DDR von A-Z, Band 1956

Verfassung und Verwaltung (1956)

 

 

Siehe auch:

 

[S. 274]Wie das deutsche Volk aus seinen Erfahrungen unter dem Hitler-Regime weiß, bietet das geschriebene Wort einer Verfassung allein noch nicht die Gewähr dafür, daß nicht ihr Geist verfälscht und ihr Inhalt ausgehöhlt wird. So blieb die Weimarer Verfassung während der 12 Jahre der Hitler-Regierung theoretisch in Geltung, ohne die Diktatur bei ihren innerpolitischen Gewaltmaßnahmen oder bei ihrer abenteuerlichen Außenpolitik zu behindern. Die staatsrechtliche Entwicklung in der SBZ von 1945 bis heute ist nicht zu verstehen, wenn man sich nicht die Möglichkeit eines solchen Widerspruchs zwischen äußerem Wortlaut und tatsächlichem Geschehen vor Augen hält.

 

Durch die militärische Eroberung des östlichen Teiles Deutschlands und durch die Bestimmungen der dem Potsdamer Abkommen vorangegangenen Feststellungen der vier Mächte über das Kontrollverfahren in Deutschland vom 5. Juni 1945, die die höchste Regierungsgewalt für das betreffende Besatzungsgebiet dem Oberbefehlshaber der Besatzungsstreitkräfte übertrug, ist die SU in die tatsächliche unbeschränkte Verfügungsgewalt über ein Gebiet gelangt, dessen Bewohner, durch Hunger, Not und Entbehrungen und die seelische Erschütterung des politischen und militärischen Zusammenbruchs gelähmt, zu einer selbständigen Neuorganisation nur schwer in der Lage gewesen wären und jedenfalls bereit waren, sich an den von der Besatzungsmacht dargebotenen Richtlinien und Hilfen zu orientieren.

 

Daß die SU von vornherein die Absicht hatte, das von ihr besetzte Gebiet politisch, wirtschaftlich und kulturell im Sinne des Bolschewismus umzuformen, läßt sich aus dem heute — nach elfjähriger Besetzungsdauer — erreichten hohen Grad der Anpassung an sowjetrussische Verhältnisse feststellen. Diese Absicht ist aber in der ersten Zeit der Besetzung von der Besatzungsmacht offenbar planmäßig verborgen worden. (Besatzungspolitik)

 

Als Richtschnur für die staatsrechtliche Entwicklung in der SBZ wie in Deutschland überhaupt sind von der Potsdamer Konferenz die Begriffe Demokratisierung und „Entmilitarisierung“ verkündet worden (Potsdamer Abkommen, Abschn. III, Einleitung).

 

Das Wort Demokratie hat in der sowjetrussischen amtlichen Vorstellungswelt jedoch einen ganz anderen Inhalt als im Westen. Nach Stalin ist „die Demokratie in der SU … eine Demokratie für die Werktätigen“, und er glaubt daher, „daß die Verfassung der UdSSR die einzige bis zum letzten demokratische Verfassung der Welt ist“ (Rede Stalins über die Verfassung der UdSSR am 25. 11. 1936, abgedr. in „Die Stalinsche Verfassung“, Ostberlin, 1950, S. 34 f.). In derselben Rede hatte Stalin wörtlich gesagt: „Ich muß zugeben, daß der Entwurf der neuen Verfassung tatsächlich das Regime der Diktatur der Arbeiterklasse aufrechterhält, ebenso wie er die jetzige führende Stellung der Kommunistischen Partei der UdSSR unverändert beibehält“ (a. a. O., S. 33 f.). Nach sowjetrussischer Auffassung sind also vollendete „Demokratie“ und bolschewistische Diktatur gleichbedeutende Begriffe.

 

Für die deutsche Bevölkerung, die nach den schmerzlichen Erfahrungen unter der Hitler-Diktatur eine echte Demokratie, nämlich freiheitliche und rechtsstaatliche Verhältnisse, ersehnte, hielt die sowjetische Besatzungsmacht 1945 jedoch politische Formen bereit, die eine solche echte Demokratie nur zu bedeuten schienen. Im Sommer 1945 sind von der SMAD nicht nur die KPD, sondern auch drei im westlichen Sinne demokratische Parteien gestattet worden: die SPD, die CDU [S. 275]und die LDPD. Das schien auf eine annähernde Wiederherstellung des Weimarer Parteiensystems hinauszulaufen.

