DDR von A-Z, Band 1953

Arbeitspolitik (1953)

 

 

Siehe auch:

 

[S. 16]Die ersten, 1945 in der SBZ von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzten deutschen Arbeitsbehörden hießen „Ämter für Arbeitseinsatz“. Die für alle Arbeitsfragen zuständige Abteilung der sowjetischen Militär-Administration (SMAD, jetzt SKK) nannte sich „Abteilung Arbeitskraft“. Diese Bezeichnungen sind typisch für die gesamte, von der Besatzungsmacht eingeführte und von der SED und dem FDGB fortgesetzte A.: Von den traditionellen Aufgaben der A. demokratischer Staaten, nämlich sorgfältige Pflege, größtmöglicher Schutz, gerechte Entlohnung und zweckmäßige Verwendung der Lohnarbeit, hat sie der letzteren alle anderen als dienende Bestandteile untergeordnet. Sie geht aus von dem in der Verfassung der SU ausgesprochenen, angeblich sozialistischen Grundsatz: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ und verschärft ihn zum uneingeschränkten Leistungsprinzip, bei dem die einzelne menschliche Arbeitskraft in allen Beziehungen nur noch nach ihrem jeweiligen Nutzwert für die staatliche Wirtschaft und den politischen Bestand der „DDR“ behandelt wird.

 

Im Gegensatz zu freien Ländern, in denen die A. der Regierungen und Parlamente und die der Gewerkschaften gerade darauf gerichtet ist, den Arbeitnehmer vor der sozialen Übermacht des Arbeitgebers zu schützen, ist in der SBZ der Staat grundsätzlich selbst der Arbeitgeber und treibt eine A., die einer unkontrollierten und ungehemmten Arbeitgeber-Interessenpolitik gleichkommt. Der Arbeitgeber „DDR“ verschaffte sich zunächst durch inflationistische Währungspolitik die Möglichkeit, den größten Teil der arbeitsfähigen Bevölkerung für dieselbe Reallohnsumme für sich arbeiten zu lassen, die bei angemessener Entlohnung nur für einen Teil der Werktätigen ausgereicht hätte. Damit vermied er zwar größere Arbeitslosigkeit, jedoch auf Kosten des Lebensstandards des Arbeitnehmers. Die Vorschriften über die Arbeitslosenunterstützung sind so scharf gehalten, daß ein Arbeitnehmer auch Arbeit, die ihm nach unseren Begriffen nicht zuzumuten ist, an anderem Ort der SBZ annehmen muß. Die Zahlung einer Unterstützung setzt Bedürftigkeit voraus, obgleich Versicherungsbeiträge erhoben werden. Außerdem erreichen die Unterstützungssätze nur die vergleichbare Höhe der Sozialfürsorge. Die Lohnsteuer gibt dem verheirateten Arbeiter keine Erleichterung in der üblichen Form, wenn die Ehefrau arbeitsfähig ist. Die früher in allen vier Besatzungszonen gegebene gesetzliche Möglichkeit zur zwangsweisen Arbeitsverpflichtung besteht in der SBZ fort. Die A. der SBZ ist also darauf gerichtet, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung ohne Rücksicht auf Person und Familie auch gegen den eigenen Willen zu verwenden, und zwar jeweils dort, wo es der staatliche Arbeitgeber will.

 

Weiterhin bestimmt die A. die Art der Verwendung der Arbeitskraft (Berufslenkung, Arbeitskräfteplan). Die Schulentlassenen können nur behördlich vorgeplante Berufe ergreifen. Die „Umsetzung“ von Arbeitskräften aus einem Beruf bzw. Betrieb in ein neues Arbeitsvorhaben der Regierung geschieht durch Regierungsanweisung an den Staatsbetrieb, der den benötigten Arbeitnehmern zu kündigen hat, und an das Arbeitsamt, das die Entlassenen an den befohlenen Platz vermittelt. Wo dieses System versagt, hilft die Arbeitseinweisung (Arbeitsverpflichtung). Damit die Absichten der A. schnell und billig verwirklicht werden können, wurden die Kündigungsfristen für An[S. 17]gestellte und Arbeiter einheitlich auf 14 Tage verkürzt. Es ist sogar geplant, dem Arbeitnehmer das Kündigungsrecht überhaupt zu entziehen.

 

Ein weiteres Instrument dieser Form von A. ist das durch Regierungsdekret geschaffene Lohngefälle zugunsten der jeweils wichtigsten Arbeitsvorhaben. Dieses Lohngefälle wird durch Zusatzurlaub und „Treueprämien“ verstärkt (Prämienwesen). Da bei solcher A. Gewerkschaften und Betriebsräte „stören“ könnten, ist der FDGB durch seine eigene Satzung verpflichtet worden, die staatliche A. nicht nur zu unterstützen, sondern ihre Durchführung als seine eigentliche Hauptaufgabe anzusehen. Ferner ist der FDGB nicht nur durch Personalunion aller leitenden Funktionäre mit Ämtern der SED, sondern auch durch förmliche Beschlüsse auf die Durchführung der Parteianweisungen festgelegt. Die Betriebsräte wurden 1948 abgeschafft. Sie sind formell durch die Betriebsgewerkschaftsleitungen (BGL) ersetzt worden, die aber tatsächlich und laut Satzung nur ausführende und jederzeit absetzbare Organe der Staatsgewerkschaft sind.

