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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Michnik, Adam

* 1946




Adam Michnik wurde 1946 in Warschau in eine Familie kommunistischer Intellektueller geboren. Sein Vater war Mitglied der Kommunistischen Partei der West-Ukraine und saß deswegen vor dem Krieg zweimal in polnischen Gefängnissen. Enttäuscht vom real existierenden Sozialismus, trat er 1969 jedoch aus der Polnische Vereinigte Arbeiterpartei aus. Vom Elternhaus in der Tradition des linksgerichteten Radikalismus erzogen, trat Adam Michnik im Alter von elf Jahren in den von Jacek Kuroń geleiteten General-Walter-Stamm des Polnischen Pfadfinderverbands ZHP ein. Die dort praktizierte Verknüpfung von nonkonformistischer Erziehung und Marxismus sollte einen sehr prägenden Einfluss auf Michniks weiteren Lebensweg haben.

Anfang der 60er Jahre nahm er an den Treffen des *Klubs des Krummen Kreises (Klub Krzywego Koła; KKK) teil. Als Gymnasiast gründete er gemeinsam mit Jan Gross und Jan Kofman den Klub der Widerspruch Suchenden (Klub Poszukiwaczy Sprzeczności), in dem gemeinsam mit Intellektuellen, die als Gäste eingeladen worden sind, politische Themen erörtert wurden. 1963 schlossen die Behörden den Diskussionsklub und Adam Michnik wurde, als er sich gerade auf sein Abitur vorbereitete, öffentlich von Parteichef Władysław Gomułka angegriffen.

Im Sommer 1964 reiste Michnik nach Westeuropa, wo er Jan Nowak-Jeziorański, Jerzy Giedroyc und Zbigniew Brzeziński begegnete. Nach seiner Rückkehr nahm er ein Geschichtsstudium an der Universität Warschau auf. Er engagierte sich bei den sogenannten Revisionisten und wurde zur führenden Gestalt des „Kommandotrupps“, einer studentischen Oppositionsgruppe an der Warschauer Universität. Die Gruppe griff heikle Themen im Rahmen öffentlicher Versammlungen auf und scheute sich nicht, auch Vertretern der Staatsmacht peinliche Fragen zu stellen. So meldete sich Michnik bei einer Veranstaltung mit Walery Namiotkiewicz, einem Sekretär Gomułkas, zu Wort und bezeichnete den Hitler-Stalin-Pakt als einen gegen Polen gerichteten Akt. 1965 verteilte Michnik den von Jacek Kuroń und Karol Modzelewski verfassten „Offenen Brief an die Mitglieder der Partei“ (List otwarty do członków PZPR) an der Universität. Obwohl er zum damaligen Zeitpunkt die linksradikalen Ansichten der beiden Autoren schon nicht mehr teilte, wurde er für zwei Monate inhaftiert und verlor befristet seinen Studentenstatus. Ein Jahr später wurde er erneut vom Studium suspendiert, weil er an der Historischen Fakultät aus Anlass des zehnten Jahrestages des *Oktobers 1956 Veranstaltungen mit Leszek Kołakowski und Krzysztof Pomian organisiert hatte. Die Folge war, dass sich über tausend Studierende und 150 wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität in einer Petition für Adam Michnik einsetzten.

Die endgültige Zwangsexmatrikulation Michniks erfolgte im März 1968 wegen seiner Teilnahme an den Protesten gegen die Absetzung des Theaterstücks „Totenfeier“ (Dziady) von Adam Mickiewicz, das Kazimierz Dejmek am Warschauer Nationaltheater inszeniert hatte. Nach einer Protestkundgebung, die am 30. Januar 1968 vor dem Warschauer Mickiewicz-Denkmal stattfand, hatten Michnik und Henryk Szlajfer darüber einem Korrespondenten von „Le Monde“ berichtet. Die für den 8. März angesetzte Solidaritätskundgebung für Michnik und Szlajfer gilt als der Beginn einer Studentenrevolte im gesamten Land (*März 1968). Am Tag darauf wurde Michnik verhaftet und im Februar 1969 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Im September 1969 kam er im Rahmen einer allgemeinen Amnestie frei und begann als Schweißer in den Warschauer Rosa-Luxemburg-Werken zu arbeiten. Nach zwei Jahren stellte ihn der Schriftsteller und Publizist Antoni Słonimski als seinen Sekretär an. 1973 machte Michnik sein Diplom in Geschichte im Rahmen eines Fernstudiums an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen.

