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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Solt, Ottilia

* 1944 ✝ 1997




Ottilia Solt wurde 1944 in Budapest in eine Intellektuellenfamilie geboren. Der Vater war Arzt, die Mutter Lehrerin. Ihr Hochschulstudium (ungarische Philologie und Philosophie) an der Loránd-Eötvös-Universität Budapest schloss sie im Jahre 1967 mit Diplom ab. Anschließend arbeitete sie als Soziologin am Institut für Wirtschaftsforschung.

Sie beteiligte sich an den wissenschaftlichen Untersuchungen von István Kemény zu den Lebensbedingungen der ärmsten Schichten der ungarischen Gesellschaft. Außerdem initiierte und organisierte sie Seminare zu soziologischen, sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Fragen, die anfangs am Institut für Soziologie der Universität stattfanden, später dann im privaten Rahmen in Keménys Wohnung. Im Jahre 1972 wechselte Ottilia Solt vom Institut für Wirtschaftsforschung an das Hauptstädtische Pädagogische Institut und setzte dort ihre Forschungsarbeiten fort, an denen unter falschem Namen auch Kemény, der seine Arbeit verloren und Publikationsverbot hatte, teilnahm. Diese Aktivitäten waren prägend für die spätere Rolle Solts in der ungarischen Opposition.

Im Sommer 1977 besuchte sie den damals bereits emigrierten Kemény in Paris. Auf die Reise nahm sie das Manuskript einer kurz zuvor abgeschlossenen Forschungsarbeit über die Maschinen- und Waggonfabrik in Győr mit. Bei der Wiedereinreise nach Ungarn wurden ihr vom Zoll in Ungarn verbotene Bücher und Zeitungen sowie das Manuskript weggenommen. Es kam zum Prozess, die Angelegenheit endete mit einer *Polizeilichen Verwarnung und einer Abmahnung in ihrem Betrieb. Nach ihrer Teilnahme an einer Solidaritätsaktion für die Unterzeichner der *Charta 77 in der Tschechoslowakei waren es nur die Unterstützung ihres unmittelbaren Vorgesetzten sowie ihre schwierigen Lebensbedingungen, die sie vor einer fristlosen Kündigung aus disziplinarischen Gründen bewahrten. Gleichwohl wurde sie aus dem Institut für Pädagogik an eine Grundschule versetzt, wo sie ein Jahr lang als Lehrerin arbeitete. Anschließend war sie Sozialarbeiterin und schließlich Bibliothekarin. 1979 gründete sie gemeinsam mit Freunden, mit Mitgliedern des Kemény-Kreises und mit Unterzeichnern der *Charta 77 den *Armenhilfefonds (Szegényeket Támogató Alap; SZETA). Ihre Arbeit verlor sie endgültig 1981, was nicht nur eine schwierige finanzielle Situation, sondern auch diverse Schikanen der Staatsmacht nach sich zog.

Solt engagierte sich auch in der Redaktionsarbeit von *„Beszélő“ (Sprecher), der illegalen Zeitschrift der demokratischen Opposition. Sie verfasste Beiträge und war Autorin der wichtigsten programmatischen Schriften der demokratischen Opposition, so unter anderem vom vierten Kapitel des *Gesellschaftsvertrages (Társadalmi Szerződés) zu Fragen der sozialen Sicherheit und der Sozialpolitik. Stets war ihre Unterschrift unter Protestschreiben gegen die Verletzung der Menschenrechte und gegen die Missachtung der Umwelt zu finden. Sie nahm an den wichtigsten oppositionellen Aktionen teil, an den Freiheitsmanifestationen, die regelmäßig am Jahrestag der *Ungarischen Revolution von 1956 sowie am 15. März, dem wichtigsten ungarischen Nationalfeiertag, stattfanden. Auch beim *Treffen in Monor war sie dabei. Ottilia Solt wurde rund um die Uhr von der Polizei überwacht, ihre Telefongespräche wurden abgehört, ihre Wohnung mehrfach durchsucht. Am 15. März 1988 wurde sie einen Tag lang von der Polizei festgehalten und verhört.

Ebenfalls 1988 spielte Solt eine wichtige Rolle bei der Gründung des Netzes Freier Initiativen und dessen Umgestaltung in die politische Partei *Bund Freier Demokraten (Szabad Demokraták Szövetsége; SZDSZ). Sie war eine der Autorinnen der Programmerklärung des Bundes mit dem Titel „Es gibt einen Ausweg“, die 1987 in *„Beszélő“ erschien. Im ersten Jahr des *Bundes Freier Demokraten war sie Mitglied des Parteivorstandes und dann Mitglied des Landesrates.

Ab 1989 war Solt wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Loránd-Eötvös-Universität Budapest. In Budapest begleitete sie auch aktiv die Umgestaltung der Untergrundzeitschrift *„Beszélő“ in eine legale Wochenzeitschrift, zu dessen Redaktionsteam sie bis 1995 gehörte.

1990 wurde sie ins Parlament gewählt, wo sie im Sozialausschuss arbeitete, dessen stellvertretenden Vorsitz sie ab 1991 innehatte. 1994 verzichtete sie auf ein erneutes Mandat. Ottilia Solt starb 1997 in Budapest.


Fanny Havas
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 05/15

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.