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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Switlytschnyj, Iwan

* 1929 ✝ 1992




Iwan Switlytschnyj wurde 1929 in dem Dorf Polowynkyne (Polowinkino, Gebiet Luhansk) in einer Kolchosbauernfamilie geboren. Er war der Bruder von Nadija Switlytschna. Bei dem Versuch im Oktober 1943, während der deutschen Besatzung, gemeinsam mit einem Freund ein deutsches Militärobjekt in die Luft zu sprengen, verlor er mehrere Finger und zog sich schwere Beinverletzungen zu. 1947 schloss er die Schule in Starobilsk (Starobelsk) mit Auszeichnung ab und studierte dann Ukrainische Philologie an der Universität Charkiw (Charkow).

In den 50er Jahren freundete sich Switlytschnyj mit dem Dichter und späteren politischen Gefangenen Juli Daniel an, der Gedichte ukrainischer Autoren ins Russische übersetzte, darunter auch Werke von ihm. 1952 wurde Switlytschnyj Assistent im Fachbereich Literaturtheorie der Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Kiew. Eine Zeit lang leitete er die Abteilung Literaturkritik der Monatsschrift „Dnipro“. 1957–63 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Literatur beschäftigt und wechselte dann ans Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften. 1964 war er als Redakteur in der Ukrainischen Naturschutzgesellschaft (Ukrajinske tovarystvo ochorony pryrody) tätig. 1965 verlor er seine Arbeitsstelle. Fortan publizierte er unter fremden Namen oder nutzte Pseudonyme.

Gemeinsam mit Iwan Dsjuba und Jewhen Swerstjuk gehörte er zur Führungsriege der jungen, nonkonformistischen Kritiker. 1960–63 war er Gründungsmitglied und Aktivist des *Klubs der schöpferischen Jugend in Kiew. In den 60er Jahren nahm er die Rezitationen junger zeitgenössischer Dichter auf Tonband auf, wodurch viele ihrer Werke für die Nachwelt erhalten blieben, darunter die von der Zensur abgelehnten Werke Gedichte von Wassyl Symonenko, dessen erster Rezensent und Berater Switlytschnyj war. Nach Symonenkos Tod bereitete er eine Samisdat-Ausgabe seiner Werke vor. Im Dezember 1963 sprach er auf einem halblegalen Gedenkabend für den Dichter.

Als einer der Ersten knüpfte Switlytschnyj Kontakte zur ukrainischen Diaspora und zu russischen Dissidenten, darunter Lew Kopelew und Larissa Bogoras. Er war auch als Übersetzer unabhängiger Literatur tätig. Gemeinsam mit Jewhen Swerstjuk verfasste er die aufsehenerregende Streitschrift „Über den Pohruschalskyj-Prozess“ (Z pryvodu procesu nad Pohružal’s‘kym). Er nahm Kontakt zu den in Lwiw ansässigen Dissidenten Mychajlo Horyn, Bohdan Horyn, Iwan Hel, Mychajlo Ossadtschij und anderen auf, die er davon überzeugen konnte, dass der „Kampf mit dem Wort“ das Wichtigste sei. Für die ukrainische Dissidentenbewegung war er eine unbestrittene moralische Autorität als Dissident, Publizist und Dichter und erwarb sich große Verdienste um die kulturelle Integration zwischen dem Westen und Osten des Landes sowie zwischen der Ukraine und dem Ausland. Seine Dichtung reichte über den Schaffenshorizont der *Generation der Sechziger sowie die Grenzen einer „national geprägten Literatur“ hinaus. Switlytschnyj betätigte sich außerdem als anerkannter Übersetzer von Werken aus verschiedenen slawischen Sprachen und aus dem Französischen.

Nach dem Tod von Wassyl Symonenko überließ dessen Familie Switlytschnyj seinen Nachlass. Gemeinsam mit seiner Schwester Nadija Switlytschna publizierte er im Samisdat dessen Text „Gedankensplitter. Tagebuch“ (Okrajci dumok. Ščodennyk), der zahlreiche politische Aussagen enthielt. In der Presse wurde ihm vorgeworfen, er habe sich den Nachlass Symonenkos angeeignet und nun dessen Tagebuch gefälscht. Auch der KGB wurde aktiv und übte Druck auf die Angehörigen von Wassyl Symonenko aus. Im Mai 1965 brachten Alla Horska und Mychajlyna Kozjubynska das Tagebuch bei Verwandten Symonenkos in Tscherkassy in Sicherheit.