Um Michnik herum reaktivierte sich der nach dem *März 1968 zerschlagene einstige „Kommandotrupp“ und machte auf sich aufmerksam. So wurde zum Beispiel der Mitschnitt eines Treffens zwischen dem Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Edward Gierek, und den streikenden Stettiner Werftarbeitern nach Paris geschleust und dort unter dem Titel „Die Stettiner Revolte und ihre Bedeutung“ (Rewolta szczecińska i jej znaczenie) veröffentlicht. Michnik beteiligte sich auch an Protestbriefen an die Staats- und Parteiführung. Für das Sammeln von Unterschriften für einen Appell zur Achtung der Rechte der polnischen Minderheit in der UdSSR wurde er mit einem Jahr Gefängnis bestraft. In der Exilpresse veröffentlichte er unter Pseudonym, unter anderem den Essay „Die Schatten der vergessenen Ahnen“ (Cienie zapomnianych przodków) über den Staatschef der Vorkriegszeit Józef Piłsudski. Als Andrei Sacharow im Oktober 1975 den Friedensnobelpreis erhielt, verfassten Adam Michnik, Seweryn Blumsztajn, Jacek Kuroń, Jan Lityński und Barbara Toruńczyk ein Glückwunschtelegramm, in dem sie schrieben: „Ihr unbeugsamer Kampf um die Menschenrechte ist für uns Ansporn und Vorbild. Ihre Haltung zur polnischen Sache lässt uns an die heilige Brüderschaft der Völker glauben.“

Michnik unterzeichnete am 5. Dezember 1975 den an den Sejm gerichteten *Brief der 59, der gegen vorgesehene Verfassungsänderungen protestierte und eine Programmerklärung zu den Zielen der Opposition enthielt. 1976 veröffentlichte er sein bis dahin aufsehenerregendstes Buch „Die Kirche und die polnische Linke. Von der Konfrontation zum Dialog …“ (polnischer Titel: Kościół, lewica, dialog). Darin unterzog er die antikirchlichen Vorurteile der demokratischen Linken einer Revision und schlug katholischen Kreisen ein gemeinsames Vorgehen gegen die kommunistische Diktatur vor. Im August 1976 reiste er für acht Monate nach Westeuropa. Während seines dortigen Aufenthaltes warb er um politische Unterstützung für die polnische Opposition. Er publizierte Beiträge in der deutschen, italienischen und französischen Presse und traf sich unter anderen mit Rudi Dutschke, Bettino Craxi, Giancarlo Pajetta und Heinrich Böll. Er führte Gespräche mit den prominentesten Vertretern des polnischen politischen Exils, darunter mit Adam Ciołkosz, Jerzy Giedroyc, Jan Nowak-Jeziorański und Aleksander Smolar.

