
Eisenbahn (1956)
Siehe auch:
- Deutsche Reichsbahn: 1969
Von allen Verkehrsmitteln hatte die Reichsbahn am schwersten unter den Kriegsfolgen gelitten. Die wichtigsten Strecken und Bahnhöfe waren fast unbefahrbar, ⅔ der vorhandenen Lokomotiven, 60 v. H. der Reisezugwagen und 50 v. H. der verbliebenen Güterwagen beschädigt sowie 970 Eisenbahnbrücken zerstört und 36,6 v. H. der Gleisanlagen demontiert. Es ist bisher nicht gelungen, den Eisenbahnverkehr in der SBZ, der 95 v. H. des Gesamtverkehrs zu bewältigen hat, wieder auf den Vorkriegsstand zu bringen.
Die Länge der Eisenbahnstrecken schrumpfte durch die Demontagen der Sowjets von etwa 18.500 km auf etwa 14.500 km zusammen. Ganze Strecken von Haupt-, Neben- und Kleinbahnen wurden abgebaut, wodurch die Netzdichte von rd. 17 km je 100 qkm im Jahre 1938 auf rd. 14 km nach der Demontage sank. Mehr als 5.000 km mehrgleisige Strecken mußten auf eingleisigen Betrieb umgestellt werden. Die Durchlaßfähigkeit der Strecken wurde etwa um ein Viertel gemindert. Die Unterhaltung der Strecken ist äußerst unzureichend. Es fehlt an Gleisen und Schwellen, so daß sich über 50 v. H. des Oberbaus in einem den Betrieb gefährdenden Zustand befinden. Dem Wiederaufbau der zweiten Gleise auf Hauptstrecken, der erst in den letzten Jahren etwas vorangekommen ist, sind durch den Mangel an Material Grenzen gesetzt. Ab 1956 sollen 1.200 km, also 8,3 v. H. des Streckennetzes, zweigleisig ausgebaut sein, gegenüber 41 v. H. bei der Deutschen Bundesbahn. In erster Linie dient der Ausbau dieser Strecken strategischen Zwecken; denn allein 5 zweigleisige Strecken werden dann nach Polen und 2 in die Tschechoslowakei führen. Auch die nach 1945 vorgenommenen Neubauten von Eisenbahnstrecken besitzen für den zivilen Verkehr innerhalb der Zone keinen praktischen Wert. Im letzten Jahr ist man an den Wiederaufbau der Anlagen für den elektrischen Zugbetrieb herangegangen, die nach 1945 ebenfalls restlos der Demontage zum Opfer gefallen waren. Auf der ersten Teilstrecke Halle–Köthen konnte der elektrische Betrieb im Herbst 1955 aufgenommen werden.
Im Lokomotivpark ist ein Rückgang um etwa 1.500 Lokomotiven eingetreten. Am 1. 1. 1955 besaß die Sowjetzonenbahn insgesamt etwa 6.730 Lokomotiven (6.500 Vollspur- und 230 Schmalspurlok.). Betriebsfähig waren nur rd. 63 v. H. Für den Reisezugdienst stehen nur etwa 600 zur Verfügung, davon nur 95 Schnellzugmaschinen. Gün[S. 71]stiger liegen die Verhältnisse im Güterzuglokpark, wo fast 1.500 betriebsfähige Maschinen zur Verfügung stehen. Die etwa 90 auf Kohlenstaubfeuerung umgestellten Lokomotiven haben nicht erfüllt, was man sich von ihnen versprochen hatte.
Bestand an Personen- und Packwagen gegenwärtig etwa 13.000, davon etwa 10.000 betriebsfähig. Seit der Aufnahme der Produktion für den Eigenbedarf im Jahre 1950 sind etwa 600 Personenwagen in den Verkehr gestellt worden. In der neueren Zeit sind vor allem Doppelstockwagen für den Arbeiterberufsverkehr, daneben auch einige Schlafwagen und Speisewagen gebaut worden.
Der Bestand von etwa 180.000 Güterwagen vor dem Kriege ist auf rund 122.000 zurückgegangen. Da das Schwergewicht des Güterverkehrs in der SBZ auf der Eisenbahn lastet, reicht die Zahl der täglich zur Verfügung stehenden Waggons niemals aus.
Trotz der offensichtlichen Mängel an den Anlagen der sowjetzonalen Eisenbahn sind die Verkehrsleistungen dank der Arbeitsleistungen der Eisenbahner recht beachtlich. Etwa 90 v. H. des Güterverkehrs von rd. 24 Mrd. Tonnenkilometern werden von der Eisenbahn abgewickelt. Die jährliche Tonnenkilometer-Leistung liegt gegenwärtig mit etwas über 20 Mrd. etwa auf der Vorkriegshöhe, die Menge der beförderten Güter beträgt etwa 160 Mill. Tonnen. Im Personenverkehr ist mit rd. 1 Mrd. beförderter Personen im Jahre 1953 der Vorkriegsstand bereits überschritten. Doch das Verkehrsniveau in bezug auf Ausstattung der Fahrzeuge, Zugdichte, Reisegeschwindigkeit und Pünktlichkeit ist erheblich gesunken. (Verkehrswesen)
Im November 1954 wurde das gesamte Verkehrswesen unter der Leitung von Erwin Kramer zu einem Ministerium zusammengefaßt. Im April 1955 wurde bei der „Reichsbahn“ eine neue „Struktur“ eingeführt, bei der 11 Reichsbahnämter aufgelöst und die Grenzen der Direktionsbezirke verlegt wurden. Ein Ausweg aus der angespannten Verkehrslage wäre die Durchführung eines umfassenden Investitionsprogramms, doch ist die SBZ infolge anderweitiger Verpflichtungen hierzu nicht in der Lage.
Literaturangaben
- Olbrich, Paul: Die Fahrzeugwirtschaft bei der „Deutschen Reichsbahn“ der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1955. 88 S. m. 14 Tab. u. 10 Anlagen.
- Seidel, Wolfgang: Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik in der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1953. 235 S. m. 72 Tab. u. 9 Schaubildern.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 70–71
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