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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Handbuch Deutsche Kommunisten

Münzenberg, Willi

* 14.8.1889 ✝ 1940

Am 14. August 1889 in Erfurt geboren, wuchs unter sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater, illegitimer Sohn eines Freiherrn von Sekkendorff, war Förster, betrieb später eine Dorfschenke und praktizierte harte Erziehungsmethoden. Er ließ Münzenberg nur unregelmäßig die Volksschule besuchen, doch dieser las alles, was er in die Hände bekommen konnte. Die harte Kindheit im ärmlichen Thüringen, der Wissensdurst und die Verbindung zur sozialistischen Bewegung prägten das Leben Münzenbergs, der fortan in der radikalen Arbeiterbewegung aktiv war und sich ein umfassendes Wissen selbst aneignete. Seine organisatorische Begabung und erstaunliche Menschenkenntnis brachten ihn bald in führende Positionen. Nach einer abgebrochenen Barbierlehre begann er 1904 in einer Erfurter Schuhfabrik. 1906 Kontakte zur sozialistischen Jugendbewegung, 1908 Delegierter Erfurts am Berliner Kongreß der Sozialistischen Jugend. In Erfurt wegen seiner radikalen Tätigkeit gemaßregelt, ging er auf Wanderschaft und kam im Juli 1910 in die Schweiz. Er wurde Zapfbursche in einem Berner Hotel, später Austräger einer Apotheke in Zürich. Hier schloß er sich einer sozialistischen Gruppe, dem Jungburschenverein um den radikalen Arzt Fritz Brupbacher, an und bekam Verbindung zu russischen Emigranten. Münzenberg wurde einer der Organisatoren der sozialistischen Jugend der Schweiz, 1914 leitete er als hauptamtlicher Sekretär diese Organisation. Während des Krieges Internationalist, geriet er bald unter den Einfluß Lenins, der die Fähigkeiten des jungen Münzenberg erkannte. 1916 Teilnehmer der Konferenz der Kriegsgegner in Kienthal und 1917 beim Kongreß der Sozialistischen Internationalisten in Stockholm.

Er bekannte sich in der Schweiz offen zur bolschewistischen Oktoberrevolution, wurde Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale (Linke). Als Mitorganisator eines Generalstreiks in Zürich ins Zuchthaus gesperrt und sofort nach Kriegsende aus der Schweiz ausgewiesen. Übersiedlung nach Stuttgart, Mitglied der Spartakusgruppe und dann der KPD. Von Januar bis Juni 1919 auf der Festung Ulm bzw. im Gefängnis Rottenburg eingesperrt. Auf dem Gründungskongreß der KJI im November 1919 in Berlin referierte er über das Programm und trat für die Autonomie der Jugendverbände gegenüber der KPD ein. Münzenberg war bis 1921 Sekretär der KJI. Auch in der KPD aktiv, wo er z. B. auf dem II. Parteitag 1919 eine Mittelgruppe zwischen der Führung Paul Levi und den dort ausgeschlossenen Ultralinken Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim bildete. Auf dem II. Kongreß der Jugendinternationale bzw. dem III. Weltkongreß der Komintern 1920 wurde er von Sinowjew abgesetzt und schied aus der Jugendarbeit aus. Lenin hatte Münzenberg beauftragt, im Westen Hilfe gegen die große Hungersnot in Rußland zu organisieren.

Das war der Anstoß zur Bildung der IAH, der ersten großen politischen Organisation, die Münzenberg ins Leben rief. Im Laufe der Jahre entstand diese Hilfsorganisation in allen Ländern, sie gab Zeitungen und Zeitschriften heraus, unterhielt Volksküchen und Kinderheime und unterstützte Streikende. Münzenberg verstand es geschickt, vor allem linke Intellektuelle, die keine Kommunisten waren, für Mithilfe zu gewinnen. In den folgenden Jahren konnte er nach diesen Erfahrungen den berühmten »Münzenberg-Konzern« ausbauen, ein Unternehmen mit Verlagen, Zeitschriften mit Massenauflagen (wie die berühmte AIZ, eine progressive und damals modernste Illustrierte) usw. Dadurch erlangte er auch innerhalb der KPD eine beachtliche Position, er war von Mai 1924 bis März 1933 ununterbrochen KPD-Reichstagsabgeordneter, 1924 in den ZA der KPD gewählt, auf dem XI. Parteitag 1927, dem XII. Parteitag 1929 und der »Brüsseler Konferenz« 1935 als Mitglied ins ZK berufen.

Die Schwester seiner Lebensgefährtin Babette Gross, Margarete Buber-Neumann, schrieb über Münzenbergs Tätigkeit in jenen Jahren: »Er schien weniger ein Revolutionär als ein Manager zu sein und wenn dieser untersetzte, breitschultrige Mann die Angestellten seiner zahlreichen Büros in ständiger Bewegung durcheinanderwirbelte, bei Sitzungen alles andere als demokratisch verfuhr und aus seinen Mitarbeitern das Letzte an Arbeitskraft herausholte, dann begriff ich, warum man ihn in der Kommunistischen Partei als ?Unternehmer? bezeichnete und seinen Betrieben den Namen ?Münzenberg-Konzern? gab ... Er umgab sich in seinen Unternehmungen, den Zeitungsredaktionen der ?Welt am Abend?, ?Berlin am Morgen?, der ?Arbeiter-Illustrierten?, der Zeitschrift ?Roter Aufbau?, dem Filmunternehmen ?Meshrabpom?, dem ?Neuen Deutschen Verlag? und der ?Universum-Bibliothek? nicht nur mit den besten Köpfen der kommunistischen Intelligenz und mit KP-freundlichen Intellektuellen aller Schattierungen, er zog auch häufig Kommunisten zur Mitarbeit heran, die sich in der Partei irgendwelcher ?Abweichungen? schuldig gemacht hatten.« Münzenberg hat selbst bemerkenswerte Schriften verfaßt, z. B. »Die Dritte Front. Aufzeichnungen aus 15 Jahren proletarischer Jugendbewegung« (1930), »Solidarität. Zehn Jahre IAH« (1931) und »Propaganda als Waffe« (1937).