Wichtig für die Entwicklung der Opposition in Polen war sein Referat „Neuer Evolutionismus“ (Nowy ewolucjonizm), das er 1976 auf einer Pariser Tagung über den *Oktober 1956 hielt. In seinen strategischen Überlegungen zur Opposition lehnte Michnik nicht nur Konspiration und Revolution ab, sondern auch den Versuch, um den Preis der Zusammenarbeit etwas von den Herrschenden zu erhalten. „Unrealistisch ist es zu glauben, das Regime in Polen stürzen zu können, ohne dass sich die politische Struktur der UdSSR ändert“, stellte er fest. Er sprach sich für einen evolutionären Weg der Systemumgestaltung und für einen unnachgiebigen Kampf um Reformen aus. Adressat des Oppositionsprogramms müsse die Gesellschaft sein, nicht die Staatsmacht. Seine Hoffnung ruhte dabei auf den Arbeitern, denen sich die Intelligenz anschließen müsse. Er hob auch die Rolle der Kirche und deren Einsatz für die Würde des Menschen und für die bürgerlichen Freiheiten hervor. In seinem Text vermied er radikale Forderungen nach staatlicher Unabhängigkeit. Die Angst vor einer sowjetischen Intervention sei sehr wohl begründet (sollte jedoch den Kampf nicht lähmen), die Veränderungen in Polen müssten sich daher zumindest in der ersten Phase im Rahmen der sogenannten Breschnew-Doktrin bewegen: „Die Mitstreiter der demokratischen Opposition sollten zunächst ihre eigenen, konkreten politischen Ziele formulieren und dann – gestützt auf diese Ziele – politische Kompromisse schließen.“

Anfang Mai 1977 kehrte Michnik nach Polen zurück, wo er Mitglied des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; *KOR) wurde. Schon einige Tage später kam er – zusammen mit weiteren *KOR-Mitgliedern – in Haft. In einem Brief aus dem Gefängnis, den französische, italienische und deutsche Zeitungen veröffentlichten, rief er die westeuropäische Linke dazu auf, sich für die osteuropäischen Dissidenten einzusetzen und auf eine Wiederherstellung von Freiheit und Demokratie in diesem Teil Europas hinzuwirken. „Eine Entspannung ist nicht möglich, solange die Menschenrechte, die deren Fundament darstellen, nicht respektiert werden“, so Michnik.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit im In- und Ausland ließ man die inhaftierten *KOR-Aktivisten im Juli 1977 im Rahmen einer Amnestie wieder frei.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre engagierte sich Michnik im Komitee für Gesellschaftliche Selbstverteidigung „KOR“ (Komitet Samoobrony Społecznej; *KSS „KOR“) sowie im Untergrundverlagswesen. Er war einer der Gründer des Unabhängigen Verlagshauses *NOWA (Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA) und ab Ende 1977 Mitglied des *NOWA-Kollegiums. Michnik beteiligte sich außerdem am *„Biuletyn Informacyjny“ (Informationsbulletin), war Redaktionsmitglied der literarischen Zeitschrift *„Zapis“ (Aufzeichnung) und der politischen Quartalschrift *„Krytyka“ (Kritik). In letztgenannter Zeitschrift, die ein sozialdemokratisches Profil hatte, spielte er eine wesentliche Rolle. So fanden in seiner Wohnung die Redaktionssitzungen und Michnik selbst veröffentlichte in der Zeitschrift viele seiner wichtigen politischen Texte.

Im Rahmen der Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse (Towarzystwo Kursów Naukowych; TKN), deren Gründungserklärung er am 22. Januar 1978 unterzeichnete, bot Michnik Veranstaltungen zur neuesten polnischen Geschichte an. Nach einer Reihe von Attacken, hinter denen Schlägertrupps der Partei standen, musste er jedoch auf öffentliche Vorlesungen verzichten. Vom Staatssicherheitsdienst wurde Michnik über einhundert Mal für 48 Stunden in Gewahrsam genommen und mehrfach dabei geschlagen.

Michnik knüpfte Kontakte zu Dissidenten in Ungarn und in der Tschechoslowakei. Im August 1978 nahm er an zwei Treffen von *KSS „KOR“-Vertretern mit Aktivisten der tschechoslowakischen *Charta 77 teil, die an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze stattfanden (mit dabei waren unter anderen Václav Havel und Anna Šabotová). Vom 3. bis 10. Oktober 1979 beteiligte er sich in der Warschauer Heilig-Kreuz-Kirche an einem Hungerstreik als Zeichen der Solidarität mit den inhaftierten tschechoslowakischen Dissidenten.

