DDR von A-Z, Band 1956

Sowjetisches Militärtribunal (SMT) (1956)

 

 

Siehe auch:


 

Die in der SBZ tätigen SMT sind nicht nur für die Aburteilung sowjetischer Soldaten zuständig; auch deutsche Staatsbürger wurden und werden vor diesen Gerichten angeklagt und nach sowjetischem Recht verurteilt. Eine Zuständigkeitsabgrenzung gegenüber den SBZ-Gerichten besteht nicht. Soweit feststellbar, handelt es sich stets um politische Fälle, die die sowjetischen Gerichte nach ihrem Ermessen an sich [S. 236]ziehen. Das Verfahren ist dem Einfluß und jeglicher Kenntnisnahme der SBZ-Justiz entzogen. Der Untersuchungshäftling hat keine Verbindung mit der Außenwelt. Er wird meist in sehr strenger Einzelhaft gehalten und kommt nur mit sowjetischem Wachpersonal in Berührung. Die Verhöre erfolgen fast stets nachts. Mit allen Mitteln versuchen die Kommissare, ein Geständnis zu erlisten oder zu erpressen. Die Protokolle werden in russischer Sprache abgefaßt. Die Akten der Voruntersuchung haben in der Gerichtsverhandlung absolute Beweiskraft. Eine Beweisaufnahme erfolgt nur, wenn die Anklage noch nicht „genügend geklärt“ erscheint (§ 394 StPO). In geklärten Fällen wirkt der Militärstaatsanwalt nicht mit, und damit ist auch die Hinzuziehung eines Verteidigers ausgeschlossen. Dem Angeklagten kann das Recht auf mündliche Selbstverteidigung genommen werden. Das Gericht darf auch Beweisstücke verwenden, die dem Angeklagten unbekannt bleiben, kann also Spitzelmeldungen heranziehen, ohne daß der Angeklagte etwas dagegen Vorbringen kann. Die Verfanren werden oft in fünf bis zehn Minuten abgewickelt. Die Anklage stützt sich fast ausschließlich auf eines der „gegenrevolutionären Verbrechen“ (§ 58 StGB der RSFSR, gelegentlich auch § 59): „Als gegenrevolutionär gilt jede Handlung, die auf den Sturz, die Unterhöhlung oder die Schwächung der Sowjetherrschaft … oder auf die Unterhöhlung der äußeren Sicherheit der UdSSR und der grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und nationalen Errungenschaften der proletarischen Revolution gerichtet sind“. Der 2. Absatz des 9 58 dehnt den Anwendungsbereich u. a. auch auf die SBZ aus: „Kraft der internationalen Solidarität der Interessen aller Werktätigen gelten Handlungen gleicher Art als gegenrevolutionär auch dann, wenn sie gegen einen anderen der UdSSR nicht angehörenden Staat der Werktätigen gerichtet sind“. Zu den 18 verschwommen definierten Tatbeständen des § 58 gehören z. B. „das Unterhalten von Beziehungen zu einem ausländischen Staat“ (58, III), „Unterstützung der ausländischen Bourgeoisie“ (58, IV), „Propaganda, die zur Schwächung der Sowjetherrschaft führen kann“ (58, X), „Nichtanzeigen eines vorbereiteten Verbrechens“ (58, XII). Die Strafe lautet im Regelfälle auf 25 Jahre Zwangsarbeit. Die Urteilsverkündung erfolgt oft in Abwesenheit des Angeklagten durch Zustellung einer Urteilsabschrift. Anfechtung des Urteils ist bei den wichtigsten gegenrevolutionären Verbrechen ausgeschlossen, in den übrigen Fällen ist sie praktisch aussichtslos, weil sie nur Formfehler und „offensichtliche Ungerechtigkeit“ angreifen darf. Fehler im Sachverhalt, im Protokoll der Voruntersuchung können nicht zur Begründung herangezogen werden. Die Verurteilten werden zur Vollstreckung meist den Zuchthäusern in der SBZ zugewiesen; „gefährliche politische Verbrecher“ werden in sowjetische „Besserungsarbeitslager“ (ITL) in der SU übergeführt. Dort bleiben sie für ihre Angehörigen verschollen, während den Insassen der Zuchthäuser ein beschränkter Briefverkehr gestattet ist.

 

Im Oktober 1954 teilte der sowjetische Hohe Kommissar dem sowjetzonalen Ministerrat mit, daß alle seit 1945 von SMT verurteilten Deutschen, die zur Zeit ihre Strafe in einer in der SBZ gelegenen Strafanstalt verbüßen, in die Zuständigkeit der deutschen Behörden übergeben würden. Damit war die Entscheidungsbefugnis über Begnadigung und Haftentlassung dieser Verurteilten auf die hierfür zuständigen Organe der SBZ übertragen worden (Gnadenrecht). Mitte 1955 setzte Staatspräsident Pieck erstmalig einen Teil der unmenschlich hohen Freiheitsstrafen herab. Diese Strafherabsetzungen hatten keine Haftentlassungen zur Folge. Auch nach dem „Gnadenerlaß“ blieben in der Regel noch Reststrafen von 2–5 Jahren Zuchthaus zu verbüßen. Weihnachten 1955 erfolgten die ersten vorzeitigen Haftentlassungen von 2.616 Verurteilten. Weitere Begnadigungen wurden 1956 ausgesprochen.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 235–236


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.