Hochschulen (1954)
Siehe auch die Jahre 1953 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979
Die H. der SBZ unterstanden bis 1951 einer Abt. des Volksbildungsministeriums. Durch Verfügung vom 22. 2. 1951 wurde ein besonderes Staatsekretariat für das Hochschulwesen geschaffen, dem die zentrale Leitung und Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit untersteht. In den Jahren 1951/52 wurde von dem Staatssekretariat eine Hochschulreform durchgeführt, die das Hochschulwesen so stark umformte, daß es heute dem sowjetischen ähnlicher ist als dem deutschen. Nach sowjetischem Vorbild wurden gleichzeitig Fachministerien an der Leitung und Unterhaltung von einzelnen Hochschulen (ausgenommen die 6 Universitäten: Ostberlin, Leipzig, Halle, Jena, Rostock, Greifswald, Technische Hochschule Dresden) beteiligt, und zwar bei der Bergakademie Freiberg das Ministerium für Schwerindustrie; bei der Hochschule für Architektur in Weimar das Ministerium für Aufbau; bei den Musikhochschulen in Berlin, Leipzig, Halle, Dresden und bei der neugegründeten Pädagogischen H. in Potsdam das Volksbildungsministerium; bei den Kunst-H. seit Herbst 1951 statt dessen die neugegründete Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten.
Die Gleichschaltung der H. mit der „neuen Ordnung“ wurde durch folgende Maßnahmen erzielt:
1. Die seit 1947/48 zunehmende Monopolisierung des Marxismus-Leninismus für das philosophische und gesellschaftswissenschaftliche Studium. Seit dem Wintersemester 1950/51 müssen alle Studenten der Universitäten und wissenschaftlichen H. ein gesellschaftswissenschaftliches „Grundstudium“ absolvieren.
2. Die Manipulierung der Wahlen der akademischen Körperschaften: nur „zuverlässige“ Rektoren und Dekane werden bestätigt; die Senate werden so zusammengesetzt, daß möglichst eine „fortschrittliche“ Mehrheit entsteht; mehr oder minder erzwungene Berufung von SED-Dozenten und ihre schnelle Beförderung; die Schaffung von Stellen, deren Inhaber von der Regierung ernannt werden. Seit 1951 sind die Rektoren einer Kontrolle durch vier Prorektoren mit bestimmten Sachgebieten unterstellt worden. Prorektoren gibt es: a) für das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium; b) für Forschungsangelegenheiten; c) für die wissenschaftliche Aspirantur; d) für die studentischen Angelegenheiten, die Studienordnung und die Berufspraktika. Die Prorektoren werden nicht gewählt, sondern vom Staatssekretariat ernannt.
3. Die Entwicklung eines sog. fortschrittlichen Lebens an den H., das von den SED-Betriebsgruppen und von der FDJ gesteuert wird und Professoren und Studenten überwacht.
4. Die einseitige Auslese der Studenten und die Benutzung des Stipendienfonds für die Prämiierung aller anpassungsbereiten Studenten. Dazu gehört die bevorzugte Behandlung von Arbeiter- und Kleinbauernkindern, später auch von Kindern der gleichgeschalteten Intelligenz. Voraussetzung für Vergünstigungen ist in jedem Falle aktive Betätigung in der FDJ.
5. Bürokratische Regelung des Studiengangs durch Studienpläne und durch die Organisation der kollektiven „Lernarbeit“ in übersehbaren Gruppen sowie Einführung von Zwischenprüfungen, die eine kontinuierliche Kontrolle der Leistungen des Studenten ermöglichen. Mehr als 100 Studienpläne legen die möglichen Ausbildungsgänge fest. Erstrebt wird die Verbindung der Parteigängerausbildung mit einer engen Spezialistenausbildung. Die Studienpläne schreiben vor, welche Vorlesungen, Seminare, Übungen und Praktika jeder Student in einer bestimmten Reihenfolge und in einer bestimmten Zeit zu absolvieren hat. Die Seminare dienen vorzugsweise der „Aneignung“ des in den Vorlesungen vorgetragenen Stoffes.
Die Studenten werden in kleinere „Seminargruppen“ (etwa 30 Mitglieder) aufgeteilt, die geschlossen nach einem bestimmten Stundenplan alle Veranstaltungen zu besuchen haben. Jede Seminargruppe hat einen „Seminargruppensekretär“. Er wacht über die Innehaltung der Studiendisziplin. Verstöße gegen sie werden zunehmend stärker geahndet.
An die Stelle der alten Semestereinteilung ist die nach Studienjahren (10-Monate-Studium) getreten. Jedes Studienjahr schließt mit einer Zwischenprüfung und einem Berufspraktikum. Die für das Studium festgelegte Zeit muß eingehalten werden. Nach Abschluß der Studien weisen Kommissionen für Berufslenkung die Studenten in Stellungen. Geplant ist eine noch weitergehende Reglementierung des Studiums durch Vorschriften über den Aufbau jeder einzelnen Vorlesung.
[S. 70]6. Neugründung von Fakultäten. Die 1946/47 geschaffenen pädagogischen und gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten sind inzwischen wieder aufgelöst worden. Seit 1953 erfolgt die Ausbildung der Fachlehrer für die Mittelstufe nicht mehr an den Universitäten, sondern an besonderen Instituten für Lehrerbildung.
Nach sowjetischem Vorbild hat die SBZ besondere Fachhochschulen gegründet und plant weitere Gründungen dieser Art: die Hochschule für Planökonomie Berlin, die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“, eine Hochschule für Verkehrswesen. Da in Zukunft auch die Oberschullehrer nicht nur von den Universitäten vorgebildet werden sollen, ist die Gründung neuer pädagogischer Hochschulen angekündigt worden.
7. Die zentralisierte und systematisierte Förderung der „Aspiranten“ (Dozenten-Nachwuchs; unterschieden wird die Doktor-Aspirantur und die Aspirantur mit dem Ziel der Habilitation).
8. Große Aufstiegschancen für alle anpassungsbereiten Studenten und Dozenten; materielle Besserstellung der Wissenschaftler, die einer Privilegierung gleichkommt.
9. Die Kontrolle der gesamten Arbeit der H. durch den SED-Apparat mit Hilfe der SED-Betriebsgruppen. (Erziehungswesen)
Literaturangaben
- Baumgart, Fritz: Das Hochschulsystem der sowjetischen Besatzungszone. (BMG) 1953. 31 S.
- Müller, Marianne, und Egon Erwin Müller: „… stürmt die Festung Wissenschaft!“ Die Sowjetisierung der mitteldeutschen Universitäten seit 1945. Berlin 1953, Colloquium-Verlag. 415 S.
Fundstelle: SBZ von A–Z. Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage, Bonn 1954: S. 69–70