Im August 1980 wurde Michnik zusammen mit anderen Oppositionellen verhaftet. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete „Beteiligung an einer Vereinigung namens *KSS ‚KOR‘, die kriminelle Zielstellungen verfolgt“. Nach der Unterzeichnung der *Danziger Vereinbarung wurden alle Inhaftierten wieder aus der Haft entlassen, worauf die streikenden Werftarbeiter gedrängt hatten. Wie auch die anderen Mitglieder des *KSS „KOR“ engagierte sich Michnik für die entstehende unabhängige Gewerkschaft *Solidarność. Ende 1980 wurde er zum Experten der Region Masowien und des Arbeiterausschusses der Bergarbeiter der *Solidarność der Lenin-Hütte berufen. Er war auch Berater von Zbigniew Bujak, des Vorsitzenden der Region Masowien.

In zahlreichen Beiträgen für die Untergrund- und Gewerkschaftspresse stellte Michnik Überlegungen zu den Erfolgsaussichten des polnischen Freiheitsexperiments an. Im Herbst 1980 schrieb er, Reformen seien möglich, ihr Umfang würde jedoch durch die Großmachtinteressen der UdSSR beschränkt, die durch die Zugehörigkeit Polens zum Warschauer Pakt und durch die Herrschaft der Kommunisten definiert seien. Man könne versuchen, diese Herrschaft einzudämmen und zu kontrollieren, der Versuch ihrer vollständigen Beseitigung wäre jedoch politisches Abenteurertum. Ebenso kritisierte er Forderungen nach freien Wahlen in Polen. Die Koexistenz einer unabhängigen Gewerkschaft und der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei sei möglich, erfordere jedoch unablässigen Druck auf die Machthaber. Die Linie des Kompromisses und der Verständigung könne jedoch angesichts einer Gefährdung der *Solidarność nicht aufrechterhalten werden. So kritisierte Michnik beispielsweise während der durch Polizeigewalt ausgelösten sogenannten Bromberger Krise im März 1981 die allzu versöhnlichen Entscheidungen von Gewerkschaftschef Lech Wałęsa sowie den Verzicht auf einen Generalstreik.

In einer ganz anderen Rolle trat Michnik 1981 während politischer Unruhen in Otwock unweit von Warschau in Erscheinung. Dort schützte er Milizangehörige, die verdächtigt wurden, Gefangene gequält zu haben, vor der Selbstjustiz der Menge. Das Vertrauen der Menschen erlangte er erst wieder, als er sich selbst „antisozialistische Kraft“ vorstellte.

Auf stets sehr gut besuchten Veranstaltungen in Hochschulen und Fabriken sprach Michnik über die Genese der kommunistischen Herrschaft in Polen, über die Aktivitäten des *KSS „KOR“ und über die Notwendigkeit eines neuen Gesellschaftsvertrages zwischen den Machthabern und der *Solidarność. Ein solcher Vertrag könne zur Bildung einer zweiten, die Interessen der Arbeitnehmer vertretenden Kammer im Parlament führen, die bei wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen mitbestimmen könnte. Zwischen August 1980 und Dezember 1981 trat er auf 62 Veranstaltungen dieser Art auf. Er gab zahlreiche Interviews, schrieb Beiträge für westliche Zeitungen und hatte dadurch die Möglichkeit, die Meinung der westlichen Öffentlichkeit zur Situation in Polen zu beeinflussen. Er warnte vor einer militärischen Intervention der UdSSR in Polen, die Krieg und ein „zweites Afghanistan“ bedeuten würde, war aber zugleich davon überzeugt, dass es dazu nicht kommen würde, solange die Herrschaft der Partei nicht bedroht sei.

Im November 1981 rief Michnik gemeinsam mit Zbigniew Bujak und Jacek Kuroń die sogenannten Klubs der Selbstverwalteten Republik „Freiheit – Gerechtigkeit – Unabhängigkeit“ (Kluby Rzeczpospolitej Samorządnej „Wolność – Sprawiedliwość – Niepodległość“) ins Leben, die an die Traditionen der demokratischen Linken und an das Selbstverwaltungsprogramm des Ersten Landeskongresses der *Solidarność anknüpften.