 

Diese Wiedererweckung der deutschen Demokratie der Vor-Hitler-Zeit war aber in der SBZ nur eine scheinbare. In der SBZ haben die vier Parteien niemals die Gelegenheit erhalten, sich in der ursprünglichen Aufstellung miteinander zu messen. Bevor nämlich — im Oktober 1945 — die ersten Wahlen (und zwar Gemeinde- und Landtagswahlen) erfolgten, war der erste entscheidende Schritt zur Durchlöcherung dieses Parteiensystems getan worden. Das war der im Frühjahr 1946 unter sowjetischem Druck vorgenommene Zusammenschluß der KPD und SPD zur sog. „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“, der SED.

 

Nach den Wahlen im Okt. 1946, bei denen die SED nicht ganz die Hälfte aller Stimmen erzielte, hat sich die SED nie wieder zu einer echten Wahl gestellt, d. h. einer solchen, wo der Wähler zwischen mehreren Listen auswählen kann, und zwar weder in der Sowjetzone noch in Ostberlin. Vielmehr wurde jetzt der Weg der sog. Blockpolitik beschriften. In diese wurden nicht nur die drei übrigbleibenden politischen Parteien SED, CDU und LDP sowie zwei im Sommer 1948 neugegründeten Parteien, die sogenannte „National-Demokratische Partei Deutschlands“ (NDPD) und die „Demokratische Bauernpartei Deutschlands“ (DBD), einbezogen, sondern auch die sog. demokratischen Massenorganisationen.

 

Ohne ordnungsgemäße Wahlhandlung, lediglich auf dem Wege der Delegierung, wurden von den Blockparteien und Massenorganisationen Vertreter nominiert, die am 6. und 7. 12. 1947 als erster sog. Volkskongreß zusammentraten. In derselben Weise wurde der am 17. und 18. 3. 1948 (gleichzeitig mit der Hundertjahrfeier der deutschen Revolution von 1848) tagende „Zweite Volkskongreß“ berufen, der sich selbst zu einem „Deutschen Volksrat“ erklärte.

 

Dieser nicht aus Wahlen, sondern durch willkürliche Berufungen entstandene „Deutsche Volksrat“ ließ durch einen Verfassungsausschuß den „Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik“ ausarbeiten, der am 22. 10. 1948 veröffentlicht wurde. Am 19. 3. 1949 wurde diese Verfassung vom „Volksrat“ nach geringen Änderungen angenommen.

 

Am 15. und 16. 5. 1949 wurde in der SBZ eine Abstimmung über eine willkürlich zusammengesetzte Einheitsliste der Blockparteien und „Massenorganisationen“ in der Weise durchgeführt, daß der Wähler entweder mit Ja oder mit Nein stimmen oder einen ungültigen Stimmzettel abgeben konnte. Trotz der sehr intensiven und mit national gefärbten Losungen unterbauten Propaganda wurden im ganzen nur 61,8 v. H. Ja-Stimmen, in Ostberlin sogar nur 51,7 v. H. Ja-Stimmen erzielt (Wahlen). Dies reichte aber aus, um die „Einheitsliste“ als gewählt zu erklären. So kam der „Dritte Deutsche Volkskongreß“ in Stärke von 1.523 Delegierten zustande, die am 30. 5. 1949 die Verfassung bestätigten und die Ernennung der 330 Abgeordneten des neuen „Deutschen Volksrats“ vornahmen.

 

Wieder ohne parlamentarische Wahlen entstand dann am 7. 10. 1949 die „Provisorische Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik“, indem der „Deutsche Volksrat“ sich diese Bezeichnung beilegte („Gesetz über die Konstituierung der Provisorischen Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik“ [„DDR“] vom 7. 10. 1949, GBl. S. 1/49). Gleichzeitig wurden eine „Provisorische Regierung der Deutschen Demokrati[S. 276]schen Republik“ eingesetzt, eine „Provisorische Länderkammer der Deutschen Demokratischen Republik“ gebildet und die „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik“ in Kraft gesetzt (GBl. S. 2 ff./49).

