DDR von A-Z, Band 1956

Boykott-, Kriegs- und Mordhetze (1956)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979


 

Begriffe des Pj. aus Art. 6 Abs. 2 der Verfassung: „Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze.“ Obwohl dieser Verfassungsartikel keinen Strafrahmen enthält, ist er vom Obersten Gericht zum unmittelbar anwendbaren Strafgesetz erklärt worden: „Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik bringt … zum Ausdruck, daß alle ihre Bestimmungen geltendes Recht sind. Es würde deshalb im Widerspruch zu diesem entscheidenden Grundsatz unserer Verfassung stehen, wenn gerade dem Artikel 6 als einem der wichtigsten Schutzgesetze unserer Ordnung unmittelbare Wirkung versagt würde. Die in ihm selbst nicht enthaltenen Strafbestimmungen sind daher dem allgemeinen Strafgesetzbuch zu entnehmen. Dieses droht für Verbrechen als Strafe an: Todesstrafe, lebenslängliche Zuchthausstrafe und zeitliche Zuchthausstrafe. Alle diese Strafen finden für Verstöße gegen den Artikel 6 der Verfassung je nach der Schwere der Tat Anwendung“ (Urteil des Obersten Gerichts gegen leitende Persönlichkeiten der Sekte „Jehovas Zeugen“ vom 4. 10. 1950 — „Neue Justiz“ 1950, S. 452 ff). Mit dieser Begründung werden aus Art. 6 ständig schwerste Strafen bis zur Todesstrafe verhängt. Die Grenze zwischen Vorbereitungshandlung, Versuch und Vollendung wird hier immer mehr aufgehoben; Unterlassungen werden dem aktiven Handeln gleichgesetzt. Diese Rechtsprechung entspricht dem Grundsatz des Obersten Gerichts, „daß die Richter einerseits an die geltenden Gesetze gebunden sind, andererseits aber diese im Sinne unserer antifaschistisch-demokratischen Ordnung anzuwenden haben“ („Neue Justiz“ 1951, S. 154). Nach dieser Gesetzauslegung stellt z. B. das Verbringen einiger Exemplare einer Westberliner Zeitung in die SBZ „Kriegs- und Mordhetze“ dar, weil diese Tageszeitung „in jeder ihrer Ausgaben zum Kriege und zum Mord an demokratischen Politikern hetzt“ (Urteil des Landgerichts Potsdam gegen den 17jährigen Graef: 2 Jahre Zuchthaus). Auf Grund des Art. 6 der Verfassung werden auch die als Spionage bezeichneten Handlungen bestraft. Nach der 3. Parteikonferenz der SED (24.-30. 3. 1956) kündigten Benjamin und Melsheimer den Erlaß eines neuen Gesetzes an, daß „die weite Fassung des Art. 6 auflöst und die einzelnen Tatbestände, die bisher nach Art. 6 als Kriegshetze, Boykotthetze usw. bestraft wurden, im einzelnen beschreibt als Staatsverrat, Spionage, Terrorismus, Diversion, Sabotage und antidemokratische Propaganda“ („Neue Justiz“ 1956, S. 291). (Rechtswesen)

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1955. 160 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 50


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.