DDR von A-Z, Band 1956

Kritik und Selbstkritik (1956)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

K. und S. sind stehende Begriffe des Pj. und Elemente des bolschewisti[S. 146]schen Überwachungssystems und der revolutionären ➝Wachsamkeit in den eigenen Reihen: „Die Kritik von unten ist der starke Hebel im Kampf um die Verbesserung der Arbeit der Parteiorgane, des Staatsapparates und der Organe der demokratischen Massenorganisationen“ (Ulbricht auf der 8. Tagung des ZK der SED, zitiert nach „Neues Deutschland“ vom 27. 2. 1952). Die überraschende Betonung, die die SED (wie die KPdSU) auf die K. legt, wird jedoch entwertet durch die Einschränkung, daß K. immer nur an Auswüchsen des Systems, nie aber am System selbst geübt werden darf (Demokratischer Zentralismus). Außerdem ist die K. „eingeplant“. Nicht planmäßige K. wird unterbunden und hat für den Kritisierenden gefährliche Folgen. Jede K. findet ihren Sinn erst durch die dazugehörende S. Diese hat in einer möglichst schonungslosen und selbstentwürdigenden Bloßstellung des sich selbst Kritisierenden zu erfolgen. Die S. erfolgt immer öffentlich: in Versammlungen auf Grund von gesteuerten Angriffen aus der Zuhörerschaft, auf Parteischulen und -lehrgängen. wobei jeder Teilnehmer jede Phase auch seiner privaten Entwicklung darstellen und zur Diskussion stellen muß. Bei prominenten Personen wird die K. und S. mit Vorliebe in der Presse geführt, mit dem Zweck, nicht nur den Betroffenen öffentlich zu diffamieren, sondern auch unter den anderen Funktionären eine permanente Angst- und Schreckenspsychose zu erzeugen. Eine weitere Funktion der K. und S. ist, für offensichtliche Mißerfolge einzelne Personen verantwortlich zu machen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regime auf diese abzulenken.

 

Literaturangaben

  • Schultz, Joachim: Der Funktionär in der Einheitspartei — Kaderpolitik und Bürokratisierung in der SED (Schr. d. Inst. f. polit. Wissenschaft, Berlin, Bd. 8). Stuttgart 1956, Ring-Verlag. 285 S.
  • Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Köln 1955, Kiepenheuer und Witsch. 558 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 145–146


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.