DDR von A-Z, Band 1956

Gerichtsverfassung (1956)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

In der SBZ geregelt durch das am 15. 10. 1952 in Kraft getretene „Gesetz über die Verfassung der Gerichte der DDR (Gerichtsverfassungsgesetz)“ (GVG) vom 2. 10. 1952 (GBl. S. 983), das für den Bereich der SBZ das seit 1879 in Deutschland geltende Gerichtsverfassungsgesetz außer Kraft setzte.

 

Die Rechtsprechung wird ausgeübt durch Kreisgerichte, Bezirksgerichte und das Oberste Gericht und soll „dem Aufbau des Sozialismus, der Einheit Deutschlands und dem Frieden“ dienen 2, Abs. 1, Satz 1, GVG). Die Urteile ergehen „im Namen des Volkes“. Die Richter sollen angeblich „in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen“ sein (§ 5 GVG und Art. 127 der Verfassung); tatsächlich sind jedoch weder die persönliche noch die sachliche Unabhängigkeit der Richter gewährleistet (Unabhängigkeit der ➝Richter, Schöffen, Volksrichter). Die Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich; die Öffentlichkeit kann jedoch in bestimmten Fällen ausgeschlossen werden. Ausnahmegerichte sind unzulässig; dagegen können Gerichte für bestimmte Sachgebiete (Sondergerichte) errichtet werden. Die Gerichtssprache ist deutsch (in der Lausitz kann in sorbischer Sprache verhandelt werden).

 

Kreisgericht (KrG): In jedem Kreis besteht ein KrG, das von einem Direktor geleitet wird und in Straf- und Zivilkammern gegliedert ist; sie sind mit einem Richter als Vorsitzendem und zwei Schöffen besetzt. Das KrG ist zuständig: a) für alle Strafsachen, in denen nicht die Zuständigkeit eines höheren Gerichtes begründet ist bzw. in denen der Staatsanwalt Anklage vor dem KrG erhebt, und b) für alle Zivilsachen, soweit nicht „eine Partei Träger gesellschaftlichen Eigentums ist und der Streitwert 3.000 DM Ost übersteigt“. — Bei jedem KrG besteht eine Rechtsauskunftsstelle zur Beratung der Bevölkerung und ist mindestens ein Gerichtsvollzieher angestellt.

 

Bezirksgericht (BG): In jedem Bezirk besteht ein BG, das von einem Direktor geleitet wird und [S. 94]in Straf- und Zivilsenate gegliedert ist; sie sind in der ersten Instanz mit einem Oberrichter oder Richter als Vorsitzendem und 2 Schöffen, in der zweiten Instanz mit einem Oberrichter als Vorsitzendem und 2 weiteren Richtern besetzt. Das BG ist zuständig: 1. in erster Instanz a) für Strafsachen, die Verbrechen gegen die „DDR“, Mord oder besonders schwere Wirtschaftsverbrechen - zum Gegenstand haben oder in denen der Staatsanwalt wegen ihrer Bedeutung Anklage vor dem BG erhebt, und b) in allen Zivilsachen, die nicht vor das Kreisgericht gehören; 2. in zweiter Instanz für die mit einem Rechtsmittel angefochtenen Entscheidungen der Kreisgerichte in Straf- und Zivilsachen.

 

Oberstes Gericht (OG): Als oberstes Gericht für die SBZ besteht das durch Gesetz vom 8. 12. 1949 (GBl. S. 111) errichtete OG mit dem Sitz in Ostberlin, das von einem Präsidenten und einem Vizepräsidenten geleitet wird und in Straf- und Zivilsenate gegliedert ist; sie sind mit einem Oberrichter als Vorsitzendem und zwei weiteren Richtern besetzt. Das OG ist zuständig: 1. in erster und letzter Instanz für Strafsachen, in denen der Generalstaatsanwalt wegen ihrer Bedeutung Anklage vor dem OG erhebt; 2. in zweiter Instanz für die mit einem Rechtsmittel angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidungen der Bezirksgerichte in Straf- und Zivilsachen und für die Entscheidung über die Berufung in bestimmten Patentsachen; 3. als Kassationsgericht in Straf- und Zivilsachen einschließlich der Arbeitsgerichtssachen. — Das Plenum des OG setzt sich aus sämtlichen Richtern des OG zusammen; für eine Entscheidung ist die Teilnahme von mindestens Zweidrittel aller Mitglieder des OG erforderlich. Das Plenum ist zuständig, wenn ein Senat des OG bei der Entscheidung einer grundsätzlichen Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Plenums abweichen will und für die Kassation einer Entscheidung des OG. Das Plenum kann in Zusammenhang mit einer Entscheidung Richtlinien mit bindender Wirkung für alle Gerichte erlassen. Auf Antrag des Ministerrates erstattet das Plenum ferner Rechtsgutachten. — Präsident des OG ist seit dessen Errichtung: Dr. h. c. Kurt Schumann (NDPD).

 

Die Gerichtsverfassung blieb in den Ländern der SBZ nach dem Zusammenbruch 1945 hinsichtlich der Gerichtsorganisation zunächst in der herkömmlichen Weise geregelt: ein Oberstes Gericht für die SBZ fehlte (das Reichsgericht war 1945 von den Besatzungsmächten geschlossen worden). Durch VO vom 28. 8. 1952 (GBl. S. 791) wurde die Gerichtsorganisation der durch die sog. Verwaltungsreform geschaffenen Bezirks- und Kreiseinteilung angeglichen und zugleich das Rechtsmittel der Revision beseitigt. Mit dem am 15. 10. 1952 in Kraft getretenen „Gesetz über die Verfassung der Gerichte der DDR (Gerichtsverfassungsgesetz)“ (GVG) vom 2. 10. 1952 (GBl. S. 985) wurde das seit 1879 in Deutschland geltende Gerichtsverfassungsgesetz außer Kraft gesetzt (Rechtswesen).

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1955. 160 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 93–94


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.