
Zivilprozeß (1958)
Siehe auch die Jahre 1956 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Während das Strafverfahren und die Gerichtsverfassung unter Aufhebung der Reichsjustizgesetze völlig neu geregelt worden sind, ist die deutsche Z.-Ordnung vom 30. 7. 1877 formell weiterhin geltendes Recht: dennoch hat auch der Z. grundsätzliche Veränderungen erfahren. Die wichtigsten Neuerungen brachten das Gerichtsverfassungsgesetz vom 2. 10. 1952 und die im Anschluß hieran ergangene Angleichungs-VO vom 4. 10. 1952 (GBl. S. 988).
Entsprechend dem dreistufigen Gerichtsaufbau gibt es nur noch zwei Instanzen. Die Instanz für fast alle Zivilsachen ist das Kreisgericht. Nur die Verfahren, in denen eine Partei Träger gesellschaftlichen Eigentums ist und der Streitwert 3.000 DM Ost übersteigt, gehören zur Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Das Bezirksgericht ist außerdem Berufungsinstanz für die Entscheidungen des Kreisgerichts. Gegen die erstinstanzlichen Urteile des Bezirksgerichts ist die Berufung an das Oberste Gericht möglich. Wie in Strafsachen ist das Oberste Gericht außerdem Kassationsgericht (Kassation).
Der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte entzogen sind die Streitigkeiten zwischen sozialistischen Betrieben aus Lieferungs- und Leistungsverträgen. Diese Verfahren gehören vor das Staatliche ➝Vertragsgericht.
Die Zivilkammern des Kreisgerichts und die erstinstanzlichen Zivilsenate des Bezirksgerichts sind mit einem Berufsrichter als Vorsitzenden und zwei mit vollen richterlichen Befugnissen versehenen Schöffen besetzt.
Die Aufgaben des früheren Rechtspflegers insbesondere im Mahnverfahren und in der Zwangsvollstreckung sind dem Sekretär beim Kreisgericht übertragen. (§§ 28 ff. der Angleichungs-VO).
Für alle Verfahren in erster Instanz gelten gemäß § 38 der Angleichungs-VO die Bestimmungen er. §§ 95 ff. der ZPO. Vor dem Bezirksgericht findet jedoch keine Güteverhandlung statt. Ein Verfahren vor dem Einzelrichter gibt es in erster Instanz nicht.
Neu geregelt ist das Verfahren in Ehesachen durch die Eheverfahrensordnung vom 7. 2. 1956 (Eherecht).
Anwaltsvertretung ist in allen Berufungsverfahren notwendig. Das Gericht kann jedoch von der Vorschrift des Anwaltszwanges befreien. VEB können sich im Anwaltsprozeß durch eigene Angestellte vertreten lassen.
Neben dem Recht, die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen zu beantragen, kann der Staatsanwalt gemäß 9 20 des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft vom 23. 5. 1952 (GBl. S. 408) „zum Zwecke der Wahrung der demokratischen Gesetzlichkeit“ in jedem Zivilrechtsstreit durch Einreichung von Schriftsätzen und Teilnahme an den Verhandlungen mitwirken. Nach der Rundverfügung Nr. 9/53 des Ministers der Justiz vom 9. 1. 1953 ist diese Mitwirkung in allen Rechtsstreitigkeiten erforderlich, die gesellschaftliches Eigentum und das Eigentum gesellschaftlicher Organisationen betreffen. (Staatsanwaltschaft)
Über die gesetzgeberischen Maßnahmen hinaus sind die formell weiter geltenden Vorschriften der Z.-Ordnung mit einem „neuen Inhalt“ erfüllt worden. Ausgehend von den im § 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes niedergelegten Aufgaben der Rechtsprechung (Rechtswesen), sind die grundlegenden Prinzipien des deutschen Z. beseitigt worden. An die Stelle des Verhandlungs- und des Verfügungsgrundsatzes ist weitgehend das Prinzip der Erforschung der materiellen Wahrheit getreten: „Ziel unseres Zivilprozesses ist die Ermittlung der objektiven Wahrheit. … Das wichtigste Mittel, um von der schädlichen, nur den Interessen der ökonomisch Stärkeren dienenden Verhandlungsmaxime loszukommen und die objektive Wahrheit zu finden, bildet eine konsequente, weitgehende Anwendung des § 139 ZPO“ (Niethammer in: „Neue Justiz“, 1954, S. 314). Dieses Ziel wird ohne gesetzliche Änderungen durch eine verallgemeinernde Anwendung aller Bestimmungen der ZPO, die eine gewisse Einschränkung des Verhandlungs- und des Verfügungsgrundsatzes enthalten, erreicht. Wie das Oberste Gericht im Urteil vom 11. 9. 1954 („Neue Justiz“, 1954, S. 489) feststellt, bindet das Anerkenntnis des Klageanspruches durch den Beklagten den Richter nicht, wenn es gegen Zweck und Inhalt der Gesetze, vor allem der Verfassung, verstößt.
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone. 3. Aufl. (BB) 1955. 160 S. (Neubearb. erscheint 1958.)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1958: S. 360