Unmittelbar nach Ausrufung des *Kriegsrechts wurde Michnik am 13. Dezember 1981 in das Internierungslager Białołęka in einem Warschauer Vorort gebracht. In der Internierungshaft schrieb er Texte, die in der Untergrundschrift *„Tygodnik Mazowsze“ (Masowisches Wochenblatt) abgedruckt wurden. In ihnen rief er dazu auf, den Widerstand nunmehr in der Konspiration fortzuführen. Er widersetzte sich jedoch dem Aufbau einer zentralisierten Untergrundstruktur und warnte vor der Führung eines bewaffneten Kampfes. Sein Postulat war ein „langer Marsch“, also eine breite zivile Widerstandsbewegung, die für jeden und jede unterschiedliche Betätigungsfelder bereithalte: in der sozialen Selbsthilfe, im unabhängigen Presse- und Verlagswesen, in der Gewerkschaftsarbeit. Die *Solidarność, so Michnik, solle nicht auf Rache sinnen, sondern eine demokratische Alternative zum Kommunismus entwickeln. Eine ähnliche Strategie machten sich auch die Gewerkschaftsführer der *Solidarność im Untergrund zu eigen.

Am 3. September 1982 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Michnik und andere Aktivisten des ehemaligen *KOR wegen der angeblichen Vorbereitung eines gewaltsamen Sturzes der Gesellschaftsordnung. Michnik wurde deswegen aus dem Internierungslager in eine Untersuchungshaftanstalt verlegt. Die folgenden zwei Jahre verbrachte er im Warschauer Gefängnis an der Rakowiecka-Straße, wo er weitere politische Texte und Bücher schrieb, die im Untergrund und im Exil herausgegeben wurden. 1984 lehnte er das Angebot der Machthaber ab, ihn freizulassen, wenn er seine politische Betätigung einstellen oder ins Exil gehen würde. Seinem Beispiel folgten auch andre führende *Solidarność-Vertreter, denen ähnliche Angebote gemacht wurden.

Der Prozess gegen Adam Michnik, Jacek Kuroń, Zbigniew Romaszewski und Henryk Wujec begann am 13. Juli 1984. Eine Woche später beschloss der Sejm eine Amnestie, auf deren Grundlage die politischen Häftlinge auf freien Fuß kamen. Michnik hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 31 Monate im Gefängnis verbracht.

Nach seiner Haftentlassung engagierte sich Michnik sofort wieder in der Opposition, nahm an Kundgebungen und Demonstrationen teil und wurde Berater des *Provisorischen Koordinierungsausschusses der *Solidarność (Tymczasowa Komisja Koordynacyjna; TKK), der konspirativen Gewerkschaftsführung. Im Februar 1985 wurde er erneut verhaftet (gemeinsam mit Władysław Frasyniuk und Bogdan Lis). Die Anklagepunkte in dem ab Mai 1985 geführten Prozess lauteten: Führung des *Provisorischen Koordinierungsausschusses und Stiftung öffentlicher Unruhe. Michnik wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Während der Ermittlungen verfasste er ein Buch über die Möglichkeiten eines Kompromisses mit den Kommunisten („Solche Zeiten … Über den Kompromiss“/Takie czasy … Rzecz o kompromisie). Darin schätzte er ein, dass eine Verständigung mit den kompromisswilligen Teilen der Herrschenden möglich sei. Voraussetzung sei allerdings die Anerkennung der *Solidarność als Partner auf Augenhöhe. Er skizzierte die Gestalt einer künftigen Einigung und schlug in diesem Zusammenhang freie Wahlen für ein Drittel der Parlamentsmandate vor.

Im Rahmen einer weiteren Amnestie wurde Michnik im Juli 1986 aus dem Gefängnis entlassen. Er ließ sich in Danzig nieder, wo er einer der engsten Berater von Lech Wałęsa wurde. Er gehörte auch zum Kreise jener Personen, die vom *Solidarność-Führer am Vorabend des Papstbesuches eingeladen wurden und am 31. Mai 1987 die sogenannte Erklärung der 63 unterzeichneten, in der die grundlegenden Ziele der polnischen Opposition formuliert waren.

