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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Wałęsa, Lech

* 1943




Lech Wałęsa wurde 1943 in Popowo bei Lipno in der heutigen Woiwodschaft Kujawien-Pommern geboren. Er machte eine Berufsausbildung und arbeitete ab 1961 als Elektromechaniker in der Staatlichen Maschinen-Traktoren-Station in dem ebenfalls unweit von Lipno gelegenen Łochocin. 1967–76 war er Elektriker in der Danziger Lenin-Werft.

1970 war Wałęsa einer der Anführer des Streiks, der am 14. Dezember in der Lenin-Werft ausbrach. Anlass der Arbeitsniederlegung waren von der Regierung angekündete Preiserhöhungen (siehe *Dezember 1970). Am 15. Dezember nahm er an einer Protestdemonstration teil und wurde am 16. Dezember nach Beendigung des Streiks verhaftet. Nachdem er vier Tage festgehalten worden war, ging er nicht näher bekannte Verpflichtungen gegenüber dem Staatssicherheitsdienst ein. In seinen Erinnerungen „Droga nadziei“ (Kraków 1990; Deutsch: „Ein Weg der Hoffnung“) schreibt er dazu: „Die Wahrheit ist, dass ich aus dieser Konfrontation nicht ganz unbefleckt hervorging. – Sie stellten die Bedingung: Unterschreiben! Und dann habe ich unterschrieben.“ Im Januar 1971 nahm er als Delegierter seiner Abteilung an einem Treffen mit dem neuen Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza; PZPR), Edward Gierek, teil, dem er gemeinsam mit anderen einen Vertrauensvorschuss erteilte.

Anfang der 70er Jahre war Wałęsa für den offiziellen Arbeiterausschuss tätig. Als Arbeitsschutzbeauftragter der Gewerkschaft setzte er sich für die Bereitstellung von Arbeitsschutzbekleidung und für andere soziale Belange ein. Als er die Gewerkschaften und die Leitung der Werft kritisierte, wurde er 1976 entlassen. Von 1976 bis 1979 arbeitete er als Elektromechaniker im Reparaturwerk „Zremb“, anschließend bis Februar 1980 in dem Danziger Betrieb „Elektromontaż“.

Bereits im März 1978 war Wałęsa den *Freien Gewerkschaften der Küste (Wolne Związki Zawodowe Wybrzeża; WZZ Wybrzeża) beigetreten. Am 9. Juli 1978 verhaftete ihn die Miliz zum ersten Mal, weil er vor Kirchen die unabhängige Zeitschrift *„Robotnik“ (Arbeiter) verteilt hatte. Im Dezember 1980 nahm er an einer Kranzniederlegung zum Gedenken an die Opfer der Ereignisse im *Dezember 1970 teil. Daraufhin wurde er zu einer Geldstrafe von 5.000 Złoty verurteilt und verlor erneut seine Arbeit. Im Januar 1979 wurde er Mitglied der Redaktion der Zeitschrift „Robotnik Wybrzeża“ (Arbeiter der Küste) der *Freien Gewerkschaften. Er pflegte eine enge Zusammenarbeit mit den Aktivisten des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; *KOR), unter anderen mit Bogdan Borusewicz, Andrzej Gwiazda, Jacek Kuroń und Jan Lityński. Wałęsa verbreitete oppositionelle Schriften und trug zur Gründung von Ortsgruppen der *Freien Gewerkschaften der Küste bei. Im Juli 1979 unterschrieb er – zusammen mit ein paar Dutzend anderen Arbeiteraktivisten aus dem ganzen Land – die Charta der Arbeiterrechte (Karta Praw Robotniczych), eine Art Programm für eine unabhängige Gewerkschaftsbewegung. Am Jahrestag der Ereignisse im *Dezember 1970 war Wałęsa Hauptredner einer Kundgebung, die am 18. Dezember 1979 vor dem Werktor II der Danziger Werft stattfand. Er gelobte damals, dass genau an diesem Ort schon ein Jahr später ein Denkmal an die 1970 ermordeten Arbeiter erinnern werde. Am 3. Mai 1980 trug er auf einer Demonstration der *Bewegung Junges Polen (Ruch Młodej Polski; RMP) ein Transparent mit der Aufschrift „Freiheit-Gleichheit-Unabhängigkeit“ (Wolność-Równość-Niepodległość). Wiederholt wurde er festgenommen, für 48 Stunden festgehalten und verlor immer wieder seine Arbeit.

