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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Modzelewski, Karol

* 1937




Karol Modzelewski wurde 1937 in Moskau geboren. Er war der Adoptivsohn von Zygmunt Modzelewski, einem kommunistischen Funktionär, der nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem polnischer Außenminister war. Er wurde im Geiste der kommunistischen Ideologie erzogen, an die er fest glaubte, jedoch nicht auf vollkommen konformistische Weise.

Als Student in Polen war Modzelewski Mitglied des offiziellen kommunistischen Jugendverbandes Bund der Polnischen Jugend (Związek Młodzieży Polskiej; ZMP). Er gehörte jedoch zu denjenigen Aktivisten, die 1956 die politischen Vorgaben der Politik scharf kritisierten und Kontakt zu Arbeitern suchten. Mehrmals war er in der Pkw-Fabrik FSO in Warschau-Żerań zu Gast. Nach dem *Oktober 1956 gehörte er dem Revolutionären Jugendverband (Rewolucyjny Związek Młodzieży; RZM) an, ab 1957 war er Mitglied des Sozialistischen Jugendverbandes (Związek Młodzieży Socjalistycznej; ZMS) und der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza; PZPR). 1959 schloss er sein Geschichtsstudium an der Universität Warschau ab und arbeitete bis 1964 als wissenschaftlicher Assistent an der Historischen Fakultät der Universität Warschau.

Ab Herbst 1962 leitete Modzelewski an der Universität den Politischen Diskussionsklub, einem der PZPR gegenüber kritischen Forum. Der Klub wurde nach nur einem Jahr auf Beschluss der Parteiführung aufgelöst.

Modzelewski erarbeitete gemeinsam mit seinem Freund Jacek Kuroń ein für die konspirative Verbreitung bestimmtes Programm, in dem das politische und ökonomische System der Volksrepublik Polen aus marxistischer Sicht kritisiert wurde. Das herrschende „Establishment“ wurde als zentrale Politbürokratie bezeichnet, die sich den Staat angeeignet habe. Das auf dieser Grundlage errichtete System beute die Arbeiterklasse aus, weswegen die wirtschaftliche und soziale Krise zu einer Revolution führen müsse. In deren Ergebnis werde die Bürokratenherrschaft gestürzt. Dabei könne eine wahre klassenlose Gesellschaft entstehen, in der die unmittelbare Herrschaft durch Arbeiterräte ausgeübt werde. Das Programm sah verschiedene Arbeiterparteien vor und beschrieb freie Gewerkschaften, Streikrecht, Meinungs- und Pressefreiheit als wichtige Elemente der neuen Gesellschaft. In diesem Konzept waren nicht nur Einflüsse von Milovan Đilas und Leo Trotzki unverkennbar, sondern auch von Artikeln der Jahre 1956/57 aus dem führenden Wochenblatt des *Oktober 1956 „Po prostu“ (Geradeheraus).

Die Vervielfältigung dieses Textes gelang jedoch nicht, denn in der Nacht vom 14. auf den 15. November 1964 wurden die beiden Verfasser vom Staatssicherheitsdienst verhaftet. Der Text wurde beschlagnahmt, Modzelewski aus der Partei ausgeschlossen und auch der Universität Warschau verwiesen, an der er promovierte.

Jacek Kuroń und Karol Modzelewski rekonstruierten ihr verloren gegangenes Programm in Form des „Offenen Briefes an die Mitglieder der Partei“ (List otwarty do członków PZPR). Am 18. März 1965 verteilten sie ein gutes Dutzend davon an der Universität, unter anderem an die Universitätsparteileitung und an die Hochschulleitung des Jugendverbandes. Einen Tag später wurden beide verhaftet und im Juli vor Gericht gestellt. Ihr Prozess weckte allgemeines Interesse und Solidaritätsbekundungen vonseiten Intellektueller, die mit den sogenannten Revisionisten sympathisierten. Während der Gerichtsverhandlung waren als Vertrauenspersonen der Angeklagten Leszek Kołakowski und der Schriftsteller Marian Brandys anwesend, in den Korridoren vor dem Gerichtssaal hatten sich Dutzende Warschauer Intellektuelle und Studenten eingefunden. Modzelewski wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Dieser Prozess und die Solidaritätsbekundungen waren die Initialzündung für die Aktionen des sogenannten „Kommandotrupps“ an der Universität Warschau. Der „Offene Brief“ wurde unter anderen vom Literarischen Institut in Paris veröffentlicht. Die Affäre um Jacek Kuroń und Karol Modzelewski erschien auch in der westlichen Presse. Die beiden Angeklagten gehörten so zu den prominentesten politischen Gefangenen im gesamten Ostblock.