Im Mai 1988 erhielt Michnik gemeinsam mit Zbigniew Bujak den Robert-F.-Kennedy-Menschenrechtspreis. Überreicht wurde ihnen der Preis von Senator Edward Kennedy, der zusammen mit seiner Familie Polen besuchte.

Michnik verfolgte die Geschehnisse in der UdSSR aufmerksam und sah in den Reformbemühungen Michail Gorbatschows die Chance für eine wesentliche Schwächung des Systems, was auch positive Auswirkungen auf die Entwicklung in Polen und im gesamten Ostblock haben musste. Anfang 1988 regte er einen Brief an, den polnische Künstler und Intellektuelle an die Kulturschaffenden und Wissenschaftler in der UdSSR sandten. Darin wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, die Demokratisierung könne auch zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Völkern führen. Die Russen wurden in dem Schreiben aufgefordert, das Massaker von Katyń zu verurteilen, bei dem 1940 unter anderen tausende polnische Offiziere von der sowjetischen Geheimpolizei erschossen worden waren.

Michnik unterstützte die Gespräche der *Solidarność mit führenden Parteivertretern, die im Herbst 1988 begannen. In den Augen von Staats- und Parteichef Jaruzelski blieb er jedoch weiterhin – neben Jacek Kuroń – der größte Staatsfeind. Die Herrschenden weigerten sich lange, seine Anwesenheit bei den Verhandlungen zu akzeptieren. Im Dezember 1988 wurde Michnik Mitglied des *Bürgerkomitees (Komitet Obywatelski) beim Vorsitzenden der *Solidarność. Er nahm an den Gesprächen am *Runden Tisch (6. Februar bis 5. April 1989) teil. Als Teilnehmer der vertraulichen Gespräche in Magdalenka bei Warschau und der Arbeitsgruppe Politische Reformen war er einer der Architekten der erzielten Übereinkunft.

Die politische Position Michniks wurde auch dadurch bestätigt, dass Lech Wałęsa ihn zum Chefredakteur der ab 1989 aus Anlass der halbfreien Wahlen legal erscheinenden Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ (Wahlzeitung) ernannte. Die erste Ausgabe der Zeitung erschien am 8. Mai 1989 in einer Auflage von 150.000 Exemplaren. Zu den halbfreien Parlamentswahlen am 4. Juni 1989 kandidierte Michnik im Wahlbezirk Kattowitz und zog als Abgeordneter ins Parlament ein.

Im Sejm spielte er eine wichtige Rolle und war einer derjenigen, die die Konzeption einer *Solidarność-Regierung unter dem Schlagwort „Euer Präsident, unser Premierminister“ (Wasz prezydent, nasz premier). Nach dem Ende des Kommunismus in Polen war er 1990 einer der Gründer der Bürgerbewegung „Demokratische Aktion“ (Akcja Demokratyczna). 1991 trat er nicht noch einmal bei den Sejm-Wahlen an und beendete somit seine unmittelbare politische Tätigkeit. Als Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, einer der größten meinungsbildenden Tageszeitungen Polens, der er seit 1989 ununterbrochen ist, blieb Michnik jedoch eine wichtige Persönlichkeit des polnischen und europäischen öffentlichen Lebens.

Für seine Verdienste wurde Michnik mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, so beispielsweise mit dem Europäischen Journalistenpreis (1995) und der Imre-Nagy-Medaille (1995). 1999 war er der erste nicht-spanische Preisträger des Francisco-Cerecedo-Journalistenpreises. Als einziger polnischer Journalist stand er auf der Liste der 50 „Helden der Pressefreiheit“, die 2000 vom International Press Institute (IPI) veröffentlicht wurde. 2001 wurde ihm für seine Verdienste um die Entwicklung der europäischen Kultur und Gesellschaft der Erasmuspreis verliehen.


Jan Skórzyński
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 08/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.