x

In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Król, Marcin

* 1944 ✝ 2020




Marcin Król wurde 1944 in Warschau geboren. Als Doktorand an der Historischen Fakultät der Universität Warschau unterhielt er in der zweiten Hälfte der 60er Jahre Kontakt zu den sogenannten „Kommandeuren“, einer Gruppe unabhängiger junger Menschen, die sich um Jacek Kuroń und Karol Modzelewski scharten. Król nahm zusammen mit Jadwiga Staniszkis, Jakub Karpiński, Aleksander Smolar und anderen an den unabhängigen Seminaren von Assistenten der Warschauer Universität teil. Im März 1968 gab er dem Warschauer Korrespondenten der französischen Tageszeitung „Le Monde“, Bernard Margueritte, den Inhalt von Andrzej Mencwels Bericht über eine Versammlung des Polnischen Schriftstellerverbandes wieder, auf dem über das Verbot des Stücks „Totenfeier“ (Dziady) von Adam Mickiewicz in der Regie von Kazimierz Dejmek am Nationaltheater diskutiert worden war. Auf diese Weise erfuhr die westliche Öffentlichkeit von den Protesten polnischer Schriftsteller gegen die Zensur, die Kulturpolitik der kommunistischen Machthaber und das Aufbrechen antisemitischer Tendenzen in Polen.

Am 8. März 1968 nahm Król an einer Protestversammlung auf dem Campus der Warschauer Universität teil und war Mitglied der Delegation, die vom Rektor den Rückzug der Miliz vom Campus sowie die Freilassung der verhafteten Studenten forderte. Gemeinsam mit Jakub Karpiński arbeitete er eine Resolution aus, die am 11. März auf einer Folgeversammlung verlesen werden sollte. Die Resolution formulierte unter anderem den Vorschlag, studentische Komitees in den Fakultäten sowie auf zwischenuniversitärer Ebene zu bilden, und enthielt eine „Erklärung der didaktischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Philosophischen Fakultät der Universität Warschau“, die die Forderungen der Studenten unterstützte und die Angriffe der Miliz auf Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter genauso verurteilte wie die Desinformationskampagnen der Presse und das Aufwiegeln antisemitischer Stimmungen. Król war auch einer der Autoren der „Deklaration der Studentenbewegung“ (Deklaracja ruchu studenckiego), die als das wichtigste Dokument des *Märzes 1968 gilt. Neben hochschulspezifischen Forderungen wie die Gründung einer neuen Jugendorganisation stellte die Deklaration auch allgemeinpolitische Postulate auf, die die Aufhebung der Zensur, ökonomische Reformen zur Steigerung der Effektivität und der Eigenverantwortung in der Wirtschaft, die Unabhängigkeit der Justiz, die Schaffung eines Verfassungsgerichtes und unabhängiger Gewerkschaften betrafen. Am 10. April 1968 wurde Król verhaftet und für drei Monate ins Gefängnis gesteckt.

1972–77 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Gemeinsam mit Małgorzata Dziewulska übersetzte er Tocquevilles Werk „Über die Demokratie in Amerika“ (erschienen 1976).

1975 unterschrieb Król den *Brief der 59 vom 5. Dezember an den Sejm, in dem die geplanten Verfassungsänderungen kritisiert und die politische Zielstellung der Opposition vorgestellt wurde. Er publizierte in Exilzeitschriften – in der Pariser *„Kultura“ (Kultur) und dem Londoner „Aneks“ (Anhang) – sowie in der Samisdat-Zeitschrift *„Zapis“ (Aufzeichnung). Im September 1978 trat er der *Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse (Towarzystwo Kursów Naukowych; TKN) bei, wo er Vorlesungen und Seminare zum polnischen konservativen Denken im 19. Jahrhundert, zu den politischen Traditionen der Oppositionsverlage nach 1976 und zum polnischen Denken im 20. Jahrhundert sowie ein Doktorandenstudium (unter anderem für Aleksander Hall) abhielt.

Gemeinsam mit Wojciech Karpiński schrieb er das Buch „Von Mochnacki zu Piłsudski. Politische Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts“ (Od Mochnackiego do Piłsudskiego. Sylwetki polityczne XIX. w.; 1974), das zu einer der wichtigsten Lektüren junger Oppositioneller in der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurde.

1977/78 war Kisielewski Dozent an den Universitäten Yale und Austin in den USA. 1979 veröffentlichte er in Paris das Buch „Stilformen politischen Denkens. Im Umfeld von ‚Bunt Młodych‘ und ‚Politika‘“ (Style politycznego myślenia. Wokół „Buntu Młodych“ i „Polityki“), in dem er die Ideenwelt der Vorkriegszeitschriften analysierte, deren Redakteur Jerzy Giedroyc war. In Polen erschien das Buch 1980 im Unabhängigen Verlagshaus *NOWA (Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA).

