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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Morawiecki, Kornel

* 1941




Kornel Morawiecki wurde 1941 in Warschau geboren. 1959–63 studierte er Physik an der Universität Breslau (Wrocław) und war dort bis 1973 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Im *März 1968 nahm er an den Studentenstreiks und Demonstrationen in Breslau teil. Im August 1968 verfasste er Flugblätter gegen den *Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei und hängte im Januar 1969 in der Stadt Traueranzeigen für den tschechischen Studenten Jan Palach, der sich aus Protest gegen die Invasion in Prag selbst verbrannt hatte. Nach den Streiks an der Küste im *Dezember 1970 verteilte er in Breslau oppositionelle Flugblätter. Ab 1973 arbeitete er am Breslauer Polytechnikum.

Ab Juni 1979 engagierte sich Morawiecki im seit Frühjahr desselben Jahres bestehenden Klub der gesellschaftlichen Selbstverteidigung (Klub Samoobrony Społecznej), der das niederschlesische Äquivalent des Komitees für Gesellschaftliche Selbstverteidigung „KOR“ (Komitet Samoobrony Społecznej; *KSS „KOR“) war. Ab Januar 1980 gab er gemeinsam mit Romuald Lazarowicz, Jan Waszkiewicz und Michał Wodzinski das unabhängige „Biuletyn Dolnośląski“ (Niederschlesisches Bulletin) heraus, das seit Juni 1979 erschien und über staatliche Repressionen der Machthaber und den gesellschaftlichen Widerstand berichtete, die internationale Entwicklung analysierte und eine unverfälschte Darstellung der neuesten polnischen Geschichte brachte. Schon damals war Morawiecki der Ansicht, man müsse gegenüber den kommunistischen Machthabern offensiv und kompromisslos auftreten und die Opposition in anderen Ostblockländern unterstützen.

Während des „Sommers der Solidarność“ schrieb Morawiecki an Informationsblättern über die Streiks an der Küste mit. In einem der Flugblätter sowie im „Biuletyn Dolnośląski“ vom 23. August veröffentlichte er die 21 Forderungen des Danziger „Überbetrieblichen Streikkomitees“ (Międzyzakłokowy Komitet Strajkowy), die ihm Zenon Pałka übermittelt hatte. Er wurde Mitglied der Betriebskommission (Komisja Zakładowa) der *Solidarność am Breslauer Polytechnikum und stand ab 15. August er an der Spitze der fünfköpfigen niederschlesischen Delegiertenkommission, die die Liste der Abgeordneten für die Landesdelegiertenkommission (Krajowa Komisja Zjazdowa) der *Solidarność aufstellte.

Morawiecki nahm im September/Oktober 1981 am Ersten Landesdelegiertenkongress der *Solidarność in Danzig teil, auf dem er vorschlug, eine Handreichung zu erarbeiten, um für den Fall vorbereitet zu sein, dass in Polen das *Kriegsrecht ausgerufen wird oder es zu einer Invasion der anderen Ostblockstaaten kommt.

Nach Veröffentlichung des „Appells an die in Polen stationierten Sowjetsoldaten“ (Apel do żółnierzy sowieckich stacjonujących w Polsce) im „Biuletyn Dolnośląski“ (Juli/August 1981) wurde er am 14. September verhaftet. Unter dem Druck der niederschlesischen *Solidarność und dank der Hilfe von Polytechnikum-Direktor Tadeusz Zipser und Prorektor Andrzej Wiszniewski kam er bereits nach 48 Stunden wieder auf freien Fuß. Trotzdem erwartete ihn ein Gerichtsprozess, der im November und Dezember 1981 anfing, dann jedoch aufgrund der Verhängung des *Kriegsrechts nicht weitergeführt wurde. Vom 11. November bis zum 9. Dezember 1981 gab Morawiecki unter dem Dach der *Solidarność-Regionalleitung Niederschlesien die Plakatzeitung „Nasze Słowo“ (Unser Wort) heraus.

Für den Fall eines Verbots der *Solidarność bereitete Morawiecki in Breslau ein konspiratives Netz von Druckereien vor, das während des *Kriegsrechts genutzt werden konnte. Nach dem 13. Dezember 1981 arbeitete er im Untergrund.

Er trat dem geheim operierenden niederschlesischen Regionalen Streikkomitee der *Solidarność (Regionalny Komitet Strajkowy; RKS) bei und gab bis zum 7. Juni 1982 dessen Zeitschrift „Z dnia na dzień“ (Tag für Tag) heraus. Nach einem Konflikt mit dem Vorsitzenden des Regionalen Streikkomitee Władysław Frasyniuk gründete Morawiecki, der sich für die offene Konfrontation mit dem kommunistischen System aussprach und auch den Einsatz von Gewalt befürwortete, die *Kämpfende Solidarność (Solidarność Walcząca). Am 1. Juni 1982 gab er die Funktion des Propagandachefs des Regionalen Streikkomitees auf und gab eine Woche später das Bulletin der *Kämpfenden Solidarność herauszugeben.

