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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Lukjanenko, Lewko

* 1928 ✝ 2018




Lewko Lukjanenko wurde 1928 in Chrypiwka im Gebiet Tschernihiw in einer Bauernfamilie geboren. 1944 wurde er zur Armee eingezogen und diente in Österreich und im Kaukasus. 1951 trat Lukjanenko in den Komsomol ein,1953 wurde er Mitglied der kommunistischen Partei. Er studierte Rechtswissenschaft an der Moskauer Universität. Im September 1958 wurde ihm eine Stelle in der Abteilung für Propaganda des Kreisparteikomitees in Radechiw im Gebiet Lwiw zugewiesen. Im Rahmen seiner dienstlichen Verpflichtungen reiste Lukjanenko durch Dörfer und war Zeuge von oftmals unfreiwilligen und gewaltsamen Eingliederungen von Höfen in Kolchosbetriebe.

Ab Mitte 1959 arbeitete Lukjanenko in einer Anwaltskanzlei im Kreis Hlynjany. Zusammen mit Stepan Wirun beschloss er die Gründung der konspirativen *Ukrainischen Arbeiter- und Bauernunion, deren Programm bei einem Treffen im November 1960 diskutiert wurde. Wenige Wochen später, am 21. Januar 1961, wurden Lukjanenko und andere Beteiligte (Iwan Kandyba, Stepan Wirun, Wassyl Luzkiw, Olexandr Libowytsch und etwas später Iwan Kypysch und Josyp Borowyzki) verhaftet. Die Anklage erfolgte auf Grundlage von Artikel 57 und Artikel 64 Strafgesetzbuch der Ukrainischen SSR (entspricht Artikel 56 und *Artikel 72 Strafgesetzbuch der RSFSR). Lukjanenko wurde vorgeworfen, er habe sich „seit 1957 mit der Absicht getragen, die Ukrainische SSR von der Sowjetunion loszulösen und die Autorität der KPdSU zu untergraben“ und habe zudem „die Theorie des Marxismus-Leninismus herabgesetzt“. Am 20. Mai 1961 verurteilte ihn das Gebietsgericht in Lwiw zum Tode durch Erschießen. Das Urteil wurde am 26. Juli 1961 vom Obersten Gericht in fünfzehn Jahre Freiheitsentzug umgewandelt. Die Mitangeklagten wurden zu Haftstrafen von zehn bis fünfzehn Jahren verurteilt.

Die ersten Jahre seiner Strafe verbüßte Lukjanenko in den *mordwinischen Lagern. 1964 wandte er sich mit einer Beschwerde an die Redaktion der in Mykolajiw (Nikolajew) erscheinenden Zeitung „Južnaja Pravda“, in der er anhand der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte detailliert auf Menschenrechtsverletzungen in der UdSSR verwies. Er argumentierte zudem, dass sein Engagement gemäß der sowjetischen Verfassung nicht als Vaterlandsverrat behandelt werden könne und forderte, endlich Gerechtigkeit walten zu lassen.

Im Lager unterstützte Lukjanenko den Kampf einiger politischer Gefangener gegen die Lagerverwaltung. Diese hatte massiv gegen Vorschriften verstoßen und die Rechte der zur *Generation der Sechziger zählenden Häftlinge verletzt. 1967 wurde er für drei Jahre in das *Wladimir-Gefängnis verlegt, bevor er zurück in die *mordwinischen Lager und von dort aus 1972 in die *Permer Lager kam. 1974 ordnete das Kreisgericht in Tschussowoj die erneute Überführung Lukjanenkos in das *Wladimir-Gefängnis an: Zusammen mit zwei (ebenfalls verurteilten) Mitgefangenen hatte er zu einem Solidaritätsstreik für den inhaftierten Studenten Stepan Sapelak aufgerufen, der von Wärtern verprügelt worden war. 1975 arbeitete Lukjanenko an einem an den Obersten Sowjet der UdSSR übermittelten Entwurf zum rechtlichen Status politischer Gefangener mit. Aus dem psychiatrischen Krankenhaus, in das Lukjanenko vorübergehend verlegt worden war, wurde er mit der Diagnose „hypochondrisches Syndrom“ und der Feststellung einer Invalidität zweiten Grades entlassen. Am 10. Dezember 1975, dem *Tag der Menschenrechte, trat er zusammen mit anderen politischen Häftlingen in einen Hungerstreik und wurde umgehend in das Gefängnis von Tschernihiw verlegt.

Nach seiner Entlassung im Januar 1976 ließ sich Lukjanenko in Tschernihiw nieder. Ein Jahr lang stand er unter behördlicher Aufsicht. Er fand keine Anstellung in seinem Beruf und arbeitete stattdessen als Elektriker in einem Bezirkskrankenhaus für Kinder.