Król nahm an inoffiziellen Seminaren teil, die ab 1976 bei Jerzy Jedlicki stattfanden. Bei diesen Treffen entstand die Idee, eine vierteljährlich erscheinende politologische Zeitschrift herauszugeben, die den polnischen intellektuellen Eliten aktuelle Trends des politischen Denkens des Westens näherbringen sollte. Król wurde Leiter der Redaktion der zu diesem Zweck gegründeten „Res Publica“, der außerdem Wiktor Dłuski, Damian Kalbarczyk, Wojciech Karpiński, Paweł Kłoczowski, Tomasz Łubieński, Paweł Śpiewak und Barbara Toruńczyk angehörten. Die Erstausgabe der „Res Publica“ erschien im Frühjahr 1979 (heute heißt die Zeitschrift „Res Publica Nowa“). Der Anspruch der Zeitschrift bestand in der Analyse der Wirklichkeit sowie der „unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich sogar in unserer geopolitischen Situation ergeben“. (Der bekannteste Autor von „Res Publica“, Stefan Kisielewski, vertrat unter anderem die Forderung, die polnische Opposition solle sich mit der sowjetischen Führung über die Köpfe der polnischen Kommunisten hinweg direkt verständigen.) Die Texte der „Res Publica“ waren von der Überzeugung geleitet, dass die Rechte und Freiheiten des Individuums im Mittelpunkt stehen. Sie pflegten einen liberal-konservativen Stil und waren Utopien und jeglichem Extremismus gegenüber misstrauisch. Patriotische Parolen und die Verwendung von Symbolen der polnischen Unabhängigkeit durch die Opposition wurde von „Res Publica“ als Anheizen „dummer Emotionen“ verurteilt.

1980 wurde Król Berater der Gewerkschaft *Solidarność der Region Masowien. Im Herbst 1981 wandte er sich an die Behörden, um die legale Herausgabe der „Res Publika“ zu erreichen. Trotz mündlicher Zusagen fiel bis zur Ausrufung des *Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 keine Entscheidung. (Insgesamt erschienen acht Ausgaben im Samisdat; eine neunte war vorbereitet, aber das *Kriegsrecht verhinderte ihre Auslieferung.)

Nach dem 13. Dezember 1981 publizierte Król zahlreiche analytische und programmatische Texte, unter anderem im *„Tygodnik Powszechny“, in der *„Krytyka“ und den Broschüren der „Gruppe politischer Publizisten“ (Grupa Publicystów Politycznych). 1982 trat er in die Redaktion des *„Tygodnik Powszechny“ ein, ab 1984 war er Mitglied im inoffiziellen von Stanisław Stomma geleiteten Klub für politisches Denken „Dekanat‘“ (Klub Myśli Politycznej „Dziekania“). Dieser strebte die stufenweise Legalisierung von oppositionellen Organisationen an, um so mit der Zeit zu einer Koexistenz oppositioneller Mitte-Rechts-Milieus mit der geschwächten Staatsmacht zu kommen. Diese Taktik beurteilten viele im Untergrund tätige *Solidarność-Aktivisten als gegen die Gewerkschaft gerichtet und als eine De-facto-Integration der Opposition in das kommunistische System.

Mitte 1987 akzeptierte Król den Vorschlag der Behörden, „Res Publica“ offiziell unter Kontrolle der Zensur erscheinen zu lassen. Dies rief die Kritik einer Reihe von Oppositionsaktivisten hervor, aber die Zeitschrift erreichte nunmehr eine Auflage von 25.000 Exemplaren. Ab November 1987 gehörte er einer Gruppe von Persönlichkeiten an, die von Lech Wałęsa zusammengerufen worden waren und sich am 18. Dezember 1988 als *Bürgerkomitee beim Vorsitzenden der *Solidarność (Komitet Obywatelski przy Przewodniczącym NSZZ „Solidarność“) konstituierten. Er nahm an den Beratungen des *Runden Tisches (6. Februar bis 5. April 1989) als Mitglied der Kommission für politische Reformen und der Unterkommission für Massenmedien teil.

Nach dem politischen Umbruch war Marcin Król bei den Präsidentenwahlen 1990 Mitglied im Wahlkampfteam von Tadeusz Mazowiecki. Danach war er publizistisch (unter anderem für *„Tygodnik Powszechny“ und „Res Publica Nowa“, später auch für den Dziennik Gazeta Prawna ) sowie wissenschaftlich tätig. Ab 1999 bis zu seiner Emeritierung war er Professor am Institut für Angewandte Gesellschaftswissenschaften der Universität Warschau und in den Jahren 2009–2020 Ratsvorsitzender der Stefan-Batory-Stiftung.

Marcin Król starb am 25. November 2020 in Biała Podlaska.



Krzysztof Burnetko
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 01/24

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.