Landwirtschaft (1953)
Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
[S. 83]In der Landwirtschaft der SBZ hat sich nach 1945 in jeder Hinsicht ein grundlegender Wandel vollzogen. Den ersten Anstoß dazu gab die sogenannte Bodenreform. Während man vor dem Zusammenbruch neben den Ostgebieten vor allem Mecklenburg, Pommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt als die Länder des Großgrundbesitzes ansprechen konnte — die SBZ hat sich dadurch in ihrer Struktur ganz wesentlich von den Ländern des Bundesgebietes unterschieden —, kann man heute die SBZ als ein Gebiet mit vorherrschendem Kleinbesitz bezeichnen, wie nachstehender Vergleich der Besitzverteilung zwischen SBZ und Bundesgebiet in den Jahren 1939 und 1951 zeigt.
Der Anteil der einzelnen Betriebsgrößen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche, in v. H. ausgedrückt, beträgt in den Betriebsgrößenklassen
Während der Vergleich des Jahres 1939 mit dem Jahre 1949 für das Bundesgebiet keine nennenswerten Veränderungen ausweist, ist der Wandel, der sich in der SBZ vollzogen hat, um so stärker. Die Bewegung ist noch nicht abgeschlossen. Seit 1946 haben die Zahl und die dazugehörige landwirtschaftliche Nutzfläche der von der Bodenreform nicht eigentlich betroffenen Betriebsgrößen 20–50 und 50–100 ha (Mittel- und Großbauern), ganz erheblich abgenommen:
Von den Großbauern sind, verglichen mit 1946, nur 57,9 v. H., von den Mittelbauern nur 85,2 v. H. übriggeblieben. Gründe dafür sind: die Maßnahmen gegen die Großbauern — in der SU: Kulaken —, die hohe Ablieferungspflicht, Verhaftungen und Verurteilungen zu Zuchthaus und damit verbundene Vermögensentziehungen.
Der oft gehörte Hinweis, daß in der SBZ die Zahl und die Fläche der verschiedenen Betriebsgrößen sich weitgehend den Verhältnissen in der Bundesrepublik angenähert habe, ist, rein zahlenmäßig gesehen, richtig, geht aber an der Tatsache vorüber, daß das Kulturartenverhältnis, die Boden- und Klimaverhältnisse und damit die Produktionsgrundlagen und die sich daraus wieder ergebende Produktionsrichtung in der SBZ ganz andere sind als in der Bundesrepublik. Die nachstehende Übersicht zeigt den erheblichen Unterschied im Kulturartenverhältnis. Es entfallen von der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Jahre 1951
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Während der Bauer in der Bundesrepublik auf dem ihm gehörenden Land den Anbau der einzelnen Kulturpflanzen in dem ihm richtig erscheinenden Verhältnis selbst bestimmen und dabei u. a. die Anforderungen des Bodens, des Klimas, die besonderen Bedürfnisse seiner Wirtschaft, die Preisverhältnisse berücksichtigen kann, unterliegt der Bauer der SBZ dem Zwang eines streng vorgeschriebenen Anbauplanes, der durch die Einführung des sogenannten Wunschanbauplanes keineswegs beseitigt wird. Die Einhaltung der Anbauvorschriften wird durch laufende Meldungen und örtliche Kontrollen überwacht. Nach dem Anbauplan richtet sich wiederum das Ablieferungssoll, dessen 100prozentige Erfüllung mit schwersten Strafen erzwungen wird ohne Rücksicht darauf, ob bei voller Ablieferung dem Bauern noch genügende Mengen für den Eigenbedarf der Wirtschaft, also für Saat, Haushalt und Futter, übrigbleiben.
Die Höhe des Ablieferungssolls hat sich bis zum Jahre 1949 noch in erträglichen Grenzen gehalten. Die Eintreibung erfolgte noch nicht mit den heute üblichen, oft unmenschlichen Methoden, so daß bei guter Wirtschaftsweise der Bauer noch bestimmte Mengen als sogenannte freie Spitzen zu erhöhten Preisen verkaufen konnte. Das ist mit dem im Herbst 1949 erfolgten radikalen Kurswechsel anders geworden. Das Soll, das ohne Rücksicht auf den Ausfall der Ernte im voraus festgelegt wird, wurde vor allem bei den Altbauern so hochgeschraubt, daß seine volle Erfüllung nur bei sehr guter Ernte, unter stärkster Einschränkung des Eigenbedarfs, möglich ist. Im Lande Sachsen beträgt z. B. das Getreidesoll 1952 für die Größenklasse 5–10 ha 9,5 dz/ha gegen 9 dz/ha im Jahre 1949; für die Größenklasse 35–50 ha 20 dz/ha gegen 13 dz/ha im Jahre 1949; für die Größenklasse über 50 ha 21 dz/ha gegen 14,5 dz/ha im Jahre 1949. Ähnlich groß sind die Unterschiede bei Kartoffeln, wo die kleineren Betriebe 45–60 dz/ha, die großbäuerlichen Betriebe über 100 dz/ha abliefern müssen.