Modzelewski wurde am 3. August 1967 aus der Haft entlassen und beteiligte sich schon bald gemeinsam mit Jacek Kuroń an den Aktivitäten des „Kommandotrupps“. Er distanzierte sich zunehmend von den Thesen im „Offenen Brief“ und überhaupt von der Konzeption des radikalen Marxismus, obgleich er sich weiterhin linken Werten verbunden fühlte.

Nach der von den Behörden erzwungenen Absetzung des Theaterstücks „Totenfeier“ (Dziady) von Adam Mickiewicz in der Inszenierung von Kazimierz Dejmek am Warschauer Nationaltheater war Modzelewski einer der Ersten, die zu Protesten aufriefen. Er verfasste Flugblätter und stimmte während der letzten Vorstellung am 30. Januar 1968 den Sprechchor „Unabhängigkeit ohne Zensur!“ (Niepodległość bez cenzury!) an.

Obwohl er sich damals in Diskussionen zunächst gegen Protestkundgebungen als Widerstandsform ausgesprochen hatte, änderte er seine Meinung nach der Zwangsexmatrikulation von Adam Michnik und Henryk Szlajfer am 3. März 1968. Wie Jacek Kuroń wurde auch Modzelewski am Abend des 8. März verhaftet. Die Parteipresse und der Erste Sekretär des Zentralkomitees Władysław Gomułka attackierten ihn öffentlich. Gemeinsam mit Jacek Kuroń wurde er für die Ereignisse des *März 1968 verantwortlich gemacht. Im Januar 1969 wurde beiden wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer konspirativen Vereinigung (gemeint war der „Kommandotrupp“) der Prozess gemacht. Beide erhielten je dreieinhalb Jahre Haft.

Im September kam Modzelewski aus dem Gefängnis frei. Er fand einen Arbeitsplatz am Institut für die Geschichte der Materiellen Kultur der Polnischen Akademie der Wissenschaften, allerdings nicht in Warschau. Seinen Wohnsitz hatte er fortan in dem Städtchen Sobótka unweit von Breslau. An oppositionellen Aktivitäten nahm er nicht mehr teil, sondern erklärte, er wolle sich der wissenschaftlichen Arbeit widmen. Er sei von den Jahren im Gefängnis erschöpft und glaube nicht mehr an die Möglichkeit, bessere politische Bedingungen durchsetzen zu können.

Nach den Ereignisse im *Juni 1976 meldete er sich dennoch mit einer Protesterklärung an den Ersten ZK-Sekretär Edward Gierek zu Wort. Darin wies er auf die sich vertiefende politische und wirtschaftliche Krise hin und prangerte die gegen die Arbeiter gerichteten Repressionen an. Er sei Anhänger des politischen Pluralismus, sehe jedoch unter den existierenden Bedingungen keine Chance, diesen zu realisieren. Das von ihm in dem Schreiben vorgestellte Programm sprach sich für begrenzte Reformen aus, darunter für autonome Gewerkschaften.

1978 veröffentlichte Modzelewski unter dem Pseudonym „Krzysztof Kwiecień“ zusammen mit dem Exil-Publizisten Jan Drewnowski in der unabhängigen politischen Quartalsschrift *„Krytyka“ (Kritik) eine Polemik zum Thema Revisionismus. Er verteidigte den Revisionismus als einen Denkansatz, der einen großen kulturellen Gewinn und Entwürfe für antitotalitäres Handeln hervorgebracht habe. Zugleich stellte er fest, der Opposition der 70er Jahre sei die kommunistische Ideologie völlig fremd, obwohl viele ihrer Akteure einst Revisionisten gewesen seien. Diese Feststellung bezog er nicht zuletzt auch auf sich selbst.

Während des Streiks im August 1980 kam er zwar auf die Danziger Lenin-Werft, wollte jedoch als jemand, der von den Herrschenden eindeutig mit dem *März 1968 in Verbindung gebracht wurde, nicht die Verhandlungen der Streikenden mit der Regierungsdelegation erschweren. Er fuhr deswegen nach Breslau zurück, wo er Anfang September zum stellvertretenden Vorsitzenden des Gründungskomitees der neuen Gewerkschaften für die Breslauer Dienststellen der Polnischen Akademie der Wissenschaften gewählt wurde. Als solcher trat er dem regionalen Überbetrieblichen Gründungskomitee (Międzyzakładowy Komitet Założycielski; MKZ) bei und wurde bald dessen Präsidiumsmitglied. Er wurde in den Ausschuss gewählt, der Breslau auf der Konferenz zur Gründung neuer Gewerkschaften am 17. September in Danzig vertreten sollte. Auf dieser Konferenz spielte Modzelewski eine wesentliche Rolle. Ähnlich wie auch Jan Olszewski trat er dafür ein, dass alle regionalen Gewerkschaftsverbände einen gemeinsamen Registrierungsantrag stellen und einen einheitlichen Landesausschuss bilden sollten. Modzelewski schlug auch den Namen *Solidarność für die neue Gewerkschaft vor. Am 9. November 1980 wurde er von der Landesverständigungskommission (KKP) der *Solidarność zum Pressesprecher ernannt.