 

Der staatliche Arbeitgeber ist zugleich Arbeitsgesetzgeber. Während im demokratischen Deutschland der wesentliche Teil der Arbeitsbedingungen nicht durch Gesetz, sondern durch Tarifverträge geregelt wird, hat die SBZ in die staatliche Gesetzgebung auch die Lohnsätze, den Urlaub und die Kündigungsfristen (als Mindest- und Höchstbestimmungen zugleich), die Eingruppierung in die Lohngruppen (mit Zuchthausstrafen für zu hohe Eingruppierung) und die einzelnen Akkordpreise, Vorgabezeiten und Gedingelöhne einbezogen. Ein Teil dieser durch Regierungsverordnungen getroffenen Regelungen, die in der Hauptsache die Überbezahlung verhindern sollen, kehrt äußerlich noch einmal in Form von Rahmen- und Betriebskollektivverträgen wieder. Diese „Verträge“ sind also insoweit nur wörtliche Zitate aus den vorher erlassenen Verordnungen, ohne Änderungen um Pfennig oder Komma. Im Zuge dieser Arbeitgeber-Interessenpolitik sind unzählige bisher tariflich gesicherte Rechte der Arbeitnehmer durch Regierungsverordnungen oder — was das gleiche ist — staatliche „Muster“-Verträge beseitigt worden. Als unkostenfreien Ausgleich hierfür und zugleich zur Ausnutzung des natürlichen Strebens der deutschen Arbeiter nach Anerkennung ihrer Leistungen bietet ihnen der Arbeitgeber „DDR“ Orden, Titel und Prämien. Die „kapitalistische Konkurrenz“ der Betriebe untereinander wird durch Wettbewerbe ersetzt. Die Sieger erhalten mehr „ideelle Werte“ als materielle Anerkennung; Ersparnisse durch höhere Leistung kommen dem Arbeitgeber allein zugute.

 

Während es Ziel und Aufgabe jeder demokratischen A. ist, die Arbeitnehmerschaft in ihrer Gesamtheit sozial besser zu stellen, wurde in der SBZ die Arbeitnehmerschaft bewußt sozial aufgespalten. Zwar bestehen rechtlich keine Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten mehr, weil letztere den ersteren — statt umgekehrt — angeglichen wurden. Aber stattdessen wurden der Intelligenz unter der Arbeitnehmerschaft Sonderrechte eingeräumt, wie sie die Angestellten nie hatten und die die Intelligenz zu einer — selbst durch besondere Speiseräume — bevorzugten Kaste machen. Das übrige Aufsichtspersonal — Meister und Brigadiers — ist durch Lohnerhöhungen und durch Abhängigkeit des Verdienstes von der Soll-Erfüllung bzw. -Übererfüllung der ihnen unterstellten Arbeitnehmer zum Antreiben verlockt und teilweise gezwungen.

 

Um echte materielle Gegenleistungen des staatlichen Arbeitgebers für Arbeitsanstrengungen des Arbeitnehmers vermeiden zu können, werden [S. 18]neben der individuellen Verleihung von Titeln, Orden und Prämien auch Massen-„Bewegungen“ organisiert. Das sind dem FDGB vom Staat aufgetragene Propagandawellen in den Betrieben für bestimmte — meist unbezahlte — Sonderleistungen der Arbeitnehmer. Im Vordergrund aller dieser „Bewegungen“ steht die Forderung nach mehr Arbeit in der gleichen Zeit für den gleichen Lohn (TAN).

 

Der Arbeitsschutz hindert den staatlichen Arbeitgeber an der vollen Ausnutzung der ihm ausgelieferten Arbeitskraft. Die SBZ legt daher beim Arbeitsschutz das Hauptgewicht auf den Schutz der Maschinen und Betriebsgebäude vor technischen Schäden und hat den Menschenschutz sogar verringert, insbesondere den für Frauen, Mütter und Jugendliche. Der Unfallschutz für die Arbeiter bedurfte kaum eines Abbaus auf rechtlichem Gebiet. Hohe Arbeitsnormen sorgen im Verein mit dem Fehlen von Sicherheitsvorrichtungen für seine völlige Vernachlässigung.

 

Die A. erfaßt auch den kranken und arbeitsunfähigen Menschen. „Arbeitsbefreiungszeugnisse“, die zum Fernbleiben von der Arbeit berechtigen, sind staatlich kontingentiert. Es ist geplant, die Höhe von Sozialversicherungsrenten in Zukunft nicht mehr nach den gezahlten Beiträgen, sondern nach der „volkswirtschaftlichen Bedeutung“ des Versicherten zu bemessen.

 

Zur Verschleierung der wahren Tendenzen dieser A. behauptet das Regime, die Betriebe seien „volkseigen“. Da aber durch das Gesetz der ➝Arbeit sogar die bisherige Mitbestimmung der Arbeitnehmer von „Staatsorganen ausgeübt“ wird und der Staat als tatsächlicher Herr über die Betriebe selbst nur eine unkontrollierte Verschwörerclique ist, kann man mit Recht davon sprechen, daß die A. der SBZ in Wahrheit eine Arbeitgeberpolitik derjenigen Funktionäre ist, die sowohl den Staat als auch die Betriebe diktatorisch beherrschen, zu ihrem persönlichen Wohlleben und um ihre Diktatur zu verewigen.


 

Fundstelle: SBZ von A–Z. Bonn, 1953: S. 16–18


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.