Auf Zureden von Mykola Rudenko trat Lukjanenko am 9. November 1976 der *Ukrainischen Helsinki-Gruppe bei. Er unterzeichnete die von ihr herausgebrachten Dokumente und verfasste den Artikel „Rechtlosigkeit aufhalten“ (Zupynit‘ kryvosuddja), mit dem er sich für den verurteilten Künstler Petro Ruban einsetzte. *Radio Liberty sendete seinen Essay „Jahr der Freiheit“ (Rik svobody), der im Dezember 1977 und im Januar 1978 auch in den in München und London erscheinenden Exilzeitschriften *„Sučasnist‘“ und „Vyzvolnyj šlach“ veröffentlicht wurde.

Am 24. August 1977 ersuchte Lukjanenko das Präsidium des Obersten Sowjets um Genehmigung seiner Ausreise aus der UdSSR. „Von meinen fünfzig Jahren“, schrieb er, „habe ich mehr als acht Jahre in euren Militärkasernen und 15 Jahre in Baracken von Konzentrationslagern und Gefängniszellen verbracht, jetzt stehe ich schon das zweite Jahr unter Hausarrest [...]. Eine Aufhebung ist an die Entscheidung eines Gerichts geknüpft und nur möglich, wenn man von seinen Ansichten abschwört. Ich werde meine Weltanschauung jedoch niemals ändern, weshalb ich auf diese Weise bis zum Ende meines Lebens bestraft sein werde. [...] Die Aussicht auf ein solches Leben ist für mich alles andere als attraktiv.“

Am 10. Dezember 1977 wandte sich Lukjanenko mit einem Appell gegen die Diskriminierung ausreisewilliger Ukrainer an die aus 35 Ländern angereisten Teilnehmer der Helsinki-Nachfolgekonferenz in Belgrad. Zwei Tage später wurde er erneut verhaftet. Er verweigerte die Aussage und erklärte den Verzicht auf seine Staatsbürgerschaft. Lukjanenko wurde die Abfassung und die Verbreitung einiger der oben erwähnten Texte zur Last gelegt, die während Hausdurchsuchungen bei Borys Antonenko-Dawydowitsch und anderen Dissidenten beschlagnahmt worden waren. Der Prozess fand vom 17. bis 20. Juni 1978 statt. Das Gebietsgericht in Tschernihiw erklärte Lukjanenko zu einem „besonders gefährlichen Wiederholungstäter“ und verurteilte ihn nach Artikel 62, Paragraf 2 Strafgesetzbuch der Ukrainischen SSR (entspricht *Artikel 70 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu zehn Jahren *Lager mit besonderem Vollzug und fünf Jahren Verbannung.

Lukjanenko kam erneut in die *mordwinischen Lager. Zusammen mit anderen sammelte er Informationen über die Haftbedingungen, die aus dem Lager und dann in den Westen geschleust wurden. Wie andere politische Häftlinge, deren Urteil *Lager mit besonderem Vollzug lautete, wurde er im Februar 1980 in das Gefängnis VS-389/36 in Kutschino im Gebiet Perm (*Permer Lager) verlegt. Sein Verbannungsort ab Dezember 1987 war die im Gebiet Tomsk gelegene Ortschaft Berjosowka.

Im März 1988 wurde Lukjanenko in Abwesenheit zum Vorsitzenden der *Ukrainischen Helsinki-Union gewählt. Am 23. April desselben Jahres schlug er das Angebot, ins Exil zu gehen aus, denn die Situation im Land hatte sich inzwischen verändert und die legale Gründung einer politischen Partei erschien zunehmend realistisch. Kraft eines Dekrets des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 30. November 1988 wurde Lukjanenko begnadigt und aus der Verbannung entlassen. Anfang 1989 kehrte er in die Ukraine zurück.

Im April 1990 wählte ihn der Gründungskongress der aus der *Ukrainischen Helsinki-Union hervorgegangenen Ukrainischen Republikanischen Partei zum Vorsitzenden. Im Mai 1992 wurde er Ehrenvorsitzender der Partei. Lukjanenko gehörte zu den Autoren der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine vom 24. August 1991 und kandidierte im Dezember desselben Jahres für das Präsidentenamt der Ukraine. 1992–93 war er Botschafter der Ukraine in Kanada. 1990–92, 1995–98 und 2002–07 war er Abgeordneter des ukrainischen Parlaments. Lukanjenko wurde vielfach geehrt: 1991 zeichnete ihn der Weltkongress der freien Ukrainer mit der Medaille des Heiligen Wladimir aus. 1993 erkannte ihm die kanadische Universität Alberta die Ehrendoktorwürde zu. Er erhielt mehrere Staatspreise, darunter den Titel Held der Ukraine (2005), den Taras Schewtschenko-Preis sowie den Orden der Freiheit (beide 2016).

Lewko Lukjanenko starb am 7. Juli 2018 in Kiew.



Sofija Karassyk, Wassyl Owsijenko
Aus dem Polnischen von Tim Bose
Letzte Aktualisierung: 09/20

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.