Als am 14. August auf der Danziger Lenin-Werft ein Streik ausbrach, wurde Wałęsa zu dessen Anführer. Er war zu dieser Zeit kein Werftangehöriger mehr, weshalb eine der Forderungen der Streikenden lautete, ihn wieder einzustellen. Als der Werftdirektor am 16. August alle Forderungen akzeptiert und auch der Arbeit freier Gewerkschaften zugestimmt hatte, brach Wałęsa den Streik ab. Angesichts der Ausweitung der Streikbewegung auf andere Betriebe änderte er jedoch nach Zureden von Bogdan Borusewicz, Alina Pieńkowska und Anna Walentynowicz seine Entscheidung und verkündete die Fortsetzung des Streiks als sogenannter Solidaritätsstreik. In der Nacht vom 16. zum 17. August formierte sich in der Werft das Überbetriebliche Streikkomitee (Międzyzakładowy Komitet Strajkowy; MKS) mit Lech Wałęsa an der Spitze. Formuliert wurde eine Liste mit 21 gemeinsamen Forderungen; an erster Stelle wurden von Partei und Arbeitgebern unabhängige Gewerkschaften verlangt.

Während der Auguststreiks wurde Wałęsa zum unangefochtenen Streik- und Arbeiterführer. Er war es, der die wichtigsten Entscheidungen traf. So setzte er einen Expertenausschuss ein, dessen Vorsitz Tadeusz Mazowiecki hatte, er führte Gespräche mit der Regierungsseite. Es waren seine improvisierten Reden vom Werfttor Nr. II, die die Werftarbeiter ermutigten und dem Protest eine gesamtpolnische Dimension verliehen. Am 31. August unterzeichneten er und Vizepremier Mieczysław Jagielski die *Danziger Vereinbarung, in der die Staatsführung ihre Zustimmung zur Entstehung unabhängiger Gewerkschaften gab.

Am 17. September gründeten die Vertreter der Überbetrieblichen Gründungskomitees aus dem ganzen Land die neue Gewerkschaft *Solidarność (Solidarität), Wałęsa wurde Vorsitzender von deren Landesverständigungskommission (Krajowa Komisja Porozumiewawcza; KKP).

Den ganzen Herbst über war Wałęsa viel im Land unterwegs. Als charismatischer Arbeiterführer, der die Massen zu begeistern verstand, erlangte er schnell große Popularität. In weiteren Gesprächen mit der Staatsmacht bestätigte er seinen Führungsanspruch. Die Strategie für die von ihm geführten Verhandlungen waren Flexibilität und Pragmatismus gepaart mit Treue zu den wichtigsten Zielen der Bewegung. 1981 reiste er mehrfach ins Ausland; er war im Vatikan, wo er mit einer ganzen *Solidarność-Delegation von Papst Johannes Paul II. empfangen wurde, in Japan und Frankreich. Zu seinen wichtigsten Aktivitäten gehörte neben Gesprächen und Verhandlungen mit der Regierung die Schlichtung lokaler Streiks. Dabei musste er immer wieder versuchen, die heftig vorgetragenen Forderungen in den Rahmen einer sich selbst beschränkenden Revolution einzupassen.



Entgegen den Propaganda-Attacken der Staatsführung war Wałęsa kein Radikaler. In seiner gemäßigten Einstellung wurde er von seinen engsten politischen Mitstreitern bestärkt: von Tadeusz Mazowiecki, Bronisław Geremek, Wiesław Chrzanowski, Władysław Siła-Nowicki und auch von Primas Stefan Wyszyński, der Umsichtigkeit und Mäßigung anmahnte. Wałęsa war zugleich ein sehr religiöser Mensch. Er besuchte jeden Tag die heilige Messe und demonstrierte seinen Glauben in aller Öffentlichkeit durch das Tragen eines Bildes der Schwarzen Madonna von Tschenstochau am Revers.

