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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Rácz, Sándor

* 1933 ✝ 2013




Sándor Rácz wurde 1933 in Hódmezővásárhely als Sohn einer armen Bauernfamilie geboren. Ab 1946 war er in Budapest Tischler-, später Böttchergeselle. 1948–50 arbeitete er im Elektrotechnik-Werk Standard (später Elektrokommunikationswerk Beloiannisz). 1950 bekam er seinen Meisterbrief. Von 1953 bis 1955 leistete er seinen Wehrdienst.

Während der *Ungarischen Revolution wurde Rácz am 29. Oktober 1956 in den Arbeiterrat gewählt und er war Verbindungsmann zum Revolutionskomitee seines Stadtbezirks. Am 15. November wurde er Mitglied der Leitung des *Zentralen Arbeiterrates für Groß-Budapest (Nagy Budapesti Központi Munkástanács). Er war Mitglied der Delegation, die am Abend desselben Tages der prosowjetischen Gegenregierung unter János Kádár die Forderungen des Rates vorlegte. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen und der blutigen Niederschlagung des Aufstandes verhandelte er als Vertreter des Arbeiterrates im November und Dezember 1956 mit der Regierung János Kádárs und mit der sowjetischen Kommandantur über den Rückzug der Besatzungstruppen, die Wiedereinsetzung der Reformregierung von Imre Nagy, die Legalisierung der Arbeiterräte und die Definierung ihrer Kompetenzen.

Am 11. Dezember 1956 wurde er zu Gesprächen ins Parlament eingeladen und dort verhaftet. Am 27. März 1958 wurde Sándor Rácz wegen „verschwörerischer Tätigkeit gegen die demokratische Staatsordnung“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Aus Furcht vor einem noch härteren Urteil entschloss er sich, das Urteil nicht anzufechten. 1960 nahm er an einem Hungerstreik der in Vác inhaftierten politischen Gefangenen teil. 1963 kam er im Rahmen einer Amnestie wieder frei.

Er fand Arbeit in einer Industriegenossenschaft für Kommunikationstechnik. Auch nach seiner Freilassung stand er unter ständiger Beobachtung, sein Antrag auf einen Reisepass wurde abgelehnt. Rácz hatte trotz allem weiterhin ständigen Kontakt mit den Kameraden aus der Zeit der Revolutionskämpfe. Ende der 70er Jahre ließ er sich in der Kleinstadt Izsák nieder, wo er bis zum Rentenalter seinen Lebensunterhalt als Werkzeugmacher verdiente.

1981 nahm er an einer illegalen Konferenz zur *Ungarischen Revolution von 1956 teil und meldete sich ein Jahr später erstmals öffentlich mit einer Vorlesung für die *Freie Montagsuniversität (auch „Fliegende Universität“) zu Wort. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre war er aktiver Teilnehmer an Veranstaltungen der Opposition zum Gedenken an die *Ungarische Revolution von 1956 und an andere Jubiläen ungarischer Freiheitskämpfe. Für die junge Generation von Oppositionellen war er als Vertreter der Arbeiter, die den Kampf gegen die vermeintliche „Arbeitermacht“ aufnahmen, eine authentische Wissensquelle der *Ungarischen Revolution. Er arbeitete mit Jenő Nagy und der Samisdat-Schrift *„Hírmondó“ (Nachrichtensprecher) zusammen.

Im Dezember 1986 nahm er an einer in der Wohnung von István Eörsi stattfindenden illegalen Tagung über die *Ungarische Revolution von 1956 teil und hielt am 23. Oktober 1987 an der Technischen Universität Budapest während der ersten legalen Gedenkveranstaltung für die *Ungarische Revolution eine Rede. Aber auch bei der in der Wohnung von György Krassó stattfindenden illegalen Veranstaltung war er dabei. Im selben Jahr wurde er Gründungsmitglied des *Komitees für Historische Gerechtigkeit (Történelmi Igazságtétel Bizottság; TIB). Im Juni 1989 hielt Rácz eine Rede auf den Begräbnisfeierlichkeiten in Budapest für Imre Nagy.

Nach dem Ende der Diktatur kandidierte er 1990 in den ersten freien Wahlen für das Parlament, erlangte jedoch kein Abgeordnetenmandat. Im selben Jahr wählte ihn der wiedererstandene *Zentrale Arbeiterrat von Groß-Budapest zu seinem Vorsitzenden. 1993 wurde er Mitglied der Unabhängigen Partei der Kleinlandwirte und Vorsitzender des Verbandes der Revolutionsteilnehmer von 1956.

1999 wurde er mit dem Imre-Nagy-Orden geehrt, im August 2003 wurde er Ehrenvorsitzender des Weltbundes der Ungarn. Sándor Rácz starb 2013 in Budapest.


Katalin Somlai
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 06/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.