Die genannten Zahlen vermitteln aber noch nicht das richtige Bild, weil durch die sogenannte Differenzierung im Einzelfall noch eine ganz erhebliche Erhöhung möglich ist. Nicht selten müssen Großbauern 26–28 dz/ha Getreide und bis zu 150 dz/ha Kartoffeln abliefern. Die früheren Austauschnormen, die die Erfüllung des Solls erleichterten, sind weggefallen. Unter diesen Umständen bleibt für „freie Spitzen“ nichts mehr übrig. — Die Hektarerträge sind nach den amtlichen Angaben der SBZ an die Friedensgrenze herangekommen, bleiben aber in Wirklichkeit — und dies allein ist für den Bauer entscheidend — hinter den Erträgen der letzten Vorkriegsjahre zurück. Ungenügende Bodenbearbeitung infolge ungenügender Anspannung und nicht ausreichend vorhandener Geräte oder infolge des für die Landwirtschaft unbrauchbaren Hetztempos der Traktoristen und Aktivisten, der MAS, Mangel an einwandfreiem Saatgut und Handelsdüngemitteln sind die natürliche Erklärung für das Zurück[S. 85]bleiben der Erträge. Bei den Handelsdüngemitteln besteht ein starker Mangel an phosphorsäurehaltigen Düngemitteln. Dazu kommt, daß die Düngemittel oft zu spät ausgeliefert werden.
Den beachtlichen Unterschied in der Anspannung zeigen folgende Zahlen. Es entfallen bei der üblichen Berechnung und Bewertung auf 100 ha Ackerfläche
Außerdem ist infolge des chronischen Mangels an Ersatzteilen und an Reparaturmaterial ein hoher Prozentsatz der vorhandenen Trecker nicht einsatzfähig.
Auch in der Viehwirtschaft bleiben die Leistungen an Fett, Fleisch und Milch erheblich hinter denen der Vorkriegszeit zurück. Nach dem gewaltigen Aderlaß durch die sowjet. Plünderungen während und in den ersten Monaten nach dem Zusammenbruch, der der SBZ den Verlust von fast 50 v. H. der Kuh- und 75 v. H. der Schweinebestände in den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Pommern gebracht hat, haben die Viehbestände den Vorkriegsstand bei Rindern wieder erreicht, bei Schweinen ähnlich wie im Westen, vor allem aber bei Ziegen, erheblich überschritten. Durch die Zerschlagung der Großbetriebe ist naturgemäß der Schafbestand stark zurückgegangen. Setzen wir die Bestände in den Jahren 1935/38 = 100, dann sind nach der Dezemberzählung 1951 vorhanden:
Diese unter schärfstem Zwang und größten persönlichen Einschränkungen erzielte Leistung der Bauern der SBZ muß hervorgehoben werden. Die Zahl der Tiere besagt natürlich noch nicht, daß damit der Viehbesatz je 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche der völlig veränderten Struktur der Landwirtschaft angepaßt ist, sie gibt vor allem keine Auskunft über die Leistungen. Der katastrophale Mangel an Futtermitteln aller Art, der Mangel an Futtergetreide infolge des überhöhten Ablieferungssolls, die durch die Anbauplanung übermäßig eingeschränkte Hauptfutterfläche und der fast völlige Mangel an Eiweißfuttermitteln geben die natürliche Erklärung für das Zurückbleiben der heutigen Leistungen an Milch, Fett und Fleisch je Tier und je ha landwirtschaftlicher Nutzfläche.
