x

In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Navrátil, Augustin

* 1928 ✝ 2003




Augustin Navrátil wurde 1928 in Lutopecny (Lutopetz) im mährischen Landkreis Kroměříž geboren, wo er auch durchgehend lebte. Seine Eltern waren Landwirte, er selbst erlernte den Beruf des Tischlers. Navrátil ging auf eine Abendschule für die mittlere Reife, die er jedoch nicht abschloss. In den 50er Jahren lehnten seine Eltern den Beitritt zu einer der staatlichen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ab, was ihm später seine Arbeitssuche erschwerte. Er wechselte häufig seine Arbeitsstellen, schließlich wurde er bei der Bahn beschäftigt, bei der er bis zu seiner Pensionierung auf verschiedenen Stellen arbeitete.

Schon in den 50er Jahren trat er immer wieder gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse ein und engagierte sich in der katholischen Laienbewegung. Er war zwar Mitglied in der von den Kommunisten zugelassenen Tschechoslowakischen Volkspartei (Československá strana lidová), Aktivitäten in unpolitischen Verbänden wie etwa im Imkerverein oder im Verband der Kleingärtner wurden ihm dagegen untersagt. Bekannt wurde Navrátil vor allem durch seine an verschiedene staatliche Institutionen gerichteten regimekritischen offenen Briefe. Diese wurden auch im Samisdat veröffentlicht. In den Briefen machte er unter anderem darauf aufmerksam, dass Gesetze nicht eingehalten wurden oder Bürger unrechtmäßigen Repressionen ausgesetzt waren. Besonderes Augenmerk richtete er auf die Verteidigung der Rechte von Gläubigen.

Ende 1977 unterschrieb er die *Charta 77. Ein Jahr später wurde er deshalb festgenommen und wegen „Hetzerei“ angeklagt. Er wurde allerdings nicht inhaftiert, sondern zur Beobachtung in eine psychiatrische Klinik in Kroměříž eingewiesen. Durch einen Verfahrenstrick urteilten die Richter auf Grundlage seiner Briefe, dass er nicht zurechnungsfähig sei. Das Gericht verurteilte ihn zwar nicht zu Freiheitsentzug, schränkte aber seine Rechtsmündigkeit ein.

Nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie verfasste Navrátil weiter kritische Briefe, in denen er die verschiedenen Repressionsformen der kommunistischen Machthaber analysierte. Innerhalb von zehn Jahren schrieb er mehr als 50 Briefe, die Themen berührten wie das Petitionsrecht, geheimnisvolle Todesfälle von Mitgliedern der katholischen Untergrundkirche wie beispielsweise des Priesters Přemysl Coufal, die Instrumentalisierung der Psychiatrie als Repressionsmittel oder die Nichtgewährung der Religionsfreiheit. Von Oktober 1985 bis März 1986 wurde er erneut in Untersuchungshaft eingesperrt – wieder wurde ihm „Hetzerei“ vorgeworfen, die er in den offenen Briefen praktiziert habe. Er wurde auch dieses Mal nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sondern abermals in die Psychiatrie eingewiesen.

Im Frühling 1988 verfasste Navrátil die Petition *„Impulse von Katholiken zur Verbesserung der Situation gläubiger Bürger in der ČSSR“ (Podněty katolíků k řešení situace věřících občanů v ČSSR), in der 31 Forderungen zu religiösen Freiheiten aufgelistet waren. Das bedeutete einen wirklichen Tabubruch – die Petition wurde von 600.000 Menschen unterschrieben, darunter auch von vielen Nichtgläubigen. Die Regierung musste erkennen, dass diese oppositionelle Aktion große Unterstützung in der Gesellschaft gefunden hatte. Im September 1988 gründete sich das Komitee zur Verteidigung Augustin Navrátils, hunderttausende Menschen unterschrieben Petitionen für seine Entlassung aus der Psychiatrie. Das Komitee erreichte mit seinen Aktivitäten, dass die stationäre psychiatrische Behandlung durch eine ambulante ersetzt wurde.

Im Oktober 1988 gründete Navrátil den Katholischen Laienverband „Friede auf Erden“ (Mír na Zemi), dessen Hauptprogrammpunkt das Vorhaben war, einen Raum des Vertrauens, der Zusammenarbeit und guten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den Warschauer-Pakt-Staaten und den NATO-Staaten zu schaffen. Andere Punkte betrafen unter anderem Gebetsaktionen für die Besetzung von Bischofssitzen und für die Entwicklung der ökumenischen Bewegung. Mit den Jahren wurde Navrátil immer selbstbewusster. Er kooperierte mit den bekannten Aktivisten der *Charta 77 und gab die Zweiwochenschrift „Christliche Horizonte“ (Křesťanske obzory) heraus. Bis in den November 1989 hinein wurde er von den kommunistischen Machthabern verfolgt.

Nach der *Samtenen Revolution von 1989 engagierte sich Navrátil in der Christlichen und Demokratischen Union – Tschechoslowakische Volkspartei (Křesťanská a demokratická unie – Československá strana lidová; KDU-ČSL), aus der er 1999 austrat. 2001 übernahm er das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden der strikt antikommunistischen Partei „Rechter Block“ (Pravý Blok).

Augustin Navrátil starb 2003 in Lutopecny.


Petr Pospíchal
Aus dem Polnischen von Jonas Grygier
Letzte Aktualisierung: 05/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.