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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Karpiński, Jakub

* 1940 ✝ 2003




Jakub Karpiński wurde 1940 in Warschau geboren. 1958–64 studierte er an der Warschauer Universität Philosophie und Soziologie und war Vorsitzender des Wissenschaftskreises der Soziologiestudenten. Zur gleichen Zeit nahm er an Treffen bei Maria und Stanisław Ossowski teil, bei denen Ideen von unabhängigem Denken und gesellschaftlicher Selbstverwaltung diskutiert wurden, und besuchte Veranstaltungen des *Klubs des Krummen Kreises (Klub Krzywego Koła; KKK). 1964 wurde er Assistent an der Philosophischen Fakultät der Warschauer Universität. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre nahm er an Treffen von wissenschaftlichen Assistenten verschiedener Warschauer Hochschulen teil, die dem kommunistischen System kritisch gegenüberstanden (dabei waren unter anderen Tomasz Burek, Jan Kofman, Marcin Król, Waldemar Kuczyński, Andrzej Mencwel, Aleksander Smolar, Jadwiga Staniszkis). Auf einer Studentenversammlung 1967 bezog er kritisch Stellung zum „Offenen Brief an die Mitglieder der Partei“ (List otwarty do członków PZPR) von Jacek Kuroń und Karol Modzelewski, dem er einen trotzkistischen Ansatz unterstellte.

Als während der Studentenproteste im Februar 1968 an der Warschauer Universität geradezu ein „Flugblattkrieg“ tobte, reagierte Karpiński auf Verunglimpfungen der Studenten mit dem Flugblatt „Seltsame Poeten“ (Dziwni poeci). Am 4. März fiel in seiner Wohnung die Entscheidung, am 8. März auf dem Universitätscampus eine Solidaritätskundgebung für die verfolgten und relegierten Studenten Adam Michnik und Henryk Szlajfer zu organisieren. Bis Ende *März 1968 war Karpiński Koautor von Resolutionen, die auf studentischen Protestkundgebungen verabschiedet wurden, darunter die am 11. März beschlossene Verurteilung der Milizübergriffe auf Studenten. Gemeinsam mit Andrzej Mencwel und Jadwiga Staniszkis verfasste er die „Deklaration der Studentenbewegung“ (Deklaracja ruchu studenckiego), die am 28. März auf der letzten Kundgebung in der Universität beschlossen wurde.

Am 9. Mai 1968 wurde Karpiński unter dem Vorwurf, illegale Veranstaltungen an den Warschauer Hochschulen organisiert zu haben, verhaftet. Als er im Gefängnis in der Rakowiecka-Straße verhört wurde, verweigerte er jede Aussage. Nach seiner Freilassung im September 1968, wurden ihm die Rechte eines Universitätsmitarbeiters entzogen.

In den folgenden Monaten beteiligte sich Karpiński daran, Informationen über den *März 1968 in den Westen zu bringen. Dort wurden sie vom Literarischen Institut (Instytut Literacki) in Paris in den Bänden „Die Märzereignisse“ (Wydarzenia marcowe) und „Polnischer Vorfrühling“ (Polskie przedwiośnie) herausgegeben. In der Pariser *„Kultura“ veröffentlichte er anonym eine Analyse der März-Ereignisse unter dem Titel „Es ging nicht um Egalitarismus“ (Nie o egalitaryzm chodziło). Außerdem schrieb er über das politische System der Volksrepublik Polen, was Grundlage des Buches „Evolution oder Revolution“ (Ewolucja czy rewolucja) wurde.

Am 31. Mai 1969 wurde Karpiński erneut verhaftet und im Dezember angeklagt, in Kontakt mit Personen des von Jerzy Giedroyc geleiteten Literarischen Instituts in Paris zu stehen. Diese Einrichtung würde, so die Anklage, durch Herabwürdigung des politischen Systems und der führenden Organe der Volksrepublik die Interessen des polnischen Staates gefährden. Im sogenannten „Bergsteiger-Prozess“ stand er gemeinsam mit Maciej Kozłowski, Małgorzata Szpakowska, Krzysztof Szymborski und Maria Tworkowska vor Gericht und wurde am 24. Februar 1970 zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Durch eine Amnestie verringerte sich das Urteil auf zwei Jahre und acht Monate. Während seiner Haftzeit im oberschlesischen Strzelec Opolski arbeitete Karpiński im gefängniseigenen Betrieb für Pelzwaren. Am 19. Juni 1971 wurde er auf Bewährung entlassen.

Nach seiner Haftentlassung konnte er weder an der Warschauer Universität noch an der Polnischen Akademie der Wissenschaften arbeiten. 1971–74 war er Redaktionssekretär der Vierteljahresschrift „The Polish Sociological Bulletin“ der Polnischen Soziologischen Gesellschaft. Später wirkte er an Forschungsarbeiten für das Institut für Soziologie der Universität Warschau und für die Polnische Soziologische Gesellschaft mit.

Karpiński beteiligte sich an der Erstellung des Bandes „Das Gericht hat verkündet ...“ (Sąd orzekł…), das im Literarischen Institut Paris 1972 veröffentlicht wurde. Er nahm an Diskussionsveranstaltungen teil, unter anderem bei Alexander Małachowski, wo seit Frühjahr 1973 historische Vorlesungen stattfanden, sowie bei Jan Józef Lipski.

