
Demokratie (1956)
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Gesellschaftsordnung, in der nach Auffassung Marx' und Engels' die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nicht aufgehoben ist. Grundlage der D. ist der auf dem „Antagonismus der Klassen“ beruhende kapitalistische Staat. Dennoch stellt nach klassisch-marxistischer Auffassung die bürgerliche D. einen Fortschritt gegenüber dem absolutistischen Feudalstaat dar, weil sie dem Proletariat das Wahlrecht, Rede- und Koalitionsfreiheit und damit die Möglichkeit zur Zerstörung der kapitalistischen Ordnung verleiht. Die D. ist also zwar immer noch eine „Diktatur der Minderheit über die Mehrheit“, bildet aber ein erstrebenswertes Übergangsstadium auf dem Wege zur Diktatur des Proletariats [S. 59]und zum Sozialismus und damit zu einer „Diktatur der Mehrheit über eine Minderheit“, wurde jedoch nie als Endziel aufgefaßt. Noch Lenin erklärte: „Die ‚reine D.‘ ist die verlogene Phrase eines Liberalen, der die Arbeiter zum Narren hält“ (Ausgew. Werke, Bd. 2, Moskau 1947, S. 423). Mit dem Eintritt der SU in die Weltpolitik (Aufnahme in den Völkerbund 1934) erfuhr ihre Einstellung zur D. eine Wandlung, die mit dem anglo-amerikanisch-sowjetischen Bündnis von 1941 abgeschlossen wurde. Die SU glaubte ihre weltanschaulichen Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen, indem sie die Staatsform der SU als die wahre D., als eine „D. für die Werktätigen, eine D. für alle“ bezeichnete: „Deshalb glaube ich, daß die Verfassung der UdSSR die einzige bis zum letzten demokratische Verfassung der Welt ist“ (Stalin, „Fragen des Leninismus“, Moskau 1949, S. 634). Der Begriff D. wurde nach dem Kriege in den Satellitenstaaten und der SBZ zur Kennzeichnung des Übergangszustandes auf dem Wege zur Bolschewisierung als Volksdemokratie oder Antifaschistisch-demokratische Ordnung willkürlich gedehnt und mißbraucht.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 58–59
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