DDR von A-Z, Band 1958

Eisenbahn (1958)

 

 

Siehe auch:


 

Von allen Verkehrsmitteln hatte die Reichsbahn am schwersten unter den Kriegsfolgen gelitten. Die wichtigsten Strecken und Bahnhöfe waren fast unbefahrbar, ⅔ der vorhandenen Lokomotiven, 60 v. H. der Reisezugwagen und 50 v. H. der verbliebenen Güterwagen beschädigt sowie 970 E.-Brücken zerstört und 36,6 v. H. der Gleisanlagen demontiert. Es ist bisher nicht gelungen, den E.-Verkehr in der SBZ, der 95 v. H. des Gesamtverkehrs zu bewältigen hat, wieder auf den Vorkriegsstand zu bringen.

 

Die Länge der verlegten Gleise schrumpfte durch die Demontagen der Sowjets von etwa 18.500 km auf etwa 14.500 km zusammen. Ganze Strecken von Haupt-, Ne[S. 84]ben- und Kleinbahnen wurden abgebaut, wodurch die Netzdichte von rd. 17 km je 100 qkm im Jahre 1938 auf rd. 14 km nach der Demontage sank. Mehr als 5.000 km mehrgleisige Strecken mußten auf eingleisigen Betrieb umgestellt werden. Die Durchlaßfähigkeit der Strecken wurde etwa um ein Viertel gemindert. Die Unterhaltung der Strecken ist äußerst unzureichend. Es fehlt an Gleisen und Schwellen, so daß sich über 50 v. H. des Oberbaus in einem den Betrieb gefährdenden Zustand befinden. Dem Wiederaufbau der zweiten Gleise auf Hauptstrecken, der erst in den letzten Jahren etwas vorangekommen ist, sind durch den Mangel an Material Grenzen gesetzt. Die gegenwärtige Betriebslänge der E. beträgt 16.000 km, davon sind 14.700 km Normalspur. Vor kurzem begann man den Wiederaufbau der demontierten Anlagen für den elektrischen Zugbetrieb. Auf der Teilstrecke Halle–Köthen konnte der Betrieb aufgenommen werden, die Elektrifizierung der Strecke Leipzig–Dessau steht vor dem Abschluß, auch die Strecke Leipzig–Halle soll noch 1958 auf elektr. Betrieb umgestellt werden.

 

Die „Deutsche Reichsbahn“ verfügt über rd. 125.000 Güterwagen, die zur Bewältigung der laufenden Transportaufgaben nur sehr knapp ausreichen. Ein besonderes Problem für den Lebensmittel- und Fischtransport stellt der Mangel an Kühlwagen dar. Eine nennenswerte Abhilfe ist vorläufig kaum zu erwarten, da die SBZ die von ihr produzierten Kühlwagen und Kühlzüge zum größten Teil nach der SU und den „volksdemokratischen“ Ländern exportieren muß. Bei Lokomotiven ist der drückende Mangel der Vorjahre jetzt etwas gemildert, so daß eine kleine Betriebsreserve unterhalten werden kann. Im Monatsdurchschnitt 1956 wurden 3.000 Lok eingesetzt. Nach dem zweiten Fünfjahrplan sollen der Wagenpark bis 1960 um 17.000 neue Güterwagen und der Lokbestand um 485 Einheiten vergrößert werden. Der Reise- und Berufsverkehr wird durch den Einsatz neuer Doppelstock-Reisezugwagen und -Gliederzüge verbessert.

 

Durch den Ausfall der polnischen Lieferungen an Steinkohle wurden die Schwierigkeiten der E. im Jahr 1957 noch erhöht. Die Absicht, aus wirtschaftlichen Gründen zur Bekohlung der Lok stärker als bisher Steinkohle zu verwenden, mußte zunächst aufgegeben werden. Die in Rostock und Wismar angelandete Steinkohle aus der SU kann wegen der Vernachlässigung des Streckennetzes in den Reichsbahndirektionsbezirken Schwerin und Greifswald nicht flüssig abtransportiert werden, so daß die Hauptstrecken dieses Raumes jetzt vordringlich instand gesetzt werden müssen. Nur einzelne Streckenabschnitte werden zweigleisig ausgebaut. Angesichts der in jeder Beziehung angespannten Lage der Reichsbahn bedeutete die schrittweise Einführung der 45-Stunden-Woche im Jahre 1957 auch bei der D. eine besonders schwer zu lösende Aufgabe. Im Personenverkehr müssen seitdem Hunderte von Berufszügen zusätzlich fahren, während im Güterverkehr der zusätzliche Einsatz von 40.000 Waggons erforderlich ist. Das bedingt einen erhöhten Bedarf an Lok und Fahrpersonal, eine Erhöhung der Umlaufzeit der Wagen, vermehrte Beanspruchung der Betriebsanlagen usw.

 

Die Leistungen der E. sind trotz allem beachtlich und um so höher einzuschätzen, als sie trotz schwerer Mängel an den Anlagen und bei dem rollenden Material zustande kommen. Im Jahre 1956 betrug die gesamte Transportleistung im Güterverkehr (alle Verkehrszweige) 33,5 Mrd. Tonnen-Kilometer, von denen 27,3 Mrd. (= 81,5 v. H.) von der E. abgewickelt wurden (1950: 18,6 Mrd. tkm, davon E. 15,1 tkm). Im Personenverkehr wurde mit rd. 1 Mrd. beförderter Personen der Vorkriegsstand bereits überschritten. Die Hauptaufgabe der E. muß vorläufig noch darin bestehen, ihre Leistungen den wachsenden Transportanforderungen anzupassen.

 

Literaturangaben

  • Olbrich, Paul: Die Fahrzeugwirtschaft bei der „Deutschen Reichsbahn“ der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1955. 88 S. m. 14 Tab. u. 10 Anlagen.
  • Olbrich, Paul: Betrieb und Verkehr bei der „Deutschen Reichsbahn“ in der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1957. 72 S. m. Anlagen.
  • Seidel, Wolfgang: Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik in der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1953. 235 S. m. 72 Tab. u. 9 Schaubildern.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1958: S. 83–84


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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