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In der Kategorie BioLex sind drei wichtige Lexika mit über 5500 Biografien von überzeugten Kommunistinnen und Kommunisten, Renegatinnen und Dissidenten im Volltext recherchierbar.

 

Das Handbuch „Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945“ wird von Andreas Herbst und Hermann Weber in der 8. aktualisierten Ausgabe herausgegeben. Auf breiter Quellenbasis werden die Schicksale deutscher Kommunisten knapp geschildert, von denen etwa ein Drittel während der NS-Diktatur und durch den Stalinistischen Terror gewaltsam ums Leben kam.

Kurzbiografien zu Personen des politischen Lebens in der DDR stellt das von Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst, Ingrid Kirschey-Feix herausgegebene Lexikon ostdeutscher Biographien „Wer war wer in der DDR?“ Ch. Links Verlag, 5. Aufl. 2010 bereit.

Zudem ist das Online-Lexikon www.dissdenten.eu ebenfalls auf unserer Seite aufrufbar. Die über 700 Biografien mit umfangreichen Informationen zu Oppositionellen, Bürgerrechtlern und  Dissidenten aus vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas werden laufend erweitert.

 

Wer war wer in der DDR?

Ziembiński, Wojciech

* 1925 ✝ 2001




Wojciech Ziembiński wurde 1925 in Gniew in der heutigen Woiwodschaft Pommern geboren. Während der deutschen Besatzung arbeitete er mit dem bewaffneten Untergrund zusammen. 1942 wurde er verhaftet, in ein Lager in Karlsruhe gesperrt und zur Zwangsarbeit im Rheinland gezwungen. 1945 trat er in die Reihen der Polnischen Streitkräfte im Westen (Polskie Siły Zbrojne na Zachodzie) ein und kehrte 1947 nach Polen zurück.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Thorn (Toruń) und Warschau arbeitete er als technischer Redakteur, Grafiker und Journalist für die Verlagsgenossenschaft Czytelnik, für den juristischen Verlag Wydawnictwo Prawnicze sowie für die Redaktionen der Zeitschriften „Nasza Ojczyzna“ (Unser Vaterland) und „Lekkoatletyka“ (Leichtathletik). 1953 wurde ihm vom Verlag Czytelnik gekündigt, da er sich geweigert hatte, den Tod Stalins zu würdigen.

Nach dem *Oktober 1956 engagierte sich Ziembiński im *Klub der Katholischen Intelligenz (Klub Inteligencji Katolickiej; KIK) sowie im Klub des Krummen Kreises“ (Klub Krzywego Koła; KKK), wo er unter anderem die Initiative zu einer Ausstellung polnischer sakraler Kunst der Gegenwart und einen KKK-Preis stiftete. Nach der Auflösung des *Klubs des Krummen Kreises war er der Anlaufpunkt für die sogenannte Gruppe der Widerspenstigen; deren Zusammenkünfte fanden in der Warschauer Wohnung Ziembińskis statt und waren der erste vom Unabhängigkeitsgeist geprägte politische Salon nach dem Stalinismus in Polen. Ziembiński engagierte sich auch in der Kriegsveteranenbewegung sowie in der Gefangenenhilfe (wo er die Reaktivierung der Gefangenenhilfsorganisation „Patronat“ anstrebte) und setzte sich für die Abschaffung der Todesstrafe ein.

Schikanen und Repressionen gegen ihn waren an der Tagesordnung. Nach seiner rechtswidrigen Verhaftung 1965 verbrachte er vier Monate im Gefängnis in der Warschauer Rakowiecka-Straße. 1968 wurde er, nachdem er es abgelehnt hatte, eine „antizionistische Resolution“ zu unterstützen, aus der Redaktion der Zeitschrift „Nasza Ojczyzna“ entfernt und zur Sportpresse strafversetzt. 1971 verurteilte man ihn in Pisz zu einer einjährigen Haftstrafe, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte in einer Unterhaltung in einem Pfadfinderlager die neue polnische Ostgrenze infrage gestellt.