Modzelewski war ein fest in seiner Region verwurzelter Gewerkschafter, der die Stimmungen im Volk einzuschätzen wusste und darüber hinaus ein begnadeter Redner war. Viele sahen in ihm jedoch auch einen Radikalen. So forderte er während der sogenannten Bromberger Krise, bei der die Miliz Gewerkschafter verprügelt hatte, zu einem Generalstreik auf, um die Staatsführung zu Zugeständnissen zu zwingen. Nach der Warschauer Übereinkunft zwischen *Solidarność und Staatsführung am 30. März 1981 kritisierte er auf der KPP-Sitzung am 31.03./01.04.1981 grundlegend die Arbeit der Verhandlungsdelegation und auch die Art und Weise der Beendigung des Streiks, bei der gegen die gewerkschaftliche Demokratie verstoßen worden sei. Er kritisierte auch Lech Wałęsa wegen dessen monarchischen Führungsstils in der *Solidarność. Aus all dem zog er die Konsequenzen und trat als Pressesprecher zurück.

Modzelewski blieb jedoch Mitglied des Landeskoordinierungsausschusses und wurde im Oktober 1981 auf dem Ersten Landeskongress *Solidarność in deren Landeskommission (Komisja Krajowa) gewählt. Er sprach sich in Bezug auf das Gesetz über die Zensur für eine Kompromisslösung aus und war dagegen, freie Wahlen zum Sejm zu fordern. Zugleich warb er für die Weiterentwicklung der Selbstverwaltung in der Industrie und die Vertiefung demokratischer Prozesse, unter anderem durch freie Wahlen zu den Nationalräten und die Einsetzung einer gesellschaftlichen Vertretung, die auf zentraler Ebene in der Lage sein müsse, mit Parlament und Regierung die Sozial- und Wirtschaftspolitik abzustimmen.

Während der Ausrufung des Kriegsrechts wurde Modzelewski in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 zunächst in das Internierungslager Strzebielinek und dann nach Białołęka gebracht. Es gelang ihm, aus der Internierungshaft einige Artikel herauszuschmuggeln, die in der Untergrundpresse unter dem Pseudonym „Czesław Bednarski“ abgedruckt wurden. Er war einer von sieben *Solidarność-Führern, die im Dezember 1982 nicht wie die anderen aus der Internierungshaft entlassen wurden. Sie blieben inhaftiert, da ihnen ein gewaltsamer Umsturzversuch vorgeworfen wurde. Ohne Prozess weiter hinter Gittern, kamen diese Aktivisten erst im Rahmen der Amnestie im Juli 1984 wieder auf freien Fuß.



Während der Internierungshaft verlor Modzelewski auch seinen Arbeitsplatz. Dennoch kehrte er in die Forschung zurück. 1987 wurde er von der Polnischen Akademie der Wissenschaften angestellt. Er gehörte weder den seit dem Kriegsrecht konspirativen Führungsstrukturen der *Solidarność an, noch trat er dem 1988 gebildeten *Bürgerkomitee beim Vorsitzenden der *Solidarność (Komitet Obywatelski przy Przewodniczącym NSZZ „Solidarność“) bei. Er nahm auch nicht an den Gesprächen am *Runden Tisch teil, obwohl er in einem Beitrag für den *„Tygodnik Powszechny“ (Allgemeines Wochenblatt) im Oktober 1988 diesen Ansatz für eine Kompromisslösung zwischen der Regierung und der *Solidarność befürwortet hatte. Im Juni 1989 wurde Modzelewski in den ersten halbfreien Wahlen als Kandidat des *Bürgerkomitees in die zweite Kammer des polnischen Parlaments (Senat) gewählt. Sein Mandat als Senator nahm er bis 1991 wahr.

Ab 1990 initiierte Modzelewski die Bildung der Abgeordnetengruppe „Solidarność Pracy“ (Solidarität der Arbeit). 1992–95 engagierte er sich in der Partei Arbeitsunion (Unia Pracy). Bereits 1990 wurde er zum Professor ernannt und arbeitete fortan wissenschaftlich, ab 1994 an der Historischen Fakultät der Universität Warschau. Er ist Autor einer Vielzahl von Publikationen im Bereich der Mediävistik. Im Dezember 2006 wurde er Vizepräsident der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Karol Modzelewski starb am 28. April 2019 in Warschau.



Andrzej Friszke
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 07/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.