DDR von A-Z, Band 1954

Sowjetisches Militärtribunal (1954)

 

 

Siehe auch:


 

Die in der SBZ tätigen SMT sind nicht nur für die Aburteilung sowjetischer Soldaten zuständig, auch deutsche Staatsbürger wurden und werden vor diesen Gerichten an[S. 150]geklagt und nach sowjetischem Recht verurteilt. Eine Zuständigkeitsabgrenzung gegenüber den SBZ-Gerichten besteht nicht. Soweit feststellbar, handelt es sich stets um politische Fälle, die die sowjetischen Gerichte nach ihrem Ermessen an sich ziehen. Das Verfahren ist dem Einfluß und jeglicher Kenntnisnahme der SBZ-Justiz entzogen. Der Untersuchungshäftling hat keine Verbindung mit der Außenwelt. Er wird meist in sehr strenger Einzelhaft gehalten und kommt nur mit sowjetischem Wachpersonal in Berührung. Die Verhöre erfolgen fast stets nachts. Mit allen Mitteln versuchen die Kommissare, ein Geständnis zu erlisten oder zu erpressen. Die Protokolle werden in russischer Sprache abgefaßt; oft hat ein Mißverständnis des Dolmetschers der Aussage eine verhängnisvolle Wendung gegeben, und sehr oft sind „Geständnisse“ abgelegt worden, weil der Häftling die Qualen der Folterung nicht mehr aushalten konnte und irrtümlich gehofft hatte, das Geständnis vor Gericht widerrufen zu können. Die Akten der Voruntersuchung haben aber in der Gerichtsverhandlung absolute Beweiskraft (§ 396 StPO der RSFSR). Eine Beweisaufnahme erfolgt nur, wenn die Anklage noch nicht „genügend geklärt“ erscheint (§ 394 StPO). Für diese ausreichende „Klärung“ aber sorgt die Voruntersuchung mit ihren Methoden. In geklärten Fällen wirkt der Militärstaatsanwalt nicht mit, und damit ist auch die Hinzuziehung eines Verteidigers ausgeschlossen (§ 381 StPO). Dem Angeklagten kann das Recht auf mündliche Selbstverteidigung genommen werden (§ 397 StPO). Das Gericht darf auch Beweisstücke verwenden, die dem Angeklagten unbekannt bleiben (§ 396 StPO), kann also Spitzelmeldungen heranziehen, ohne daß der Angeklagte etwas dagegen Vorbringen kann. Die Verfahren werden oft in fünf bis zehn Minuten abgewickelt. Die Anklage stützt sich fast ausschließlich auf eines der „gegenrevolutionären Verbrechen“ (§ 58 StGB der RSFSR, gelegentlich auch § 59): „Als gegenrevolutionär gilt jede Handlung, die auf den Sturz, die Unterhöhlung oder die Schwächung der Sowjetherrschaft … oder auf die Unterhöhlung der äußeren Sicherheit der UdSSR und der grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und nationalen Errungenschaften der proletarischen Revolution gerichtet sind“.

 

Der 2. Absatz des § 58 dehnt den Anwendungsbereich u. a. auch auf die SBZ aus: „Kraft der internationalen Solidarität der Interessen aller Werktätigen gelten Handlungen gleicher Art als gegenrevolutionär auch dann, wenn sie gegen einen anderen der UdSSR nicht angehörenden Staat der Werktätigen gerichtet sind“. Zu den 18 verschiedenen und verschwommen definierten Tatbeständen des § 58 gehören z. B. „das Unterhalten von Beziehungen zu einem ausländischen Staat“ (58, III), „Unterstützung der ausländischen Bourgeoisie“ (58, IV), „Propaganda, die zur Schwächung der Sowjetherrschaft führen kann“ (58, X), „Nichtanzeigen eines vorbereiteten Verbrechens“ (58, XII). Zwei Umstände gelten als „erschwerend“ (§ 57 StGB): „Das Ziel, die Macht der Bourgeoisie wiederherzustellen“, und die „Möglichkeit, daß durch die Begehung des Verbrechens den Interessen des Staates oder der Werktätigen ein Schaden zugefügt wird, mag auch das Verbrechen nicht unmittelbar gegen die Interessen des Staates oder der Werktätigen gerichtet sein“. Die Strafen lauten im Regelfälle auf 25 Jahre Zwangsarbeit. Die Urteilsverkündung erfolgt oft in Abwesenheit des Angeklagten durch Zustellung einer Urteilsabschrift. Anfechtung des Urteils ist bei den wichtigsten gegenrevolutionären Verbrechen ausgeschlossen, in den übrigen Fällen ist sie praktisch aussichtslos, weil sie nur Formfehler und „offensichtliche Ungerechtigkeit“ angreifen darf. Fehler im Sachverhalt, im Protokoll der Voruntersuchung können nicht zur Begründung herangezogen werden. Die Verurteilten werden zur Vollstreckung meist den Zuchthäusern in der SBZ zugewiesen; „gefährliche politische Verbrecher“ werden in sowjetische Besserungsarbeitslager (ITL) in der SU übergeführt. Dort bleiben sie für ihre Angehörigen verschollen, während den Insassen der Zuchthäuser ein beschränkter Briefverkehr gestattet ist.

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der Sowjetzone. (BB) 1953. 100 S.

 

Fundstelle: SBZ von A–Z. Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage, Bonn 1954: S. 149–150


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.