (Polski Fundusz Praworządności), der seit 1985 existierte. Den Vorsitz dieses Fonds führte Zbigniew Romaszewski, dessen Anliegen die finanzielle Unterstützung politisch Verfolgter war. Lipski publizierte in einer Reihe von Untergrundzeitschriften, vor allem im „KOS“ und auch in der Pariser *„Kultura“. Auf dem illegalen Buchmarkt kursierten viele Schriften Lipskis, darunter zahlreiche Neuauflagen und Nachdrucke seines Essays „Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen“, polnische Ausgaben seiner Monografie über das *KOR und Auszüge aus seinem Buch über die national-radikale Bewegung ONR „Falanga“ aus der Vorkriegszeit. In diesen Jahren erhielt die linke Identität Lipskis neuen Auftrieb angesichts von Tendenzen, die er als nationalistisch bezeichnete und ablehnte sowie von liberalen Wirtschaftskonzepten, die ihn zu den Ideen der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) und des demokratischen Sozialismus führten.

Im November 1987 war Lipski einer der Initiatoren der Reaktivierung der PPS und wurde Vorsitzender des Parteivorstandes. In ihrer politischen Deklaration berief sich die PPS eher auf die Soziallehre von Papst Johannes Paul II. denn auf irgendeine Ausprägung des Marxismus. Lipski gelang es jedoch nicht, seine Mitarbeiter aus dem *KOR zu einem gemeinsamen Engagement für die PPS zu bewegen. In der Partei selbst kam es schon bald zur Spaltung. Lipski führte dabei eine gemäßigte Gruppe an, die sich gegen die radikale Parteijugend um Piotr Ikonowicz wandte.

Ab 1987 nahm Lipski an den Zusammenkünften von *Solidarność-Beratern teil, die dann am 18. Dezember 1988 in die Gründung des *Bürgerkomitees beim Vorsitzenden der *Solidarność (Komitet Obywatelski przy Przewodniczącym NSZZ „Solidarność“) mündeten. Er war Mitglied dieses *Bürgerkomitees, nahm aber an den Beratungen am *Runden Tisch nicht teil, um die PPS dort herauszuhalten. Bei den halbfreien Parlamentswahlen im Juni 1989 bewarb er sich dann als Kandidat der Radomer Liste des Bürgerkomitees der Solidarność um einen Sitz im Senat, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments. Lipski musste gegen den Widerstand des Radomer Bischofs und lokale national-katholisch orientierte Kreise kämpfen, die einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatten und diesen unterstützten. Nach einem schwierigen Wahlkampf gelang es Lipski schließlich im zweiten Wahlgang, zum Senator gewählt zu werden.

Jan Józef Lipski starb am 10. September 1991 in Krakau.


Andrzej Friszke
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 07/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.