Spitzelwesen (1956)
Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979
Die Sicherheit und die Existenz des Regimes in der SBZ stützen sich in weitem Umfang auf das Sp., das zu einem ausgedehnten System entwickelt worden ist. Die geheime Tätigkeit der Spitzel erzeugt eine Psychose der Allgegenwart des SSD, durch die die Aktivität des möglichen oder wirklichen Gegners auf ein Minimum beschränkt werden soll. Das Spitzelsystem des SED-Regimes erstreckt sich nicht nur auf Feinde des Systems, sondern auch auf die SED und den Regierungsapparat. Ideologische Begründung für das Sp.: „Proletarische Wachsamkeit gegenüber den Feinden der Arbeiterklasse“. Das neue FDJ-Statut z. B. verpflichtet jedes FDJ-Mitgl. zur Unterstützung der Staatssicherheitsorgane.
Alle von Spitzeln gesammelten oder von Denunzianten freiwillig gebrachten Informationen landen beim SSD. Dieser unterscheidet Geheime Mitarbeiter (GM) und Geheime Informanten (GI). GM haben einen fest umrissenen Spitzelbereich, in dem sie ihre Tätigkeit ausüben. Ein GM kann z. B. in einem VEB, im Sekretariat einer Partei usw. sitzen, d. h. in einer Umgebung, deren Überwachung dem SSD notwendig erscheint und in der der GM einen natürlichen Platz hat (Ingenieur, Werkmeister, Stenotypistin usw.), der ihm einen größtmöglichen Einblick in die Verhältnisse gestattet. Der GM muß regelmäßig dem SSD Bericht erstatten. GM können auch zur Personenüberwachung, zur Tätigkeit jenseits der Grenzen der SBZ eingesetzt werden.
Geheime Informanten (GI) sind Vertrauensleute des SSD, die von Zeit zu Zeit, je nach ihren Möglichkeiten, zur Mitarbeit herangezogen werden. Ihr Merkmal ist also die gelegentliche Mitarbeit. (Z. B. sind Hausobleute solange als GI anzusehen, wie sich ein Ermittlungsobjekt in ihrem Hause befindet, auf das sie „angesetzt“ werden.) Nach den Arbeitsrichtlinien des SSD sollen SED-Mitglieder nicht als GM oder GI verwendet werden, „weil ihnen die Bevölkerung sowieso mit Mißtrauen entgegentritt.“ (Die SED-Mitglieder sind ohnehin zur regelmäßigen Berichterstattung verpflichtet: die Auswertung geht von der SED-Kreisleitung zur zuständigen SSD-Kreisbehörde.)
Spitzel werden entweder angeworben oder verpflichtet. Personen, deren Mitarbeit zu erwarten ist, werden angeworben, indem man sie von der „ideologischen Notwendigkeit, den Staat gegen Klassenfeinde zu schützen“ überzeugt. Befindet sich in dem vom SSD zu überwachenden Gebiet kein „freiwilliger Mitarbeiter“, dann werden GI verpflichtet. Dies geschieht entweder durch „Druck“, wenn über den zukünftigen GI oder GM kleinere kriminelle Verfehlungen oder „negative politische Äußerungen“ bekannt sind, oder durch Angebot von sozialen Vergünstigungen, Prämien usw. — Spitzelberichte — auch die der gepreßten Mitarbeiter — werden vom SSD höher beurteilt als Zeugenaussagen oder Indizien. — Im August 1955 wurden auch die Abschnittsbevollmächtigten beauftragt, ein eigenes — zusätzliches — „System von Vertrauenspersonen“ aufzubauen.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 243