 

Diese Verfassung der „DDR“ orientiert sich in ihrem Wortlaut weitgehend an dem Vorbild der Weimarer Verfassung. So erscheint Art. 1 Abs. 2 der Weimarer Verfassung: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“ ebenso wie im „Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ (Art. 20 Abs. 2 Satz 1) auch in der „Verfassung der DDR“ in der Fassung: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Art. 3 Abs. 1). Das Bekenntnis zu dem Grundsatz demokratischer Wahlen ist in der Verfassung (Art. 51 Abs. 2) in fast die gleichen Worte gekleidet wie in der Weimarer Verfassung (Art. 22): „Die Abgeordneten werden in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl … gewählt“, während das Bonner Grundgesetz auf Grund der unter der Hitler-Diktatur gemachten Erfahrungen darüber hinaus noch freie Wahlen fordert: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt“ (Art. 38 Abs. 1 Satz 1). Im einzelnen bestehen naturgemäß zahlreiche Abweichungen von der Weimarer und der Bonner Verfassung. Von diesen sei das in der Verfassung der „DDR“ auffallend niedrig angesetzte Alter der Wahlmündigkeit (aktiv mit 18 Jahren, passiv mit 21 Jahren, Art. 52) erwähnt.

 

Entscheidend ist aber überhaupt nicht der Wortlaut einer Verfassung, sondern der tatsächliche Machtgehalt, der sich hinter ihr verbirgt. Am 15. 10. 1950 wurde in der SBZ unter Aufhebung der an sich fälligen Gemeinde-, Kreis- und Landtagswahlen eine neue Abstimmung durchgeführt, aus der eine neue (nun nicht mehr provisorische) Volkskammer hervorging. Hierbei wurde das System der Einheitsliste in nunmehr „vollendeter“ Form angewendet; auf dem Einheitsstimmzettel war die Möglichkeit, mit „Nein“ zu stimmen, nicht mehr vorgesehen. Nichterscheinen zur „Wahl“ wurde als staatsfeindliches Verhalten angesehen, und in zahlreichen Fällen erfolgte überhaupt offene Stimmabgabe. Das ist dasselbe Wahlsystem, das in Deutschland während des Hitler-Regimes bestanden hat und heute in der SU besteht. Soweit eine solche „Wahl“ bei der betroffenen Bevölkerung überhaupt ein echtes Interesse erwecken kann, verlagert es sich daher von der „Wahlhandlung“, die keine mehr ist, auf die vorangehende Aufstellung der Kandidaten. In dieser Hinsicht kommt dem Beispiel der SU eine große Bedeutung zu. Dort spielt die Aufstellung der Kandidaten — und zwar solcher, die den Machthabern genehm sind — eine große Rolle.

 

Die Stalinsche Verfassung besagt hierüber: „Das Recht, Kandidaten aufzustellen, wird den gesellschaftlichen Organisationen und den Vereinigungen der Werktätigen gewährleistet: den kommunistischen Parteiorganisationen, den Gewerkschaften, Genossenschaften, Jugendorganisationen, Kulturvereinigungen“ (Art. 141 Abs. 2).

 

Eine praktische Anschauung von dem bolschewistischen System der Kandidatenaufstellung vermittelt das in der SBZ in der „Wahlordnung für die Handwerkskammern“ (vom 20. 2. 1951, GBl. S. 180/51) festgelegte Verfahren: „Die Kandidaten haben sich ihren Wählern vorzustellen. Die Wähler haben das Recht, den Kandidaten Fragen zu stellen und ihnen Aufträge zu geben“ (§ 7, Abs. 3). Durch verfängliche Fragen, persönliche Stimmungsmache und Einschüchterung ist es natürlich stets möglich, nicht genehme Kandidaten auszuschalten.

 

[S. 277]Wie kurz in der sowjetischen „Rechtsauffassung der Weg von geheimer zu öffentlicher Stimmabgabe ist, zeigt der folgende Absatz aus derselben „Wahlordnung für die Landeshandwerkskammern“: „Die Wahl ist geheim und muß durch Stimmzettel erfolgen. Auf Beschluß der Mehrheit der Versammelten ist die Wahl öffentlich durchzuführen“ (a. a. O. § 7, Abs. 4).

 