In den Tagen der sogenannten Bromberger Krise, die im März 1981 durch das gewalttätige Vorgehen der Miliz gegen *Solidarność-Aktivisten ausgelöst worden war, stellte er sich gegen andere *Solidarność-Führer, als er einen Kompromiss mit der Staatsführung aushandeln und so einen Generalstreik abwenden konnte. Am 2. Oktober 1981 wurde er auf dem Ersten Landeskongress der Gewerkschaft trotz Gegenwinds vonseiten radikaler Aktivisten zum Vorsitzenden der *Solidarność gewählt. Am 4. November 1981 traf er sich mit dem Ersten ZK-Sekretär Wojciech Jaruzelski und dem neuen polnischen Primas Józef Glemp, in der Absicht, einen Kompromiss auszuhandeln. Die Begegnung verlief ergebnislos, da die kommunistische Führung bereits dazu entschlossen war, in Polen das *Kriegsrecht auszurufen. Kurz bevor dies geschah, attackierte Wałęsa die Kommunisten in den ersten Dezembertagen 1981 heftig und machte sie für die Konfrontation verantwortlich.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 wurde Wałęsa interniert. Man brachte ihn zunächst in ein Gästehaus der Regierung in Chylice unweit von Warschau, anschließend nach Otwock. Ihm stand ein Radio zur Verfügung, Frau und Kinder durften ihn besuchen. Die Machthaber hofften auf seine Mitwirkung bei der Etablierung einer neuen, staatlich kontrollierten *Solidarność. Wałęsa wies dieses Ansinnen zurück, er war nicht gewillt, zu diesen Bedingungen mit den Herrschenden zu kooperieren, obwohl er weiterhin einen Kompromiss nicht ablehnte. Im Mai 1982 verlegte man ihn nach Arłamów im Bieszczady-Gebirge im äußersten Südosten Polens. Im August informierte man ihn über die Pläne, die Gewerkschaft *Solidarność zu verbieten und bot ihm einen hohen staatlichen Posten an. Wałęsa wies auch diesen Vorschlag zurück. Zugleich war er weit davon entfernt, radikale Forderungen zu unterstützen. So reagierte er zurückhaltend auf den Aufruf der nun im Untergrund agierenden *Solidarność zu Streiks, Kundgebungen und Demonstrationen. „Ich hatte die Befürchtung, diese weiteren Proteste würden zu nichts außer zu Verhaftungen einer immer größeren Anzahl von Aktivisten führen. Dadurch wäre die Gefahr eines sinkenden Einflusses der *Solidarność auf die Gesellschaft entstanden“, schrieb er in seinen Erinnerungen.

Das Regime wollte die Popularität und das Ansehen Wałęsas mit allen Mitteln zerstören, und verbreitete zu diesem Zweck fingierte Anschuldigungen, die nicht nur politischer, sondern auch krimineller und sittlicher Art waren. Mithilfe gefälschter Akten und Dokumente versuchte man ihn als Zuträger der Staatssicherheit zu diskreditieren. Diese Aktivitäten erzielten eine gewisse Wirkung und verhinderten beispielsweise 1982 die Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn.

Am 14. November 1982 wurde Wałęsa aus der Internierungshaft entlassen. Die Polnische Presseagentur PAP meldete, der Vorsitzende der ehemaligen *Solidarność sei jetzt „Privatperson“. Einerseits hatte Wałęsa nicht vor, auf sein öffentliches Wirken zu verzichten und von den Zielen der *Solidarność abzurücken, andererseits wollte er aber auch weder in den Untergrund gehen noch die offene Konfrontation mit der Regierung suchen. In den folgenden Jahren balancierte er – wie er es ausdrückte – „auf dem schmalen Grat zwischen gesellschaftlicher Isolation und Untätigkeit und dem Gefängnis“. Er reiste durchs Land, traf sich in Kirchen mit *Solidarność-Aktivisten, leistete Unterstützung bei politischen Prozessen und erteilte ausländischen Medien Interviews. Die Machthaber versuchten, seine Aktivitäten so weit wie möglich zu stören, ließen ihn schikanieren und rund um die Uhr bespitzeln, aber sie konnten sich nicht dazu entschließen, ihn erneut zu inhaftieren.

Im April 1983 traf sich Wałęsa mit dem im Untergrund agierenden *Provisorischen Koordinierungsausschuss (Tymczasowa Komisja Koordynacyjna; TKK) der *Solidarność, was wichtig für die Einheit der Gewerkschaft war. Ab Anfang Mai 1983 nahm er seine Arbeit in der Danziger Werft wieder auf. Im August fand in der Werft eine vom Fernsehen übertragene Diskussion von Vizepremier Mieczysław Rakowski mit Werftarbeitern statt, unter denen sich auch Wałęsa befand. Im Gegensatz zum hektisch agierenden Vizepremier punktete Wałęsa mit seiner besonnenen und versöhnlichen Haltung.

