
Gerichtsverfassung (1954)
Siehe auch die Jahre 1953 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Durch die am 2. 9. 1952 in Kraft getretene „Verordnung über die Neugliederung der Gerichte“ vom 28. 8. 1952 (GBl. S. 791) ist an Stelle der bisherigen Amtsgerichte in jedem Kreis ein Kreisgericht, an Stelle der bisherigen Landgerichte und Oberlandesgerichte in jedem Bezirk ein Bezirksgericht getreten. Die Verordnung bestimmt weiter, daß das Rechtsmittel der Revision entfällt. Das am 15. 10. 1952 in Kraft getretene G.-Gesetz vom 2. 10. 1952 bestimmt, daß in jedem Kreis ein Kreisgericht unter einem Direktor als Leiter und der erforderlichen Anzahl von Richtern gebildet wird. Es wird in Straf- und Zivilkammern gegliedert, während in jedem Bezirk ein Bezirksgericht mit Straf- und Zivilsenaten besteht. In Strafsachen ist das Kreisgericht in erster Instanz für alle Sachen zuständig außer „Verbrechen gegen die Republik“, Mord und besonders schweren Wirtschaftsverbrechen. In diesen Sachen entscheidet das Bezirksgericht in erster Instanz. Wichtig ist, daß die Staatsanwaltschaft auch andere Sachen vor dem Bezirksgericht anklagen kann, wenn sie dies „wegen der Bedeutung, Folgen oder Zusammenhänge“ der Straftat für erforderlich hält Ebenso kann bei der sog. schweren Kriminalität, in der das Bezirksgericht an sich zuständig wäre, die Staatsanwaltschaft die Anklage vor dem Kreisgericht erheben, wenn sie die Sache für weniger bedeutungsvoll hält. Der Angeklagte ist insoweit also völlig der Willkür der Staatsanwaltschaft ausgeliefert.
Die Kreisgerichte sind für die Entscheidung aller Zivilsachen zuständig mit Ausnahme der Fälle, in denen eine Partei „Träger gesellschaftlichen Eigentums“ ist und der Streitwert den Betrag von 3.000 DM Ost übersteigt. Nur in letzterem Fall ist das Bezirksgericht zuständig.
Das Oberste Gericht hat neben seinen beiden bisherigen Funktionen noch [S. 61]die Befugnis erhalten, als Rechtsmittelgericht gegen erstinstanzliche Entscheidungen des Bezirksgerichts tätig zu werden. Es gibt also in der Sowjetzone nur noch ein Rechtsmittel; die zweite Instanz ist völlig weggefallen. Dieses Rechtsmittel heißt, wenn es von einer Partei im Zivilprozeß oder vom Angeklagten im Strafprozeß eingelegt wird, „Berufung“ oder „Beschwerde“, wenn es vom Staatsanwalt eingelegt wird, „Protest“.
„Ein Grundsatz unseres neuen sozialistischen Strafprozeßrechts ist der Grundsatz der breiten Heranziehung der Werktätigen zur Rechtsprechung. Deshalb sind jetzt alle erstinstanzlichen Straf- und Zivilsachen … mit einem Amtsrichter und zwei Schöffen zu verhandeln“ (Böhme in „Neue Justiz“ 1952, S. 498). Diesem Grundsatz steht entgegen, daß gerade dann, wenn ein Urteil rechtskräftig wird — also beim Obersten Gericht und in den Berufungssenaten der Bezirksgerichte —, keine Schöffen beteiligt sind. Die Schöffen brauchen nicht mehr nach der ausgelosten Reihenfolge zu den Sitzungen hinzugezogen zu werden, sondern können vom Vorsitzenden beliebig ausgesucht werden Infolgedessen wirken bei politischen Verfahren und großen Wirtschaftsprozessen nur parteiergebene SED Mitglieder als Schöffen mit. (Rechtswesen)
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der Sowjetzone. (BB) 1953. 100 S.
Fundstelle: SBZ von A–Z. Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage, Bonn 1954: S. 60–61