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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Snehyrjow, Helij

* 1927 ✝ 1978




Helij Snehyrjow wurde 1927 in Charkiw (Charkow) geboren und wuchs in einer Literatenfamilie auf. Er studierte am Theaterinstitut Charkiw und arbeitete dann am Akademischen Dramatheater der Stadt. 1951–56 lehrte er am Theaterinstitut Literatur- und Theatergeschichte. Er gab einige Bände mit Erzählungen heraus, die ersten Texte erschienen 1954. 1956–57 leitete er die Abteilung Publizistik und Belletristik der Zeitung „Literaturna Ukrajina“. Snehyrjow war Mitglied der Kommunistischen Partei.

Als Regisseur und Chefredakteur war Snehyrjow im Ukrainischen Dokumentarfilmstudio tätig und beteiligte sich 1966 in Babyn Jar bei Kiew an illegalen Filmaufnahmen über eine Gedenkdemonstration für die 1941 von den deutschen Besatzern ermordeten Juden. Auf der Veranstaltung sprachen Iwan Dsjuba, Wiktor Nekrassow und der aus Moskau angereiste Wladimir Wojnowitsch. Die Aufnahmen wurden bereits einen Tag später beschlagnahmt, Snehyrjow erhielt Drehverbot, durfte aber weiterhin publizieren. Ein großer Erfolg war die Erzählung „Schenke mir drei Söhne“ (Rodi mne tri syna), die von Alexander Twardowski in der Monatszeitschrift „Novyj mir“ veröffentlicht und anschließend in viele Sprachen übersetzt wurde.

1974 legte man ihm nahe, einen diffamierenden Beitrag über seinen Freund Wiktor Nekrassow zu verfassen. Der Stalinpreisträger war zu dieser Zeit staatlicherseits bereits in Ungnade gefallen. Als Snehyrjow sich weigerte, verlor er seine Arbeit und wurde aus der Partei sowie aus dem Schriftsteller- und aus dem Filmverband ausgeschlossen.

Er begann mit der Arbeit an dem Buch „Mutter, meine Mutter ... oder Patronen zur Erschießung“ (Mama moja, mama … ili Patrony dla rasstrela). Die „lyrisch-publizistische Studie“ beschäftigt sich mit dem Prozess gegen den Bund zur Befreiung der Ukraine (Spilka Vyzvolennija Ukrajiny). Das Gerichtsverfahren war 1930 von der Geheimpolizei GPU inszeniert worden und hatte die Ausschaltung der führenden Köpfe der ukrainischen Intelligenz zum Ziel. Gestützt auf Fakten und die Berichte von Zeugen und Verurteilten thematisiert Snehyrjow in seinem Buch die am ukrainischen Volk begangenen Verbrechen. Das Manuskript schleuste er in den Westen, wo der Text in der Zeitschrift *„Kontinent“ erschien.

Auf Bitte Snehyrjows veranstaltete Pjotr Grigorenko am 29. Juni 1977 in seiner Moskauer Wohnung eine Pressekonferenz. Eingeladen waren die in der Hauptstadt der UdSSR akkreditierten ausländischen Korrespondenten der wichtigsten Nachrichtenagenturen. Vor laufender Kamera verlas Snehyrjow offene Briefe an Jimmy Carter und Leonid Breschnew. In den Umschlag mit dem an Breschnew adressierten Brief steckte er auch seinen Personalausweis und erklärte damit seinen Verzicht auf die sowjetische Staatsbürgerschaft. Mit Blick auf den Entwurf der neuen Verfassung der UdSSR schrieb er an Breschnew: „Ihre ganze neue Verfassung ist eine Lüge, eine einzige Lüge.“

Am 22. September 1977 wurde Snehyrjow in Kiew verhaftet und ins KGB-Hauptquartier gebracht. Die Unterzeichnung einer Erklärung „echter Reue“ lehnte er zunächst ab. Anfang 1978 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends, sodass er am 2. März ins Gefängniskrankenhaus überstellt wurde. Es trat eine Lähmung seines gesamten Unterkörpers ein. Aufgrund der starken Beschwerden unterschrieb er das geforderte Reuebekenntnis, das bald darauf unter dem Titel „Ich schäme mich und missbillige es“ (Styžus‘ i osuždaju) veröffentlicht wurde. Erst nach der Abgabe dieser Erklärung wurde er aus dem Gefängniskrankenhaus in das Kiewer Stadtkrankenhaus gebracht, wo er bis zu seinem Tod an seinem „Gefängnistagebuch“ (Tjuremnyj dnjevnik) arbeitete, das später in Kanada erschien.

Helij Snehyrjow starb in der Nacht auf den 28. Dezember 1978. Entgegen dem Willen des Toten wurde sein Leichnam kremiert, ohne zuvor eine Obduktion durchzuführen. Er wurde an der Zentralallee des Bajkowe-Friedhofs in Kiew beigesetzt. 1989 wurde die Aberkennung seiner Mitgliedschaft im Ukrainischen Schriftstellerverband zurückgenommen. Posthum erschien im Jahr 2000 Snehyrjows Buch „Die Roman-Denunziation“ (Roman-donos). In diesem in den KGB-Archiven gefundenen autobiografischen Text über Konformismus und verzweifelten Heldenmut beschrieb der Autor sein Ringen mit dem totalitären System und mit sich selbst.



Iryna Rapp, Filip Snehyrjow
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 09/20

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.