Kriegsverbrecherprozesse (1958)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1979 1985
Mit der sog. Auflösung der sowjetischen Konzentrationslager in der SBZ wurde ein Teil der bisher Internierten auf freien Fuß gesetzt, ein großer Teil in die SU deportiert und etwa 3.500 Personen der Zonen-Justiz zur Aburteilung übergeben. Die Aburteilungen angeblicher Kriegs- und Nazi-Verbrecher fanden in den Monaten April bis Juli 1950 in Waldheim/Sachsen durch 12 Große und 8 Kleine Strafkammern statt. Als Richter amtierten besonders ausgewählte und linientreue SED-Volksrichter aus der ganzen Zone. Das gleiche war bei den Staatsanwälten und dem sonstigen Personal der Fall. Grundlage zur Verurteilung bildete in der Regel [S. 173]die Übersetzung eines in russischer Sprache abgefaßten Protokolls, welches meist nicht ganz eine Seite füllte und die angeblich von dem Beschuldigten begangenen Straftaten erwähnte. Im Ermittlungsverfahren in Waldheim wurden die Beschuldigten durch besonders geschulte Polizeikräfte noch einmal vernommen und mußten einen Lebenslauf und eine Vermögenserklärung abgeben. Auf diese Unterlagen stützte sich die Anklage der Staatsanwaltschaft. Die Anklageschrift durfte von den Angeklagten durchgelesen, mußte dann wieder abgegeben werden. Verteidiger wurden nicht zugelassen, desgleichen keine Zeugen. Am Schluß der gesamten Aktion, die unter Leitung von Dr. Hildegard Heinze und vier anderen SED-Funktionären stand, wurden etwa 10 öffentliche Prozesse gegen Angeklagte durchgeführt, denen wirklich Straftaten vorgeworfen werden konnten. In allen anderen Verfahren in Waldheim war die Öffentlichkeit ausgeschlossen (Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen). Von 38 Todesurteilen wurden in der Nacht zum 4. 11. 1950 32 vollstreckt (Todesstrafe). Im übrigen wurden Strafen zwischen 6 Jahren Gefängnis und lebenslänglichem Zuchthaus verhängt. Nach der Verurteilung erhielten die Angehörigen der Verurteilten nach teilweise über 5 Jahren das erste Lebenszeichen von den Inhaftierten. Seitdem wurde es den Verurteilten gestattet monatlich einen Brief von 15 Zeilen zu schreiben und zu empfangen sowie in längeren unregelmäßigen Abständen ein Lebensmittelpaket mit genau vorgeschriebenem Inhalt zu erhalten. Im Herbst 1952 wurde, unter dem Druck der öffentlichen Meinung der freien Welt, ein Teil der Verurteilten vor Ablauf der Strafen entlassen. Weitere vorzeitige Haftentlassungen erfolgten im Juli 1954 und im Jahre 1956, so daß jetzt fast alle Waldheim-Verurteilten die Freiheit zurückerlangt haben. Das Westberliner Kammergericht hat in einem nach § 15 des „Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen“ durchgeführten Überprüfungsverfahren erkannt, daß die Waldheim-Urteile wegen der im Verfahren und bei der Urteilsfindung festzustellenden Rechtsverletzungen schlechthin als nichtig, also als Nicht-Urteile angesehen werden müssen.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Vierte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1958: S. 172–173