DDR von A-Z, Band 1958

Patriotismus (1958)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985


 

Die SED betrieb die Vorbereitung, Gründung und Abstützung des kommun. Staatsgebildes in der SBZ mit einer zweckhaften Zurechtbiegung des deutschen Nationalbewußtseins, obwohl der eigentliche Marxismus das Nationale als klassenbedingten Atavismus verwirft. Diese zweckhafte Zurechtbiegung führte zu dem schillernden Begriff des sowjetzonalen P. Die SED, die sich dabei der Nationalen Front bediente und bedient, pflegt diesen P. seit der Ausrufung der Nationalen ➝Volksarmee (Januar 1956) immer nachhaltiger. Grotewohl umriß 1953, zum „Tage des Lehrers“, die Gedankenlinie dieses Zweck-P. (s. Grotewohl: An die Jugend, 1955, S. 299 f.): „Im Kapitalismus wurde das echte und gute Nationalgefühl zum Nationalismus und Chauvinismus.“ Demgegenüber, so forderte er, „gilt es einen echten Patriotismus zu entwickeln, einen Patriotismus, der die natürliche und enge Verbundenheit eines jeden Menschen mit dem Land und dem Volk einschließt, in dem er geboren ist, in dem er aufwächst und in dem er arbeitet. Das Wachstum eines Menschen ist mit seinem Volk, mit seiner Geschichte, seiner Sprache und seinen Kulturgütern eng verbunden“. Solcher P., so erklärte Grotewohl, „der in der Liebe zum eigenen Volk wurzelt, ist unvereinbar mit dem Haß gegen andere Völker“. Wie bloß taktisch und zweckhaft die SED die Gefühle des P. für den internationalen Klassenkampf einsetzt, zeigt sich, wenn er im Zeichen „solchen patriotischen Denkens“ fortfährt: „Darum fühlen wir uns in tiefer Freundschaft verbunden mit den Völkern des Weltfriedenslagers, an deren Spitze die große Sowjetunion steht.“

 

Ein Hauptideologe der SED, Fred ➝Oelßner, betonte 1951 in seinem 1955 wieder aufgelegten Vortrag „Die heutige Bedeutung der nationalen Frage“ (S. 31 f.), die SED könne „deutschen Patriotismus nur auf der Grundlage des proletarischen Internationalismus entwickeln“. Man müsse an die ge[S. 235]schichtlichen Leistungen und „an das ganze fortschrittliche kulturelle Erbe unseres deutschen Volkes anknüpfen“, so schrieb Oelßner, zugleich aber müßten wir „besonders die Kulturgüter des fortschrittlichsten Volkes der Welt, des Sowjetvolkes, in uns aufnehmen, um ein neues deutsches Nationalgefühl auf wahrhaft ethischer Grundlage zu entwickeln“. — Auf dieser Linie bewegt sich die Schulung zum P. in allen Organisationen und in sämtlichen Bereichen der SBZ. Der P. der SBZ wirkt sich seit Mitte 1952 auch in der Nationalen Geschichtsbetrachtung aus. In „Junge Welt“, der Tageszeitung der FDJ, biegt Gerhard ➝Eisler am 4. 6. 1958 den Begriff P. entsprechend um: „Als Sozialisten sind wir natürlich deutsche Patrioten, und daher wollen wir ja auch, daß ganz Deutschland einmal das wahre Vaterland aller Deutschen und auch der ganzen deutschen Jugend sein kann … auch für die westdeutsche Jugend ist die DDR das wahre Vaterland. Die Loyalität der ganzen deutschen Jugend kann nur der DDR gehören. Denn die DDR steht auch nicht im Gegensatz zu den Interessen der westdeutschen Jugend, sondern ist im Gegenteil der stärkste Vorkämpfer zur Erfüllung aller ihrer berechtigten nationalen, politischen, sozialen und kulturellen Wünsche …“

 

Literaturangaben

  • Bohn, Helmut: Die patriotische Karte in der sowjetischen Deutschland-Politik. (Aus: „Ostprobleme“ 1955, H. 38, 40, 42) Bad Godesberg. 32 S.
  • Hehn, Jürgen von: Die Sowjetisierung des Geschichtsbildes in Mitteldeutschland (aus: Europa-Archiv 1954, H. 19 u. 20). Frankfurt a. M. 16 S.
  • Kopp, Fritz: Die Wendung zur „nationalen“ Geschichtsbetrachtung in der Sowjetzone. München 1955, Isar Verlag. 111 S.
  • Rauch, Georg von: Das Geschichtsbild der Sowjetzone (aus: Jahrb. d. Ranke-Gesellschaft 1954). Frankfurt a. M., Moritz Diesterweg. 19 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1958: S. 234–235


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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