Nachdem er in den 70er Jahren die Pflichten eines Sekretärs des Ältestenrates des „Polnischen Heeres“ übernommen hatte (eines informellen Gremiums der dienstältesten Offiziere der Zweiten Polnischen Republik, in der unter anderen General Mieczysław Boruta-Spiechowicz, General Franciszek Kamiński und Oberst Kazimierz Pluta-Czachowski vertreten waren), wurde Ziembiński zum Initiator von Feierlichkeiten zu Gedenk- und Jahrestagen der polnischen Unabhängigkeit, unter anderem am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Warschau. Er organisierte Jahr für Jahr patriotische Gottesdienste für den Staatschef der Vorkriegszeit, Marschall Józef Piłsudski, für den Warschauer Stadtpräsidenten Stefan Starzyński, für den Generalinspekteur der Polnischen Streitkräfte Edward Śmigły-Rydz, für die Kommandeure des polnischen Untergrunds und für die Opfer des *Posener Aufstands im Juni 1956. Auf seine Initiative hin wurden in vielen Kirchen Gedenktafeln angebracht, die das nationale Gedächtnis stärken sollten. Besonders lag ihm die Erinnerung an die im Osten Gefallenen am Herzen. Ziembiński war einer der Ersten, die Gedenkgottesdienste für die Opfer des Massakers von Katyń organisierte (in Katyń hatte die sowjetwische Geheimpolizei 1940 unter anderem tausende polnische Offiziere erschossen) sowie für die im Kampf gegen die Sowjetarmee nach deren Einmarsch in Polen 1939 Gefallenen.

Im Dezember 1975 unterschrieb Ziembiński den an den polnischen Sejm gerichteten *Brief der 59, in dem gegen geplante Verfassungsänderungen protestiert und die Zielstellungen der Opposition umrissen wurden. Er gab auch den Anstoß und war einer der Autoren (gemeinsam mit Jan Olszewski, Antoni Pajdak und Stanisław Szczuka) des *Briefes der 14 vom Januar 1976, der sich gegen die Verankerung des unverbrüchlichen Bündnisses mit der UdSSR in der Verfassung Polens aussprach. Als er am 23. September 1976 das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony Robotników; *KOR) mit ins Leben rief, untersagten ihm die Behörden die Ausübung seines Berufes.

Als Vertreter eines konservativ ausgerichteten Unabhängigkeitsdenkens ging Ziembiński recht bald auf Distanz zum *KOR und unterstützte die Initiative von Andrzej Czuma und Leszek Moczulski zur Gründung der Bewegung zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela; *ROPCiO). Er unterschrieb den Gründungsappell „An die polnische Gesellschaft“ (Do społeczeństwa polskiego) vom 25. März 1977, gehörte fortan zu den Unterzeichnern der wichtigsten *ROPCiO-Dokumente und arbeitete zusammen mit Leszek Moczulski und Kazimierz Janusz für die Redaktion der unabhängigen Zeitschrift „Opinia“ (Meinung).

Seinen Bruch mit dem *KOR besiegelte er mit einem Referat am 29. September, in dem er die Auflösung des *KOR und eine Übertragung eines Teils der verbliebenen *KOR-Finanzmittel an *ROPCiO forderte.

Im Vorfeld des Warschau-Besuchs von US-Präsident Jimmy Carter im Dezember 1977 sandte Ziembiński dem amerikanischen Präsidenten einen Brief, in dem er daran erinnerte, dass die US-amerikanischen Bündnisverpflichtungen gegenüber Polen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht erloschen seien und dass die Ordnung von Jalta einer neuen, gerechten Weltordnung weichen müsse, die sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gründe. (Ähnliche Überlegungen enthielt sein Brief an US-Präsident Ronald Reagan im Jahre 1984.) Während seines Besuchs in Polen gewährte Carter der Zeitschrift „Opinia“ ein aufsehenerregendes Interview, das allerdings in Bezug auf die von Ziembiński formulierten Forderungen nur ausweichende Antworten enthielt.

Ziembiński war mitprägend für die programmatische Ausrichtung von *ROPCiO. Neben ideellem und politischem Pluralismus forderte die Gruppe auch die Pluralisierung der Opposition. Ziembiński gehörte dem Finanzrat an, der die Oberaufsicht über den *ROPCiO-Sozialfonds ausübte. Nach der Spaltung von *ROPCiO gehörte er dem Präsidium des Unterzeichnerrates (Prezydium Rady Sygnitariuszy) an, dessen Vorsitz Andrzej Czuma innehatte. Auf Initiative Ziembińskis formiert sich in Warschau das Komitee für die Selbstbestimmung des Volkes (Komitet Porozumienia na rzecz Samostanowienia Narodu; KPSN), eine Organisation, die sich insbesondere der Unabhängigkeit verpflichtet fühlte.

