x

In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Klier, Freya

* 1950




Am 4. Februar 1950 wurde Freya Klier als Kind einer Arbeiterin und eines Dekorateurs in Dresden geboren. Als ihr Vater 1953 in einem Gerangel seine Frau verteidigte und einen Mann schlug, kam er für ein Jahr ins Gefängnis – wie sich herausstellte, war der Geschlagene ein Volkspolizist. Freya und ihr Bruder mussten für ein Jahr in ein Wochenheim für Kinder, weil ihre Mutter strafversetzt im Schichtsystem arbeiten musste. Dieses Jahr prägte die beiden nachhaltig, zumal beide als Kinder eines politischen Häftlings betrachtet und entsprechend behandelt wurden.

1968 legte Freya Klier – für die DDR zu jener Zeit typisch – das Abitur ab und erwarb gleichzeitig einen Facharbeiterbrief als Maschinenbauzeichnerin. Ihre Schulzeit war gekennzeichnet von einem Dualismus, der für diese Generation prägend war: Obwohl Mitglied der Jungen Pioniere, nahm sie auch am außerschulischen Religionsunterricht teil, und später war sie trotz ihrer Mitgliedschaft in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in der Jungen Gemeinde engagiert. Als ihr gerade 17-jähriger Bruder 1966 wegen angeblicher „Staatsverleumdung“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, wollte sie die DDR verlassen. Mit Bekannten aus einer schwedischen Theatergruppe plante sie ihre Flucht auf einem Handelsschiff mit einem gefälschten Pass. Kurz bevor das Schiff im Juli ablegte, wurde sie verraten und verhaftet. Sie erhielt 16 Monate Gefängnis, kam aber nach einem Jahr frei. Der Rest ihrer Strafe wurde zu zweijähriger Bewährung ausgesetzt.

In der Folgezeit schlug sich Klier als Postangestellte, Kellnerin und Disponentin durch. Wegen der Fürsprache einer Parteisekretärin konnte sie 1970 ein Schauspielstudium in Leipzig aufnehmen, das sie 1975 mit Diplom erfolgreich abschloss. Sie erhielt anschließend ein Engagement an einem kleinen Theater in Senftenberg. Da sie sich neben der Schauspielerei auch für Regiearbeit interessierte, begann sie 1978 in Berlin ein Regiestudium, das sie 1982 ebenfalls mit dem Diplom erfolgreich beendete.

In den 70er Jahren begann sich Klier für Kultur und Kunst Polens zu interessieren. Dies führte fast zwangsläufig auch zu einem kritischen Blick auf die Realitäten in den kommunistischen Staaten. Ihre Kritik versuchte sie fortan sowohl politisch als auch künstlerisch vorzubringen. Fast alle ihre zeitgenössischen Inszenierungen in DDR-Theatern erregten das Misstrauen und die Kritik der SED. Die meisten Stücke wurden nach kurzer Zeit entweder wieder abgesetzt oder so „uminszeniert“, dass nur noch wenig von der Handschrift Kliers übrig blieb. Dennoch erhielt sie 1984 einen Regiepreis für ihre Uraufführung des Stücks „Legende vom Glück ohne Ende“ von Ulrich Plenzdorf am Theater Schwedt, wo sie 1982–84 tätig war.

Klier inszenierte außerdem Stücke in Bautzen, Halle und am Deutschen Theater in Ost-Berlin. Auch als Mitglied des offiziellen Theaterverbandes wurde es ihr verwehrt, Einladungen zu Inszenierungen im Ausland (in Ungarn, den Niederlanden und der Bundesrepublik) anzunehmen. Der Grund hierfür dürfte gewesen sein, dass sie neben ihrer kritischen „offiziellen“ Theaterarbeit seit 1981 in der kirchlichen Friedensbewegung der DDR aktiv war. Sie engagierte sich im Pankower Friedenskreis (Ost-Berlin), der in der DDR-Oppositionsbewegung über viele Jahre hinweg zu den bekanntesten und aktivsten zählte. In diese politische Arbeit bemühte sich Klier stets, ihre künstlerischen Ambitionen zu integrieren. So inszenierte sie im Juli 1981 ein kleines Stück auf einem kirchlichen Friedensfest trotz der Androhung ihrer Hochschule, sie zu exmatrikulieren.