Am 5. Oktober 1983 wurde Lech Wałęsa für seinen Beitrag zur Verteidigung der Arbeiterrechte und zur Gründung unabhängiger Gewerkschaftsorganisationen mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Wałęsa erklärte, der eigentliche Preisträger sei das polnische Volk. Der Preis wurde in Oslo von seiner Frau Danuta entgegengenommen, die seine Nobelpreisrede verließ. In dieser stellte Wałęsa fest: „Trotz allem, was in meinem Land seit zwei Jahren geschieht, bin ich weiterhin der Auffassung, dass wir auf Verständigung angewiesen sind, dass die schwierigen Probleme der Lage in Polen nur auf dem Wege eines wirklichen Dialogs zwischen den Herrschenden und der Gesellschaft gelöst werden können.“

Auf seiner Suche nach Verständigungsmöglichkeiten mit den Machthabern setzte Wałęsa im September 1986 nach der Amnestie für politische Gefangene auch den öffentlich agierenden Provisorischen Rat (Tymczasowa Rada) der *Solidarność ein. Bereits im Oktober führte er auch wieder Gespräche mit den im Untergrund abgetauchten *Solidarność-Führern.

Im Januar 1987 traf sich Wałęsa in Danzig mit dem US-amerikanischen Vize-Außenminister John Whitehead und im September kam es in Warschau zu einer Begegnung mit US-Vizepräsident George Bush. Am 31. Mai 1987, unmittelbar vor dem Besuch von Papst Johannes Paul II. in Polen, versammelten sich in Warschau auf Einladung Lech Wałęsas 63 Persönlichkeiten, die eine Erklärung zu den Grundsätzen der polnischen Opposition verabschiedeten: Unabhängigkeit, Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit sowie freie Wirtschaftstätigkeit. Johannes Paul II. unterstützte während seines Polenbesuchs die Opposition, er ermunterte dazu, das „große Erbe der polnischen Solidarność“ zu verwirklichen, und er empfing den Vorsitzenden der Gewerkschaft zu einer speziellen Audienz.

Am 25. Oktober 1987 übernahm Wałęsa den Vorsitz des *Landesexekutivausschusses (Krajowa Komisja Wykonawcza; KKW) der *Solidarność, der an die Stelle des *Provisorischen Koordinierungsausschusses und des Provisorischen Rates getreten war. Die Zeit der konspirativen Führung der Gewerkschaft im Untergrund war damit beendet. Im Mai 1988 schloss er sich einem Streik in der Danziger Werft an, der jedoch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Er wurde am 10. Mai mit einem von Wałęsa und Tadeusz Mazowiecki geführten Demonstrationszug beendet. Erst der nächste Streik, zu dem der Gewerkschaftsvorsitzende Wałęsa für den 22. August 1988 aufgerufen hatte, führte dazu, dass wieder Gespräche zwischen Regierung und Opposition stattfanden.

Am 31. August 1988 traf sich Wałęsa mit Innenminister General Czesław Kiszczak, dem er das Angebot unterbreitete, dass unter der Bedingung der Wiederzulassung der *Solidarność bestimmte Reformvorhaben der Regierung von der Opposition unterstützt werden könnten. Nach zwei weiteren Treffen zwischen General Kiszczak und Wałęsa wurde vereinbart, Gespräche an einem *Runden Tisch vorzubereiten, in denen Staatsreformen, die Modernisierung der Wirtschaft und ein Modell für die Gewerkschaftsbewegung erörtert werden sollten.

Die Staats- und Parteiführung wollte sich jedoch nicht auf die Wiederzulassung der *Solidarność einlassen und versuchte mit der Schließung der Danziger Werft, die Gewerkschaft und ihren Vorsitzenden an den Rand zu drängen. Den Durchbruch brachte eine öffentliche Fernsehdebatte am 30. November 1988 zwischen Lech Wałęsa und dem Vorsitzenden des offiziellen Gewerkschaftsverbandes, Alfred Miodowicz, der zugleich Mitglied des Politbüros war. Dieses TV-Duell wurde für Wałęsa zum glänzenden Triumph. Im staatlichen Fernsehen präsentierte er sich einem Millionenpublikum als umsichtiger und zugleich entschlossener Gewerkschaftsführer.

Allen staatlichen Widerständen zum Trotz stieg Wałęsas Popularität weiter, wovon nicht zuletzt auch seine internationalen Kontakte zeugten. Noch im November 1988 besuchte ihn die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Im Dezember wurde er in Paris von Frankreichs Staatspräsident François Mitterand empfangen.