Seit 1945 gibt es im sowjetischen Besatzungsgebiet einen zweifachen Verwaltungsapparat, einen sowjetischen und einen deutschen. Der sowjetische trug von 1945 bis zur Konstituierung der „DDR“ die Bezeichnung „Sowjetische Militär-Administration in Deutschland“ (SMAD). Der deutsche Verwaltungsapparat bestand zunächst aus zwölf „Deutschen Zentralverwaltungen für die SBZ“, die schon am 1. 8. 1945 durch Dekret des sowjetischen Militärbefehlshabers ins Leben gerufen und am 12. 2. 1948 in einer als „Deutsche Wirtschaftskommission“ (DWK) bezeichneten Spitze organisatorisch zusammengefaßt wurden. Durch das „Gesetz zur Überleitung der Verwaltung“ vom 12. 10. 1949 (GBl. S. 17/49) gingen deren Verwaltungsaufgaben auf die „Provisorische Regierung der DDR“ über. Gleichzeitig trat die „Sowjetische Kontrollkommission“ (SKK) an die Stelle der SMAD (Erklärung des Obersten Chefs der SMAD, „Tägliche Rundschau“, vom 11. 10. 1949). Ein wesentliches Kennzeichen der sowjetzonalen Verwaltungspraxis ist — trotz der in Art. 1 Abs. 2 der Verfassung garantierten Selbständigkeit der Länder — ein Zentralismus, der noch über das während des Hitler-Regimes erreichte Maß hinausgeht, (über den Abschluß des Zentralisierungsprozesses Verwaltungsreform.) So ist mit dem „Gesetz über die Reform des öffentlichen Haushaltswesens“ vom 15. 12. 1950 (GBl. S. 1201/50) das gesamte Finanzwesen dadurch zentralisiert worden, daß die Haushalte der Zone, der Länder, der Kreise, der Gemeinden und der Sozialversicherungsanstalten in einen einzigen Staatshaushalt einbezogen werden. Entsprechend sind durch die Verordnung über die Sozialversicherung vom 26. 4. 1951 (GBl. S. 325/51) die Sozialversicherungsanstalten der Länder „zu einer einheitlichen zentralgelenkten Sozialversicherung, Anstalt des öffentlichen Rechts“, vereinigt worden. Ein weiteres Beispiel für die fortschreitende Zentralisierung ist die trotz ihres verfassungändernden Charakters lediglich durch Regierungsverordnung (Verordnung über Maßnahmen zur Vereinfachung der Justiz vom 27. 9. 1951, GBl. S. 877/51) verfügte Verselbständigung der Staatsanwaltschaft unter Leitung des „Generalstaatsanwaltes der Republik“ (in Anlehnung an die in Art. 113–117 der Stalinschen Verfassung verankerte Vorzugsstellung des „Generalstaatsanwaltes der UdSSR“) (Rechtswesen). Es gibt zahlreiche weitere Fälle, in denen schon der Wortlaut der Gesetzgebung mit der Verfassung in Widerspruch steht. So heißt es in Art. 34 Abs. 1 der Verfassung der „DDR“ in wörtlicher Anlehnung an Art. 142 der Weimarer Verfassung: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.“ Dagegen heißt es in der VO. über die Errichtung der Staatl. Kommission für Kunstangelegenheiten (Kunstkommission) vom 12. 7. 1951: „Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten … arbeitet konkrete Pläne für die Entwicklung des künstlerischen Schaffens auf der Grundlage der Aufgaben des Fünfjahrplans aus …“ (§ 2, Abs. 1, Satz 1), und in der ebenfalls vom 12. 7. 1951 datierten „Verordnung über die Aufgaben der Staatl. Kommission für Kunstangelegenheiten“ (GBl. S. 684/51) wird gefordert: „Die Staatliche Kommission für Kunst[S. 278]angelegenheiten hat dafür zu sorgen, daß … die bedeutendsten Werke aus der SU … zur Aufführung gebracht werden“ (§ 1, Abs. 1). Ferner wird bestimmt: „Die Staatl. Kommission für Kunstangelegenheiten ist verantworlich für die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes auf dem Gebiete der Kunst“ (§ 9).

 

Mit der in der Verfassung in Art. 20, Abs. 1 („Bauern, Handel- und Gewerbetreibende sind in der Entfaltung ihrer privaten Initiative zu unterstützen“) und Art. 24, Abs. 6 („Nach Durchführung dieser Bodenreform wird den Bauern das Privateigentum an ihrem Boden gewährleistet“) ausgesprochenen Gewährleistung des bäuerlichen Privateigentums steht dessen tatsächliche Aushöhlung durch das mit der Betriebsgröße steil ansteigende Ablieferungssoll (Ablieferungspflicht) und durch die das Mittel- und Großbauerntum benachteiligenden unterschiedlichen Tarifsätze für Leistungen der MTS in Widerspruch (Landwirtschaft).

 

Eine noch größere Bedeutung als diese bereits am Wortlaut der Gesetzgebung erkennbaren Widersprüche zur Verfassung sind die Verletzungen von Verfassungsbestimmungen durch die laufende Verwaltungspraxis. Hierzu gehören beispielsweise die willkürlichen, oft nicht einmal mit irgendwelchen Vorwänden begründeten Beschlagnahmungen von privaten Firmen.