Um ihren künstlerischen Ansprüchen, die Situation in der Gesellschaft kritisch zu diskutieren, eine realitätsbezogene Basis zu geben, begann Freya Klier 1983 gezielt und heimlich Frauen zu deren Lebenssituation zu befragen. Sie war selbst ab 1973 alleinerziehende Mutter einer Tochter, sodass ihr schon aus dieser Erfahrung heraus der klaffende Widerspruch zwischen Propaganda und tatsächlicher Situation von Frauen in der Gesellschaft bewusst war. Mit ihrer Umfrage rüttelte sie an einem Tabu in der DDR. Denn demoskopische oder soziologische Befragungen waren nur einer verschwindend kleinen Minderheit von SED-treuen Wissenschaftlern erlaubt: Die Gefahr war zu groß, dass die „richtige Theorie“ von einer „falschen Empirie“ unterhöhlt würde.

Im Februar 1984 lernte Klier den Liedermacher Stephan Krawczyk kennen, der noch Anfang der 80er Jahre offiziell zu den hoffnungsvollen Nachwuchskünstlern gezählt hatte. Er erhielt 1981 einen Preis als bester Chansonsänger und war Mitglied der SED. Im April 1985 trat er aus der Partei aus und erhielt nur wenige Monate später ein landesweites Berufsverbot. Krawczyk war besonders für Jugendliche mit seinen kritischen Texten zur Identifikationsfigur geworden. Er galt als „Staatsfeind“ und „neuer Wolf Biermann“. Aber nicht nur Krawczyk, auch Klier wurde 1985 mit einem faktischen Berufsverbot belegt, was den Ausschluss aus dem Theaterverband nach sich zog. Beide erarbeiteten gemeinsam in den folgenden Jahren gesellschaftskritische Programme, mit denen sie vor allem in evangelischen Kirchen und Gemeinderäumen erfolgreich auftraten. Der Staat setzte die Kirchen unter Druck, solche Auftritte zu unterbinden. Immer mehr Kirchen- und Gemeinderäte verweigerten sich jedoch dieser Einflussnahme. Freya Klier und Stephan Krawczyk wurden zudem mit Ordnungsstrafen überhäuft.



1985 begann Klier mit Untersuchungen und Befragungen zum Erziehungs- und Bildungssystem der DDR, in dem sie eine Wurzel der Diktatur zu erkennen glaubte. Ihre Befragungen von Jugendlichen, ab 1986 auch von Lehrern, eröffneten ihr ein Bild von der Gesellschaft, das geprägt war von Unehrlichkeit, Depression und Hoffnungslosigkeit. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass die Grenzen der ideologischen Einflussnahme durch den Staat erreicht waren und die meisten Jugendlichen den Verführungsanmaßungen der SED in den 80er Jahren zumindest innerlich resistent gegenüberstanden. Diese Studien gingen in ihr 1990 vorgelegtes und viel beachtetes Buch „Lüg Vaterland. Erziehung in der DDR“ ein.

Klier verbreitete im Samisdat Erkenntnisse aus ihren Untersuchungen und stellte zudem bei Lesungen in Kirchen oder Privatwohnungen gesellschaftskritische Prosatexte und Stücke vor. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) observierte sie und Stephan Krawczyk im Operativen Vorgang (OV) „Sinus“. Beide waren neben den beruflichen Drangsalierungen auch umfangreichen „Zersetzungsmaßnahmen“ der Staatssicherheit ausgesetzt gewesen, die Klier auch psychisch zu schaffen machten.

Obwohl sie im Oktober 1986 der „Solidarischen Kirche“ – einer oppositionellen Gruppe, die versuchte, in der DDR ein landesweites Kontaktnetz der Gruppen aufzubauen, und kritisch zum SED-Staat Stellung bezog – beitrat, und 1987 auch deren Koordinierungsausschuss angehörte, stand Klier den Kirchen und vielen oppositionellen Basisgruppen kritisch gegenüber. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen bemängelte sie die fehlende Solidarität und beklagte, dass die Gruppen zu wenig radikal dachten und handelten. Deshalb ist Klier auch weniger Gruppenzusammenhängen zuzuordnen, wenngleich sie mit den wichtigsten Oppositionellen in engem Kontakt stand. Da sie viel in der DDR herumkam, setzte sie sich intensiv für die landesweite Vernetzung oppositioneller Gruppen und Personen ein.

