
Richter, Unabhängigkeit der (1958)
Siehe auch:
„Ein Richter muß nach seiner Persönlichkeit und Tätigkeit die Gewähr dafür bieten, daß er sein Amt gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt und sich vorbehaltslos für die Ziele der DDR einsetzt.“ (§ 11 Abs. 1 des sowjetzonalen GVG) Die Richter des Obersten Gerichts werden auf fünf Jahre gewählt, die übrigen Richter auf drei Jahre vom Justizminister ernannt. Alle Richter können vorzeitig abberufen werden, wenn sie „gegen die Verfassung oder andere Gesetze verstoßen oder sonst ihre Pflichten als Richter gröblich verletzten“ (§§ 16, 17 des sowjetzonalen GVG).
Obwohl Art. 127 der Verfassung und § 5 des sowjetzonalen GVG lauten; „Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen, werden laufend und planmäßig Weisungen an die Richter erlassen. Haftentlassungen von sog. Wirtschaftsverbrechern wurden für unzulässig erklärt und bedurften der Genehmigung des Ministeriums (Rundverfügung Nr. 98/50 des sächsischen Justizministeriums). Richter, die sich diesen Rundverfügungen nicht fügten, sind entlassen oder inhaftiert worden.
Die Kontrollkommission hatte bis zum Jahre 1953 weitgehende Befugnisse gegenüber den Gerichten. Mit der Rundverfügung Nr. 105/50 des Ministeriums der Justiz vom 10. 8. 1950 wurde verlangt, [S. 265]daß die Richter mehr als bisher in ihren Entscheidungen den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechen. In wichtigen Strafprozessen wird den Richtern seitens der SED, der Justizverwaltung, der Polizei oder des SSD vor der Verhandlung mitgeteilt, welche Strafe verhängt werden muß.
Einen selbständigen Apparat zur „Anleitung der Richter“ schuf Hilde Benjamin nach dem 17. 6. 1953. Instrukteure eines sog. Operativstabes reisten durch die SBZ und erteilten in den Verfahren gegen Demonstranten des 17. Juni (Juni-Aufstand) Weisungen über das Strafmaß, die sie vorher telefonisch beim Operativstab in Ost-Berlin, zum Teil unmittelbar bei Hilde Benjamin, einholten. Dieses Instrukteurwesen wurde im Jahre 1954 in das Justizministerium übernommen. Richter, die die ihnen gegebenen „Anleitungen“ nicht beachten, setzen sich der Gefahr sofortiger Abberufung oder strafrechtlicher Verfolgung aus.
Aus dem Grundsatz der „richterlichen Verantwortlichkeit“ wurde eine weitere Möglichkeit zu Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit entwickelt. Das „Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht“ vom 18. 1. 1957 (GBl. S. 65) gibt der jeweiligen örtlichen Volksvertretung das Recht, Kritik an der Arbeit des Gerichts zu üben, wenn durch Mängel in dessen Tätigkeit „die Lösung der Aufgaben der örtlichen Volksvertretungen, der Aufbau des Sozialismus und die Entfaltung des demokratischen Lebens gehemmt werden“. Das Gericht ist „verpflichtet, innerhalb von vier Wochen zu dieser Kritik Stellung zu nehmen“, hat sich also praktisch gegenüber der örtlichen Volksvertretung für seine Entscheidungen zu verantworten und zu rechtfertigen. (Rechtswesen)
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone. 3. Aufl. (BB) 1955. 160 S. (Neubearb. erscheint 1958.)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1958: S. 264–265
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