In der *ROPCiO-Presse und in der Zeitschrift „Rzeczpospolita“ des Komitees für die Selbstbestimmung des Volkes (die Ziembiński selbst herausgab) schrieb er hauptsächlich über nationale Traditionen, rief die herrschenden Kommunisten zur Respektierung der Rechte der katholischen Kirche auf und forderte die Etablierung freier Gewerkschaften.

Am 11. November 1979 organisierte Ziembińki in Warschau gemeinsam mit Andrzej Czuma, Józef Janowski und Bronisław Komorowski eine patriotische Kundgebung. Daraufhin wurde er wegen „demonstrativer Zurschaustellung der Missachtung höchster nationaler Werte und Interessen“ zu drei Monaten Arrest verurteilt.

Während der Auguststreiks 1980 setzte sich Ziembiński für die politischen Gefangenen ein. Am 9. Mai 1981 organisierte er als Mitarbeiter der Landesverständigungskommission (Krajowa Komisja Porozumiewawcza; KKP) der *Solidarność den Ersten Kongress des Komitees zur Verteidigung Politischer Gefangener. Gemeinsam mit Antoni Macierewicz gründete er am 27. September 1981 die sogenannten Klubs für den Dienst an der Unabhängigkeit (Kluby Służby Niepodległości; KSN). Am 11. November 1981 führte er eine Unabhängigkeitskundgebung am Warschauer Grabmal des Unbekannten Soldaten an und veranstaltete am selben Tag die wissenschaftliche Tagung „Ku niepodległości“ (In Richtung Unabhängigkeit). Am 29. November 1981 fand eine von Ziembiński organisierte offene KSN-Zusammenkunft statt, auf der Änderungen in der Wahlordnung und freie Parlamentswahlen diskutiert wurden.

Nach der Ausrufung des *Kriegsrechts wurde Ziembiński per Haftbefehl gesucht und schließlich im April 1982 festgenommen. Nach sieben Monaten kam er jedoch aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes wieder auf freien Fuß. Im Untergrund war er Initiator und führender Kopf der Gruppierung „Kongress der Nationalen Solidarität“ (Kongres Solidarności Narodu), für die er auch die Zeitschriften „Solidarność Narodu“ und „Polska Jutra“ (Polen von morgen) herausgab. Die Gruppierung wurde am 31. Dezember 1989 in die Partei der Republiktreue KSN (Stronnictwo Wierności Rzeczypospolitej) umgestaltet. Während medizinisch begründeter Auslandsaufenthalte hatte Ziembiński außerdem die Gründung der Organisation „Kongress für Ostmitteleuropa“ (Kongres Europy Środkowo-Wschodniej) am 16./17. Juni 1988 in Paris initiiert.

Wie bereits in früheren Jahren widmete sich Ziembiński auch weiterhin der Pflege des nationalen Gedächtnisses. 1984 stiftete er in der St.-Karl-Borromäus-Kirche in Warschau-Powązki das Kreuz „Für die im Osten Gefallenen“. Gemeinsam mit Pfarrer Stefan Niedziałek ergriff er die Initiative zum Bau eines Sanktuariums für die im Osten Gefallenen und Ermordeten. Krönung seines Engagements war am 17. September 1995 in Warschau die Einweihung des Denkmals für die im Osten Gefallenen und Ermordeten.

1989 gehörte Ziembiński zu denjenigen, die die Vereinbarungen am *Runden Tisch und die im Juni stattfindenden halbfreien Parlamentswahlen negativ beurteilten und kritisierten.

Ziembiński war Mitglied des New Yorker Józef Piłsudski Institute of America for Research in the Modern History of Poland, Initiator und Vorsitzender des Stiftungsrates für die im Osten Gefallenen und Ermordeten sowie 1989 einer der Gründer des Komitees zur Historischen Erforschung des Massakers von Katyń. Nach dem Ende des Kommunismus in Polen gründete er 1991 die Katyń-Stiftung mit, deren Stiftungsrat er 1993–2000 leitete. 1995 gehörte Ziembiński zu den Gründern des Polnisch-Tschetschenischen Komitees und engagierte sich 1995–97 in der Bewegung zum Wiederaufbau Polens (Ruch Odbudowy Polski; ROP).

Wojciech Ziembiński starb am 13. Januar 2001 in Warschau.



Jerzy Jackl
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 08/16

Information

Die Sonderzeichen * und # erscheinen lediglich aus technischen Gründen im Text. Auf der Ursprungs-Webseite dissidenten.eu finden sie weiterführende Links sowie die vollständige Version der Biografien mit Glossarerklärungen, Chroniken und ausführlichen Darstellungen der Oppositionsgeschichten aller Länder.