DDR von A-Z, Band 1956

Steuerwesen (1956)

 

 

Siehe auch:


 

Steuerpolitik, Steuerrecht und Steuerverwaltung haben in der SBZ neben der Beschaffung von Haushaltsmitteln für den Staat noch eine zweite Aufgabe zu erfüllen; sie sollen das volumenmäßige Verhältnis zwischen dem „privatkapitalistischen“ und dem „sozialistischen“ Sektor der Volkswirtschaft „neu abstimmen“; mit anderen Worten: zum Zwecke der allmählichen, aber systematischen Beseitigung des Privatunternehmertums und seiner Ersetzung durch die kommunistische Plan- und Zwangswirtschaft wird das St. unter Mißachtung des traditionellen Grundsatzes der steuerlichen Gerechtigkeit zu einem Instrument des Klassenkampfes gemacht.

 

Der Aufbau des Sozialismus hätte, zumal auch die Finanzpläne der „volkseigenen“ Wirtschaft in den Staatshaushalt der SBZ einbezogen sind, eigentlich längst die Einführung eines vorzugsweise auf Erwerbseinnahmen beruhenden Finanzsystems verlangt. Der Staatshaushalt stützt sich jedoch nach wie vor hauptsächlich auf Steuereinnahmen. über die Steuereinnahmen lassen sich im einzelnen keine zuverlässigen Angaben machen, da in der SBZ die Einzelheiten des Staatshaushalts nicht bekanntgegeben werden. Sicher ist jedoch, daß die Verbrauchsabgaben ständig gestiegen sind. Seit 1950 machen allein die Haushaltsaufschläge jeweils etwa 20 bis 25 v. H. der gesamten Haushaltseinnahmen der SBZ aus.

 

Der Klassenkampfcharakter des sowjetzonalen Steuerrechts tritt am deutlichsten bei der Einkommenbesteuerung in Erscheinung. Die früher im wesentlichen gleichmäßige Belastung von Lohneinkünften und anderen Einkünften ist einer „Differenzierung nach sozialökonomischen Formationen“ gewichen. Lohnempfänger und Angehörige der freischaffenden Intelligenz (mit Ausnahme der Rechtsanwälte, Steuerberater und dergleichen) werden steuerlich begünstigt. Für die übrigen einkommensteuerpflichtigen Personen (also insbesondere für die Inhaber landwirtschaftlicher und gewerblicher Betriebe) gilt ein „Kapitalisten“-Tarif, dessen Progression in hohen Tarifstufen über 90 v. H. des Einkommens verschlingt. Ähnlich werden im Körperschaftsteuerrecht staatliche und „volkseigene“ Betriebe, gewerbliche Betriebe von Körperschaften des öffentlichen Rechts und Genossenschaften steuerlich privilegiert; bei ihnen beträgt die Körperschaftsteuer äußerstenfalls 65 v. H. des Einkommens. Die übrigen Körperschaften haben ihr Einkommen nach dem „Kapitalisten“-Tarif, also unter Umständen mit über 90 v. H. zu versteuern. Viele Betriebsausgaben sind steuer[S. 251]lich entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch teilweise abzugsfähig. Zur Begünstigung der Umwandlung von Kapitalgesellschaften hat der Neue Kurs Sonderbestimmungen geschaffen, die dazu beitragen werden, daß es in absehbarer Zeit in der SBZ keine Aktiengesellschaften usw. mehr gibt. Für Handwerker gilt seit 1950 eine die tatsächliche Ertragslage nicht berücksichtigende, sondern an objektive Merkmale anknüpfende „normative Einheitssteuer“ (Handwerksteuer). Die rückwirkend ab 1. 1. 1953 geplante Normativ-Besteuerung der Landwirtschaft ist dagegen anscheinend aufgegeben worden. Mit Wirkung vom 1. Januar 1954 wurde in der gesamten „volkseigenen“ Wirtschaft die Produktions- und Dienstleistungsabgabe nach dem Vorbild der sowjetischen „differenzierten Umsatzsteuer“ eingeführt. Sie tritt an Stelle der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Beförderungsteuer und der Verbrauchsabgaben.

 

Die durch das Abgabengesetz vom 9. 2. 1950 errichtete Steuerverwaltung der „DDR“ hatte keine lange Lebensdauer. Die Deutsche Zentralfinanzdirektion wurde bereits 1951 als „Abgabenverwaltung“ in das Finanzministerium der „DDR“ eingegliedert; die Landesfinanzdirektionen und die Finanzämter sind seit der 1952 vorgenommenen sogenannten Demokratisierung der Verwaltung (Verwaltungsreform) nur noch unselbständige Abteilungen im Rahmen der allgemeinen Verwaltung („Unterabteilungen Abgaben“ bei den Räten der Kreise und der 14 Bezirke). Durch die systematische Ausmerzung der Fachkräfte hat die Verwaltungsarbeit auf dem Gebiet des 5t. einen nie dagewesenen Tiefstand erreicht. Die Verwaltungsangestellten rekrutieren sich jetzt hauptsächlich aus Industrie-Aktivisten, Funktionären der kommunistischen Massenorganisationen usw. Als besonderes Lockmittel für die Tätigkeit in der Abgabenverwaltung dient ein demoralisierend wirkendes System von „Leistungsprämien“ und Wettbewerben, das die Verwaltungsangestellten an bestimmten Arbeitserfolgen, insbesondere an Mehrsteuerergebnissen und Beitreibungsmaßnahmen finanziell beteiligt. Den Übergriffen der „Prämienjäger“ sind die Steuerpflichtigen um so wehrloser ausgesetzt, als es in der SBZ — im Widerspruch zu der Garantie des Artikels 138 der Verfassung — keinen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz gibt. (Wirtschaftssystem)

 

Literaturangaben

  • Frenkel, Erdmann: Steuerpolitik und Steuerrecht in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1953. 124 S. m. 11 Anlagen.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 250–251


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.