DDR von A-Z, Band 1956

Gnadenrecht (1956)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Mit Ausnahme von Art. 107 der Verfassung, wonach der Präsident der Republik das Begnadigungsrecht ausübt, fehlt es in der SBZ an einer gesetzlichen Regelung über das Recht zur Begnadigung und das Gnadenverfahren. Verschiedene Entwürfe einer Gnadenordnung wurden ausgearbeitet, fanden aber nicht die Billigung aller beteiligten Stellen. Im Okt. 1954 gab der Staatssekretär im Ministerium der Justiz, Dr. Toeplitz, den Vorsitzenden der Anwaltskollegien (Rechtsanwaltschaft) mündlich bekannt, daß eine Gnadenordnung erlassen sei, daß diese aber nicht veröffentlicht werde, und teilte den wesentlichen Inhalt mit der Bitte um Unterrichtung der anderen Kollegiums-Anwälte mit. Danach ist Gnadeninstanz bei Todesstrafen und allen Freiheitsstrafen der Staatspräsident, für Geldstrafen und Nebenstrafen ein für jeden Bezirk gebildeter besonderer Gnadenausschuß, dem der Leiter der Bezirks justizverwaltungsstelle, der Bezirksgerichtsdirektor und der Bezirksstaatsanwalt angehören. Die Gnadenentscheidung des Staatspräsidenten wird in jedem Einzelfall durch eine Stellungnahme dieses Gnadenausschusses vorbereitet. Gnadengesuche werden nur dann bearbeitet, wenn sie von Ehegatten, Geschwistern oder Personen eingereicht werden, die in gerader Linie mit dem Verurteilten verwandt sind. Gnadengesuche von Rechtsanwälten werden zurückgewiesen. Derartige anwaltliche Gnadengesuche finden nur bei Verurteilungen zu Todesstrafe Beachtung und Bearbeitung. In nicht genau zu erkennendem Umfange scheint der Staatspräsident sein G. auf den Generalstaatsanwalt delegiert zu haben, z. B. hinsichtlich der Waldheim-Verurteilten (Kriegsverbrecherprozesse).

 

Die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft bietet § 346 der sowjetzonalen StPO. Danach kann die Vollstreckung der Freiheitsentziehung mit dem Ziel des Straferlasses ausgesetzt werden, wenn „a) das Vorleben und die Persönlichkeit des Täters sowie die Umstände des Verbrechens dies rechtfertigen und b) zu erwarten ist, daß der Verurteilte während einer Bewährungszeit sich so verantwortungsbewußt verhält, daß auch für die Zukunft mit einer gewissenhaften Erfüllung seiner Pflichten als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik gerechnet werden kann.“ Bedingte Strafaussetzung bei einer mehr als 6 Jahre Freiheitsentziehung betragenden Strafe darf allerdings erst dann erfolgen, wenn mindestens die Hälfte der Strafe verbüßt ist. Hinsichtlich der Anwendung des § 346 hat das Oberste Gericht eine besondere Richtlinie (Nr. 1 vom 29. 4. 1953; ZBl. S. 220) erlassen. Diese Richtlinie wurde nach der Abkehr vom Stalinismus als „nicht mehr den Erfordernissen unserer gesellschaftlichen Entwicklung“ bezeichnet und durch Beschluß des Plenums des Obersten Gerichts v. 30. 4. 1956 aufgehoben („Neue Justiz“ 1956, S. 263). Hilde ➝Benjamin bemängelt, daß z. Z. noch in überwiegendem Maße Eingaben von Angehörigen des Verurteilten oder des Verurteilten selbst die Gerichte mit Erwägungen gemäß § 346 StPO, beschäftigen. „Erreicht werden muß in immer zunehmendem Maße, daß die Entscheidung, ob einem Verurteilten bedingte Strafaussetzung gewährt werden soll, auf der systematischen Hand[S. 99]habung des § 346 Abs. 6 beruht, wonach nämlich nach Antritt der Strafe der Staatsanwalt und der Leiter der Vollzugsanstalt laufend zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung eingetreten sind, und gegebenenfalls entsprechende Anträge stellen müssen.“ („Neue Justiz“ 1954, 5. 681.)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 98–99


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Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.