Als Władysław Frasyniuk verhaftet und das Regionale Streikkomitee teilweise zerschlagen war, gliederte Morawiecki am 11. November 1982 die *Kämpfende Solidarność um und wurde Vorsitzender ihres Exekutivkomitees. In dem programmatischen Artikel „Wer sind wir? Wofür kämpfen wir?“ (veröffentlicht im September 1982) schrieb er: „Wir, die wir seit 38 Jahren betrogen wurden, glauben nicht mehr an die Reformierbarkeit dieses Systems. Wir wollen es ändern und den Machthabern die Macht entreißen.“ 1986 prognostizierte er den Untergang des Kommunismus in drei Phasen: Abzug der sowjetischen Truppen aus Polen, freie Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen und zum Sejm, Zerfall der Sowjetunion. Er sprach sich für gesellschaftliche Solidarität und soziale Sicherheit für die Schwächsten aus, sowie für einen freien Markt, der teilweise unter staatlicher Kontrolle stehen sollte. Diese Standpunkte fanden 1986 ihren Niederschlag im Programm der *Kämpfenden Solidarność, dessen Mitautor er war.

Morawiecki wirkte an der Bildung von Organisationen der Kämpfenden Solidarność in Niederschlesien und in Städten anderer Regionen (Kattowitz, Posen, Rzeszów, Danzig, Warschau, Stettin) mit und war Herausgeber und Redakteur der Zeitschriften „Solidarność Walcząca“ (*Kämpfende Solidarność), „Biuletyn Solidarności Walczącej“ (Bulletin der *Kämpfenden Solidarność) und „Biuletyn Dolnośląski“. Er betreute die Arbeit zahlreicher Untergrunddruckereien und des Radiosenders der Kämpfenden Solidarność. 1986/87 initiierte er den Transport unabhängiger Literatur von London in die Ukraine und koordinierte die Beschaffung von Druck- und Radiotechnik aus Deutschland.

Am 9. November 1987 wurde er gemeinsam mit Hanna Łukowska-Karniej aus der Kämpfenden Solidarność in Breslau verhaftet und nach Warschau ins Gefängnis gebracht. Der Vorwurf: Schmuggel und Fälschung von Personaldokumenten. Die Breslauer Opposition – beteiligt war auch Władysław Frasyniuk – organisierte verschiedene Aktionen für seine Freilassung. Am 12. April 1988 schrieb Morawiecki einen Brief an General Wojciech Jaruzelski und protestierte gegen die Kriminalisierung seiner Handlungen. Am 30. April 1988 wurde er gemeinsam mit dem vermutlich krebskranken Vorsitzenden der Kämpfenden Solidarność aus der Dreistadt, Andrzej Kołodziej, gezwungen Polen zu verlassen. Am 4. Mai versuchte er, wieder in seine Heimat einzureisen, wurde aber auf dem Warschauer Flughafen Okęcie gewaltsam zurück in das Flugzeug gebracht und nach Wien geflogen. Von dort aus ging er in die USA, konnte jedoch dank der Unterstützung von Freunden im August 1988 illegal nach Polen zurückkehren.

Morawiecki war gegen Kompromisse mit den kommunistischen Machthabern und lehnte die Verhandlungen am *Runden Tisch ab. Die getroffenen Übereinkünfte mit der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei betrachtete er als den Beginn der Anerkennung der kommunistischen Nomenklatur und der Enteignung des Gesellschaftsvermögens durch die Kommunisten und durch einen Teil der Opposition. Er protestierte gegen die Kandidatur General Jaruzelskis für das Amt des Staatspräsidenten.

Erst 1990 beendete Morawiecki seine Untergrundtätigkeit. Im Juli gründete er die Freiheitspartei (Partia Wolności) als Fortsetzung der Ideen der *Kämpfenden Solidarność. Er forderte, ehemaligen Parteifunktionären für zehn Jahre das Recht zu entziehen, zum Sejm oder den Selbstverwaltungsorganen zu kandidieren oder leitende Funktionen auszuüben. Seit 1991 lehrte Morawiecki am Breslauer Polytechnikum. Im selben Jahr gelang es ihm nicht, für die Präsidentschaftswahlen zugelassen zu werden, da er nicht die dafür erforderlichen 100.000 Unterschriften zusammenbringen konnte. Vor den Parlamentswahlen 1993 ging seine Freiheitspartei in der Bewegung für die Republik (Ruch dla Rzeczpospolitej; RdR) auf, Morawiecki errang jedoch genauso wenig ein Abgeordnetenmandat wie in den Parlamentswahlen 1997, als er für die Bewegung zum Aufbau Polens (Ruch Odbudowy Polski; ROP) kandidierte und 2007, als er als parteiloser Kandidat auf der Liste der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość; PiS) antrat. Bei den Präsidentenwahlen 2010 kam Morawiecki auf den letzten Platz. Auch in den Wahlen zum Niederschlesischen Sejm 2010 und den Senatswahlen 2011 blieb er erfolglos, wurde jedoch Chefredakteur des Magazins „Prawda jest ciekawa – Gazeta Obywatelska“ (Die Wahrheit ist interessant – Bürgerzeitung). Bei den Parlamentswahlen 2015 errang Kornel Morawiecki über die Liste der kurz zuvor gegründeten Wahlverbindung „Kukiz‘15“ des Rocksängers Paweł Kukiz einen Sitz im Sejm, wo er zu einem der Alterspräsidenten ernannt wurde. Im April 2016 verließ er nach einem Konfliktdie Fraktion „Kukiz‘15“ und gründete im Herbst 2016 die Partei „Die Freien und Solidarischen" (Wolni i Solidarni, WiS), deren Vorsitzender er war.

Kornel Morawieczki starb am 30. September 2019 in Warschau.



Jan Ryszard Sielezin
Aus dem Polnischen von Markus Pieper und Wolfgang Templin
Letzte Aktualisierung: 11/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.