Im November 1987 wandten sich Klier und Krawczyk mit einem offenen Brief an SED-Chefideologen Kurt Hager. Dieser Brief fand in der DDR eine weite Verbreitung und wurde auch in westdeutschen Medien publiziert. Darin kritisierten sie den gesellschaftlichen Zustand in der DDR und forderten umfangreiche Reformen ein. Zur gleichen Zeit hatten beide beschlossen, am alljährlich im Januar abgehaltenen offiziellen Massenaufmarsch zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit eigenen Spruchbändern teilzunehmen. Ihr Ziel war es, auf den gesellschaftlichen Zustand kritisch hinzuweisen, aber auch auf die eigenen Berufsverbote aufmerksam zu machen. Da an dieser Demonstration am 17. Januar 1988 auch eine Reihe von Ausreisewilligen protestierend teilnehmen wollten, beschloss Klier jedoch, nicht zu dieser Veranstaltung zu gehen, um ihr eigenes Anliegen nicht mit den berechtigten Forderungen der Ausreisewilligen zu vermengen.

Dies nützte allerdings nichts, da das MfS die Aktion „Störenfried“ bereits Wochen zuvor genau geplant hatte. Zunächst wurden die Teilnehmer – insgesamt etwa 160 Personen – verhaftet, darunter Stephan Krawczyk, Vera Wollenberger und Herbert Mißlitz. Freya Klier wandte sich daraufhin mit einem viel beachteten und weit verbreiteten Appell an die Künstler in der Bundesrepublik und forderte diese auf, aus Solidarität nicht mehr in der DDR aufzutreten. Nur wenige Tage später nahm das MfS einige führende Oppositionelle, darunter neben Freya Klier auch Regina und Wolfgang Templin, Werner Fischer, Bärbel Bohley und Ralf Hirsch fest. Die SED-Medien entfachten zugleich eine Verleumdungskampagne gegen die Verhafteten; in der Bundesrepublik und der osteuropäischen Opposition kam es zu mannigfachen Solidarisierungserklärungen. Zugleich erklärten einige führende westdeutsche Politiker jedoch ihr Verständnis für die Maßnahmen. In der DDR-Gesellschaft selbst entwickelte sich die bis dahin größte Solidaritätswelle mit politischen Gefangenen seit 1953. Doch davon erfuhren die Inhaftierten selbst nichts, weil deren Rechtsanwälte inoffiziell für die Staatssicherheit tätig waren und sie über die wahre Situation im Unklaren ließen, ja sogar erklärten, es würde sich „draußen“ kein Mensch für ihr Schicksal interessieren. Um den angedrohten jahrelangen Gefängnisstrafen zu entgehen, entschlossen sich Freya Klier und Stephan Krawczyk, die DDR zu verlassen. Auch die anderen eingesperrten Oppositionellen verließen – zu unterschiedlichen Konditionen – die DDR. In der Bundesrepublik angekommen, mussten sie erkennen, dass sie hereingelegt worden waren. Sie erklärten nun, dass sie unter Druck gezwungen worden seien, die DDR zu verlassen, während einige maßgebliche linke DDR-Oppositionelle die beiden zu Verrätern abstempelten.

Seit ihrer Ausbürgerung aus der DDR lebt Klier in West-Berlin, wo sie bis heute als freischaffende Autorin, Regisseurin und Filmemacherin arbeitet. Sie kann auf ein reichhaltiges publizistisches Werk verweisen, wobei neben der Geschichte des Kommunismus und ihrer Bewältigung auch die nationalsozialistische Diktatur zu ihren Themen zählt. Zudem ist sie weiterhin politisch aktiv, arbeitet in der politischen Bildung, hält regelmäßig Vorträge vor Schülern und zählt zu den Gründungsmitgliedern des „Bürgerbüros“, einer Initiative in Berlin, die die Opfer des SED-Systems berät, unterstützt und eigene Aufarbeitungsprojekte verfolgt.


Ilko-Sascha Kowalczuk
Letzte Aktualisierung: 09/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.