Lebensstandard (1958)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Das allgemeine Niveau der Lebenshaltung in der SBZ hat sich in den letzten Jahren, insbesondere für die Schichten mit höherem oder mittlerem Familieneinkommen, gehoben; nach Untersuchungen des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung lag der Preisindex der Zone 1955 um 12,5 v. H. über dem der Bundesrepublik, das Nominaleinkommen der unselbständig Beschäftigten um mindestens 10 v. H. unter dem entsprechenden westdeutschen Wert. Seitdem haben sich die Verhältnisse nicht einschneidend verändert. Das allgemeine West-Ostgefälle ist, wie auch der Augenschein bestätigt, immer noch beträchtlich, und es tritt noch deutlicher hervor, wenn man die Reallöhne vergleicht und die z. T. erheblichen Qualitätsunterschiede bei Lebensmitteln und Konsumgütern berücksichtigt; gleichwohl verliert diese Divergenz allmählich an Bedeutung, auch für die Fluchtgründe. Die Eingliederung der Zone in das Wirtschaftssystem des Sowjetblocks und die Tendenz zur Zentralverwaltungswirtschaft (Wirtschaftssystem) hatten zur Folge, daß sich der L. in der SBZ strukturell oder qualitativ mehr und mehr dem der SU und ihrer Satelliten annähert, also die für diese Wirtschaftsordnung typischen Disproportionen und zeitlichen oder örtlichen Zerrungen aufweist. Diese Merkmale des L. in der SBZ werden also nicht verschwinden, sondern sich möglicherweise auf manchen Gebieten noch stärker ausprägen. Sie sind etwa. folgendermaßen zu kennzeichnen:
1. Das ideologisch bestimmte System der Planökonomie bedingt seinem Wesen nach, aber auch infolge von Fehlleistungen des überforcierten Planungsapparates, immer wiederkehrende Versorgungslücken, die den L. der Zonenbevölkerung wesentlich beeinflussen. So führt die kommunistische Agrarpolitik (Landwirtschaft) dazu, daß gewisse Grundnahrungsmittel, und zwar auch solche, die das Gebiet der heutigen SBZ früher im Überfluß erzeugte, häufig entweder gar nicht oder nur in unzureichenden Mengen erhältlich sind (z. B. Butter, Zucker, Fleisch). Die Konsumgüterversorgung wird aus allgemeinen wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten immer noch quantitativ und qualitativ zugunsten industrieller Investitionen und der Produktionsgütererzeugung vernachlässigt.
2. Eine dünne Schicht von Parteifunktionären, Angehörigen der technischen ➝Intelligenz und anderer Mangelberufe, Spezialisten und Aktivisten bezieht Löhne und Gehälter, die ein Vielfaches der Durchschnittseinkommen ausmachen, und Vergünstigungen verschiedenster Art. die sie weit über den L. der „Normalverbraucher“ hinausheben; die Masse der letzteren kann einen höheren L. auch nicht durch größere Leistungen erreichen, da die höheren Stufen des Leistungslohnes auf einen bestimmten Prozentsatz der Arbeiterschaft begrenzt sind und bei allgemeiner Verbesserung der Leistungen die Arbeitsnormen heraufgesetzt werden.
3. Planmäßige Bevorzugung gewisser Versorgungsgebiete (Ostberlin, Leipzig während der Messe, Schwerpunkte des industriellen Aufbaues, Kurorte, Ferienlager usw.) bedingt ständige und oft beträchtliche regionale Differenzen in der Versorgung mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern und im allgemeinen L.
4. Das „Bildungsprivileg der Besitzenden“ ist mit Hilfe des Zulassungsverfahrens, eines reich dotierten Stipendien-Wesens und der allgemeinen Gesinnungskontrolle an die Abkömmlinge der Arbeiter, „werktätigen Bauern“ und „schaffenden Intelligenz“ [S. 190]übergegangen, die dafür Beschränkungen in der Berufswahl und im Berufsweg in Kauf nehmen müssen. Kulturgüter sind erschwinglich, werden den breiten Massen auch durch Besucherorganisationen und Verlagerung des „Kulturkonsums“ in die Betriebe (Erwachsenenbildung, Kulturpolitik, kulturelle Massenarbeit, Volkskunst) nahegebracht, stehen aber weithin im Dienst der politischen Agitation und der Produktionssteigerung und werden daher von der Masse der „Verbraucher“ abgelehnt.
5. Das System der sozialen Leistungen (Sozialversicherungs- und Versorgungswesen) wird ebenfalls vorwiegend unter dem Gesichtsunkt der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Ausschüttung aller Arbeitskräftereserven gehandhabt.
Aus all diesen Gründen erfordert ein Vergleich des L. der SBZ mit demjenigen der Bundesrepublik oder der westlichen Welt eine gründliche Vertiefung in die Motive und Methoden der sowjetzonalen Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. (Konsumgüterversorgung)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1958: S. 189–190
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