Am 30. August 1965 wurde Switlytschnyj unter dem Vorwurf „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ verhaftet, kam jedoch am 30. April 1966 wieder frei. Zur Begründung hieß es, er stelle „keine Gefahr für die Gesellschaft“ dar. Sein Ansehen und die zahlreichen Proteste gegen seine Verhaftung, veranlassten das Regime von einer weiteren Inhaftierung abzusehen. Zum Beispiel hatte die ukrainische Dichterin Lina Kostenko Unterschriften für seine Freilassung gesammelt. Dem Appell schlossen sich auch so bekannte Persönlichkeiten der Ukraine wie der Chirurg Nikolai Amossow und der Flugzeugkonstrukteur Oleg Antonow an. Auch der Internationale Schriftstellerkongress 1966 in New York verabschiedete eine Resolution, in der die repressiven Maßnahmen gegen ukrainische Schriftsteller in der UdSSR verurteilt wurden („Sučasnist‘“ 5/1975).

1966–71 fand Switlytschnyj keine Anstellung, auch jede publizistische Tätigkeit wurde ihm verwehrt. Er engagierte sich daher aktiv im Samisdat, für den er zahlreiche Beiträge redigierte. Im Dezember 1966 übersandte er eine von ihm zusammengestellte und mit einer Einführung versehene Materialsammlung zum Prozess gegen die *Ukrainische Arbeiter- und Bauernunion unter anderem an den Ersten Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei der Ukrainischen SSR Petro Schelest, an den Generalstaatsanwalt der UdSSR Roman Rudenko, an den Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR Demian Korotschenko sowie an den Schriftsteller und Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR Oles Hontschar. Es folgte eine Vorladung des KGB, bei der ihm mit Gefängnis gedroht wurde. Im November 1967 protestierte er gemeinsam mit seiner Schwester Nadija Switlytschna. Iwan Dsjuba und Lina Kostenko in einem Brief an den ukrainischen KP-Chef Petro Schelest gegen das gerichtliche Vorgehen gegen Wjatscheslaw Tschornowil. 1968 unterzeichnete er den „Brief der 139“ gegen die gerichtliche Verfolgung von Intellektuellen in Moskau und in der Ukraine. Im Juni 1970 wandte er sich in einem Schreiben an Oles Hontschar gegen die Verhaftung von Walentyn Moros.

Am 13. Januar 1972 wurde Switlytschnyj erneut verhaftet. Das Bezirksgericht Kiew verurteilte ihn am 27. April 1973 gemäß Artikel 62, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der Ukrainischen SSR (entspricht *Artikel 70, Paragraf 1 Strafgesetzbuch der RSFSR) zu sieben Jahren Lagerhaft und fünf Jahren Verbannung. Inhaftiert wurde er im Lagerkomplex der *Permer Lager. Dort gehörte er zu den führenden Köpfen der Widerstandsbewegung. Unter seiner Leitung entstand eine Lagerchronik, die er nach außen schmuggelte. Bereits schwer krank wurde er am 7. April 1978 in die Verbannung in das Dorf Ust-Kan im Gebiet Gorno-Altaisk entlassen. Dort arbeitete er als Nachtwächter, später als Buchbinder in der Bibliothek. Am 20. Juli 1981 erlitt er einen Schlaganfall und wurde zum Invaliden. Am 23. Januar 1983 kam er frei, konnte aufgrund seines Gesundheitszustands jedoch nicht mehr arbeiten. Seit 1978 hatte Switlytschnyj dem internationalen PEN-Club angehört. 1989 wurde er mit dem Wassyl-Stus-Preis geehrt. 1990 wurde er Mitglied des Ukrainischen Schriftstellerverbands.

Iwan Switlytschnyj starb am 25. Oktober 1992 in Kiew, wo er auf dem Baikowe-Friedhof beigesetzt wurde. 1994 wurde ihm posthum der Taras-Schewtschenko-Staatspreis verliehen.



Borys Sacharow
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 10/20

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.