Er hatte bis 1932 maßgebenden Einfluß auf die Linie der KPD, zählte allerdings 1932 zur Remmele-Neumann-Gruppe. Im März 1933 Emigration nach Paris, wo er mit großer Aktivität den propagandistischen Kampf gegen Hitler aufnahm, wiederum Verlage und Zeitungen schuf, so u. a. den berühmten Verlag Editions du Carrefour sowie das »Braunbuch über den Reichstagsbrand« und andere Anti-Hitler-Literatur publizierte. Er warb ab 1934 für die neue Linie der Komintern und war einer der Initiatoren des »Lutetia-Kreises« zur Begründung einer deutschen Volksfront. Münzenberg, der noch 1935 unter dem Namen Max am VII. Weltkongreß der Komintern und der »Brüsseler Konferenz« teilnahm, geriet zunehmend in Widerspruch zur Komintern und besonders zur Leitung der KPD unter Walter Ulbricht. Deshalb 1936 in Moskau vor die IKK geladen; er erreichte aber, daß er wieder nach Paris zurückkehren konnte und war so den Stalinschen Säuberungen entronnen. 1937 folgte er Aufforderungen, nach Moskau zu kommen, nicht mehr, da er schon 1936 in der Sowjetunion das Klima der Repressalien gespürt hatte.

Im Oktober 1937 wurde Münzenberg aus der KPD ausgeschlossen. Seinen Einspruch gegen den Ausschluß aus dem ZK und der Partei behandelte die IKK erst am 20. Januar und 16. Februar 1939. Nachdem sein Ausschluß bestätigt worden war, erklärte Münzenberg selbst in einem »Offenen Brief« vom 10. März 1939 seinen Austritt aus der KPD. Er kämpfte weiter gegen den Faschismus, wandte sich zugleich gegen den Stalin-Hitler-Pakt. 1939 gründete er in Paris die Organisation »Freunde der Sozialistischen Einheit Deutschlands« und die von ihm geführte Zeitung »Zukunft« sammelte antistalinistische Kommunisten um sich. Bei Kriegsausbruch in Frankreich interniert. Im Januar 1940 beendete er seinen Artikel »Demokratie und Diktatur« mit dem Ausruf »Der Verräter, Stalin, bist Du!« Als die deutsche Armee auf Lyon vorrückte, floh er im Sommer mit drei anderen Deutschen aus dem Lager Chambarran bei Lyon, erst Ende Oktober 1940 wurde seine stark verweste Leiche gefunden. Münzenberg verlor im Hochsommer 1940 sein Leben, ein Selbstmord und auch ein Raubmord gelten so gut wie ausgeschlossen. Vielmehr ist die Ermordung durch Agenten Hitlers oder eher Stalins zu vermuten, Kurt Kersten kam 1957 zu dem Schluß, ein stalinistischer Fememord sei die wahrscheinlichste Erklärung.

Diese Ansicht vertrat auch Münzenbergs Lebensgefährtin, Babette Gross (* 16. 7. 1898), die durch verschiedene Arbeiten über die Volksfront publizistisch hervortrat, in ihrem Buch: »Willi Münzenberg. Eine politische Biographie«, Stuttgart 1967. Babette Gross, geborene Thüring, war die Tochter eines Braumeisters und Schwester von Margarete Buber-Neumann. Sie absolvierte nach dem Oberlyzeum das Lehrerinnenseminar und trat 1920 in die KPD ein. Seit 1922 Mitarbeiterin der IAH, leitete sie von 1924 bis 1933 als Geschäftsführerin den Neuen Deutschen Verlag, ein Unternehmen des »Münzenberg-Konzerns«. Seit 1925 lebte und arbeitete Babette Gross mit Münzenberg zusammen, flüchtete mit ihm im März 1933 nach Paris und brach 1937 ebenfalls mit der KPD und der Komintern. 1940 zeitweise in Gurs interniert, gelang ihr über Portugal die Flucht nach Mexiko. 1947 kehrte sie nach Deutschland zurück, war 1949 Mitbegründerin und bis 1951 Mitglied der Geschäftsleitung der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Babette Gross starb am 8. Februar 1990 an einem Schlaganfall in Berlin.

Willi Münzenberg gehörte weltweit zu den bekanntesten Kommunisten Er verkörperte einerseits als Arbeiter die typische Entwicklung in der Arbeiterbewegung: Wissensdurst und Weiterbildung; andererseits führten Organisationserfahrung und voller Einsatz der Person für die Sache zu seinem Aufstieg. Ein beachtliches Organisationstalent ließ ihn zum ersten kommunistischen »Manager« werden, der lange Zeit die Strategie des Stalinismus duldete und mitmachte. Doch als er diese Strategie durchschaute und zu den ursprünglichen Zielen der Arbeiterbewegung zurückfand, wurde Münzenberg ein Opfer des Stalinismus

Information

Mehr Hinweise zu den beiden Lexika finden Sie unter Wer war wer in der DDR? und unter Handbuch der Deutschen Kommunisten