 

Obwohl die Verwaltung unter Ausschaltung der nach der Verfassung gesetzgebenden Körperschaft (Volkskammer) durch Verwaltungsanordnungen entscheidend in das öffentliche Leben eingreift, ist auch sie total abhängig von der SED, deren oberste Parteiinstanz die gleiche fachliche Gliederung aufweist wie die Regierung der SBZ. Der Staatspräsident, der Ministerpräsident und seine drei ersten Stellvertreter gehören in Personalunion auch zur obersten Parteiführung der SED, die ihre Weisungen aus Moskau erhält.

 

Nach russischem Vorbild wurde durch die sog. Verwaltungsreform im Juli 1952 in der SBZ ein zentralistischer Einheitsstaat geschaffen. Die bis dahin nur scheinbar noch bestehende demokratische Selbstverwaltung der verschiedenen Gebietskörperschaften wurde nun auch offiziell beseitigt. Ost-Berlin erhielt die gleiche Verwaltungsstruktur wie die 14 Bezirke der Zone und wurde haushaltmäßig mit der Zone vereinigt.

 

Am 27. 5. 1953 wurde die Sowjetische Kontrollkommission aufgelöst und Semjonow zum Hohen Kommissar und am 27. 9. 1953 außerdem noch zum Botschafter der UdSSR bei der Zonenregierung ernannt. Seit dem 17. 7. 1954 bekleidet Puschkin diesen Posten.

 

Am 7. 10. 1953 wählten Volks- und Länderkammer Wilhelm Pieck auf weitere vier Jahre erneut zum Staatspräsidenten. Die im Oktober 1954 fällige Volkskammer-Wahl, die weder frei noch geheim war, hatte das übliche Ergebnis. Angeblich als Antwort auf die Unterzeichnung der Pariser Verträge faßte die Volkskammer am 26. 9. 1953 den Beschluß, Artikel 5 der Verfassung um folgenden Satz: „Der Dienst zum Schutze des Vaterlandes und der Errungenschaften der Werktätigen ist eine ehrenvolle nationale Pflicht der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik“ und den Artikel 112 der Verfassung wie folgt zu ergänzen: „Der Republik obliegt die Gesetzgebung über den militärischen Schutz der Heimat und über den Schutz der Zivilbevölkerung. Die Organisierung des Dienstes zum militärischen Schutze der Heimat und zum Schutze der Zivilbevölkerung wird durch Beschluß des Ministerrates geregelt.“

 

Literaturangaben

  • Drath, Martin: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., erw. Aufl. (BMG) 1956. 91 S.
  • Duhnke, Horst: Stalinismus in Deutschland — Die Geschichte der sowjetischen Besatzungszone (Rote Weißbücher 15). Köln 1955, Kiepenheuer und Witsch. 378 S.
  • Kitsche, Adalbert: Die öffentlichen Finanzen im Wirtschaftssystem der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. (BMG) 1954. 68 S. m. 1 Anlage.
  • Lukas, Richard: 10 Jahre sowjetische Besatzungszone … Mainz 1955, Deutscher Fachschriften-Verlag. 215 S.
  • Scheuner, Ulrich: Voraussetzungen und Verfahren der Wiedervereinigung Deutschlands (aus: Europa-Archiv 1955, H. 16). Frankfurt a. M. 10 S.
  • Chronologische Materialien zur Geschichte der SED 1945 bis 1956. Berlin 1956, Informationsbüro West. DIN A4, 640 S.
  • Die Wahlen in der Sowjetzone, Dokumente und Materialien. Bonn 1956. 102 S.
  • Wahlen zwischen Ost und West. Beiträge zur Problematik gesamtdeutscher Wahlen (Sonderdruck aus „Der Wähler“, Okt. 1954). Frankfurt a. M. 1954, Bollwerk-Verlagsgesellschaft. 70 S.
  • Weber, Werner: Die Frage der gesamtdeutschen Verfassung. München 1950, C. H. Beck. 28 S.
  • Meimberg, Rudolf, und Franz Rupp: Die öffentlichen Finanzen in der sowjetischen Zone und im Ostsektor von Berlin. (BB) 1951. 84 S., 38 Tab.
  • Pöhler, Felix: Der Untergang des privaten Einzelhandels in der sowjetischen Besatzungszone. (BB) 1952. 64 S. m. 11 Anlagen.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1956: S. 274–278


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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