Infolge des Mangels an Eiweißfuttermitteln dauert die Erzeugung von 1 dz Schweinefleisch 3–5 Monate länger als in der Vorkriegszeit oder in Westdeutschland. Die im Mai 1952 verordnete Schließung aller Kartoffelbrennereien ist ein Beweis dafür, daß die zu erwartende Kartoffelernte hinter den amtlichen Angaben zurückbleibt, sowie ein Eingeständ[S. 86]nis der Futternot. Dennoch wird die Schließung der Kartoffelbrennereien und die verfügte ausschließliche Herstellung von Branntwein aus Melasse die Futternot nicht beheben können. Die noch vorhandenen Brennereien mit einem Brennrecht von etwa 750.000 hl waren nicht ausgelastet. Es wurden höchstens 200.000 t Kartoffeln für Brennereizwecke freigegeben. Diese Menge spielt aber bei über 7 Mill. Schweinen eine sehr geringe Rolle.
Infolge des Futtermangels bereitet die Erfüllung des Ablieferungssolls tierischer Produkte, zumal nach der neuerlichen Erhöhung, für das Jahr 1952 die allergrößten Schwierigkeiten, vor allem für die Mittel- und Großbauern. Bis 1949 wurde das Ablieferungssoll tierischer Produkte nach der Zahl der vorhandenen Tiere festgesetzt. In den letzten Jahren richten sich die Normen nach der Größe der vorhandenen Nutzfläche. Sie betragen im Durchschnitt des Landes Sachsen in kg bzw. Stück je ha landwirtschaftlicher Nutzfläche für Betriebe in der Größe
Auch hierbei können sich durch die Differenzierung unter Umständen erhebliche Zuschläge für den Einzelbetrieb ergeben.
Die Lage der Landwirtschaft wird neben der Höhe der Ernten und der Leistungen der Veredelungswirtschaft weitgehend bestimmt einmal durch die Preise, die der Bauer für seine Produkte erhält, und auf der anderen Seite durch die Preise, die er für die laufenden Betriebsmittel zu zahlen hat. Auch hier ergeben sich ganz erhebliche Unterschiede zwischen West und Ost, die aus nachstehender Zusammenstellung zu erkennen sind.
Es beträgt der Preis für:
[S. 87]Was aber der Bauer des Bundesgebietes und der SBZ an eigenen Produkten aufbringen muß, um Betriebsmittel kaufen zu können, geht, in dz Roggen ausgedrückt, aus nachstehender Übersicht hervor:
Die Unterschiede sind beachtlich. Die notwendigen Betriebsmittel sind aber auch nicht jederzeit zu erhalten. Bei der Verteilung werden zunächst die volkseigenen Güter (VEG), die MAS und erst zuletzt der Bauer berücksichtigt, und die Qualität reicht längst nicht an die im Westen übliche heran.
Die Ausgaben für Löhne, Steuern, Lasten und Abgaben sind nominell zwar nicht höher als im Bundesgebiet, die oben geschilderte Tauschkraft der landwirtschaftlichen Produkte macht sie aber sehr viel drückender. Geldnot und Verschuldung haben ein bedenkliches Ausmaß erreicht. Die volkseigenen MAS, ebenso die volkseigenen Güter verlangen Jahr für Jahr außerordentliche Zuschüsse, zumal dort der Bürokratismus, die Überbetonung der politischen Tätigkeit und die Unfähigkeit der meisten nach politischen Gesichtspunkten ausgesuchten Betriebsleiter ganz unwahrscheinliche Formen angenommen haben. Der Geldmangel nimmt den Bauern die Kaufmöglichkeit für Betriebsmittel und persönlichen Bedarf. Willkürliche Versetzungen an andere Arbeitsplätze oder Kommandierungen zu Industrie, Uranbergbau und Volkspolizei verschärfen den Mangel an Lohnarbeitskräften. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, politische Bedrängung, Verhaftungen und Verurteilungen lassen immer mehr Bauern den Mut zum Weiterwirtschaften verlieren und ihre Höfe fluchtartig verlassen (Herrenlose Flächen). Der im Juli 1952 verkündete „Aufbau des Sozialismus“ bedeutet für die Landwirtschaft das letzte Stadium des Vernichtungskampfes gegen jedes selbständige Bauerntum. Es beginnt mit der Gründung von Produktionsgenossenschaften und endet in der Zwangskollektivierung, ohne Rücksicht auf Menschenleben und Wirtschaftstrümmer.
Fundstelle: SBZ von A–Z. Bonn, 1953: S. 83–87
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