Am 18. Dezember 1988 formierte sich in Warschau das *Bürgerkomitee beim Vorsitzenden der *Solidarność (Komitet Obywatelski przy Przewodniczącym NSZZ „Solidarność“) als Vertretung verschiedener Oppositionskreise, die Wałęsa als Autorität und seine auf einen Kompromiss zielende Politik anerkannten. Zu den Komiteemitgliedern zählten viele herausragende polnische Intellektuelle und Wissenschaftler. Sie bildeten ein Expertenteam für die Verhandlungen mit den Kommunisten, und zwar nicht nur in Bezug auf die Wiederzulassung der *Solidarność, sondern auch in Bezug auf staatliche und wirtschaftliche Reformen. Die Gespräche am *Runden Tisch begannen am 6. Februar 1989 in Magdalenka bei Warschau. Zur Eröffnung sagte Wałęsa: „Die Zeit des Monopols […] geht ihrem Ende zu. Wir brauchen einen Umbauprozess, der aus dem Staat einer Partei einen Staat des Volkes und der Gesellschaft macht.“ Während der zwei Verhandlungsmonate war er nicht ununterbrochen dabei, sondern reiste quer durch Polen, um Streiks zu schlichten und Überzeugungsarbeit für einen Kompromiss mit den Kommunisten zu leisten. Die Verhandlungen in Magdalenka mied er und nahm lediglich an den wichtigsten, vertraulichen Zusammenkünften teil. An allen entscheidenden Beschlüssen war Wałęsa jedoch beteiligt.

Am *Runden Tisch erklärte sich die Opposition zur Teilnahme an „halbfreien“ Parlamentswahlen mit zuvor festgelegtem Mandatsschlüssel bereit: Die *Solidarność durfte nur für ein Drittel der Sejm-Sitze Kandidaten aufstellen, der Rest war der PZPR und den mit ihr verbündeten Blockparteien vorbehalten; die Wahlen zur zweiten Parlamentskammer, dem Senat, waren hingegen völlig frei. Die Opposition erklärte sich zudem bereit, an einem allmählichen Systemwandel mitzuwirken. Im Gegenzug versprach die Regierung die Wiederzulassung der *Solidarność. Wałęsa sprach sich für eine „einheitliche Kandidatenliste“ aus, für jedes Mandat sollte genau ein zentral ausgewählter Kandidat aufgestellt werden. Er selbst wollte jedoch nicht für das Parlament kandidieren.

In dieser Zeit reiste Wałęsa nach Rom, wo ihm Papst Johannes Paul II. eine Privataudienz gewährte. Auch der italienische Staatspräsident, der Premierminister und führende Politiker Italiens empfingen den *Solidarność-Vorsitzenden. Am 10. Mai wurde Wałęsa in Straßburg mit dem Europäischen Menschenrechtspreis des Europarates geehrt. Nach dem Wahltriumph der *Solidarność am 4. Juni 1989 war er ein Befürworter der Idee, das Präsidentenamt mit einem Kommunisten zu besetzen, wenn die *Solidarność den Regierungschef stellen könne („Euer Präsident, unser Premierminister“). Am 17. August 1989 ging die Opposition eine Koalition mit den früheren Blockparteien Vereinigte Bauernpartei (Zjednoczone Stronnictwo Ludowe; ZSL) und Demokratische Partei (Stronnictwo Demokratyczne; SD) ein, was den Weg zur Wahl von Tadeusz Mazowiecki zum Premierminister und damit zur Machtübernahme durch die Opposition ebnete.

Am 9. Dezember 1990 gewann Wałęsa die Präsidentschaftswahlen und war bis 1995 Staatspräsident der Republik Polen. Den Kampf um die Wiederwahl verlor er 1995 gegen den postkommunistischen Präsidentschaftskandidaten Aleksander Kwaśniewski. Auch Wałęsas Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2000 blieb erfolglos.

1995 gründete die Stiftung „Lech-Wałęsa-Institut“ (Instytut Lecha Wałęsy). Im Herbst 2004 unterstützte er die Orangene Revolution und trug so zur Lösung der politischen Krise in der Ukraine bei. Bis in die Jetztzeit dauern in Polen die öffentlichen Kontroversen um eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit an. Immer wieder tauchen vermeintliche Beweisstücke auf, deren Echtheit jedoch bislang nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Wałęsa lebt bis heute als Alterspräsident in Danzig und ist ein gefragter Redner im In- und Ausland.

Ein Interview mit Lech Wałęsa gibt es im Online-Dossier „40 Jahre Solidarność“.



Jan Skórzyński
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 07/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.