Zusammen mit Jacek Kuroń und Jan Olszewski verfasste er einen Brief an den Sejm, in dem sie gegen geplante Verfassungsänderungen protestierten und die Ziele der Opposition darlegten. Das Dokument wurde als „Brief der 59“ vom Dezember 1975 bekannt. Die Verfasser und Mitunterzeichner forderten freie und demokratische Wahlen zum Sejm, das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit, die Garantie des Streikrechts und unabhängiger Gewerkschaften, die Freiheit der Wissenschaft und die Aufhebung der Zensur. Im Juni 1976 unterschrieb Karpiński zudem eine Erklärung von 14 Intellektuellen, die sich mit den protestierenden Arbeitern solidarisierten.

Karpiński war der Auffassung, dass zu den Bedingungen für wirksame Aktivitäten gegen die Diktatur gehörte, über ausführliche Kenntnisse zur politischen Wirklichkeit und den Charakter des volksdemokratischen Systems zu verfügen. Seine Analysen der kommunistischen Propaganda („Ansprache an das Volk“/Mowa do ludu, 1984) und die soziologische Beschreibung des kommunistischen Systems und seiner Veränderungen („Evolution oder Revolution“/Ewolucja czy rewolucja, 1975) dienten genau der Vertiefung dieses Wissens. Ab der Mitte der 70er Jahre erschienen Karpińskis Untersuchungen der gesellschaftlichen Konflikte in Volkspolen beim Literarischen Institut in Paris: „Kurzer Streit“ (Krótkie spięcie) über den *März 1968, „Eine Portion Freiheit“ (Porcja wolności) über den *Oktober 1956, „Das Komitee brennt“ (Płonie komitet) über die Ereignisse vom *Dezember 1970 und vom *Juni 1976 sowie „Eigenartiger Krieg“ (Dziwna wojna) über das *Kriegsrecht.

Als wichtigstes Moment, um das diktatorische System zu schwächen, sah Karpiński die Selbstorganisation der Gesellschaft und das Aufrechterhalten von Forderungen nach Freiheit und Unabhängigkeit an, auch wenn diese zeitweilig als unrealistisch erscheinen mussten. Gleichzeitig unterstrich er die Notwendigkeit, den Druck auf die kommunistischen Machthaber mittels organisierter Strukturen auszuüben (wie zum Beispiel durch das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter/*KOR), um so die Einhaltung des Rechts und die Demokratisierung zu erzwingen.

Karpiński gehörte der Redaktion der unabhängigen Monatsschrift „Głos“ (Stimme) seit ihrer Gründung im Oktober 1977 an. Unter dem Pseudonym „Marek Tarniewski“ veröffentlichte er dort zahlreiche programmatische Artikel, zum Beispiel „Unabhängigkeit, Solidarität, Verständigung der Bürger“ (Niezależność, solidarność, porozumienia obywateli; in Nr. 1/1977). Die Redaktionssitzungen fanden in seiner Wohnung statt. Er arbeitete auch mit der ab Januar 1977 erscheinenden unabhängigen Literatur-Vierteljahresschrift *„Zapis“ (Aufzeichnung) zusammen sowie mit der Vierteljahresschrift „Postęp“ (Fortschritt), die ab Juli 1977 herausgegeben wurde. Karpiński unterzeichnete die Gründungserklärung der *Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse (Towarzystwo Kursów Naukowych; TKN) vom 22. Januar 1978. Im gleichen Jahr verteidigte er seine soziologische Dissertation. Im Juni 1978 konnte er mit einer privaten Einladung aus Polen ausreisen, ging aber tatsächlich mit einem wissenschaftlichen Stipendium an die London School of Economics.

1982 gründete Karpiński nicht nur das Comittee in Support of Solidarity in New York mit, das Hilfen für die polnische Opposition organisierte und Bücher über das kommunistische System herausgab, sondern auch das Institut für Demokratie in Osteuropa (Institute for Democracy in Eastern Europe; IDEE). Zudem war er Mitherausgeber der IDEE-Zeitschrift „Uncaptive Minds“.

In der Emigration im Westen beschäftigte sich Karpiński wissenschaftlich mit dem kommunistischen System und der Demokratietheorie. Er gab unter anderem heraus: „Polen, Kommunismus, Opposition“ (Polska, komunizm, opozycja), „Unabhängigkeit von innen“ (Niepodległość od wewnątrz), „Jahresportraits“ (Portety lat; 1989 erschienene Nachkriegsgeschichte Polens), „Bergsteigen im Flachland“ (Taternictwo nizinne; 1988 erschienene polnische Nachkriegsgeschichte aus persönlicher Perspektive). Seine Bücher erschienen mehrfach im polnischen Samisdat.

Karpiński hielt Vorlesungen an der New Yorker State University, der Columbia University und an Universitäten in Paris. Seit 1990 gehörte er dem P.E.N.-Club und dem polnischen Schriftstellerverband an. 1992 wurde er Direktor des Politischen Instituts in Warschau und Redakteur des „Biuletyn Polityczny“ (Politischen Bulletin). 1995–97 war er im Open Media Research Institute in Prag tätig und von 1997 bis zu seinem Lebensende am Institut für Soziologie der Warschauer Universität. Jakub Karpiński starb 2003 in Warschau.


Błażej Brzostek
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 11/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.